Lornas Schweigen

Lornas Schweigen

Lornas Schweigen

Lornas Schweigen – Originaltitel: Le silence de Lorna – Regie: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne – Drehbuch: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne – Kamera: Alain Marcoen – Schnitt: Marie-Hélène Dozo – Darsteller: Arta Dobroshi, Jérémie Renier, Fabrizio Rongione, Alban Ukaj, Morgan Marinne, Olivier Gourmet, Anton Yakovlev, Grigori Manoukov u.a. – 2008; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Die junge Albanerin Lorna möchte sich in Liège ein neues Leben aufbauen. Die belgische Staatsbürgerschaft erwarb sie bereits durch eine Scheinehe mit dem Junkie Claudy. Sobald sie geschieden ist, soll sie einem Russen durch eine zweite Scheinheirat einen belgischen Pass verschaffen. Da der Russe mehr zahlt als der Belgier bekommt, lohnt sich das Geschäft. Aber Lornas Komplizen wollen nicht auf die Scheidung warten, sondern Claudy durch eine Überdosis ermorden ...
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Kritik

Das Sozialdrama "Lornas Schweigen" ist realistisch, spröd, schnörkellos und unsentimental. Die Gebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne sind für ihre reduzierte Filmsprache bekannt.

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Die junge Albanerin Lorna (Arta Dobroshi) träumt davon, mit ihrem Freund Sokol (Alban Ukaj) eine Snack-Bar in Liège einzurichten. Den ersten Schritt auf dem Weg zum Ziel hat sie bereits getan: Durch eine Scheinheirat mit dem arbeitslosen Junkie Claudy Moreau (Jérémie Renier) erwarb sie die belgische Staatsbürgerschaft. Sie teilt sich mit ihm eine Zwei-Zimmer-Wohnung, aber er muss im Wohnzimmer auf einer Matratze schlafen, und Lorna hält ihn auch sonst auf Distanz. Dass er versucht, von seiner Heroinsucht loszukommen, interessiert sie nicht. Es ist alles nur ein Geschäft: Claudy bekam für die Scheinehe 2500 Euro, und für die Scheidung wurden ihm weitere 5000 Euro versprochen. Lorna erwartet, dass sich die Investition auszahlt, denn ihr Komplize, der Taxifahrer Fabio (Fabrizio Rongione), hat bereits Kontakt zu einem Russen aufgenommen, der durch die Scheinehe mit Lorna einen belgischen Pass bekommen möchte und bereit ist, dafür 10 000 Euro zu bezahlen.

Claudy, der die Wohnung nicht verlässt, weil er sonst durch die Begegnung mit seinen suchtkranken Freunden in Versuchung käme, wieder Heroin zu spritzen, klammert sich verzweifelt an seine einzige Bezugsperson Lorna. Widerstrebend kauft sie ihm ein Medikament gegen Krämpfe, und als er die Entzugserscheinungen nicht länger erträgt, bringt sie ihn ins Krankenhaus.

Fabio will nicht warten, bis die Scheinehe geschieden ist. Er hatte für das Geschäft eigens einen Junkie ausgesucht, weil sich so die Wartezeit mit einer Überdosis abkürzen und die Bezahlung der vereinbarten 5000 Euro vermeiden lässt. Um Fabio davon abzuhalten, Claudy etwas anzutun, versucht Lorna die Scheidung zu beschleunigen, indem sie vortäuscht, dass ihr Mann gewalttätig ist. Sie schlägt ihre Arme gegen einen Türrahmen, lässt die Hämatome von einer Ärztin dokumentieren und zeigt Claudy an. Sie kann jedoch nicht beweisen, dass die Hämatome durch Schläge ihres Mannes verursacht wurden. Lorna drängt deshalb Claudy, sie vor Zeugen anzugreifen. Das bringt Claudy nicht fertig. Lorna schlägt sich schließlich selbst im Krankenzimmer den Kopf blutig, rennt schreiend zu einer Krankenschwester und klagt, ihr Mann habe sie gegen die Wand geschleudert. Monique Sobel (Mireille Bailly) wundert sich zwar darüber, dass der friedlich wirkende Patient gewalttätig sein soll, aber sie ist bereit, als Zeugin bei der Polizei auszusagen.

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus sucht Claudy Lorna in der Reinigung auf, in der sie arbeitet, und bittet sie um den Wohnungsschlüssel und etwas von seinem Geld, das er ihr anvertraute, damit er etwas kochen kann.

Als Lorna nach Hause kommt, hat Claudy für sie beide Schinkennudeln zubereitet. Einem Brief entnimmt Lorna, dass ihre Scheidung aufgrund der angeblichen Gewalttätigkeit des Ehemanns im Eilverfahren bearbeitet wird. Statt sich an den Tisch zu setzen und mit Claudy zu essen, trifft sie sich mit Fabio, um ihm die gute Nachricht zu überbringen.

Eine Stunde später kommt sie zurück. Da sitzt ein Dealer (Stéphane Marsin) bei Claudy, und der verlangt sein Geld, um Drogen kaufen zu können. Aufgebracht wirft Lorna den Dealer hinaus und prügelt sich mit Claudy. Sie will nicht, dass er rückfällig wird. Einem spontanen Entschluss folgend, zieht sie sich aus und umarmt ihn, bis er begreift, was sie vorhat und sie im Stehen nimmt.

Am nächsten Tag kauft er sich ein Fahrrad, um herumfahren zu können und nicht an Drogen denken zu müssen.

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Drei Tage später muss Lorna die Leiche ihres Ehemanns identifizieren. Er starb an einer Überdosis.

Am Friedhof passt Lorna seine Mutter (Sophie Leboutte) ab, stellt sich als Claudys Witwe vor und gibt ihr das Geld, das sie für ihn aufbewahrte. Aber Claudys Bruder (François Sauveur) reißt seiner Mutter das Geld aus der Hand, wirft es auf den Boden und erklärt im Namen der Familie, man wolle von dem Junkie nichts annehmen.

Fabio gesteht Lorna, Claudy habe sterben müssen, weil der Russe nicht länger warten wolle.

Sie treffen sich mit dem Russen Andrei (Anton Yakovlev), der einen Landsmann namens Kostia (Grigori Manoukov) mitbringt, weil er selbst kein Wort Französisch versteht. Die beiden Russen lassen sich Lornas Personalausweis zeigen und ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass sie Witwe ist. Dem Geschäft steht also nichts im Weg, und Andrei leistet eine Anzahlung.

Voller Freude unterschreibt Lorna den Mietvertrag für Räume, die sich für die Eröffnung einer Snack-Bar eignen. Das Geld, das sie dafür bezahlen muss, stammt aus ihrem Anteil an dem Geschäft mit Andrei und einem Bankkredit. Begeistert ruft sie Sokol an und beschreibt ihm, wie sie sich die Einrichtung vorstellt.

Lorna glaubt, schwanger zu sein, und ein Arzt bestätigt ihren Verdacht. Sie entscheidet sich für eine Abtreibung, aber im nächsten Augenblick ändert sie ihre Meinung.

Sie teilt Fabio mit, dass sie schwanger sei. Für ihn kommt nur eine Abtreibung in Frage, denn Andrei wird sich nicht auf die Eheschließung mit einer Schwangeren einlassen und das Risiko eingehen, nach der Scheidung Unterhalt zahlen zu müssen. Fabio nimmt an, dass Sokol der Vater ist, aber Lorna klärt ihn darüber auf, dass das Kind von Claudy gezeugt wurde. Dass Lorna sich mit dem Junkie einließ, macht Fabio erst recht nervös.

Lorna bricht zusammen und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Dort sagen ihr die Ärzte nach einer Ultraschalluntersuchung, sie sei gar nicht schwanger.

Das Geschäft mit Andrei platzt. Lorna kündigt ihren Kredit bei der Bank und erhält ihre Anzahlung für die geplante Snack-Bar zurück. Das Geld teilen sich Fabio und Sokol.

Die Männer erklären Lorna, sie müsse nach Albanien zurückkehren. Sokol verspricht, in einem Monat nachzukommen. Spirou (Morgan Marinne), den Lorna als Vertrauten Fabios kennt, werde sie fahren. Bevor Lorna zu Spirou ins Auto steigt, nimmt Fabio ihr die SIM-Karte aus dem Handy.

Statt auf die Autobahn zu fahren, wählt Spirou eine Nebenstraße, angeblich um zu tanken. Aber Lorna begreift, dass er den Auftrag hat, sie zu ermorden. Unter dem Vorwand, dringend urinieren zu müssen, drängt sie ihn in einem Waldstück zum Anhalten. Sie steigt aus, hockt sich hin und hebt dabei unbemerkt einen Stein auf. Als Spirou vor dem Losfahren in den Außenspiegel schaut, schlägt sie ihm den Stein auf den Kopf und rennt davon, bis sie eine verlassene Waldhütte findet.

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In dem beklemmenden Sozialdrama „Lornas Schweigen“ wird immer wieder Geld übergeben, gezählt, versteckt. Zwischenmenschliche Beziehungen scheint es nur in Form von Geschäften zu geben. Gefühle stören dabei, und wer Skrupel oder moralische Bedenken zeigt, wird ausgeschaltet.

Die Brüder Jean Pierre und Luc Dardenne inszenieren diese Welt realistisch, nüchtern, schnörkellos und unsentimental. Sie verzichten auf eine Emotionen weckende Musikuntermalung und beschränken dramatische Szenen auf ein Minimum. Reduziert ist auch die Filmsprache. Die Kamera bleibt auf Distanz, und die Bilder in „Lornas Schweigen“ sind spröd wie in einem Dogma-Film.

Der belgische Film- und Theaterschauspieler Jérémie Renier (* 1981), der bereits als Hauptdarsteller in dem Film „L’enfant. Das Kind“ der Gebrüder Dardenne überzeugen konnte, nahm 14 Kilo ab, um die Rolle des Junkies glaubwürdig spielen zu können. Getragen wird „Lornas Schweigen“ von seiner in Pristina geborenen Kollegin Arta Dobroshi (* 1979).

Synchronstimmen: Vera Teltz (Lorna), Ozan Ünal (Claudy), Torsten Michaelis (Fabio), Tim Möseritz (Sokol).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010

Jean Pierre und Luc Dardenne (kurze Biografie / Filmografie)

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