Unterm Radar

Unterm Radar

Unterm Radar

Originaltitel: Unterm Radar – Regie: Elmar Fischer – Drehbuch: Henriette Buëgger, Dagmar Zeisberg – Kamera: Sten Mende – Schnitt: Eva López Echegoyen – Musik: Matthias Beine – Darsteller: Christiane Paul, Heino Ferch, Fabian Hinrichs, Inka Friedrich, Matthias Matschke, Carolina Vera Squella, Hans-Werner Meyer, Lara Mandoki, Linn Reusse, Kirsten Block, Mirko Lang, Marie-Kristin Boese u.a. – 2015; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Nach einem islamistischen Terroranschlag in Berlin stürmt ein SEK die Wohnung der Richterin Elke Seeberg. Weil ihre seit der Explosion vermisste Tochter Marie mit einem der Attentäter befreundet war, verdächtigt das BKA die Studentin als Mitwisserin. Elke Seeberg kann sich eine Verstrickung Maries in so ein Verbrechen nicht vorstellen, aber während der Vernehmung erfährt sie Dinge, die sie daran zweifeln lassen, ob sie ihre Tochter so gut kannte, wie sie glaubte ...
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Kritik

Wie verändert der Terrorismus Staat und Gesellschaft? Darf die Polizei geltendes Recht missachten, um die Sicherheit der Bürger zu gewähr­leisten? Brisante Fragen wie diese stehen im Zentrum des eindrucks­vollen Politthrillers "Unterm Radar".
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Die Anspannung beim Bundeskriminalamt ist hoch, denn es gibt Hinweise auf einen geplanten Terroranschlag in Berlin. Während der Abteilungsleiter Heinrich Buch (Heino Ferch) wegen seiner Alkoholkrankheit drei Monate in einer Entzugsklinik verbrachte, wurde sein von Schulungen in den USA zurückgekehrter früherer Mitarbeiter Richard König (Fabian Hinrichs) sein neuer Chef. Aufgrund der Bedrohungslage erhält Richard König von Valerie Palmen (Kirsten Block), einer Staatssekretärin des Bundesinnenministeriums, die informelle Genehmigung, alle Mittel auszunutzen. Allerdings müsse das „unterm Radar“ der Öffentlichkeit bleiben, schärft sie ihm ein.

Am nächsten Morgen deckt die alleinerziehende Mutter Elke Seeberg (Christiane Paul) den Frühstückstisch besonders liebevoll, denn ihre Islamwissenschaft studierende, 21 Jahre alte Tochter Marie (Linn Reusse) will Berlin verlassen und mit ihrem marokkanischen Freund Khalid nach Köln ziehen. Marie freut sich über die Aufmerksamkeit ihrer Mutter, aber nachdem sie eine SMS erhalten hat, verlässt sie überstürzt deren Wohnung, ohne die Frage nach dem Grund zu beantworten.

Ferdinand Hochheim (Hans-Werner Meyer), der Präsident des Kammergerichts, bei dem Elke Seeberg, als Richterin tätig ist, holt sie ab. Er vertraut ihr an, dass er zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wechseln werde und stellt ihr in Aussicht, in Berlin seine Nachfolgerin zu werden.

Der Journalist Tom Henskind (Matthias Matschke) dringt in Elke Seebergs Büro vor und protestiert gegen seine Verurteilung wegen der Veröffentlichung von als geheim eingestuften Dokumenten. Das sei ein Anschlag auf die Pressefreiheit, meint er.

Da explodiert auf dem Gendarmenmarkt ein Linienbus. Sieben Menschen werden sofort getötet, weit mehr verletzt.

Wenn Elke Seeberg die Handynummer ihrer Tochter wählt, erreicht sie nur die Mailbox, und Marie ruft auch nicht zurück.

Nachts stürmt ein Sondereinsatzkommando die Wohnung der schlafenden Richterin, und Heinrich Buch nimmt sie vorläufig fest.

Maries Freund Khalid und einer seiner Cousins waren unter den Toten im gesprengten Bus. Sie hatten die Explosion ausgelöst, und Heinrich Buch verdächtigt Marie als Mittäterin. Elke Seeberg kann sich nicht vorstellen, dass ihre Tochter etwas mit einem Terroranschlag zu tun haben könnte, aber während der Vernehmung im Beisein ihrer Rechtsanwältin Leila Onger (Carolina Vera Squella) erfährt sie Dinge über ihre Tochter, von denen sie nichts ahnte. Dass Marie häufig eine Moschee besuchte, lässt sich mit ihrem Studium erklären, aber warum verheimlichte sie ihrer Mutter, dass sie zwei Wochen lang mit einem Journalisten in Pakistan war? Elke fragt sich, ob sie ihre Tochter wirklich so gut kannte, wie sie glaubte. Hat sie als Mutter versagt?

Nach ihrer Freilassung sucht sie Khalids Mutter Amira (Nursel Köse) auf und den Imam (Ulas Kilic) der Moschee, die Marie und Khalid besuchten, aber sie erfährt nichts über den möglichen Aufenthaltsort ihrer Tochter.

Reporter belagern das Haus, in dem Elke Seeberg wohnt und versuchen, Bild- und Tonaufnahmen von ihr zu machen. Weil Ferdinand Hochheim annimmt, dass ihr in dieser Situation die für eine Richterin erforderliche Autorität fehlt, suspendiert er sie vom Dienst.

In Ihrer Wohnung entdeckt Elke Überwachungskameras und -mikrofone.

Sie schaut sich am Tatort um, entdeckt die Überwachungskamera einer Diskothek am Gendarmenplatz und überredet einen Angestellten, ihr die zum Zeitpunkt der Explosion gespeicherten Aufnahmen zu zeigen. Dabei sieht sie, wie ihre Tochter von zwei Männern betäubt und vom Platz gezerrt wird. Heinrich Buch kommt dazu und sieht das Video ebenfalls. Er wusste nicht, dass Marie verschleppt wurde. Nun vermutet er, dass die junge Frau, die mehr über die Terroristen wissen könnte, irgendwo festgehalten und verhört wird.

Verzweifelt wendet Elke sich an ihren Chef. Ferdinand Hochheim soll seine Beziehungen zum Innenministerium spielen lassen und ihr bei der Suche nach Marie helfen. Als er sich sträubt, erpresst sie ihn mit ihrem Wissen über ein vor neun Jahren von ihm zu verantwortendes Gerichtsurteil: Damals sprach er eine Ex-Freundin frei, statt sich für befangen zu erklären.

Nina (Lara Mandoki), eine IT-Spezialistin des BKA, hilft Heinrich Buch bei seinen unautorisierten Nachforschungen. Während er mit Richard König in der Kantine isst, tut sie so, als sei ein Automat kaputt, um König abzulenken und es Buch zu ermöglichen, eine Kopie der Dateien des auf dem Tisch liegenden Handys zu ziehen.

So findet er heraus, dass Marie auf Anweisung Richard Königs entführt und vier Stunden nach dem Terroranschlag mit einem Hubschrauber nach Ramstein geflogen wurde. Die Amerikaner brachten sie vermutlich zu einer black site im Ausland, wo sie unkontrolliert von CIA-Agenten verhört werden kann. Das teilt er Elke Seeberg konspirativ mit. Er will ihr helfen und dabei heimlich gegen seinen Vorgesetzten arbeiten, dessen Vorgehensweise er ablehnt.

König hält eine „neue Logik“ für erforderlich. Früher sei es Aufgabe der Kriminalpolizei gewesen, Verbrechen aufzuklären, erklärt er Buch, aber das genüge nicht mehr. Bei Terroristen könne man nicht warten, bis sie einen Anschlag verübt haben, sondern man müsse sie bereits vor der Tat ausschalten. Das geht nur mit einer umfassenden Überwachung. Dass dabei der Datenschutz missachtet und Rechte Einzelner verletzt werden, müsse man als Preis für die Sicherheit der Bevölkerung in Kauf nehmen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Elke wendet sich an den Journalisten Tom Henskind, trifft sich mit ihm konspirativ im Neuen Museum und gibt ihm eine Kopie der DVD mit den Bildern von Maries Entführung. Obwohl die Richterin ihn unlängst verurteilte, unterstützt er sie bei der Suche nach ihrer Tochter.

Nachdem Henskind herausgefunden hat, dass Marie in einem polnischen Gefängnis festgehalten wird, stellt er Elke Seeberg ein Auto zur Verfügung, mit dem sie Berlin trotz der pausenlosen Überwachung durchs BKA unbemerkt verlassen kann. In Polen wird sie von einem Mann erwartet, der ihr Papiere gibt und sie instruiert, wie sie sich im Gefängnis als Rot-Kreuz-Beauftragte ausgeben soll. Die echte Rot-Kreuz-Delegation, die ihren Besuch angekündigt hat, werde man mit einer Autopanne zwei Stunden lang aufhalten, erklärt er.

Tatsächlich gelingt es Elke, in die Haftanstalt zu kommen. Als man sie kurz allein lässt, sucht sie nach Marie, aber dabei wird sie nach wenigen Minuten ertappt. Stromstöße aus einem Elektroschocker lassen sie zusammenbrechen.

Richard König tobt, als er erfährt, dass seine Männer Elke Seebergs Spur verloren haben. Die Staatssekretärin Valerie Palmen hält es inzwischen für einen Fehler Königs, Marie Seeberg verschleppt und den Amerikanern übergeben zu haben, denn die Studentin wusste offenbar nichts von dem geplanten Terroranschlag.

Heinrich Buch gibt seine taktische Zurückhaltung auf. Er verlangt von Richard König, Marie Seebergs sofortige Freilassung zu veranlassen und dann seine Kündigung einzureichen. Aber König lässt Buch kurzerhand wegen „Sabotage laufender Operationen“ verhaften.

Als Elke Seeberg nicht aus Polen zurückkommt und Telefonanrufe nicht beantwortet, geht Tom Henskind mit ihrer besten Freundin Anna Bittner (Inka Friedrich) und ihrer Rechtsanwältin Leila Onger an die Öffentlichkeit. In einer improvisierten Pressekonferenz auf der Straße geben sie bekannt, was sie über die illegalen Machenschaften des BKA und Marie Seebergs Verschleppung in ein polnisches Gefängnis wissen.

Kurz darauf wird Richard König festgenommen.

Elke Seeberg kommt in dem polnischen Gefängnis zu sich. Sie liegt auf dem Boden. Zwei Männer ziehen sie hoch, schleifen sie durch Korridore und werfen sie hinaus. Aber Elke bleibt wie eine Mahnwache vor dem Tor stehen. Stunden später, es wird bereits dunkel, entdeckt sie Marie. Man hat die benommene junge Frau auf einer Seite des Gebäudes auf den Boden gesetzt und gegen die Wand gelehnt.

In einer Berliner Klinik erholt Marie sich von den Folgen der Folterung. Elke schaut auf einen Bildschirm im Krankenhaus, als die Reporterin Verena Schmidt (Marie-Kristin Boese) über den Rücktritt des Innenministers und seiner Staatssekretärin berichtet.

Marie schläft gerade, als Heinrich Buch mit Blumen kommt. Mit Elke Seeberg gemeinsam verlässt er das Krankenhaus.

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Der Fernsehfilm „Unterm Radar“ von Elmar Fischer (Regie), Henriette Buëgger und Dagmar Zeisberg (Drehbuch) dreht sich um die Frage, wie weit ein Rechtsstaat Freiheitsrechte einschränken darf bzw. muss, um für maximale Sicherheit der Bürger zu sorgen. Die Tendenz zur Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen basiert nicht zuletzt auf der Sorge von Politikern, Nachrichtendiensten und Polizeiapparaten, ein geplanter Terroranschlag könne übersehen werden.

Was nützt Freiheit ohne Sicherheit? Andererseits: Was nützt Sicherheit ohne Freiheit? Das Dilemma wird in „Unterm Radar“ von Heinrich Buch (Heino Ferch) und Richard König (Fabian Hinrichs) verkörpert, einem desillusionierten BKA-Beamten der alten Schule und einem in den USA geschulten Sicherheits­fanatiker, der glaubt, die Terrorgefahr nur durch die Nutzung aller technisch möglichen Überwachungsmethoden beherrschen zu können. Wo die geltenden Gesetze etwa zum Datenschutz dies einschränken, muss nach Königs Auffassung eben „unterm Radar“ gehandelt werden. Darüber hinaus hält er es für erforderlich, mit ausländischen Geheimdiensten wie der CIA zusammenzuarbeiten, die sich Möglichkeiten geschaffen haben, potenzielle Mitwisser zur Folterung ins Ausland zu verschleppen („black sites“, „extraordinary rendition“).

Elmar Fischer, Henriette Buëgger und Dagmar Zeisberg prangern in „Unterm Radar“ zwar staatliche Übergriffe an, aber wo die Grenzen in der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit verlaufen, wissen sie auch nicht.

Als Heinrich Böll 1974 die Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ veröffentlichte, gab es noch keinen internationalen Terrorismus durch Islamisten. Damals bekämpfte das von Horst Herold geführte Bundeskriminalamt die RAF, aber es ging Heinrich Böll (und Volker Schlöndorff 1975 bei der Verfilmung: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“) schon um die Frage, wie Staat und Gesellschaft durch Terrorismus verändert werden. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist das Thema unter neuen Vorzeichen brisant, und sechs Wochen nach der Erstausstrahlung von „Unterm Radar“ bewiesen die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris, wie aktuell es nach wie vor ist.

In „Unterm Radar“ ist mit den politischen, rechtlichen und gesellschaftskritischen Aspekten die persönliche Geschichte der Richterin Elke Seeberg (Christiane Paul) verzahnt, deren Wohnung nach einem Terroranschlag in Berlin von einem Sondereinsatzkommando der Polizei gestürmt wird und die sich fragen muss, ob sie ihre als Mittäterin verdächtigte Tochter so gut kennt, wie sie glaubte. Ebenso verzweifelt wie entschlossen nimmt die Richterin den Kampf gegen den übermächtigen Polizeiapparat auf.

Obwohl die Figuren Heinrich Buch und Richard König für die konträren Ansichten in der Dichotomie Freiheit gegen Sicherheit stehen, sind es lebendige Charaktere. Das gilt allerdings nicht für den Journalisten Tom Henskind (Matthias Matschke). Dessen Rolle bleibt so schemenhaft und eindimensional wie die der Amerikaner. Da hätten sich Henriette Buëgger und Dagmar Zeisberg mehr Mühe geben können.

Einige Wendungen in dem Politthriller „Unterm Rad“ sind unglaubwürdig, aber Elmar Fischer und Sten Mende sind eindringliche Bilder gelungen. Bemerkenswert ist auch der Verzicht auf Pathos bzw. eine Überwältigungsdramaturgie.

Die Uraufführung von „Unterm Radar“ erfolgte am 27. September 2015 auf der 25. Cologne Conference. Im Fernsehen war der Film zwei Tage später erstmals zu sehen (WDR), und am 14. Oktober wurde er im Ersten Programm bundesweit ausgestrahlt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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