Bibliothèque Pascal

Bibliothèque Pascal

Bibliothèque Pascal

Bibliothèque Pascal – Originaltitel: Bibliothèque Pascal – Regie: Szabolcs Hajdu – Drehbuch: Szabolcs Hajdu – Kamera: András Nagy – Schnitt: Péter Politzer – Musik: Flanger – Darsteller: Orsolya Török-Illyés, Andi Vasluianu, Shamgar Amram, Oana Pellea Razvan Vasilescu u.a. – 2010; 110 Minuten

Inhaltsangabe

Die Rumänin Mona möchte das Sorgerecht für ihre kleine Tochter zurückbekommen. Sie hatte das Kind zu einer Tante gebracht, bevor sie ins Ausland reiste, und weil diese Viorica als Kirmes-Attraktion missbrauchte, nahm ihr das Jugendamt das Mädchen weg. Mona behauptet, ihr Vater habe ihr vorgetäuscht, sich in Deutschland einer Operation unterziehen zu müssen, sie dann aber an Frauenhändler verkauft, und sie sei in ein englisches Bordell verschleppt worden ...
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Kritik

Obwohl Szabolcs Hajdu in Bildern schwelgt, kreist sein Film um ein düsteres Thema: Ausbeutung und Frauenhandel. Zugleich lässt sich "Bibliothèque Pascal" als Satire auf den kulturellen Verfall in der Eventgesellschaft verstehen.
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Die Rumänin Mona (Orsolya Török-Illyés) versucht, das Sorgerecht für ihre dreieinhalb Jahre alte Tochter Viorica (Lujza Hajdu) zurückzubekommen. Sie hatte das Kind zu ihrer Tante Rodica Paparu (Oana Pellea) gebracht, bevor sie ins Ausland gereist war. Rodica, die als Wahrsagerin auf Jahrmärkten tätig ist, missbrauchte ihre kleine Nichte als Kirmes-Attraktion. Sie behauptete, Viorica könne ihre Träume für das Publikum sichtbar machen, und weil einige der Zuschauer rasch ungeduldig wurden, gab Rodica dem Kind Alkohol zu trinken, damit es endlich einschlief. Aufgrund einer Anzeige schritt das Jugendamt ein, nahm ihr das Kind weg und bestimmte einen amtlichen Vormund. Nun sitzt Mona vor einem Beamten (Ion Sapdaru), der sich einen Eindruck von ihr verschaffen möchte.

Monas Mutter starb 2000 im Alter von 52 Jahren, und ihr Vater kümmerte sich nicht um sie. Weil Mona auf einem von ihr organisierten Volksfest eine Prügelei zwischen zwei eifersüchtigen Männern provozierte und es zu einer Massen­schlägerei kam, jagte der Bürgermeister (Dorel Visan) sie davon. Einer der beiden Streithähne nahm sie auf einem Fuhrwerk mit. Unterwegs kamen sie an einer Brücke vorbei, von der Jugendliche in den Fluss sprangen. Sie hielten an. Während der Mann im Wasser plantschte, ließ Mona sich von einem vorbeikommenden Autofahrer mit zum Meer nehmen.

Sie liegt am Strand, da taucht neben ihr plötzlich eine Hand mit einer Pistole aus dem Sand auf. Ein von der Polizei gesuchter Kleinkrimineller namens Viorel (Andi Vasluianu) hat sich dort eingegraben und versteckt. Am Abend zwingt er Mona, als Geisel mit ihm in eine Strandhütte zu gehen. Er habe einen Schwulen zusammengeschlagen, sagt er, und der sei im Krankenhaus gestorben, weil ihn die Ärzte nicht richtig behandelten.

Während Viorel schläft, nimmt Mona die Waffe und geht zur Tür. Dort bleibt sie stehen, denn sie sieht sich unvermittelt mit Viorel an einem Tisch sitzen, festlich gekleidet wie in einem Märchen. Sie lässt die Pistole fallen. Viorel wacht auf und sagt, er habe gerade geträumt, dass sie beide an einer festlichen Tafel säßen.

Am anderen Morgen umstellt eine Polizeieinheit die Hütte. Viorel rennt davon, um sich seiner Festnahme zu entziehen, wird jedoch auf der Flucht erschossen.

Mona merkt einige Zeit später, dass sie schwanger ist und bringt schließlich eine Tochter zur Welt.

Sie schlägt sich als Puppenspielerin auf Jahrmärkten durch.

Eines Abends taucht ihr Vater Gigi Paparu (Razvan Vasilescu) auf und behauptet, bei ihm sei ein Tumor diagnostiziert worden, der nur in Deutschland operiert werden könne. Er habe für den nächsten Morgen Zugfahrkarten für sich und seine Tochter besorgt, damit diese ihn begleiten könne. Weil er von der Existenz des Kindes nichts wusste, habe er nur Papiere für sich und Mona.

Noch in der Nacht bringt Mona ihre Tochter zu Rodica Paparu und erklärt, sie müsse ihren schwer kranken Vater nach Deutschland begleiten, sei jedoch in ein paar Tagen wieder da.

Nach der Ankunft in Wiener Neustadt erhält Gigi Paparu von zwei Männern ein zusammengerolltes Bündel Banknoten, und es stellt sich heraus, dass er Mona verkauft hat. Einer der Ganoven erschießt ihn jedoch kurz darauf und nimmt ihm das Geld wieder ab.

Mona wird von den Frauenhändlern nach England verschleppt und dort auf einer illegalen Auktion mit anderen Osteuropäerinnen zusammen zum Kauf angeboten. Ein Mann namens Pascal (Shamgar Amram) erwirbt sie und nimmt sie mit nach Liverpool in seine „Bibliothèque Pascal“. Dabei handelt es sich um ein Varieté und ein Bordell. Jedes Zimmer ist einem literarischen Thema gewidmet: Die Freier können beispielsweise zwischen der Desdemona (Nóra Földeáki) in William Shakespeares „Othello“, der Lolita (Eszter Tompa) von Vladimir Nabokov, der Hauptfigur in „Das Bildnis des Dorian Gray“ (Ádám Tompa) von Oscar Wilde oder auch der von Carlo Collodi erfundenen Märchenfigur Pinocchio (Marcell Kerschner) wählen. Sie wird als „Die heilige Johanna“ von George Bernard Shaw angeboten. Pascal, der selbst Kokain schnupft, spritzt Mona Heroin, um sie abhängig zu machen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Der Beamte vom Jugendamt glaubt Mona die Geschichte nicht, und sie gibt zu, sich das alles ausgedacht zu haben. Wie es wirklich gewesen sei, fragt er. Mona gibt zu Protokoll, sie habe den Vater ihrer Tochter auf der Straße kennengelernt und sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, bis sie für die Erotikbranche in England angeworben worden sei.

Nachdem Mona die Amtsstube verlassen hat, diktiert der Beamte der Sekretärin den Schluss des Protokolls: Er empfiehlt der Behörde, das Kind in die Obhut der leiblichen Mutter zurückzugeben.

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„Bibliothèque Pascal“ beginnt wie ein realistisches Sozialdrama. Aber nach wenigen Minuten verlassen wir die nüchterne Amtsstube, und während Mona von ihren (angeblichen) Erlebnissen erzählt, tauchen wir in eine bunte, bizarre Welt ein. Erst am Ende werden wir wieder in das Büro und den grauen Alltag zurückgeholt.

In manchen Momenten von Bibliothèque Pascal scheint es, als schaue man dem Kino selbst beim Träumen zu. Als nehme sich die Filmkunst hier die Freiheit, eine Geschichte, deren Elend sich nicht mehr dokumentarisch erzählen lässt, mit den Mitteln des Jahrmarkts zu überwölben und zu überzeichnen. Die Wirklichkeit, die hinter Hajdus schaubudenhaften Stilisierungen hervorlugt, verliert trotzdem nichts von ihrem Schrecken. (Katja Nicodemus, „Die Zeit“, 9. Juni 2011)

Obwohl Szabolcs Hajdu in Bildern schwelgt, kreist „Bibliothèque Pascal“ um ein düsteres Thema: die Ausbeutung von Menschen im Allgemeinen und der Frauenhandel mit Osteuropäerinnen im Besonderen. Zugleich lässt sich „Bibliothèque Pascal“ als Satire auf den kulturellen Verfall in der Eventgesellschaft verstehen.

Erzählt wird fast durchgängig aus Monas Sicht. Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Szene, bei der Viorica von Rodica Paparu als Jahrmarktsattraktion missbraucht wird, in Monas Vorstellung abspielt, gilt dies auch für diese Episode von „Bibliothèque Pascal“.

Ungarn reichte „Bibliothèque Pascal“ für eine „Oscar“-Nominierung in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ ein, hatte damit jedoch keinen Erfolg.

Der ungarische Regisseur Szabolcs Hajdu (* 1972) und die Hauptdarstellerin Orsolya Török-Illyés sind übrigens verheiratet.

Bei „Flanger“ handelt es sich um eine 1997 von Bernd Friedmann alias Burnt Friedman und Uwe Schmidt alias Atom ins Leben gerufene Musikgruppe.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

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