21 Gramm

21 Gramm

21 Gramm

21 Grams – Originaltitel: 21 Grams – Regie: Alejandro González Iñárritu – Drehbuch: Guillermo Arriaga Jordan – Kamera: Rodrigo Prieto – Schnitt: Stephen Mirrione – Musik: Gustavo Santaolalla – Darsteller: Sean Penn, Benicio Del Toro, Naomi Watts, Charlotte Gainsbourg, Melissa Leo, Clea DuVall, Paul Calderon, Danny Huston, Carly Nahon, Claire Pakis, Eddie Marsan, Marc Musso, Catherine Dent u.a. - 2003; 125 Minuten

Inhaltsangabe

Dreh- und Angelpunkt des Films über Schicksalsschläge und Ungerechtigkeiten im Leben, Schuld und Rache, Liebe und Tod ist ein Autounfall. Dadurch verliert Cristina ihren Mann und ihre beiden Kinder, die ihr Halt gegeben haben. Das transplantierte Herz des Verunglückten rettet Paul das Leben. Der Autofahrer, der den Unfall verursachte, ein Kleinkrimineller, der Orientierung im christlichen Glauben suchte, kommt nicht über den Anblick eines der beiden sterbend am Boden liegenden Mädchen hinweg ...
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Kritik

"21 Gramm" ist ein virtuoser Episodenfilm. Obwohl oder gerade weil nicht nur zwischen drei Handlungssträngen hin- und her-, sondern auch in der Zeit ständig vor- und zurückgesprungen wird, zieht der Film den Zuschauer rasch in seinen Bann.
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Der Collegeprofessor Paul Rivers (Sean Penn) erfährt von seinem Arzt, dass sein Herz nicht mehr lang schlagen wird. Man empfiehlt ihm, sich ins Krankenhaus aufnehmen zu lassen, aber Paul zieht es vor, zu Hause zu liegen und lässt sich ein Sauerstoffgerät ans Bett stellen, kann es aber nicht lassen, immer wieder heimlich zu rauchen. Aufgrund der Diagnose kehrt seine Ehefrau Mary (Charlotte Gainsbourg), die sich wegen seiner Affären von ihm getrennt hatte, zu ihm zurück und steht ihm bei.

Cristina (Naomi Watts) ist durch ihre glückliche Ehe mit dem Architekten Michael Peck (Danny Huston) und die Verantwortung für ihre beiden kleinen Töchter Cathy und Laura (Carly Nahon, Claire Pakis) von ihrer Drogensucht losgekommen und trifft sich regelmäßig mit ihrer Schwester Claudia (Clea DuVall), um ein paar Bahnen zu schwimmen. Da erfährt sie eines Abends durch einen Anruf, dass Michael, Cathy und Laura einen Verkehrsunfall hatten und im Krankenhaus liegen. In der Hoffnung, dass sie nicht ernsthaft verletzt sind, eilt sie hin, aber die beiden Mädchen sind bereits tot, und dem 37 Jahre alten Architekten können die Ärzte auch nicht mehr helfen: Sein EEG bleibt flach. Eine Ärztin redet mit Cristina über die Möglichkeit einer Organspende.

Als Cristina das Krankenhaus verlässt, geht sie in einem Wartesaal an Mary vorbei, deren Mann gerade in einen Operationssaal geschoben wurde. Man hatte sie angerufen, weil ein für Paul geeignetes Spenderherz vorhanden ist. Die Herztransplantation rettet sein Leben.

Nach der Trennung von Paul hatte Mary ein von ihm gezeugtes Kind abtreiben lassen, aber jetzt wünscht sie sich wieder eines. Weil sie aufgrund der Abtreibung nur noch durch künstliche Befruchtung schwanger werden kann, überredet sie Paul zu einer Samenspende. Erst in der Fertilitätsklinik erfährt Paul von der Abtreibung. Er hat zwar bereits Sperma abgegeben und die entsprechenden Einverständniserklärungen unterschrieben, will nun aber nichts mehr von einem Kind wissen und gesteht sich ein, dass die Ehe gescheitert ist.

Paul möchte wissen, wem er das Herz verdankt. Da ihm die Ärzte keine Auskunft geben, schaltet er einen Privatdetektiv ein, und mit dessen Hilfe findet er die Witwe des Mannes, dessen Herz in seiner Brust schlägt. Er kann nicht anders, als Cristina zu beobachten. Einige Male versucht er sie anzusprechen, aber die verzweifelte, inzwischen wieder von Drogen abhängige Frau kapselt sich ab und sträubt sich gegen jeden Kontakt. Als sie eines Nachts bekifft und betrunken aus einer Diskothek torkelt und in ihr Auto steigt, überredet Paul sie, sich von ihm fahren zu lassen. Sie schläft auf dem Beifahrersitz ein und bekommt nicht mit, dass Paul sie in ihre Garage fährt, ihren Sitz vorsichtig umklappt, sie mit seinem Jackett zudeckt und dann geht. Eine Woche später spricht Paul sie erneut an, aber sie weist ihn wieder brüsk ab. Sie kann sich nicht daran erinnern, wie sie von der Diskothek nach Hause kam, aber sie muss zugeben, dass sie mit einem Jackett zugedeckt war und verspricht, es ihm zurückzugeben.

Cristina sträubt sich weiterhin gegen eine Beziehung, doch eines Nachts hält sie die Trauer und Einsamkeit nicht mehr aus und ruft Paul an. Er fährt zu ihr. Sie fällt ihm um den Hals, küsst ihn leidenschaftlich und will mit ihm ins Bett. Doch Paul gesteht ihr, der Empfänger von Michaels Herz zu sein. Daraufhin wirft sie ihn zornig hinaus. Am Morgen sieht sie ihn in seinem Auto vor ihrem Haus schlafen, und sie geht zu ihm. Zunächst sei es ihm nur darum gegangen, etwas über den Organspender zu erfahren und sich bei den Hinterbliebenen zu bedanken, doch als er Cristina gesehen habe, könne er nicht mehr ohne sie leben. Gemeinsam gehen sie ins Haus zurück und schlafen miteinander.

Als Paul nach einigen Tagen wieder nach Hause kommt, packt Mary gerade ihre Sachen. Obwohl sie ihn verlässt, ist sie fest entschlossen, sich mit seinem Sperma künstlich befruchten zu lassen.

Es dauert nicht lang, bis Paul seine Geliebte mit Drogen ertappt. Sie kommt nicht über den Verlust ihrer Familie hinweg. Was ihr besonders zu schaffen macht, ist der Gedanke, dass zumindest Cathy noch leben könnte, wenn der Autofahrer sie nicht am Unfallort hätte liegen lassen.

Bei dem Mann, der Michael, Cathy und Laura überfuhr, handelt es sich um Jack Jordan (Benicio Del Toro), einen ehemaligen Alkoholiker, der mehrmals wegen krimineller Delikte im Gefängnis saß. Im christlichen Glauben suchte er schließlich Halt, aber mit seiner Bigotterie wurde er für seine Frau Marianne (Melissa Leo), die nicht weiß, wie sie die beiden kleinen Kinder Freddy und Gina (Marc Musso, Teresa Delgado) ernähren soll, zu einer zusätzlichen Belastung. Dann verlor Jack auch seinen neuen Job als Caddy auf dem Golfplatz, weil sich einige Klubmitglieder über seine Tätowierungen beschwert hatten. An seinem Geburtstag fährt er nach Hause, wo Marianne und einige Freunde bereits auf ihn warten, um ihn mit einer Party zu überraschen. Beim Einbiegen in eine Seitenstraße übersieht er die drei Fußgänger. Er hält kurz an und begeht dann Fahrerflucht. Als Marianne erfährt, was passiert ist, schickt sie die Gäste nach Hause. Sie will Jack davon abhalten, sich der Polizei zu stellen, um nicht erneut mit den Kindern allein dazuzustehen, aber Jack kann den Blick des schwer verletzt am Boden liegenden Mädchens nicht vergessen und fährt zum nächsten Polizeirevier. Von Gott fühlt er sich verraten; er verfällt in eine Depression und versucht sich im Gefängnis an einem Wasserrohr zu erhängen, das jedoch durch sein Gewicht aus der Wand gerissen wird. Trotz des Geldmangels gelingt es Marianne, einen Rechtsanwalt aufzutreiben, der Jack aus dem Gefängnis holt.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Mit dem Auftrag, den Autofahrer zu suchen, der Cristinas Angehörige tötete, wendet Paul sich noch einmal an den Privatdetektiv. Parallel dazu besorgt er sich einen Revolver. Sobald er weiß, wo Jack zu finden ist, fährt er mit Cristina hin. Sie übernachten in einem Motel. Paul lauert Jack auf, bringt es jedoch nicht fertig, den wehrlos vor ihm Knienden zu töten, schießt neben ihn in den Sand und scheucht ihn fort. Zurück im Motel beantwortet er Cristinas Frage, ob er Jack getötet habe, mit ja.

Nachts erwacht Cristina, weil sie Geräusche vor dem Motelzimmer hört. Sie weckt Paul. Der nimmt den Revolver in die Hand. In dem Augenblick, in dem er vorsichtig die Tür öffnen will, wird sie eingetreten. Jack stürmt herein. Während Paul mit der Waffe in der Hand in einer Ecke kauert, schlägt Cristina beherzt mit einer Tischlampe auf den Einbrecher ein. Plötzlich ein Schuss: Paul hat sich selbst in die Brust geschossen.

Im Krankenhaus spendet Cristina Blut für Paul, aber eine Ärztin erklärt ihr nach der Untersuchung des Blutes, man könne es nicht verwenden, weil zu viele Rückstände von Drogen darin enthalten seien. Außerdem habe man festgestellt, dass sie schwanger ist.

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Duncan MacDougall, ein Arzt aus Massachusetts, beobachtete im 19. Jahrhundert sechs Menschen beim Sterben und behauptete anschließend, in dem Augenblick, in dem der Tod eingetreten sei, habe jeder von ihnen abrupt 21 Gramm Körpergewicht verloren. Da er diesen Gewichtsverlust bei fünfzehn verendenden Hunden nicht feststellen konnte, meinte er, bei den 21 Gramm müsse es sich um das Gewicht der Seele gehandelt haben. – Das inspirierte Alejandro Gonzalez Iñárritu zu dem Titel dieses Filmes, den er seiner Frau Maria Eladia gewidmet hat, deren Kind zwei Tage nach der Geburt gestorben war.

In dem Film „21 Gramm“ geht es um Schicksalsschläge und Ungerechtigkeiten im Leben, Schuld und Rache, Liebe und Tod. Dreh- und Angelpunkt des auf der Grundlage eines brillanten Drehbuchs von Guillermo Arriaga Jordan virtuos konstruierten Episodenfilms ist ein tödlicher Autounfall, der das Leben von zwei Männern und einer Frau dramatisch verändert. (Alejandro Gonzalez Iñárritu zeigt den Unfall nur indirekt: Ein Mann bläst vor seinem Haus Laub zusammen. Ein Auto fährt vorbei. Es kracht dumpf. Ein Auto hält und fährt gleich darauf wieder los. Der Mann schaut hoch und läuft aufgeregt aus dem Bild. Während der ganzen Zeit blieb die Kamera starr auf den Vorgarten gerichtet.)

„21 Gramm“ beginnt mit einer Folge kurzer Szenen, die sich erst später einordnen lassen, zumal auch die Namen der Figuren noch unbekannt sind: Paul sitzt nachdenklich am Bettrand, während Cristina nackt neben ihm liegt und schläft. Michael isst mit Cathy und Laura in einem Schnellrestaurant. Jack versucht, einen jugendlichen Kleinganoven zu bekehren. Paul liegt mit einer Schussverletzung im Krankenhaus. Cristina nimmt Drogen. Mary ist beim Arzt und erfährt, dass sie aufgrund einer früheren Abtreibung nur durch künstliche Befruchtung Kinder bekommen kann …

Die Orientierungslosigkeit – in der sich die Verwirrung der Protagonisten spiegelt – hält allerdings nur ein paar Minuten an. Dann gruppieren sich im Kopf des Zuschauers einzelne Szenen zu einem Cluster, und um diesen Kern herum ordnen sich im weiteren Verlauf allmählich alle anderen Ereignisse. Obwohl Guillermo Arriaga Jordan und Alejandro González Iñárritu nicht nur zwischen den drei Handlungssträngen hin- und herwechseln, sondern auch in der Zeit ständig vor- und zurückspringen, sodass man die Bedeutung einer Szene mitunter erst eine Stunde später begreift, bannt der Film den Zuschauer nach kurzer Zeit. Die Herausforderung, den Zusammenhang der einzelnen Episoden zu durchschauen, steigert die Spannung.

Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte nur auf diese Weise erzählt werden konnte. Wir alle sprechen in Fragmenten. Wir springen von einem Punkt zum anderen, beginnen vielleicht mit dem Schluss oder der Mitte, um dann zum Anfang zurückzukehren. (Alejandro González Iñárritu)

Eine präzise, meisterhafte, somnambule Beschwörung, ein Film wie in Trance, ein Essay über das Unfassbare […] Das Drehbuch von Guillermo Arriaga ist voll von subtilen Hinweisen, die eine Einordnung der Szenen überhaupt erst möglich machen. Das Schöne aber ist, dass man das alles nicht spürt. Man verfällt ganz der Stimmung des Films und den Schauspielern […] (Tobias Kniebe, Süddeutsche Zeitung, 25. Februar 2004)

Verblüffend ist, dass weder der rasche Wechsel zwischen Zeitpunkten und Handlungssträngen noch der Einsatz einer Handkamera hektisch wirken. Im Gegenteil: Die sparsam mit Musik untermalte Geschichte entwickelt sich ganz ruhig aus den Charakteren und ihren Schicksalsschlägen heraus.

Neben der anspruchsvollen Form von „21 Gramm“ beeindrucken vor allem die schauspielerischen Leistungen der drei Hauptdarsteller. Benicio Del Toro und Naomi Watts wurden für „Oscars“ nominiert.

Am 21. Dezember 2006 kam ein weiterer Film von Alejandro González Iñárritu in die deutschen Kinos: „Babel“. In den Hauptrollen: Brad Pitt und Cate Blanchett.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006

Alejandro González Iñárritu: Amores Perros
Alejandro González Iñárritu: Babel
Alejandro González Iñárritu: Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
Alejandro González Iñárritu: The Revenent. Der Rückkehrer

Robert Seethaler - Das Café ohne Namen
In seinem Roman "Das Café ohne Namen" geht es Robert Seethaler weder um Gesellschaftskritik noch um eine Milieustudie. Stattdessen bietet er mehr oder weniger zeitlose Miniaturporträts von einfachen Menschen. Robert Seethaler setzt nicht auf "Action" und vermeidet jede inhaltliche oder stilistische Effekthascherei.
Das Café ohne Namen