Kinsey. Die Wahrheit über Sex

Kinsey. Die Wahrheit über Sex

Kinsey. Die Wahrheit über Sex

Kinsey. Die Wahrheit über Sex – Originaltitel: Kinsey – Regie: Bill Condon – Drehbuch: Bill Condon – Kamera: Frederick Elmes – Schnitt: Virginia Katz – Musik: Carter Burwell –- Darsteller: Liam Neeson, Laura Linney, Chris O'Donnell, Peter Sarsgaard, Timothy Hutton, John Lithgow, Tim Curry, Oliver Platt, Dylan Baker, Julianne Nicholson, William Sadler, John McMartin, Veronica Cartwright, Kathleen Chalfant, Heather Goldenhersh, Dagmara Dominczyk, Harley Cross, Susan Blommaert, Benjamin Walker, Matthew Fahey, Will Denton u.a. - 2004; 120 Minuten

Inhaltsangabe

Gegen den Willen seines prüden, bigotten Vaters studiert Alfred Kinsey Biologie. In der Hochzeitsnacht gelingt es ihm nicht, seine Frau Clara zu deflorieren. Durch den Arzt, den sie konsultieren, erfahren sie, dass solche Probleme häufig sind. Aber darüber spricht niemand. Die Fragen in dem Eheberatungskurs, den Kinsey daraufhin anbietet, zeigen ihm, wie rudimentär das Wissen über Sexualität ist. Das will er ändern ...
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Kritik

Das Thema Sexualität nimmt zwar in "Kinsey. Die Wahrheit über Sex" einen großen Raum ein, aber Bill Condon bleibt sachlich, und im Zentrum des Films steht die Persönlichkeit von Alfred Kinsey.
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Schon als Schüler hält Alfred C. Kinsey (Will Denton, Matthew Fahey, Benjamin Walker) sich am liebsten im Freien auf, beobachtet Tiere und zeichnet sie. Gegen den erklärten Willen seines Vaters (John Lithgow), den er für bigott, puritanisch und scheinheilig hält, studiert Alfred Kinsey Biologie und promoviert schließlich in Harvard. Als Professor an der Indiana University in Bloomington spezialisiert er sich auf Gallwespen und sammelt Hunderttausende davon.

Als Dr. Kinsey (Liam Neeson) während der Mittagspause auf der Wiese in einem Park sitzt, gesellt sich die Studentin Clara McMillen (Laura Linney) zu ihm. Er teilt seine Tomatensuppe und seine Sandwiches mit ihr. Die beiden treffen sich häufiger. Als Alfred Kinsey ihr einen Heiratsantrag macht, bittet Clara um Bedenkzeit: Sie müsse sich zwischen ihm und einem anderen Mann entscheiden. Gekränkt und eifersüchtig lässt Kinsey sie stehen, aber nach ein paar Tagen sucht sie ihn auf und erklärt sich bereit, seine Frau zu werden.

In der Hochzeitsnacht versuchen die beiden, miteinander zu schlafen. Keiner von ihnen hat sexuelle Erfahrungen, und sie stellen fest, dass der Versuch einer Defloration für Clara zu schmerzhaft ist. Sie konsultieren einen Arzt. Der stellt fest, dass Claras Hymen besonders fest ist und löst das Problem mit einem kleinen Eingriff. So etwas sei gar nicht selten, meint er, aber niemand rede darüber.

Deshalb übernimmt Alfred Kinsey den Sexualkundekurs von einem Kollegen, der seine Aufgabe weniger in der Aufklärung sah, als in der eindringlichen Warnung vor vorehelichem Geschlechtsverkehr. Exklusiv für verheiratete Studenten bietet Kinsey eine Eheberatung an. Als er dem Mann einer Frau, die beim Koitus nichts empfindet, rät, sie beispielsweise oral zu stimulieren, wehrt das Paar entsetzt ab: Dadurch werde der Mann doch nur unfruchtbar! Das hält Kinsey zwar für abwegig, aber es gibt darüber keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Weil ihn auch die Fragen anderer Studenten an die Grenzen des vorhandenen Wissens bringen, beschließt er, Informationen zu sammeln und verteilt im Auditorium Fragebögen. Die Ergebnisse verblüffen ihn: Nicht nur einige wenige verdorbene bzw. psychotische Individuen masturbieren, praktizieren Fellatio und Cunnilingus, haben vorehelichen Geschlechtsverkehr, bevorzugen homosexuelle Kontakte, sondern all das ist weit verbreitet!

Alfred Kinsey geht von Fragebögen zu Interviews über, weitet seine Erhebungen aus und stellt ein Forscherteam zusammen. Finanzielle Mittel der Rockefeller-Stiftung erlauben es ihm, Tausende von Amerikanern im ganzen Land zu befragen. Seinen Mitarbeitern schärft er ein, unvoreingenommen zu protokollieren, was sie hören. Es gebe nur übliche und seltenere Praktiken; eine Unterscheidung zwischen normalen und abartigen Formen der Sexualität sei für einen Wissenschaftler nicht zulässig. Die Ergebnisse veröffentlicht Alfred Kinsey am 5. Januar 1948 in Buchform: „Das sexuelle Verhalten des Mannes“. Es wird ein Bestseller.

Durch den Erfolg angespornt, macht Kinsey weiter. Während der Reisen mit seinem bisexuellen Assistenten Clyde Martin (Peter Sarsgaard) entdeckt der dreifache Vater Alfred Kinsey, dass er selbst auch homosexuelle Neigungen hat. Als er Clara nach seiner Rückkehr gesteht, er habe mit Clyde geschlafen, schluchzt sie, aber er versichert ihr, dass sich an seiner Liebe zu ihr nichts geändert habe und versucht, ihr zu erklären, dass man zwischen Liebe und Sex unterscheiden müsse. Einige Zeit später geht Clara mit Clyde ins Bett, und Kinsey lässt es zu. Auch unter den übrigen Mitgliedern des Forscherteams wird die freie Liebe praktiziert – was immer wieder heftigen Konflikte auslöst.

In seiner Kindheit und Jugend hätte Alfred Kinsey niemals vor den Eltern über Sex reden dürfen. Das Thema war tabu. Wenn er nun mit seiner Frau, den drei Kindern und Clyde am Tisch sitzt, redet er fast nur von seinem Forschungsthema. Das findet sein ältester Sohn unerträglich, und es kommt zum Streit.

Als Kinsey 1953 auch noch einen Band über „Das sexuelle Verhalten der Frau“ folgen lässt, Studien über Homosexuelle und Sexualverbrecher ankündigt und bekannt wird, dass er Frauen beim Orgasmus filmt, erhebt sich ein Sturm der Entrüstung. Nicht nur religiöse Eiferer, sondern vor allem die Kommunistenjäger schießen sich auf ihn ein. Unter dem Druck der Öffentlichkeit beendet die Rockefeller Stiftung die finanzielle Förderung der Forschungen.

Alfred Kinsey bricht zusammen. Ein Trost ist es für ihn, als ihm eine ältere Dame (Lynn Redgrave) gesteht, sie habe ihre lesbischen Neigungen lange Zeit nicht wahrhaben wollen und sei unglücklich gewesen, bis sie durch ihn erfahren habe, dass viele Frauen so wie sie empfinden. Seither lebt sie mit einer Freundin in einer glücklichen Beziehung.

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Bill Condon porträtiert in seinem Film „Kinsey. Die Wahrheit über Sex“ den berühmten Sexualforscher Alfred Kinsey. Er zeigt einen jungen Mann, der zur Prüderie erzogen wird, nächtliche Samenergüsse für eine Sünde hält und sich mit dem Vater überwirft, als er dessen Scheinheiligkeit durchschaut. In der Hochzeitsnacht ist er noch unerfahren. Einige Zeit später wird die Erforschung des sexuellen Verhaltens der Amerikaner zu einer Obsession für ihn, und der Mann, der keinen vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte, lässt sich auf wechselnde bisexuelle Beziehungen in seinem Forschungsteam ein. Sein ältester Sohn findet diese sexuelle Freiheit abstoßend.

Die Sexualität nimmt zwar in „Kinsey. Die Wahrheit über Sex“ einen großen Raum ein, aber Bill Condon hält Distanz zum Thema, bleibt sachlich und verzichtet auf jeden Voyeurismus. Im Zentrum steht die Entwicklung der Persönlichkeit von Alfred Kinsey.

Für Condon ist Kinsey der Pionier, der Moses, der versucht, das amerikanische Volk ins Gelobte Land zu führen, wo es im Einklang mit der Natur leben und seine sexuellen Bedürfnisse problemlos befriedigen kann […] Die Figur Kinsey […] polarisiert noch immer […] Für [Judith A. Reisman] ist Kinsey ein Psychopath, von seinen sexuellen Perversionen getrieben: „Er war ein Agent des Wandels – der bedeutendste im amerikanischen Leben des 20. Jahrhunderts. Die Konsequenzen dieses sexuellen Abenteuertums schließen Aids, Geschlechtskrankheiten, Kindsmissbrauch, Inzest und Pornografie ein.“ (Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung 24. März 2005)

Sehenswert ist „Kinsey. Die Wahrheit über Sex“ nicht zuletzt wegen der schauspielerischen Leistung von Laura Linney und Liam Neeson. Laura Linney wurde für einen „Oscar“ in der Kategorie „Beste Nebendarstellerin“ nominiert; aber die Trophäe ging am Ende an Cate Blanchett („Aviator“).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008

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