Das Ende einer Nacht

Das Ende einer Nacht

Das Ende einer Nacht

Originaltitel: Das Ende einer Nacht – Regie: Matti Geschonneck – Drehbuch: Magnus Vattrodt – Kamera: Judith Kaufmann – Schnitt: Ursula Höf – Musik: Florian Tessloff – Darsteller: Barbara Auer, Ina Weisse, Jörg Hartmann, Matthias Brandt, Christoph M. Ohrt, Katharina Lorenz, Alexander Hörbe, Johann Adam Oest, Bernhard Schütz, Tobias Oertel, Melika Foroutan, Christina Hecke u.a. – 2012; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Sandra Lamberg beschuldigt ihren Ehemann Werner, sie geschlagen und vergewaltigt zu haben. Die Polizei findet in der Wohnung Blutspuren, der Körper der mutmaßlich Geschädigten weist Verletzungen und Hämatome auf, und das sichergestellte Sperma stammt von Werner Lamberg. Der beteuert jedoch seine Unschuld. Nach einvernehmlichem Geschlechtsverkehr sei er joggen gewesen, behauptet er. Aussage steht gegen Aussage. Zeugen gibt es keine. Das Gericht kann sein Urteil nur auf Indizien und Gutachten stützen ...
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Kritik

"Das Ende einer Nacht" ist ein inhaltlich und formal überzeugendes, von Matti Geschonneck inszeniertes Justizdrama. Getragen wird es v.a. auch von den beiden hervorragenden Hauptdarstellerinnen Ina Weisse und Barbara Auer.
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Werner Lamberg (Jörg Hartmann), der 43 Jahre alte, 170 000 Euro pro Monat verdienende Geschäftsführer eines Software-Unternehmens in Düsseldorf, pocht in seiner Villa gegen die blutverschmierte Türe des Schlafzimmers, in dem sich seine Ehefrau Sandra (Katharina Lorenz) eingeschlossen hat. Zwei Streifenwagen fahren vor. Lamberg öffnet. Als Kommissar Ralf Benning (Bernhard Schütz) an mehreren Stellen Blut sieht, lässt er Lamberg von seinen Männern festnehmen und bricht die Schlafzimmertüre auf. Sandra Lamberg kauert mit nacktem Unterkörper auf dem Fußboden. Ihr Gesicht ist durch blutige Verletzungen und Hämatome entstellt. Sanitäter bringen sie ins Krankenhaus.

Vier Monate später, eine Woche vor dem Beginn des Gerichtsprozesses gegen Werner Lamberg, erfährt die Vorsitzende Richterin Katarina Weiss (Barbara Auer), dass der Untersuchungshäftling seinen Anwalt wechselt. Er möchte von seinem Freund Georg Sänger (Christoph M. Ohrt) verteidigt werden, der in Berlin eine Kanzlei führt und auch für Lambergs Unternehmen tätig ist.

Georg Sänger betraut die Anwältin Eva Hartmann (Ina Weisse) mit dem Mandat. Sie fliegt nach Düsseldorf und studiert in ihrem Hotelzimmer die Akten. Am nächsten Tag besucht sie Lamberg in der Justizvollzugsanstalt. Er habe erwartet, dass ihn sein Freund persönlich verteidigen werde, sagt er frustriert, akzeptiert jedoch nach einigen Minuten die smarte Frau als Rechtsvertreterin.

Zu Beginn der Gerichtsverhandlung springt Lamberg entgegen der mit seiner Verteidigerin getroffenen Absprache auf, beteuert seine Unschuld und fragt seine ihm gegenüber neben ihrem Anwalt (Johann Adam Oest) im Schwurgerichtssaal sitzende Frau, warum sie ihm das antue.

Sandra Lamberg sagt aus, ihr Mann habe sie in den letzten fünf Jahren mehrmals geschlagen. Am Abend des 7. April seien sie mit dem befreundeten Ehepaar Hanni und Robert Koch (Christina Hecke, Tobias Oertel) essen gegangen. Auf dem Heimweg habe sie ihrem Mann erklärt, dass sie sich scheiden lassen wolle. Zu Hause sei er deshalb auf sie losgegangen, habe sie krankenhausreif geschlagen und vergewaltigt.

Eva Hartmann, die Wert darauf legt, dass die Richterin statt von der Geschädigten von der mutmaßlich Geschädigten spricht, übergibt dem Gericht eine Kopie des Ehevertrags von Werner und Sandra Lamberg. Daraus geht hervor, dass Sandra im Fall einer Trennung von ihrem Ehemann keine finanziellen Ansprüche hätte. Dieser Verzicht gilt jedoch ausdrücklich nicht, wenn Gewalttätigkeit der Grund für die Scheidungsabsicht ist.

Der vom Gericht bestellte psychologische Gutachter Herzberg attestiert Sandra Lamberg eine hohe Glaubwürdigkeit. Eine bewusste Falschaussage hält er für ausgeschlossen.

Robert Koch, der nicht nur mit Werner Lamberg befreundet ist, sondern auch in dessen Unternehmen arbeitet, schildert im Zeugenstand den Verlauf des Abends vom 7. April aus seiner Sicht. Werner habe nur Salat gegessen und keinen Alkohol getrunken, sagt er. Er habe vorgehabt, nach dem Essen noch zu joggen, wie an jedem Abend. Auf provozierende Äußerungen seiner Frau sei Werner nicht eingegangen, und beim Abschied auf dem Parkplatz habe er ihm unter vier Augen anvertraut, dass er sich ohnehin scheiden lassen werde.

Hanni Koch sagt ebenfalls als Zeugin aus. Bei Sandra habe sie wiederholt Hämatome entdeckt, behauptet sie und betont, dass sie nur mit ihr befreundet sei, nicht jedoch mit Werner Lamberg, den sie für gewalttätig hält.

Kommissar Ralf Benning berichtet, dass Nachbarn der Lambergs acht Wochen vor dem 7. April schon einmal wegen eines lautstarken Streits der Eheleute die Polizei gerufen hatten.

Das bei der ärztlichen Untersuchung Sandra Lambergs sichergestellte Sperma stammt einem DNA-Vergleich zufolge mit größter Wahrscheinlichkeit von ihrem Ehemann.

Werner Lamberg schildert den Abend des 7. April so: Im Auto kündigte er seiner Frau an, dass er die Scheidung verlangen werde. Nach der Ankunft in ihrem Haus drängte Sandra ihn, noch einmal mit ihr zu schlafen. Danach war er joggen. Als er zurückkam, war alles voll Blut, und Sandra warf ihm vor, er habe sie vergewaltigt. Verwirrt ging er unter die Dusche. Währenddessen schloss Sandra sich im Schlafzimmer ein. Dann hörte er, wie sie mit der Polizei telefonierte. Er forderte sie vergeblich auf, die Schlafzimmertüre zu öffnen und mit ihm zu reden. Und dann traf auch schon die Polizei ein.

Am nächsten Verhandlungstag präsentiert Eva Hartmann dem Gericht Fotos von Hämatomen an ihrem linken Bein, die sie sich nach der Injektion eines die Blutgerinnung senkenden Präparats selbst beibrachte. Damit untermauert sie ihre These, dass Sandra Lamberg sich die Verletzungen selbst beigebracht haben könnte, um ihren Mann einer Gewalttat beschuldigen zu können und im Fall einer Scheidung nicht leer auszugehen.

Die Richterin folgt einem Antrag der Verteidigerin und hebt den Haftbefehl gegen den Beschuldigten auf.

Nach der Sitzung trifft Sandra Lamberg in einem Waschraum des Gerichtsgebäudes mit Eva Hartmann zusammen – und sinkt ohnmächtig zu Boden. Erneut wird sie ins Krankenhaus gebracht.

Eva Hartmann fährt Werner Lamberg nach Hause.

Am nächsten Tag wird Anette Hollenkamp (Melika Foroutan) als Zeugin aufgerufen. Sie arbeitete als Sekretärin für Werner Lamberg und hatte auch eine sexuelle Beziehung mit ihm. Als sie die Affäre beendete, sei er gewalttätig geworden, behauptet sie.


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Diese unvorteilhafte Wendung kommt für Eva Hartmann überraschend. Sobald sie mit ihrem Mandanten allein ist, spricht sie ihn darauf an. Sein Freund Georg habe ihm versichert, dass diese Frau nicht gegen ihn aussagen werde, behauptet Werner Lamberg frustriert. Eva Hartmann erkundigt sich bei ihrem Chef, ob es außer Anette Hollenkamp noch andere Geliebte ihres Mandanten gebe, die als Zeuginnen auftreten könnten. Georg Sänger gibt zu, dass drei weitere Angestellte des Unternehmens ein Verhältnis mit dem Geschäftsführer hatten.

Überraschend steht Hanni Koch bei Katarina Weiss vor der Tür und übergibt ihr eine schriftliche Notiz, aus der hervorgeht, dass Sandra Lamberg vor zwei Jahren schon einmal ihre Freundin anrief und behauptete, ihr Mann habe sie gerade geschlagen und vergewaltigt. Hanni Koch eilte zu ihr. Sandra wies blutige Verletzungen und Hämatome auf. Daraufhin setzte sich Hanni Koch telefonisch mit ihrem Mann in Verbindung, der geschäftlich verreist war – und erfuhr, dass Robert und Werner Lamberg gerade in einem Londoner Restaurant zu Abend gegessen hatten.

Katarina Weiss passt Eva Hartmann im Hotel ab und übergibt ihr die Aufzeichnungen.

Eva begreift sofort, dass sie durch die Vorlage der schriftlichen Stellungnahme Hanni Kochs einen Freispruch erzwingen könnte. Doch inzwischen zweifelt sie an Werner Lambergs Unschuld, und obwohl sie immer die Überzeugung vertrat, dass ihre Meinung über einen Mandanten irrelevant sei, weil es in jedem Fall auf die bestmögliche Verteidigung ankomme, macht es ihr schwer zu schaffen, dass sie Lamberg verabscheut.

Vor einigen Jahren erreichte die Rechtsanwältin einen Freispruch für einen Mann, der wie Werner Lambert beschuldigt worden war, eine Frau vergewaltigt zu haben. Kurz darauf demonstrierte er durch eine weitere Vergewaltigung, dass der Freispruch ein Fehlurteil war. Eva Hartmann wechselte daraufhin vom Sexualstrafrecht zum Wirtschaftsrecht. Und ihre Ehe hielt der Belastung durch ihre Schuldgefühle nicht stand. Sie will nicht noch einmal dazu beitragen, dass ein Schuldiger freigesprochen wird.

Katarina Weiss geht es ähnlich wie ihr: Als Richterin neigt sie dazu, Männer – vor allem gut verdienende Männer – strenger als andere Beschuldigte zu behandeln. So verurteilte sie einmal einen Mann, der danach fünf Jahre lang im Gefängnis saß, bis sich herausstellte, dass er unschuldig war. Auch in ihrer Ehe mit dem Biologieprofessor André Weiss (Matthias Brandt) kriselt es.

Zögernd übergibt Eva Hartmann bei der nächsten Verhandlung dem Gericht die Aufzeichnungen. Katarina Weiss ordnet daraufhin die erneute Vorladung der Zeugin Hanni Koch an.

Vier Wochen später bestätigt Hanni Koch im Zeugenstand ihre schriftliche Darstellung. Werner Lamberg wird freigesprochen.

Zweifel bleiben. Niemand außer Sandra und Werner Lamberg kennt die Wahrheit.

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Eine Frau behauptet, ihr Ehemann habe sie vergewaltigt. Der beteuert seine Unschuld. Aussage steht gegen Aussage. Zeugen gibt es keine. Das Gericht kann sein Urteil nur auf Indizien und Gutachten stützen.

Man denkt an die spektakulären Verfahren gegen Jörg Kachelmann vor dem Landgericht Mannheim (Festnahme am 20. März 2010, Freispruch am 31. Mai 2011) und Dominique Strauss-Kahn in New York (Festnahme am 14. Mai 2011, Einstellung des Verfahrens am 23. August 2011). Allerdings soll Magnus Vattrodt das Drehbuch für „Das Ende einer Nacht“ schon vorher konzipiert haben.

Magnus Vattrodt und Matti Geschonneck haben das vielschichtige Justizdrama nicht als Opfer-Täter-Geschichte, sondern als Psychoduell von zwei klugen Frauen angelegt, die sich als Richterin und Verteidigerin in einem Prozess gegenüberstehen. Für Katarina Weiss und Eva Hartmann geht es nicht nur um den Beschuldigten, sondern auch um ihre eigene Einstellung gegenüber Männern und den von ihnen geprägten Systemen. Parallel dazu veranschaulicht „Das Ende einer Nacht“ die Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit, zwischen moralischer Befangenheit und gerichtlicher Aufarbeitung, zwischen subjektiver und juristischer Wahrheit.

Was wirklich geschehen ist, bleibt am Ende des Films offen.

Man muss weglassen können. […] Ich glaube, dass die Fantasie des Zuschauers stärker in Bewegung gerät und es einen Film spannender macht, wenn man nicht immer alles sieht, was passiert. (Matti Geschonneck, zitiert von Achim Zons, Süddeutsche Zeitung, 24. März 2012)

Magnus Vattrodt und Matti Geschonneck kopieren zwar „Anatomie eines Mordes“ nicht, aber es gibt einige Parallelen zwischen „Das Ende einer Nacht“ und dem Klassiker von Otto Preminger.

„Das Ende einer Nacht“ ist inhaltlich und formal gelungen. Das Justizdrama beschäftigt sich mit ernsten Themen und die Charaktere sind facettenreich, Dramaturgie und Inszenierung überzeugen, und die schauspielerischen Leistungen vor allem der beiden Hauptdarstellerinnen Ina Weisse und Barbara Auer sind eindrucksvoll.

Dass die Verteidigerin Hartmann heißt wie der Schauspieler, der ihren Mandanten verkörpert, und die Richterin Weiss, also fast genauso wie die Darstellerin der Rechtsanwältin, ist wohl kein Zufall.

Übrigens sind Ina Weisse (* 1968) und Matti Geschonneck (* 1952) seit 1999 liiert.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

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