Jakob Arjouni : Der heilige Eddy

Der heilige Eddy
Der heilige Eddy Originalausgabe: Diogene Verlag, Zürich 2009 ISBN: 978-3-257-06685-2, 246 Seiten Diogenes Taschenbuch, Zürich 2010 ISBN: 978-3-257-24017-7, 246 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 43-jährige Straßenmusiker und Trickbetrüger Eddy Stein trifft auf dem Heimweg im Treppenhaus überraschend auf den Industriellen Horst König, der mit seiner Absicht, ein Traditionsunternehmen zu zerschlagen, einen Skandal ausgelöst hat. Die beiden Männer geraten in Streit, es kommt zu Handgreiflichkeiten; König rutscht aus und schlägt mit dem Kopf so unglücklich auf, dass er auf der Stelle tot ist ...
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Kritik

"Der heilige Eddy" ist mehr Klamauk als Kriminalroman. Jakob Arjouni erzählt flott und unterhaltsam, ohne sich viele Gedanken über das literarische Niveau zu machen.
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Der dreiundvierzigjährige Straßenmusiker Eddy Stein lebt unauffällig in einer Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Zusammen mit dem jüdischen Russen Arkadi Abramowitsch, mit dem er seit sieben Jahren als Gitarren- und Gesangsduo „Lover’s Rock“ durch Fußgängerzonen tingelt, träumt er von einem Plattenvertrag. Während Arkadi den Lebensunterhalt für sich, seine Ehefrau Lilly, den Sohn Adam und die Tochter Sally vorwiegend mit seinem Umzugs- und Entrümpelungsdienst verdient, bessert Eddy sein Einkommen als Trickbetrüger auf.

Zum Beispiel choreografiert er im Hauptbahnhof einen Sturz und reißt den als Opfer ausgewählten Reisenden mit zu Boden. Markus Dregerlein ist soeben mit dem Zug aus Bochum eingetroffen, wo er zwei Computerläden betreibt. Er misstraut den Leuten in der Metropole, doch Eddy versteht es, Dregerleins Bedenken zu zerstreuen, und er lädt ihn als angebliche Wiedergutmachung in ein Edelrestaurant zum Essen ein. Dort stiehlt er ihm unbemerkt die Brieftasche und verabschiedet sich dann mit der Begründung, er müsse seinen Sohn vom Klavierunterricht abholen. Mit den Kreditkarten kauft er solange im KaDeWe ein, bis die erste gesperrt ist. Für die Waren wird ihm der Hehler etwa 7000 Euro bezahlen. Dazu kommen die 3000 Euro in bar aus Dregerleins Brieftasche.

Auf dem Weg nach Hause fallen Eddy die Plakate auf, mit denen der Unternehmer Horst König angeprangert wird. Dessen Eltern betrieben eine Würstchenbude am Görlitzer Bahnhof. Mit neunzehn wanderte er 1966 in die USA aus und baute dort eine der größten Imbissketten auf: „King’s Bratwurst“. Anfang der Neunzigerjahre verkaufte er das Unternehmen einem großen Getränkehersteller, zog mit Maggie Wu, seiner zweiten Ehefrau, nach New Orleans und gründete dort eine Exportfirma für Crawfish. Maggie brachte zwei Töchter zur Welt: Chantal und Romy. Später übersiedelte Horst König nach Calgary und stieg ins Ölgeschäft ein. Vor einem dreiviertel Jahr kam er – inzwischen zum vierten Mal verheiratet – nach Berlin und übernahm für einen lächerlichen Kaufpreis die trotz jahrelanger Subventionen nahezu bankrotten Deo-Werke in Tempelhof. Unterstützt wurde er dabei vom Senat, der befürchtete, die Medien könnten Nachforschungen über den Verbleib der Subventionen anstellen und deshalb an einer reibungslosen Abwicklung ohne Konkurs interessiert war. Als sich jedoch das Gerücht verbreitete, König wolle das traditionsreiche Unternehmen mit achttausend Mitarbeitern zerschlagen, auf dem Gelände eine Shopping Mall bauen und den Rest an einen chinesischen Konzern verschleudern, schloss der Senat sich den Kritikern an, die Horst König als „Heuschrecke“ brandmarkten. Zum Wortführer der Gegner Königs machte sich der Gesellschaftsreporter Fabian Braake vom Wochenblatt „Boulevard Berlin“. Eddy kennt ihn von früher, und seine Erinnerungen an die „Giftschwuchtel Schabraake“ sind nicht positiv.

Vor dem Eingang des Hinterhauses, in dem Eddy wohnt, stehen zwei „kahlrasierte Fitnessstudio-Pakete“ in unter der linken Achsel ausgebeulten Sportanzügen.

Beide trugen verspiegelte Sonnenbrillen, Uhren, mit denen man mittelgroße Tiere erschlagen konnte, und einen Mann-ist-das-öd-hier-wenn-mir-doch-einer-auf-den-Sack-ginge-dann-könnte-ich-ihm-wenigstens-die-Fresse-polieren-Ausdruck im harten, glattrasierten Gesicht. (Seite 39)

Im Treppenhaus stößt Eddy auf den Boss der beiden Leibwächter. Der hämmert gegen die Türe mit dem Schild „D. Miller“ und ruft: „Romy! Bitte, Romy, mach auf!“ Eddy kann es kaum glauben: Es ist Horst König. Statt schweigend vorbeizugehen, spricht Eddy ihn an:

„Oh, unser neuer Nachbar! Herr Miller, nehme ich an, sehr erfreut! Habe mich schon gefragt, ob Sie womöglich mit Horace Miller verwandt sind, dem berühmten walisischen Philosophen und Ruderer … […] Horace Miller, der berühmte …“
„Ja, ja, Ruderer! Was wollen Sie?!“, herrschte er Eddy an […] „Wie kommen Sie darauf, ich könnte Ihr Nachbar sein? Würde ich dann hier klopfen?“
„Oh …“, machte Eddy und schaute einen Moment lang dumm drein. Der Moment half ihm, sich zu sammeln. „Natürlich, jetzt wo Sie’s sagen … Muss daran liegen, dass ich mich, als ich Sie dort vor der Tür sah, so gefreut habe, Sie endlich kennenzulernen – also, nicht Sie, sondern …“
„Ihren Nachbarn, verdammt! Sind Sie denn völlig bekloppt?! (Seite 47ff)

Der Wortwechsel entwickelt sich rasch zum Streit. Als der Unternehmer Eddy ohrfeigt, rammt dieser ihm die Faust in den Schritt. Daraufhin torkelt Horst König stöhnend und mit den Händen zwischen den Beinen herum.

Doch dann geriet König über seine eigenen Beine ins Stolpern und versuchte sich an der Wand abzustützen, als seine Füße plötzlich auf den glatten Ledersohlen seiner handgenähten Schuhe über den hundert Jahre alten, abgetretenen und mindestens ebenso glatten Holzfußboden wie auf einer Eisfläche nach vorne rutschten und König ohne Halt und ohne Zeit, mit den Armen den Sturz abzufangen, nach hinten fiel. (Seite 56)

Der Unternehmer schlägt mit dem Hinterkopf auf die Walfängerharpunenkanone, die sich Ahmed und Rosi an diesem Vormittag von einem Antiquitätenhändler liefern ließen und die noch vor ihrer Türe im Treppenhaus steht. Mit offenen Augen bleibt Horst König liegen.

Eddy schleppt den Toten in seine Wohnung und beeilt sich dann, das Blut im Treppenhaus aufzuwischen, bevor die Bodyguards nach ihrem Boss sehen.

Er ruft Arkadi an und behauptet, einen von den Mietern über ihm verschuldeten Wasserschaden zu haben. Um die Gelegenheit nutzen zu können, etwas Geld zusätzlich von der Versicherung zu bekommen, benötige er ein paar Möbelstücke. Ihr Zustand spiele keine Rolle, nur der Wiederbeschaffungspreis zähle. Weil der Versicherungsvertreter sich für den Abend angesagt habe, benötige er die Möbel sofort. Arkadi lässt sich überreden, gleich nach der nächsten Entrümpelung mit seinem Lieferwagen vorbeizukommen. Eddy ruft als Nächstes bei drei Möbelhäusern an, erzählt etwas von Dreharbeiten mit Brad Pitt und Angelina Jolie und einem fehlenden Sofa als Requisite und erreicht, dass ihm alle drei Verkäufer die sofortige Lieferung je eines Sofas zusagen. In der Zwischenzeit versteckt Eddy die Leiche in seinem alten Sofa.

Als Arkadi mit einem Couchtisch in der Tür steht, bittet Eddy ihn, bei dieser Gelegenheit sein angeblich von einer Katze bepinkeltes altes Sofa zu entsorgen. Arkadi wundert sich zwar, dass das Sofa statt nach Katzenpisse nach Aftershave riecht, aber sein Freund erklärt ihm, er habe den Gestank nicht ertragen. In diesem Augenblick tragen sechs Möbelpacker der Reihe nach drei Sofas durch den Hinterhof.

Dort steht nur noch ein Leibwächter. Der andere ist offenbar unterwegs, um wegen des vermissten Unternehmers Verstärkung zu holen.

Im Treppenhaus stauen sich die Möbellieferungen. Eddy meint, da müsse sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt haben. Die Träger glauben ihm nicht, aber er gibt ihnen zu bedenken, dass kein vernünftiger Mensch gleichzeitig drei neue Sofas für eine kleine Mietwohnung bestellen würde. Und Filmleute gebe es hier auch nicht. Enttäuscht, Angelina Jolie nicht gesehen zu haben und verärgert über die nutzlose Arbeit, ziehen die Möbelpacker wieder los. Der Leibwächter will sie jedoch nicht vorbeilassen, ohne die Sofas kontrolliert zu haben.

Der Leibwächter stand mit gezogener Pistole vor der Durchfahrt zur Straße, während die sechs Möbelträger die Sofas abgestellt, sich im Halbrund formiert und sich ihm bis auf etwa fünf Meter genähert hatten. Ihren gespannten Körpern, den zum Zupacken bereiten Händen und gesenkten Köpfen war anzusehen: Sie wollten jetzt endlich Action. Jemand musste für diesen Scheißabend büßen […] (Seite 96f)

Der Bodyguard ist völlig verwirrt.

Sein Boss verschwindet im Haus, ist telefonisch nicht mehr zu erreichen, und ehe genug Verstärkung eintrifft, um das Haus auf den Kopf zu stellen, werden drei Sofas hinein- und kurz darauf wieder herausgetragen – Sofas, die groß genug sind, um eine Leiche oder einen betäubten Körper darin zu verstecken. (Seite 98f)

Während die Situation sich gefährlich zuspitzt, kommen Eddy und Arkadi mit dem alten Sofa aus der Haustüre. Eddy tut so, als halte er die Männer für „Filmtypen“ und ruft:

„Ist ja ’n Ding! Und bei uns im Haus so ’ne Möbellieferungsnummer abziehen!“ (Seite 98)

In dem Durcheinander fällt dem überforderten Leibwächter gar nicht auf, dass Eddy und Arkadi ein Sofa zu einem Lieferwagen tragen und damit losfahren.

Sie laden das Sofa in einem Waldstück bei Schönefeld ab, übergießen es mit Benzin und zünden es an.

Als nach ein paar Tagen Horst Königs halb verkohlte Leiche gefunden wird, vermuten die Medien, er sei aus politischen Gründen ermordet worden.

Aus irgendeinem Grund hat Eddy sich in den Kopf gesetzt, mit Königs Tochter Romy ins Gespräch zu kommen, die offenbar unter ihm wohnt, die er jedoch noch nie zu Gesicht bekam. Also setzt Eddy sich während der Trauerfeier im Hotel Kempinski in die Halle. Unversehens bittet sie ihn um Feuer und setzt sich auf eine Zigarettenlänge neben ihn. Sie verabreden sich und gehen ein paar Tage später im Schlossgarten Charlottenburg spazieren. Weil sie sich gut verstehen, verbringen sie den Abend zusammen und anschließend nimmt Romy ihren neuen Freund mit in ihre Wohnung eine Etage unter der seinen. (Um von Journalisten nicht so leicht gefunden zu werden, hat sie „D. Miller“ aufs Türschild geschrieben.)

Eine Zeitung veröffentlicht ein unscharfes Foto von Romy und Eddy in der Halle des Hotels Kempinski. Im dazugehörigen Artikel entrüstet sich ein Reporter darüber, dass die Tochter des ermordeten Unternehmers während der Trauerfeier mit einem Unbekannten flirtete. Die Medienhetze gegen den Spekulanten richtet sich nun gegen die Hinterbliebenen.

Um dem ein Ende zu machen, sucht Eddy den „Klatschpapst“ Fabian Braake in dessen Büro auf, verlangt von ihm, vor allem Romy König in Ruhe zu lassen und droht damit, andernfalls publik zu machen, dass er Fabian vor zwanzig Jahren als Stricher gesehen habe. Obwohl Eddy so tut, als könne er es mit Fotos beweisen, funktioniert die Erpressung nicht.

„Weißt du, was? Ich glaube, das ist genau das Maß an schillernder Underdog-Vergangenheit, das mir zur vollkommenen Authentizität noch fehlt. Exstricher – da bin ich moralisch doch quasi Jesus: Fabian Braake, unser Mann von ganz unten, aus den Abwasserkanälen des Lebens aufgestiegen zum Ankläger der Nation! Einer, der weiß, was Arbeitslosigkeit, Misere, Hunger bedeutet! Der seinen Körper verkaufen musste für einen Bissen Brot!“ (Seite 216)

Braake durchschaut, dass Eddy der Unbekannte neben Romy König im Hotel Kempinski war.

„Wolltest deiner kleinen Freundin helfen, was? Der süßen Romy, der Umweltschützerin. Hast es wahrscheinlich noch nicht mal auf ihr Geld abgesehen. Nur die Liebe zählt. Lover’s Rock …“ Braake lachte. „Der heilige Eddy!“ (Seite 218)

Er bietet nun Eddy seinerseits einen Deal an. Romys Freund soll ihm Insider-Informationen über die Familie König liefern. Dafür ist er bereit, ihn bei der Berichterstattung auszusparen und 3000 Euro pro Monat zu bezahlen. Für den Fall, dass Eddy nicht darauf eingeht, kündigt er an, die Kampagne auf ihn auszudehnen und sein Leben von Profis durchleuchten zu lassen. Zum Schein geht Eddy auf Braakes Angebot ein und erzählt ihm, Romys Schwester Chantal habe zu ihrer Mutter gesagt: „Und wenn es doch Günther war?“ Braake ist begeistert. Das gibt eine tolle Story, denn Günther König ist ein Versager, und das erlaubt die Frage, ob er seinen Bruder aus Missgunst ermordet haben könnte.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Eddy geht zur Polizeiwache und besteht darauf, eine Aussage zu machen, obwohl die Beamten zunächst nicht glauben wollen, dass er etwas mit dem Tod des Spekulanten zu tun hat. Nachdem er zu Protokoll gab, was im Treppenhaus passierte und wie er die Leiche beiseite schaffte, wird er festgenommen. Einige Tage später weist Eddy darauf hin, dass er all das auch bereits seinem früheren Freund Fabian Braake erzählt habe. Dessen Sekretärin Liane könne seinen Besuch bezeugen. Dass der Gesellschaftsreporter nun Angehörige der Familie König weiterhin mit Schmutz bewerfe, wie soeben unter der Schlagzeile „Und wenn es doch Günther war?“, sei eine wissentliche Verleumdung. Braake wird daraufhin von seiner Zeitung beurlaubt.

Aus dem Gefängnis schreibt Eddy an Romy und beteuert, sie aufrichtig zu lieben. Es dauert einige Zeit, bis sie ihm antwortet. Sie brauche noch eine Weile, um alles zu verarbeiten, heißt es in ihrem Brief, aber sie glaube ihm und denke viel an ihn.

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Obwohl es in „Der heilige Eddy“ um das Beseitigen einer Leiche geht, ist das Buch von Jakob Arjouni mehr Komödie als Kriminalroman. Das erste Kapitel hat mit der Handlung nichts zu tun und dient nur dazu, den Trickbetrüger Eddy vorzustellen. Mit Ausnahme des Protagonisten bleiben die Figuren schemenhaft. Der flott erzählte Plot wirkt an einigen Ecken recht konstruiert. Leser, die sich von solchen formalen Unzulänglichkeiten nicht stören lassen, haben an dem Klamauk in „Der heilige Eddy“ viel Spaß.

Den Roman „Der heilige Eddy“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen vom Autor Jakob Arjouni (Regie: Anton Roth, Zürich 2009, ISBN: 978-3-257-80245-0), und als Hörspiel von Judith Lorentz (Erstsendung am 9. August 2010, Regie: Judith Lorentz).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Diogenes

Jakob Arjouni (Kurzbiografie)

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