Carl Orff


Carl Orff wurde am 10. Juli 1895 in München geboren. Er stammte aus einer bayerischen Offiziers- und Gelehrtenfamilie. Beide Großväter waren Generalmajore: Karl Köstler machte sich als Historiker einen Namen; Carl von Orff beschäftigte sich mit Geodäsie, Mathematik und Astronomie und wurde in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Sein Vater Heinrich Orff (1869 – 1949) war Offizier, die Mutter Paula (1872 – 1960) eine »durch und durch künstlerische Natur und eine grundgescheite Frau« (Carl Orff). Die Familie wohnte in einem Mietshaus in München, aber die Sommermonate verbrachten Paula und Heinrich Orff ab 1898 mit ihrem Sohn Carl und ihrer in diesem Jahr geborenen Tochter Maria (»Mia«) in einem kleinen Haus am Ammersee, das einer verwitweten Bäuerin gehörte.

Die Beschäftigung mit Musik beschränkte sich für das Ehepaar Orff nicht aufs Zuhören im Konzertsaal, sondern sie musizierten auch zu Hause regelmäßig: Sie spielten vierhändig Klavier, oder Heinrich Orff griff zur Violine, während sich seine Frau – eine ausgebildete Konzertpianistin – an den Flügel setzte. Vom fünften Lebensjahr an erhielt Carl Orff von seiner Mutter Klavierstunden, zwei Jahre später kam Violoncello-Unterricht dazu, und mit acht durfte der Junge bereits mit ins Konzert. Die Förderung seines musikalischen Talents fiel auf fruchtbaren Boden: Als Neunjähriger begann Carl Orff, kleine Musikstücke für sein Puppentheater zu schreiben.

Mit vierzehn erlebte der Gymnasiast erstmals eine große Opernaufführung: »Der fliegende Holländer« von Richard Wagner. Später erinnert er sich: »Der Eindruck war so stark, dass ich tagelang nichts mehr reden wollte, kaum mehr gegessen habe und nur meinen Fantasien nachhing oder am Klavier mich austobte.«

Ab 1910 erhielt Carl Orff Unterricht in Harmonielehre von August Haindl, einem Freund seines Vaters, der im Münchner Hoforchester Bratsche spielte. In einer Musikalienhandlung entdeckte Carl Orff 1911 einige Studienpartituren von Werken Claude Debussys. »Dies war die Musik, die ich suchte, die mir vorschwebte, dies war die Musik, die mir so neu wie vertraut war, dies war der Stil, in dem ich mich ausdrücken konnte.« Für die Veröffentlichung eines Liederhefts mit Kompositionen von Carl Orff bezahlte sein Großvater Karl Koestler 1912 einen Druckkostenzuschuss. Der Siebzehnjährige dachte nur noch an Musik, und zum Entsetzen seiner Familie brach er die Schule vorzeitig ab.

Von 1912 bis 1914 studierte Carl Orff an der Königlichen Akademie der Tonkunst (heute: Hochschule für Musik und Theater) in München Komposition, aber er hielt den Unterricht für zu konservativ und beschäftigte sich deshalb autodidaktisch mit Arnold Schönberg, der in dieser Zeit mit Atonalität experimentierte und die Grundlagen der Zwölfton-Musik schuf. Doch im Sommer 1914, unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, begriff Carl Orff, dass er einen anderen Weg gehen musste und geriet in eine Krise, weil er nicht wusste, welche Richtung er einschlagen sollte.

Der Komponist, Pianist und Dirigent Hermann Zilcher, bei dem Carl Orff 1915 Klavierstunden nahm, vermittelte ihn 1916 als Kapellmeister an die Münchner Kammerspiele. Am 1. August 1917 musste Carl Orff allerdings zum Militär und an die Ostfront. Dort erkrankte er an Ruhr und wurde bei einem Artilleriebeschuss in einem Unterstand verschüttet. Als er die schlimmsten Folgen des Traumas – Gedächtnislücken, Sprachstörungen, Bewegungshemmungen – nach einem Jahr überwunden hatte, war der Krieg zu Ende, und er wurde vom Nationaltheater in Mannheim und vom Hoftheater in Darmstadt als Kapellmeister verpflichtet.

Im Sommer 1919 kehrte Carl Orff nach München zurück. Dort heiratete er im Jahr darauf die Schauspielerin Alice Solscher (1891 – 1970), die 1921 mit einer Tochter niederkam: Godela Orff. Die Ehe scheiterte jedoch und wurde nach acht Jahren geschieden. (Carl Orff war danach noch dreimal verheiratet: 1939 bis 1953 mit Gertrud Willert, 1954 bis 1959 mit Luise Rinser und ab 1960 mit Liselotte Schmitz.)

Seinen ersten Kompositionsabend am 1. März 1921 in Berlin mit Liedern nach Texten von Franz Werfel verrissen die Musikkritiker, aber Curt Sachs, der Direktor der Staatlichen Instrumentensammlung in Berlin, erkannte Orffs Begabung und riet ihm, sich durch die Beschäftigung mit der Musik des 17. Jahrhunderts weiterzubilden. Der Komponist befolgte den Rat und bearbeitete zusammen mit der ein Jahr jüngeren Schriftstellerin Dorothee Günther, die er 1923 kennen gelernt hatte, drei Opern von Claudio Monteverdi, darunter »L’Orfeo«.

Dorothee Günther übersetzte nicht nur Libretti für Carl Orff, sondern sie gründete auch mit ihm zusammen im September 1924 in einem Hinterhofgebäude in München eine eigene Schule für Gymnastik, Rhythmik und Tanz. Inspiriert durch Mary Wigman, die seit 1919 als Ausdruckstänzerin auftrat, erstrebten sie die Wiederherstellung der »naturgegebenen Einheit von Musik und Bewegung«, die »Regeneration der Musik von der Bewegung, vom Tanz her« (Carl Orff). Für die »Günther-Schule« entwickelte Carl Orff ein neues Konzept der Musik- und Bewegungserziehung, das der Schott-Verlag in Mainz 1930 bis 1934 in mehreren Heften unter dem Titel »Das Schulwerk. Elementare Musikübung« veröffentlichte. Die dafür geeigneten Musikinstrumente – Xylophon, Glockenspiel, Trommeln u. a. – ließ Carl Orff von dem mit ihm befreundeten Cembalobauer Karl Maendler entwickeln. Ende 1932 reiste er hoffnungsfroh nach Berlin zu einer Unterredung mit Leo Kestenberg, dem jüdischen Musikreferenten des Preußischen Kulturministeriums, der an eine »Erziehung zur Menschlichkeit mit und durch Musik« glaubte und sich für eine Aufnahme von Carl Orffs Ideen in den Lehrplan der Berliner Schulen einsetzen wollte. Die Pläne scheiterten jedoch an den Nationalsozialisten, die im Jahr darauf die Macht übernahmen und Leo Kestenberg seiner Ämter enthoben.

»Fortuna hatte es mit mir gut gemeint, als sie mir einen Würzburger Antiquariatskatalog in die Hände spielte, in dem ich einen Titel fand, der mich mit magischer Gewalt anzog: Carmina Burana«, schreibt Carl Orff in seiner »Erinnerung«. Es handelte sich um den Nachdruck einer illustrierten Pergament-Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, eine Sammlung mittelalterlicher Vagantendichtung mit geistlichen Schauspielen, moralisch-satirischen Dichtungen und derben Trink- und Liebesliedern, vorwiegend in lateinischer Sprache, die im Kloster Benediktbeuern gefunden wurde und deshalb die Bezeichnung »Carmina Burana« (Lieder aus Benediktbeuern) erhielt. Aus den rund 250 Texten wählte Carl Orff 25 aus und vertonte sie zu einer szenischen Kantate: »Carmina Burana. Weltliche Gesänge«. In der rhythmusbetonten Musik, bei der das ganze Orchester wie ein Schlagzeug wirkt, beschränkte Carl Orff sich auf einfache melodische und harmonische Strukturen. »Nicht die Pracht vieler Töne, sondern die Kraft weniger Töne ist es, die seine musikalische Sprache so faszinierend macht«, meint sein Schüler Wilhelm Killmayer. Seinem Verleger teilte Carl Orff nach der erfolgreichen szenischen Uraufführung am 8. Juni 1937 in Frankfurt am Main mit: »Alles was ich bisher geschrieben und Sie leider gedruckt haben, können Sie nun einstampfen.« Mit der »Carmina Burana« machte sich Carl Orff als Komponist einen Namen. Nationalsozialisten kritisierten allerdings die »Jazzstimmung« des Werks und lehnten die »bayerische Niggermusik« ab.

Der Komponist blieb während des »Dritten Reichs« in Deutschland, und seine Musik wurde von den Machthabern nicht verboten. Mit politischen Äußerungen hielt Carl Orff sich zurück; weder kritisierte er den Nationalsozialismus, noch biederte er sich dem Regime an. Zwar nahm der den Auftrag für eine Musik zum Einzug der Kinder bei den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin an und komponierte drei Jahre später für den nationalsozialistischen Oberbürgermeister von Frankfurt am Main eine seiner insgesamt sechs Musik-Fassungen zu dem Schauspiel »Ein Sommernachtstraum« von William Shakespeare, aber das Angebot von Joseph Goebbels, eine »Kampfmusik« für die Wochenschau zu komponieren, lehnte er 1944 ab.

Auf die »Carmina Burana« folgten unter anderem zwei Märchenopern: »Der Mond. Ein kleines Welttheater« (Uraufführung: München, 5. Februar 1939) und »Die Kluge. Die Geschichte von dem König und der klugen Frau« (Uraufführung: Frankfurt am Main, 20. Februar 1943).

Die am 19. Januar 1946 vollendete Partitur des Musiktheaterstücks »Die Bernauerin« widmete Carl Orff seinem Freund Kurt Huber, einem Kenner und Sammler bayerischer Volksmusik, der regen Anteil an der Entstehung dieses mundartlichen Stückes genommen und sich beinahe täglich mit dem Komponisten getroffen hatte – bis er am 13. Juli 1943 als Mitglied der »Weißen Rose« hingerichtet worden war. Bei der Uraufführung der »Bernauerin« am 15. Juni 1947 in Stuttgart spielte Godela Orff, die Tochter des Komponisten, die Titelrolle.

Die »Günther-Schule« war 1944 von den Nationalsozialisten geschlossen worden. Nach dem Krieg setzte sich der Musikkritiker Walter Panofsky dafür ein, das »Orff-Schulwerk« neu zu beleben; auf seine Initiative hin begann »Radio München« (heute: Bayerischer Rundfunk) am 15. September 1948 mit einer entsprechenden Sendereihe: »Orff-Schulwerk. Musik für Kinder«. Um die dadurch steigende Nachfrage nach geeigneten Musikinstrumenten erfüllen zu können, tat Carl Orff sich mit dem Maschinenbauer Klaus Becker-Ehmck zusammen, der 1949 in Gräfelfing bei München eine entsprechende Werkstatt gründete (»Studio 49«). Im Herbst desselben Jahres begannen am »Mozarteum« in Salzburg die ersten Kurse nach Orffs Konzept. (Das »Mozarteum« richtete zu Beginn der Sechzigerjahre eine »Zentralstelle für das Orff-Schulwerk« und ein »Orff-Institut« ein.) Eine fünfbändige Neufassung des Schulwerks gab Carl Orff 1950 bis 1954 mit Gunild Keetman heraus, einer an der »Günther-Schule« ausgebildeten Musikpädagogin, die auch an der Erstausgabe beteiligt gewesen war. Zweck des »Orff-Schulwerks« ist es, Kinder durch spielerisches Tanzen, Singen und Musizieren zum Improvisieren anzuregen und ihre Kreativität zu fördern. Weil ihnen das auch helfen kann, sich selbst zu finden, wird das »Orff-Schulwerk« auch in der Sozial- und Heilpädagogik eingesetzt.

Zwei Jahre nach der Uraufführung der »Bernauerin«, am 9. August 1949, fand in Salzburg die Uraufführung eines weiteren Bühnenwerks statt: »Antigonae«. Damit wählte Carl Orff noch einmal einen völlig neuen Weg zu seinem Ziel, der Verschmelzung von Wort und Musik, Szene, Ritual und Bewegung. Mit den Sängern zusammen sind in der Partitur sechs Flügel, vier Harfen, neun Kontrabässe, sechs Paar Kastagnetten, zehn große javanische Buckelgongs und zahlreiche andere Instrumente vorgesehen. Als Libretto verwendete er Friedrich Hölderlins Nachdichtung des Trauerspiels von Sophokles. »Die Antigonae ist kein Repertoirestück für das Operntheater«, erläuterte Carl Orff. »Sie ist ein Festspiel und kultisches Theater. Ich betrachte mein Werk nur als die zeitgebundene Interpretation der sophokleischen Antigonae.«

Auch der Neufassung des Trauerspiels »Ödipus, der Tyrann« von Sophokles (Uraufführung: Stuttgart, 11. Dezember 1959) lag eine Nachdichtung von Friedrich Hölderlin zugrunde. Bei der Tragödie »Prometheus« (Uraufführung: Stuttgart, 24. März 1968) vertonte Carl Orff dagegen den altgriechischen Originaltext von Aischylos.

In Dießen am Ammersee, wo er seit 1955 lebte, arbeitete Carl Orff von 1960 bis 1971 an einer apokalyptischen Bühnenvision, die unter dem Titel »De temporum fine comoedia. Das Spiel vom Ende der Zeiten« bei den Salzburger Festspielen am 20. August 1973 uraufgeführt wurde. Dieses theatrum mundi stellt den Höhepunkt in seinem Schaffen dar: In diesem Stück verbinden sich christliche Vorstellungen vom Weltuntergang mit antiken Anschauungen über die Spiritualisierung der Welt. »Ta panta nus« (alles ist Geist), heißt es am Schluss, nachdem Luzifer seine Verblendung eingesehen und sich in die Lichtgestalt des Erzengels zurückverwandelt hat.

Mit dem »Spiel vom Ende der Zeiten« beendete Carl Orff sein Lebenswerk. Nach langer, schwerer Krankheit starb er am 29. März 1982 im Alter von 86 Jahren in München. Seinem Wunsch entsprechend wurde er fünf Tage später in der Klosterkirche zu Andechs beigesetzt.

© Dieter Wunderlich 2006

Lilo Gersdorf: Carl Orff

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John Grisham ist bekannt für kenntnisreiche Kritik am Justizwesen der USA. In seinem Thriller "Die Firma" spielt dieses Thema allerdings kaum eine Rolle. Umso rasanter führt uns der Autor durch die raffinierte und spannende David-gegen-Goliath-Geschichte.
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