Louise Erdrich : Der Club der singenden Metzger

Der Club der singenden Metzger
Originalausgabe: The Master Butchers Singing Club HarperCollins, 2003 Übersetzung: Renate Orth-Guttmann Der Gesang des Fidelis Waldvogel Eichborn Verlag, Frankfurt/M 2004 ISBN 3-8218-5731-5, 506 Seiten Taschenbuch: Der Club der singenden Metzger Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2007 ISBN 978-3-518-45750-41, 503 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg heiratet der Metzger Fidelis Waldvogel Eva, die schwangere Braut seines gefallenen Freundes. Anfang der 20er-Jahre wandert er mit seiner Familie in die USA aus und eröffnet in Argus, North Dakota, eine Metzgerei. Zur Familie gehören schließlich vier Söhne. Nachdem Eva 1934 an Krebs gestorben ist, holt Fidelis seine Schwester, die jedoch mit Kindererziehung, Haushalt und Geschäft überfordert ist ...
mehr erfahren

Kritik

Bei dem Roman "Der Club der singenden Metzger" handelt es sich um ein Familienepos. Louise Erdrich entwickelt das komplexe Geschehen chronologisch und in epischer Breite. Das wirkt altmodisch, aber sie versteht es, die Leser mitzunehmen.
mehr erfahren

Im November 1918 kehrt der Metzger Fidelis Waldvogel aus dem Weltkrieg in seine Heimatstadt Ludwigsruhe zurück. Wie er es seinem kurz vor Kriegsende gefallenen Freund Johannes Grünberg versprach, heiratet er dessen schwangere Braut Eva Kalb.

Als der Sohn Franz drei Jahre alt ist, wandert Fidelis Waldvogel in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Amerika aus. Die Schiffskarte kauft er mit dem Geld, das er für den Familienschmuck bekam. Im Koffer hat er sechs Messer seines Vaters und Würste, für die er im Wald ein Schwein gewildert hatte. Die Messer benötigt er für einen Neuanfang als Metzger in den USA; die Würste verkauft er nach seiner Ankunft in New York auf der Straße, damit er mit der Eisenbahn weiterreisen kann. Das Geld reicht für eine Fahrkarte nach Minneapolis, North Dakota.

Nicht weit davon entfernt, in Argus, findet Fidelis Waldvogel Arbeit bei dem Metzger Pete Kozka. Sobald er genügend Geld zusammengespart hat, eröffnet er eine eigene Metzgerei am anderen Ende der Stadt und holt Eva mit Franz nach.

In Ludwigsruhe hatte Fidelis Waldvogel in einem Chor gesungen. Einen Chor gründet er nun auch in Argus.

Eva kommt 1925 mit einem zweiten Sohn nieder, der den Namen Markus erhält, und 1929 bringt sie die Zwillinge Erich und Emil zur Welt.

1934 wird bei Eva ein Tumor diagnostiziert. Für eine Heilung ist die Krankheit bereits zu weit fortgeschritten; der Arzt kann nur noch Morphium gegen die starken Schmerzen verschreiben. Auf dem Sterbebett verrät Eva ihrer besten Freundin – Delphine Watzka –, dass Fidelis zwar der Vater von Markus, Erich und Emil sei, nicht jedoch von Franz.

Delphine Watzka hatte ihre Mutter im Alter von drei oder vier Monaten verloren; so war es ihr wenigstens gesagt worden. Ihr aus Polen eingewanderter Vater Roy Watzka ist fast ständig betrunken. Um von ihm wegzukommen, brach Delphine die Schule ab und verließ Argus. Unterwegs begegnete sie dem Artisten Cyprian Lazarre, einem Mestizen, wurde seine Partnerin und schloss sich gemeinsam mit ihm einem Wanderzirkus an. Dass Cyprian zwar im selben Bett mit ihr schlief, aber nicht versuchte, Sex mit ihr zu haben, wunderte sie – bis sie ihn bei einer Fellatio mit einem anderen Mann beobachtete und auf diese Weise lernte, dass es Homosexualität gibt. Schließlich kehrte Delphine in Begleitung Cyprians nach Argus zurück – und stieß zu ihrem Entsetzen im Haus ihres Vaters auf drei verweste Leichen. Sheriff Hock ermittelt und ist zunächst nicht sicher, ob es sich um einen Unfall oder einen Dreifachmord handelt. Roy Watzka behauptet, er könne sich an nichts erinnern. – Später werden die Toten als das Ehepaar Doris und Portland („Porky“) Chavers mit ihrer kleinen Tochter Ruthie identifiziert.

Die Leichen werden von dem Bestattungsunternehmen abgeholt, das Aurelius Strub mit seiner Ehefrau Benta und seiner Nichte Clarisse betreibt. Wegen dieser Tätigkeit finden die meisten Bewohner von Argus Clarisse unheimlich; aber Delphine ist eng mit ihr befreundet.

Während Fidelis Waldvogel Wurstwaren ausfährt, passt seine seit Jahren ebenfalls in Argus lebende Schwester Maria Theresia, die von allen nur „Tante“ genannt wird, auf ihre Neffen auf. Markus läuft von zu Hause fort und sucht Zuflucht bei Delphine, von der er weiß, dass sie seine sterbende Mutter aufopferungsvoll pflegte. Die verwöhnte, überhebliche und heuchlerische Tante kommt nicht mit ihm zurecht und ist mit der Haushaltsführung für ihren Bruder überfordert. Deshalb hätte Fidelis gern, dass ihm Delphine wieder im Haushalt und in der Metzgerei hilft, wie sie es zu Lebzeiten Evas tat, aber Delphine ist dazu nur bereit, wenn er seine Schwester zuvor fortschickt. Fidelis Waldvogel bleibt nichts anderes übrig, als auf diese Forderung einzugehen. Dadurch wird der Hass der Tante auf Delphine noch stärker.

Franz verliebt sich in ein bettelarmes Mädchen namens Mazarine Shimek. Heimlich treffen sich die beiden so oft wie möglich unter einer Kiefer, aber mehr als Schmusen erlaubt Mazarine nicht – bis sie eines Tages seine Hose aufknöpft und ihre Wange an seinen eregierten Penis schmiegt.

Aufgrund dieser unverhofften Wendung kommt Franz euphorisch nach Hause. Dass sein Vater und die Brüder nicht da sind, wundert ihn. Franz ahnt nicht, dass Markus in einem selbst gegrabenen Stollen verschüttet wurde. Obwohl Cyprian sich damit selbst in Lebensgefahr bringt, rettet er den Jungen.

Der Schock bewirkt, dass Franz wegen des Pettings mit Mazarine von Schuldgefühlen geplagt wird. Deshalb trifft er sich nicht mehr mit ihr – und wendet sich nach einer Weile der Bankierstochter Betty Zumbrugge zu.

Von Richter Roland Zumbrugge, dem Bruder des Bankiers Chester Zumbrugge, erhält Sheriff Hock schließlich einen Durchsuchungsbefehl für das Haus von Clarisse Strub, den er für seine Ermittlungen benötigt. Aufgebracht muss Clarisse zusehen, wie der Mann, von dem sie weiß, dass er sie begehrt, im Schlafzimmer ihre Unterwäsche durchwühlt und zwei rote Glasperlen findet, wie er sie auch am Tatort bemerkt hatte. Plötzlich hat Clarisse ein Küchenmesser in der Hand und tötet den Sheriff.

Bevor die Leiche entdeckt wird, setzt sie sich zusammen mit Cyprian – der zunächst nichts von der Bluttat ahnt – aus Argus ab.

Die Tante will mit Markus, Erich und Emil zurück nach Deutschland. Obwohl ihr Bruder von Hitlers Machtübernahme und dem Ermächtigungsgesetz gehört hat, macht er sich keine Sorgen über die politische Entwicklung in seiner Heimat. Er fährt mit seiner Schwester, den drei Söhnen und Delphine im Auto nach Chicago. Von dort will die Tante einen Zug nach New York nehmen. Markus wird in Chicago krank und fährt deshalb – sehr zur Freude Delphines – mit nach Argus zurück.

Zögernd kommen Delphine und Fidelis sich näher und werden schließlich ein Ehepaar. So wie Fidelis Waldvogel die Verlobte seines gefallenen Freundes geheiratet hatte, vermählt er sich nun mit der besten Freundin seiner verstorbenen Frau.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Kurz bevor Roy Watzka an einer Leberzirrhose stirbt, verrät er seiner Tochter zwei Geheimnisse:

Zunächst erzählt er ihr von Minnie, der einzigen Liebe seines Lebens. Minnie, die zu den Minneconjou Lakotas (Sioux) gehörte, war bei dem Massaker am 29. Dezember 1890 in einem Zeltlager am Fluss Wounded Knee in South Dakota dabei, als 500 schwer bewaffnete Armeesoldaten 350 versprengte, halb verhungerte Indianer niedermetzelten, von denen zwei Drittel Frauen und Kinder waren und die mit ihrem todkranken Häuptling Big Foot Zuflucht bei den Weißen gesucht hatten. Minnie, die damals acht Jahre alt war, konnte entkommen und zu einer Missionsstation fliehen. Roys Behauptung, Minnie sei tot, war eine Lüge: Minnie ist niemand anderes als die unter dem Spitznamen „Step-and-a-Half“ in Argus bekannte Lumpensammlerin.

Dann gesteht Roy, er habe Porky Chavers bei einer Party in den Keller geschickt, und zwar unter dem Vorwand, das Ginger Beer sei ausgegangen. Roy wollte Porky, der sich bei den Chorproben immer so vordrängte, einen Denkzettel verpassen. Was dann geschah, weiß er nicht mehr, weil er wieder einmal einen Filmriss hatte. Möglicherweise warf er die nur von außen zu öffnende Kellerluke zu. Jedenfalls ahnte er nicht, dass Doris und Ruthie mit Porky in den Keller hinuntergestiegen waren. Erst als er drei Wochen später von einer Sauftour zurückkam und Schnaps aus dem Keller holen wollte, entdeckte er die drei Leichen.

Was Roy nicht verrät: Minnie ist nicht Delphines Mutter. Die Lumpensammlerin hatte bei den Shimeks ein von der Mutter ins Plumpsklo geworfenes Neugeborenes gerettet und zu Roy Watzka gebracht, der damals noch nicht trank und den Säugling mit Ziegenmilch aufzog. Delphine ist die Schwester von Mazarine Shimek!

Emil und Erich, aus denen überzeugte Nationalsozialisten geworden sind, kommen nach Hitlers Überfall auf Polen im September 1939 zur Waffen-SS. Emil wird nach kurzer Zeit von einer Mine zerrissen; Erich gerät schließlich in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Vergeblich versucht Delphine Markus davon abzuhalten, sich freiwillig für den Kriegsdienst zu melden. Franz, der sich schon als Jugendlicher fürs Fliegen begeisterte, wird bei der Air Force als Pilot eingesetzt. Während eines Heimaturlaubs gelingt es Franz, Mazarine zurückzugewinnen – nicht zuletzt, weil Delphine mit ihr sprach. Mazarine, die ein Lehrerseminar in Moorhead besuchte, arbeitet inzwischen als Lehrerin in Argus.

Sie ist hochschwanger, als Franz von einem versehentlich an einem startenden Flugzeug hängenden Stahlseil am Kopf getroffen wird. Mit Delphine und dem Neugeborenen besucht sie ihn in einem Krankenhaus in New York. Er liegt im Koma, und die Ärzte können nicht sagen, ob er noch einmal aufwacht.

1954 reist Fidelis Waldvogel noch einmal in Begleitung seiner zweiten Ehefrau nach Deutschland, in seinen Geburtsort Ludwigsruhe. Bald nach seiner Rückkehr stirbt er.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Bei dem Roman „Der Club der singenden Metzger“ (auch: „Der Gesang des Fidelis Waldvogel“) von Louise Erdrich handelt es sich um ein rund fünfunddreißig Jahre umfassendes Familienepos. Im Zentrum steht der aus Deutschland stammende und 1922 nach North Dakota ausgewanderte Metzger Fidelis Waldvogel. Doch einige andere Figuren sind kaum weniger wichtig. Keine von ihnen hat es leicht. In treffsicher gestalteten realistischen Episoden erzählt Louise Erdrich, wie sie sich durchs Leben schlagen. Die 1954 in North Dakota geborene Schriftstellerin – die Tochter einer Indianerin und eines Deutschamerikaners (ihr Großvater Ludwig Erdrich ist auf dem Buchumschlag abgebildet) – entwickelt das komplexe Geschehen chronologisch und in epischer Breite. Das wirkt altmodisch, aber Louise Erdrich versteht es, die Leser mitzunehmen und deren Aufmerksamkeit zu fesseln. Die mehr als 500 Seiten lassen sich deshalb sehr leicht lesen.

Die gebundene Ausgabe erschien unter dem Titel „Der Gesang des Fidelis Waldvogel“.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Eichborn

Louise Erdrich (Kurzbiografie / Bibliografie)
Louise Erdrich: Liebeszauber

Gertraud Klemm - Hippocampus
In ihrem Roman "Hippocampus" kritisiert Gertraud Klemm die skrupellose Vermarktung von Kunst und Literatur. Zugleich veranschaulicht sie, dass Frauen im Kulturbetrieb systematisch benachteiligt werden.
Hippocampus