My Son, My Son, What Have Ye Done

My Son, My Son, What Have Ye Done

My Son, My Son, What Have Ye Done

My Son, My Son, What Have Ye Done (DVD) / Ein fürsorglicher Sohn (TV) – Originaltitel: My Son, My Son, What Have Ye Done – Regie: Werner Herzog – Drehbuch: Herbert Golder, Werner Herzog – Kamera: Peter Zeitlinger – Schnitt: Joe Bini, Omar Daher – Musik: Ernst Reijseger – Darsteller: Michael Shannon, Willem Dafoe, Chloë Sevigny, Michael Peña, Udo Kier, Brad Dourif, Loretta Devine, Grace Zabriskie, James C. Burns, Irma P. Hall, Candice Coke, Gabriel Pimentel u.a. – 2009; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Der Student Brad Macallam ermordet seine Mutter mit einem Schwert und verschanzt sich dann in ihrem Haus. Während die zum Tatort gerufenen Polizisten auf die angeforderte Spezialeinheit warten, berichtet Brads Verlobte, er habe sich nach einem traumatischen Erlebnis vor einem Jahr völlig verändert. Er sei überzeugt, dass ihn damals eine innere Stimme vor dem Tod bewahrt habe. Bei der Einstudierung der "Orestie" habe er sich immer stärker mit der Rolle des Muttermörders identifiziert ...
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Kritik

In der Tragödie "My Son, My Son, What Have Ye Done" veranschau­licht Werner Herzog eindrucksvoll das Abgleiten eines Mannes in den Wahn. Suggestive Bilder und unge­wöhnliche, zum Teil auch schräge, bizarre Einfälle fesseln den Zuschauer.
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Police Detective Hank Havenhurst (Willem Dafoe) steuert einhändig ein ziviles Polizeifahrzeug durch den Verkehr von San Diego. In der rechten Hand hält er einen Becher Kaffee. Neben ihm sitzt ein Anfänger namens Vargas (Michael Peña). Als sie wegen eines Mordfalls alarmiert werden, setzt Havenhurst das Blaulicht aufs Dach und rast zum Tatort. Die Witwe Mrs Macallam (Grace Zabriskie ) wurde im Haus ihrer Nachbarin Mrs Roberts (Irma Hall) und deren Tochter (Loretta Devine) mit einem antiken Schwert durchbohrt.

Nach kurzer Zeit ermittelt die Polizei einen Tatverdächtigen: Der Student Brad Macallam (Michael Shannon), der bis zuletzt bei seiner Mutter wohnte, soll sie während eines Besuchs bei den Nachbarn erstochen haben. Als Havenhurst, Vargas und weitere Polizisten vor dem Grundstück der Macallams stehen, zeigt Brad sich kurz mit einem Gewehr in der Tür und behauptet, zwei Geiseln in seiner Gewalt zu haben. Später öffnet er das Garagentor einen Spalt und lässt eine Haferflockendose herausrollen. Den (sic!) brauche er jetzt nicht mehr, ruft er. Die Polizisten, die damit rechnen, dass die Dose explodiert, weichen argwöhnisch zurück, aber es passiert nichts.

Während die Polizisten auf die angeforderte SWAT-Einheit warten, treffen kurz nacheinander zwei Personen ein, die Brad an diesem Morgen anrief und um Hilfe bat: seine Verlobte Ingrid Gudmundson (Chloë Sevigny) und der Theaterregisseur Lee Meyers (Udo Kier).

Ingrid berichtet, dass Brad vor einem Jahr mit Freunden zu einem Rafting nach Peru gereist sei. Alle bis auf ihn ertranken in dem reißenden Fluss Urubamba. Eine innere Stimme habe ihn im letzten Augenblick dazu gebracht, mit seinem Kajak am Ufer zu bleiben, erklärte er später. Das Erlebnis habe ihn völlig verändert, meint Ingrid. Von da an sei er dieser Stimme gefolgt und habe sich mitunter Farouk genannt. Einmal spielte er ihr einen Song vor und behauptete, es handele sich um die Stimme Gottes. Dann ging er mit ihr in die Küche, holte eine Dose Haferflocken aus dem Wandschrank, zeigte Ingrid die Abbildung eines alten Mannes auf der Packung und meinte, das sei Gott.

Brads Vater starb, als er zwei Jahre war. Die Mutter verwöhnte ihr einziges Kind auch noch, als Brad bereits erwachsen war. Sie klammerte sich an ihn und fand auch nichts dabei, ohne anzuklopfen in sein Zimmer zu kommen, wenn seine Verlobte bei ihm war. Ingrid sagt, sie habe ihn deshalb aufgefordert, sich endlich von seiner Mutter zu lösen, aber dazu sei er zu eng mit ihr verbunden gewesen.

Lee Meyers probte mit einer Gruppe Studenten, zu denen auch Brad und Ingrid gehörten, die griechische Tragödie „Orestie“ von Aischylos. Brad spielte Orestes, Ingrid dessen Mutter Klytaimnestra. Der Hauptdarsteller sei mit ihm zu seinem Onkel Ted (Brad Dourif) gefahren, erzählt Lee Meyers, um dessen antikes Schwert für die Vorführung auszuleihen. Ted, der früher Truthähne züchtete und jetzt eine Straußenfarm betreibt, gefiel es gar nicht, dass sein Neffe Theater spielte. Das sei doch nur etwas für Neger und Schwule, meinte er. Lee Meyers hielt das Schwert für zu gefährlich und deshalb als Requisite ungeeignet, aber Brad bestand darauf, es auf der Bühne zu benutzen. Weil Brad sich immer stärker mit der Rolle des Orestes identifizierte, vom Text abwich und sich vom Regisseur nichts mehr sagen ließ, warf dieser ihn schließlich aus dem Ensemble.

Einmal habe ihm Brad von einem Erlebnis als Basketballspieler erzählt, sagt Lee Meyers. Brad war überzeugt, in einer kritischen Spielsituation alles kurz zum Stillstand gebracht und auf diese Weise den Ruhe-, Dreh- und Angelpunkt der Welt gefunden zu haben.

Als Lee Meyers Ensemble die „Orestie“ in Calgary aufführte, reiste Brad mit seiner Mutter an und sprach den Text des Hauptdarstellers im Publikum laut mit.

Ingrid berichtet, Brad habe sie vor zwei Tagen aus Tijuana angerufen und gebeten, zu ihm zu kommen. Er sei vor einem aus Brillen geformten Kreis gesessen und habe darüber eine brennende Glühbirne gehalten, sagt sie. Auf diese Weise glaubte er den Himmel auf die Erde holen zu können. Auf der Rückfahrt wollte er unbedingt zu dem Marine-Krankenhaus, in dem sein Vater gestorben war. Dem Wachmann (Noel Arthur) und der Rezeptionistin (Jenn Liu) erklärte er, er wolle „zu den Kranken generell“. Später drückte er einem jungen Mann, der zufällig vorbeikam, seinen Rucksack in die Hand und meinte, es tue gut, sich von seinen Sachen zu verabschieden. Als sie dann in Ingrids Wohnung in San Diego kamen, hielt er alle Uhren an, zog den Stecker des Kühlschranks aus der Dose und demolierte sein Auto.

Mrs Roberts, die mit ihrer Tochter wegen des Schocks in einem Krankenwagen betreut wird, sagt aus, ihre Nachbarin sei an diesem Morgen herübergekommen und habe ihr zugeflüstert, dass Brad sie beinahe mit einem Kissen erstickt hätte. Brad folgte seiner Mutter, ging dann aber noch einmal zurück, um seine eigene Kaffeetasse zu holen. Nachdem er Mrs Roberts‘ Kaffee höflich gelobt hatte, holte er einen Baseballschläger und das Schwert seines Onkels aus dem Auto, drückte Mrs Roberts den Schläger in die Hand und forderte sie auf, ihn zu erschlagen, bevor etwas Schreckliches passieren würde. Dann durchbohrte er seine Mutter mit dem Schwert.

Ein von Lieutenant Brown (James C. Burns) geführtes SWAT-Kommando trifft ein; Scharfschützen verteilen sich und bereiten die Erstürmung des Bungalows vor.

Es stellt sich heraus, dass es sich bei den Geiseln um zwei Flamingos handelt, die Brad als „tuntige Adler“ bezeichnet und schließlich vor die Tür setzt, bevor er sich ergibt.

Ingrid fotografiert einen Ball, den Brad einige Tage zuvor in die Krone eines noch kleinen Baumes legte. Als sie fort ist, kommt ein Junge vorbei, vergewissert sich, dass niemand ihn beobachtet und nimmt den Ball mit.

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Das Drama „My Son, My Son, What Have Ye Done“ (DVD) bzw. „Ein fürsorglicher Sohn“ (TV) von Werner Herzog basiert auf einer wahren Begebenheit: Am 10. Juni 1979 ermordete der 34 Jahre alte Student Mark Yavorsky, der kurz zuvor in einer „Orestie“-Aufführung auf dem Campus mitgespielt hatte, seine 65-jährige Mutter Mary E. Wathan in San Diego mit einem antiken Schwert. Er habe sie vor den Schrecken eines Atomkriegs bewahren wollen, erklärte er. Weil er für nicht zurechnungsfähig erklärt wurde, wies ihn das zuständige Gericht ins Patton State Hospital ein. Herbert Golder, Professor für antike Literatur an der Boston University, griff diesen Fall auf und begann Mitte der Neunzigerjahre, mit Werner Herzog an einem Drehbuch zu arbeiten. Doch erst als sie David Lynch als Produzenten gewinnen konnten, war es möglich, das Filmprojekt zu realisieren.

In der „Orestie“ von Aischylos, die Lee Meyers mit dem Ensemble einstudiert, wird Agamemnon, der König von Mykene, von der Göttin Artemis wegen eines Frevels mit einer Flaute bestraft. Damit die Kriegsflotte weiterfahren kann, opfert er seine älteste Tochter Iphigenie, die Schwester von Orestes, Elektra und Chrysothemis. Als er aus dem Trojanischen Krieg zurückkehrt, erschlägt ihn seine Frau Klytaimnestra mit einer Axt. Orestes rächt seinen Vater, indem er seine Mutter Klytaimnestra und ihren Geliebten Aigisthos tötet. Damit löst er den Fluch, der auf dem Haus Atreus lag, und die Göttin Athene spricht ihn frei.

Werner Herzog und Herbert Golder porträtieren in „My Son, My Son, What Have Ye Done“ einen Muttermörder. Der Täter ist kein Monster, wie manche vielleicht erwarten würden, sondern ein begabter junger Mann, der durch ein traumatisches Erlebnis aus der Bahn geworfen wird und sich zunehmend im Wahn verliert. Diesen Realitätsverlust stellt Werner Herzog in „My Son, My Son, What Have Ye Done“ eindrucksvoll mit filmischen Mitteln dar, etwa indem er Alltägliches verfremdet, Bilder einfriert oder eine Hintergrundprojektion in Zeitlupe hinzufügt. Alles wird scheinbar mit rätselhaften Bedeutungen aufgeladen, so wie es auch der Protagonist erlebt. Spürbar ist der Wahn besonders in einer Szene, in der Brad Macallam über einen chinesischen Markt geht und ihn die Menschen, die ihm entgegenkommen, irritiert ansehen. (Bei den Dreharbeiten in Kaxgar in der chinesischen Provinz Xinjiang trug jemand die Kamera in Kopfhöhe und ging durch die unvorbereitete Menge.)

Suggestive Bilder und ungewöhnliche, zum Teil auch schräge, bizarre Einfälle fesseln den Zuschauer. Obwohl es sich bei „My Son, My Son, What Have Ye Done“ um eine düstere Tragödie handelt, fehlt es nicht an Situationskomik. Beispiel: Argwöhnisch weichen die Polizisten vor einer Haferflockendose zurück, die der Muttermörder aus der Garage rollen lässt. Sie können sich keinen Reim darauf machen, warum er ruft „Den brauche ich jetzt nicht mehr!“ Auch wir Zuschauer halten es zunächst für möglich, dass es sich um einen Sprengkörper handelt, und wir bleiben dann ratlos, bis wir erfahren, dass Brad Macallam den auf der Packung abgebildeten alten Mann für Gott hält.

Fazit: „My Son, My Son, What Have Ye Done“ ist ein ideenreiches, meisterhaft inszeniertes Psychogramm eines jungen Mannes, der sich im Wahn verliert.

Synchronsprecher in der deutschen Fassung von „My Son, My Son, What Have Ye Done“ (Buch und Regie: Joachim Kunzendorf): Sascha Rotermund (Brad Macallum), Wolfgang Condrus (Hank Havenhurst), Tobias Müller (Vargas), Berenice Weichert (Ingrid Gudmundson), Udo Kier (Lee Meyers), Ulrike Möckel (Miss Roberts), Luise Lunow (Mrs Roberts), Kornelia Boje (Mrs Macallum), Hans-Jürgen Dittberner (Onkel Ted), Frank Röth (Brown), Magdalena Turba (Rezeptionistin des Marine-Krankenhauses) u. a.

Die DVD „My Son, My Son, What Have Ye Done“ erschien am 18. November 2010. Im deutschen Fernsehen (WDR) wurde der Film mit dem Titel „Ein fürsorglicher Sohn“ am 21. August 2013 erstmals gezeigt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

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A. Alberts - Die Inseln
Elf komische, groteske, dann wieder ganz realistische Erzählungen. Trotz der vorwiegend traurigen Grundstimmung glänzt immer wieder der Humor des Autors auf, und er versteht es, seine subtilen Beobachtungen faszinierend wiederzugeben.
Die Inseln