Nadine Gordimer : Die Hauswaffe

Die Hauswaffe
Originalausgabe: The House Gun, New York 1997 Die Hauswaffe Übersetzung: Susanne Höbel Berlin Verlag 1998
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein 27-jähriger erfolgreicher Architekt wechselt einige belanglose Worte mit einem auf einer Couch liegenden Freund. Dann greift er nach einer zufällig auf dem Tisch liegenden Pistole und erschießt ihn. ...
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Kritik

Nadine Gordimer beleuchtet in "Die Hauswaffe" die Motivation einer Mordtat aus allen möglichen Perspektiven und will damit Bewusstsein wecken für Gerechtigkeit und Toleranz: Wie soll man menschliches Versagen bewerten, wenn man die Gründe dafür nicht begreift?
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„Dies ist kein Kriminalroman“, betont Nadine Gordimer.

In einer Wohngemeinschaft haben sich fünf Menschen zusammengefunden. Drei Homosexuelle: Carl, ein Europäer, der sich hier in Johannesburg niedergelassen hat und sein fester Freund David sowie Khulu, ein Schwarzer. Zu der Kommune gehört auch Duncan Lindgard. Obwohl er eigentlich heterosexuell ist, hatte er mit Carl eine kurze homoerotische Affäre, die von diesem beendet wurde. Seither wohnt Duncan, mit 27 Jahren ein Erfolg versprechender Architekt, mit seiner Freundin Natalie in einem auf dem gleichen Grundstück befindlichen Cottage. Er hatte Natalie nach einem Selbstmordversuch das Leben gerettet und bemüht sich, sie wieder auf festen Boden zu stellen. Die labile und exzentrische junge Frau lehnt sich aber gegen die Bevormundung auf, will ihre Freiheit nicht verlieren. So hat sie neben Duncan immer wieder kurze Liebschaften, was er aber toleriert.

An einem Abend mit den fünf Bewohnern und dazugegekommenen Freunden entwickelt sich eine improvisierte Party. Dabei kommt das Gespräch beiläufig auf die „Hauswaffe“ – fast jeder Haushalt in Johannesburg legt sich zum Schutz gegen Einbrecher eine Pistole zu –, und einer der Anwesenden lässt sie sich vorführen, weil er selber eine kaufen will. Nachdem die Gäste gegangen sind und Duncan sich in das Cottage zurückgezogen hat, bleibt Natalie zurück und hilft Carl beim Aufräumen. Duncan wacht in der Nacht auf, vermisst Natalie und sucht sie im Haupthaus. Er ertappt Carl – den dezidierten Schwulen, der sich eigentlich vor Frauen ekelt, wie er ihm einmal verraten hat – mit Natalie auf der Couch im Wohnzimmer beim Geschlechtsverkehr. Als die beiden ihn bemerken,

verlässt er fluchtartig den Raum. Natalie fährt noch in der Nacht mit dem Auto weg.

Am nächsten Tag geht Duncan nicht in das Architektenbüro und hält sich bis zum Abend in seinem Zimmer auf. Eher unbewusst, um sich die Situation der vorigen Nacht noch einmal in Erinnerung zu rufen, sucht er das Haupthaus auf. Im Wohnzimmer sieht er Carl auf der Couch liegen. Dieser verhält sich als sei nichts geschehen und schwätzt Duncan mit Belanglosem die Ohren voll. „Nimm doch einen Drink“, sagt er dann. Das ist der Auslöser, der Duncan zu der Waffe greifen lässt, die seit dem Vorabend noch auf dem Tisch liegt: Er schießt Carl in den Kopf. Auf dem Weg zurück ins Cottage wirft er die Pistole in ein Farngebüsch.

„Etwas Schreckliches ist geschehen.“ Die Eltern Duncans werden von der Tat ihres Sohnes unterrichtet. Der Vater, Harald Lindgard, ist Vorstand in einer großen Versicherungsgesellschaft; die Mutter Claudia arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus. Das liberale und vorurteilsfreie Paar – so sehen sie sich jedenfalls und so haben sie auch versucht ihren Sohn zu erziehen – wird von der verheerenden Nachricht gleichsam gelähmt. „… eine private Katastrophe bedeutet, dass man aus dem Alltag der übrigen Welt aussteigt.“

Auf der Suche nach einem Anwalt – sie können sich einen teuren leisten – stoßen sie auf Hamilton Motsamai. Der schwarze Jurist, aufgewachsen in armen Verhältnissen ungebildeter Eltern, ist durch seine Promotion in England und die Zulassung als Verteidiger am Londoner Gericht Old Bailey zum Staranwalt avanciert. Duncan – und seine Eltern – haben ihre Zukunft in Motsamais Hände gelegt. „Der beste verfügbare Verteidiger ist jener, der für diejenigen denkt, die nicht wissen, was sie denken sollen.“

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Wie die Eltern versuchen, das Motiv für die unbegreifliche Tat zu verstehen und ihren Selbstvorwürfen nicht entgehen können, betrachtet die Autorin aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Gedanken, die sich Duncan über den Mord an seinem Freund und früheren Geliebten und One-Night-Lover seiner Freundin macht, werden verhältnismäßig wenig eingehend dargelegt. Die Personen bleiben überhaupt alle etwas farblos und wirken wenig „lebendig“. Am ehesten kann ich mir Natalie und Motsamai vorstellen. Die Dialoge in „Die Hauswaffe“ sind hölzern, also nicht „gesprochene“ Sprache (vielleicht liegt das an der Übersetzung; das kann ich nicht beurteilen).

In der Gerichtsverhandlung hat naturgemäß Hamilton Motsamai seinen großen Auftritt. Er stellt das flatterhafte, neurotische Verhalten Natalies in seinem Plädoyer in den Vordergrund, wobei er nicht davor zurückschreckt, die junge Frau zu desavouieren. Obwohl über die Kreuzverhöre und Vernehmungen der Zeugen ausführlich berichtet wird, kommen die Aussagen fast wortgetreu in der Hauptverhandlung nochmals zum Vortrag.

„Dies ist kein Kriminalroman“, hebt die Autorin hervor – und „Die Hauswaffe“ ist auch keiner. Die Motivation der Tat wird aus allen möglichen Perspektiven beleuchtet. Vor allem die vermeintlich gesellschaftlich gefestigten und angesehenen Eltern mit ihren Bemühungen zur Selbstfindung und dem verzweifelten Versuch, ihren Sohn zu verstehen, sind die Achse, um die sich die Geschichte dreht. „Ich muss einen Weg finden, Tod und Leben zusammenzubringen“, sagt Claudia.

Nadine Gordimer will mit „Die Hauswaffe“ Bewusstsein wecken für Gerechtigkeit und Toleranz: Wie soll man menschliches Versagen bewerten, wenn man die Gründe dafür nicht begreift?

Nadine Gordimer wurde 1991 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2002

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