T. C. Boyle : Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist
Originalausgabe: When the Killing 's Done Viking, New York 2011 Wenn das Schlachten vorbei ist Übersetzung: Dirk van Gunsteren Carl Hanser Verlag, München 2012 ISBN: 978-3-446-23734-6, 464 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Zwei Naturschützer mit konträren Überzeugungen bekämpfen sich über Jahre hinweg. Die Biologin Alma Boyd Takesue leitet auf den Santa-Barbara-Inseln Projekte zur Ausrottung von Tierarten, die vom Menschen eingeschleppt wurden und die endemische Fauna und Flora bedrohen. Der Unternehmer Dave LaJoy, der jede Tötung von Tieren ablehnt, hält ihr entgegen, dass es in der Natur keinen Soll-Zustand gebe. Immer wieder versucht er, die Tötungsaktionen der Biologin zu sabotieren ...
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Kritik

T. C. Boyle erzählt die Geschichte bruchstückhaft, zwischen Handlungssträngen und Zeitebenen hin und her springend. Weitschweifige, detailverliebte Beschreibungen retardieren ebenso wie Abschweifungen, Rückblenden und Nebenhandlungen.
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Tilden („Till“) Matthew Boyd, der seit einem halben Jahr aus dem Pazifikkrieg zurück ist, unternimmt im März 1946 mit seiner Ehefrau Beverly und seinem Bruder Warren eine Bootstour zu den Santa-Barbara-Inseln vor der kalifornischen Küste. Dabei verunglücken sie nahe der Insel Anacapa, und die im zweiten Monat schwangere Beverly überlebt als Einzige. Sie rettet sich zunächst an Land und schwimmt später zur nächsten Insel. Dort geht sie nackt an Land, denn im Wasser verlor sie selbst die Unterwäsche. Es mangelt ihr nicht nur an Kleidung, sondern vor allem auch an Wasser und Nahrung. Nachts versucht sie, mit Feuer auf sich aufmerksam zu machen. Erst nach drei Wochen nähert sich ein Kutter der Küstenwache.

Trotz der Strapazen bringt Beverly Boyd sieben Monate später in Santa Monica eine gesunde Tochter zur Welt: Katherine („Kat“). Im dritten Studienjahr verliebt Katherine sich in einen Hippie aus Japan: Greg Takesue. Sie heiraten und wohnen anfangs in Gregs Elternhaus, mit seinen Eltern, seinen fünf Geschwistern, Großeltern und anderen Verwandten. Dann ziehen sie auf ein Hausboot, und als ihre Tochter Alma bereits in die sechste Klasse geht, können sie sich endlich ein eigenes Haus leisten. Sie leben vom Verkauf der Hummer und Abalone, die Greg vor der Südküste der Insel Santa Cruz aus dem Wasser holt. Am 3. August 1984 fährt er mit seiner Frau und einem Mann namens Mickey aufs Meer. Katherine bleibt auf dem Boot, während Greg und Mickey nach Seeigeln tauchen. Den Kompressor für die Luftversorgung montierte Greg selbst. Niemand ahnt, dass er dabei einen Fehler machte und deshalb durch einen Spalt Auspuffgase mit angesaugt werden. Das Kohlenmonoxid tötet die beiden Taucher.

Alma ist bereits Doktorandin, als ihre verwitwete Mutter, die an einer Grundschule unterrichtet, einen sechs Jahre älteren Sportlehrer heiratet.

Alma Boyd Takesue ist Biologin. Ihren Bachelor machte sie an der University of Hawaii. Nach ihrer Promotion in Ökologie in Berkeley geht sie für drei Jahre nach Guam. Julie Savidge fand dort Anfang der Achtzigerjahren die Ursache für die Ausrottung einiger Vogelarten heraus. Es war nicht DDT, wie man zunächst vermutete, sondern die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Militärs nach Guam eingeschleppte Braune Nachtbaumnatter, die auf der Insel keine natürlichen Feinde vorfand und sich ungehemmt vermehrte. Auch einige Pflanzenarten, deren Samen die ausgestorbenen Vogelarten verbreitet hatten, waren dadurch bedroht. Nun versucht man, möglichst viele Schlangen mit Paracetamol in Mäuseködern zu töten.

Nach ihrer Rückkehr aus Guam fängt Alma beim U. S. National Park Service an. Sie wird Projektkoordinatorin und Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit. Im Alter von 33 Jahren beginnt sie Ende 2001 mit einer auch von der Naturschutzbehörde unterstützten Aktion zur Beseitigung der Ratten auf Anacapa. Diese Tierart kam auf die Insel, als der Seitenraddampfer S. S. Winfield Scott am 2. Dezember 1853 einen Felsen rammte und die 450 Schiffbrüchigen mit Rettungsbooten an Land gebracht wurden. Die überlebenden Ratten breiteten sich auf der Insel ungehemmt aus und bedrohen das ökologische Gleichgewicht. Alma will Köder mit Brodifacoum ausbringen. Bezahlt wird die Aktion aufgrund eines Gerichtsbeschlusses von der Montrose Chemical Corporation of California, die von 1947 bis 1982 ungeheure Mengen mit DDT verseuchten Abfalls in die Santa Monica Bay leitete.

Bevor die Aktion beginnt, fährt Dave Francis LaJoy mit seiner Lebensgefährtin Anise Reed und seinem Mitstreiter Wilson Robert Gutierrez, einem 27-jährigen Zimmermann, zur Insel Anacapa. Während Anise auf dem Boot bleibt, verstreuen die Männer Katzenfutter mit Vitamin-K-Tabletten. Damit wollen sie die Ratten gegen das blutverdünnende Gift immunisieren und Almas Aktion sabotieren.

Dave LaJoy ist 42 Jahre alt. Er wohnt in Montecito. Mit 19 hatte er geheiratet, aber die Ehe hielt nur zwei Jahre lang. Als er 26 war und 16 Stunden am Tag daran arbeitete, eine Kette von Heimelektronik-Geschäften aufzubauen, zeigte ihm die als Aushilfe bei ihm beschäftigte Studentin Melody Appelbaum eine Broschüre, in der von im Tierheim systematisch getöteten Hunden berichtet wurde. Außerdem erfuhr Dave, dass allein in den USA jedes Jahr 8 Milliarden Hühner, 100 Millionen Schweine und 40 Millionen Rinder geschlachtet wurden. Daraufhin wurde er zum Vegetarier und gründete die Tierschutzorganisation For the Protection of Animals. „Ich werde erst wieder höflich sein, wenn das Schlachten vorbei ist“, sagt er.

Dave und Alma haben grundverschiedene Auffassungen über Umweltschutz. Während Alma es für richtig hält, in die Natur einzugreifen und die endogenen Arten zu schützen, wendet Dave sich gegen jedes Töten und argumentiert, dass es in der Natur keinen Soll-Zustand gebe. Die beiden sind auch aus einem anderen Grund nicht gut aufeinander zu sprechen: Sechs Monate, bevor Alma den Ornithologen Tim Sickafoose kennenlernte, der jetzt ihr Lebensgefährte ist, war sie mit Dave in einem Restaurant zum Essen verabredet. Der Unternehmer bestellte eine Flasche des teuersten Weins auf der Karte, zeigte beim Probieren ein angewidertes Gesicht und ließ sie zurückgehen. Beim nächsten Versuch zog er die gleiche Show ab und verhöhnte den Wirt. Da stand Alma verärgert auf und ging.

Als Dave und Wilson mit geleeren Rucksäcken zurück in die Bucht kommen, in der das Boot verankert ist, steht dort Tim Sickafoose, und der Ranger Rick Melman kommt dazu. Sie weisen darauf hin, dass die Insel für Besucher gesperrt ist. Weil der Bootsmotor nicht anspringt, bleibt Dave, Wilson und Anise nichts anderes übrig, als sich von der Küstenwache abschleppen zu lassen. Bei der Gerichtsverhandlung zweieinhalb Jahre später wird Dave freigesprochen.

Daves feste Freundin Anise Reed war zehn Jahre alt, als ihre Mutter Rita sich von ihrem Vater Toby trennte und 1979 als Köchin der Scorpion Ranch auf der Insel Santa Cruz anfing. Zwei Wochen später wurde die 31-Jährige die Lebensgefährtin des 24 Jahre älteren Verwalters Baxter Russell, der hier Schafe züchtete. Als die Tiere Anfang 1984 gerade wieder Lämmer gebaren und die Herde deshalb nicht gestört werden durfte, verzichteten die Schafzüchter sogar aufs Reiten und gingen zu Fuß. Plötzlich knallten Schüsse. Vier Jäger mit dreirädrigen Geländemaschinen tauchten auf. Sie hetzten ein Wildschwein. Die Schafherde geriet in Panik. Das ermöglichte es Raben, 73 neugeborene Lämmer zu töten. Rita bestand darauf, dass Baxter mit ihr zur Smugglers Ranch fuhr, wo die Jäger vermutlich ihr Quartier hatten. Dort hing ein Plakat von Eldon Thatchs Insel-Jagdclub. Für den Abschuss eines Keilers verlangte Eldon Thatch 750 Dollar, für einen Bock und zwei Schafe 1000 Dollar. Das war das 20-fache dessen, was Baxter für die Tiere bekam. In ihrer Wut zerrten Rita und Baxter das Gepäck und die Schlafsäcke der Jäger ins Freie und zündeten die Sachen an. Das Feuer brannte noch, als die Männer mit einem Hubschrauber von der Jagd zurückkamen. Kurz darauf wurden Baxter und die anderen Bewohner der Scorpion Ranch von einem Beauftragten der Besitzer Pier und Francis Gherini aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen auszuziehen.

Fünf Jahre nach seinem Versuch, die Rattenvergiftung auf Anacapa zu sabotieren, lässt Dave in seinem Vorgarten einen neuen Rasen aus Grassoden anlegen. In der Nacht bemerkt er Löcher darin und entdeckt zwei Waschbären. Daraufhin besorgt er sich Fallen und setzt die beiden gefangenen Tiere auf der Insel Santa Cruz aus.

Drei Wochen später fährt er mit Wilson, vier weiteren Mitstreitern und der Reporterin Toni Walsh erneut zu der Insel, auf der Alma die Wildschweine ausrotten will. Im Willows Canyon rutscht die 19-jährige Studentin Kelly Ann Johannson ab und wird vom Wasser fortgerissen. Als Dave und die anderen sie finden, ist sie bereits tot. Dave will die Leiche mit an Bord nehmen und erst kurz vor dem Erreichen des Festlands die Küstenwache verständigen. Aber das Boot „Paladin“ ist nicht da: Wilson wurde nämlich von der Küstenwache gezwungen, die Bucht der für Besucher gesperrten Insel zu verlassen.

Stattdessen treffen die Tierschützer auf Alma und die Jäger, die von der Biologin für den Abschuss der Wildschweine engagiert wurden. Dave, Wilson und Joshua Holyrood Miller werden festgenommen, aber Daves Anwalt Steve Sterling erreicht, dass man sie nach kurzer Zeit bis zur Gerichtsverhandlung freilässt. Sie werden sich wegen unbefugten Betretens der Insel Santa Cruz, Sachbeschädigung und Verabredung zu einer Straftat verantworten müssen. Außerdem gehen Kellys Eltern Ronald und Eva Johannson in Goleta wegen fahrlässiger Tötung gegen Dave vor.

Alma und ihre Jäger töten innerhalb von 15 Monaten 5036 Schweine auf Santa Cruz.

Als Alma feststellt, dass sie schwanger ist, und es Tim mitteilt, reagiert der Naturschützer entsetzt, denn er will keine Kinder und hat auch nicht vor, Alma zu heiraten. Er trennt sich nach fünf Jahren von ihr und nimmt eine Stelle auf den Farallon-Inseln an.

Dave lässt sich nicht beirren. Von Everson Stiles aus Wellspring/Texas kauft er zehn Klapperschlangen. Mit der Absicht, sie auf Santa Cruz auszusetzen, bringt er sie in Säcken verpackt aufs Boot. Anise, Wilson und dessen feste Freundin Alicia Penner begleiten ihn. Unterwegs kommt es zwischen den Männern zum Streit. Statt am Ruder zu bleiben, folgt Dave Wilson in die Kajüte. Niemand bemerkt, dass sie sich auf Kollisionskurs mit dem Frachter Tokachi-maru befindet.

Fischer finden Anises Leiche. Dave, Wilson, Alicia bleiben verschollen.

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In seinem Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“ lässt Tom Coraghessan Boyle zwei Naturschützer mit konträren Überzeugungen aufeinander treffen. Die Biologin Alma Boyd Takesue leitet auf den Santa-Barbara-Inseln Projekte zur Ausrottung von Tierarten, die vom Menschen eingeschleppt wurden und die endemische Fauna und Flora bedrohen. Der Unternehmer Dave Francis LaJoy, der jede Tötung von Tieren ablehnt, hält ihr entgegen, dass es in der Natur keinen Soll-Zustand gebe.

Dieser Konflikt ist interessant. Tom Coraghessan Boyle macht daraus allerdings keine stringente Handlung, sondern erzählt bruchstückhaft, springt von Kapitel zu Kapitel zwischen den Handlungssträngen hin und her, wechselt die Zeitebene und unterbricht den Fortgang der Handlung immer wieder durch Rückblenden. Weil er zu Beginn einiger Kapitel keine Namen nennt, sondern Pronomen verwendet, ist es mitunter schwierig, herauszufinden, welche der vielen Figuren gemeint ist. Außerdem retardieren weitschweifige und detailverliebte Beschreibungen. Abschweifungen und Nebenhandlungen lassen den Roman zerfasern. Bei einigen Episoden ist wenigstens noch ein Bezug zur Haupthandlung erkennbar (so z. B. bei einem Schiffsunglück im Jahr 1946), aber zumindest beim tödlich endenden Bootsausflug von Todd und Laurie Gilfoy, Jonas und Sylvie Ryerson, Ed und Lucinda Cherwin ist dies nicht der Fall.

Dass Tom Coraghessan Boyle vielen Frauenfiguren Namen gegeben hat, die mit A anfangen (Alma Boyd Takesue, Anise Reed, Alicia Penner, Annabelle Yuell), fällt auf, ist jedoch vermutlich nur Zufall.

Den Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“ von T. C. Boyle gibt es auch in einer gekürzten Fassung als Hörbuch, gelesen von Jan Josef Liefers (Lesefassung: Anke Albrecht, Regie: Ralf Ebel, München 2012, 8 CDs, ca. 595 Minuten, ISBN 978-3-86717-841-9).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

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Ein Vermächtnis