Keigo Higashino : Ich habe ihn getötet

Ich habe ihn getötet
Originalausgabe: Watashi ga kare wo koroshita Verlag Kodansha, Tokio 2002 Ich habe ihn getötet Übersetzung: Ursula Gräfe Klett-Cotta, Stuttgart 2016 ISBN: 978-3-608-98306-7, 320 Seiten ISBN: 978-3-608-10928-3 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 37-jährige Autor und Filmproduzent Makoto Hodaka nutzt andere Menschen respektlos für seine Zwecke aus. Seine schwangere Geliebte Junko Namioka drängte er zur Abtreibung und ließ sie dann sitzen. Die Affäre mit seiner Lektorin Kaori Yukizasa beendete er, um die Lyrikerin Miwako Kanbayashi heiraten zu können, und dabei geht es ihm nur um die Publicity. Unmittelbar vor der Trauung bricht er tot zusammen, und die Polizei stößt auf Junko Namiokas Leiche. Beide starben am gleichen Gift ...
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Kritik

Keigo Higashino entwickelt den Kriminalroman "Ich habe ihn getötet" abwechselnd aus den Perspektiven der drei Mordverdächtigen. Es geht nicht um Action, sondern um das Whodunit-Rätsel – dessen Auflösung der Autor uns jedoch vorenthält.
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Die japanische Familie Kanbayashi war zwar nicht reich, aber als Angestellter einer Wertpapierfirma konnte der Vater einen gutbürgerlichen Lebensstandard sichern und noch vor seinem 40. Lebensjahr ein Haus in Yokohama bauen. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Takahiro und seine jüngere Schwester Miwako. Am Tag nach Miwakos Einschulung wurde das Auto der Eltern von einem Lastwagen gerammt, und sie starben noch an der Unfallstelle. Die Kinder wurden von Verwandten aufgenommen und dabei voneinander getrennt. Erst nach 15 Jahren kamen sie wieder zusammen und richteten sich gemeinsam im Elternhaus ein. Das war vor fünf Jahren. Takahiro promovierte in Quantenphysik und blieb an der Hochschule. Miwako studierte an einer Frauenuniversität und fing dann als Versicherungs­angestellte zu arbeiten an. Inzwischen hat sie sich einen Namen als Lyrikerin gemacht. Im ersten Sommer, in dem die Geschwister wieder unter einem Dach wohnten, konnten sie der Versuchung nicht widerstehen: Die küssten und entkleideten sich. Erst am Tag darauf erfuhr Takahiro, dass seine Schwester noch Jungfrau gewesen war.

Nun steht Miwakos Hochzeit am 18. Mai in einem großen Hotel im Tokioter Stadtteil Akasaka an. Beim Bräutigam der 26-Jährigen handelt es sich um den elf Jahre älteren geschiedenen Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmproduzenten Makoto Hodaka.

Am Tag vor der Eheschließung treffen die Braut und ihr Bruder bei Makoto Hodaka in dessen weißer Villa ein, und er stellt ihnen seinen Manager vor: Naoyuki Suruga.

Makoto Hodaka und Naoyuki Suruga hatten zusammen Filmwissenschaften studiert. Vor sieben Jahren arbeitete Naoyuki Suruga noch als Buchhalter. Er verlor bei Pferdewetten viel Geld, und um seine Schulden begleichen zu können, unterschlug er entsprechende Beträge aus der Firmenkasse. Sein Vorgesetzter fand es heraus und bestand auf einer Kündigung, verzichtete aber unter der Voraussetzung, dass Naoyuki Suruga das gestohlene Geld zurückzahlte, auf eine Anzeige. Makoto Hodaka, der damals gerade eine Filmproduktions-Gesellschaft gegründet hatte, stellte seinen früheren Kommilitonen ein und streckte ihm den erforderlichen Geldbetrag vor. Naoyuki Suruga musste sich immer wieder Plots ausdenken, aus denen Makoto Hodaka unter seinem eigenen Namen Romane und Drehbücher machte. Zwei von Makoto Hodaka selbst gedrehte Filme brachten ihm allerdings nur finanzielle Verluste ein. Um im Gespräch zu bleiben und weiter­machen zu können, ließ er sich im Frühjahr des letzten Jahres von seiner Lektorin mit Miwako Kanbayashi zusammenbringen, die als junge Dichterin in aller Munde ist.

Kaori Yukizasa, die Lektorin sowohl der Lyrikerin als auch des Schriftstellers, stößt ebenfalls zu der Runde in Makoto Hodakas Villa.

Während Miwako gerade nicht im Wohnzimmer ist, taucht vor der Terrassentüre eine Frau mit geisterhaft bleichem Gesicht auf und starrt herein. Naoyuki Suruga geht zu ihr hinaus und führt sie ein Stück abseits, denn Miwako soll sie auf keinen Fall sehen. Die Frau heißt Junko Namioka. In der Tierklinik Kikuchi, in der sie beschäftigt ist, erfuhr sie, dass Makoto Hodaka eine andere Frau heiraten wird. Dabei hatte sie sich bereits als seine Ehefrau gesehen. Als sie ihn anrief und zur Rede stellte, legte er auf.

Naoyuki Suruga findet Makoto Hodakas Verhalten niederträchtig und verbirgt das auch nicht, als er später mit ihm spricht:

„Du hast ihr überhaupt nichts gesagt?“, fragte ich. Hodaka wusste, dass ich von Junko Namioka sprach. […]
„Sie könnte sogar eine Entschädigung von dir verlangen“, sagte ich. Ich bemühte mich um einen ruhigen, sachlichen Ton.
„Wieso das denn? Ich kann mich nicht erinnern, ihr die Ehe versprochen zu haben.“
„Du hast sie ihr Kind abtreiben lassen. Hast du das schon vergessen? Und ich habe sie auch noch dazu überredet und ins Krankenhaus gebracht.“
„Immerhin hat sie der Abtreibung zugestimmt.“
„Weil sie geglaubt hat, ihr würdet heiraten. Nur so habe ich sie dazu gebracht einzuwilligen.“
„Genau, du hast ihr das versprochen, nicht ich.“
„Hodaka!“

Makoto Hodaka ist nicht bereit, selbst mit der von ihm ohne ein Wort verlassenen Frau zu reden. Stattdessen beauftragt er Naoyuki Suruga, ihr einen Geldbetrag anzubieten. Naoyuki Suruga hatte die zehn Jahre jüngere Junko Namioka zuerst kennengelernt, und zwar in der Tierklinik Kikuchi. Durch ihn war Makoto Hodaka auf sie aufmerksam geworden. Als sie vor ein paar Monaten von ihm schwanger wurde, erwartete er von seinem Manager, dass dieser sie zur Abtreibung überredete.

Zum Mittagessen fahren Makoto Hodaka, Miwako und Takahiro Kanbayashi, Naoyuki Suruga und Kaori Yukizasa zu einem italienischen Restaurant. Aber bevor sie beim Dessert sind, erhält Naoyuki Suruga einen Anruf von Junko Namioka. Sie befindet sich im Garten der Villa ihres Geliebten. Naoyuki Suruga holt Makoto Hodaka vom Tisch weg und drängt ihn, mit ihr zu reden, aber am Ende bleibt die Aufgabe an ihm hängen, und er verlässt das Restaurant vorzeitig.

Kaori Yukizasa ist nicht nur Makoto Hodakas Lektorin, sondern war auch mit ihm intim. Begonnen hatte die Affäre vor mehr als vier Jahren, als er noch mit seiner ersten Frau verheiratet war. Allerdings war die Scheidung nur noch eine Frage der Zeit. Drei Jahre lang wartete Kaori Yukizasa vergeblich auf einen Heiratsantrag. Stattdessen bat er sie, ihn mit Miwako Kanbayashi bekannt­zu­machen und beendete dann die Beziehung mit ihr.

Das Getuschel zwischen Naoyuki Suruga und Makoto Hodaka hat Kaori Yukizasa neugierig gemacht. Nach dem Essen nimmt sie ein Taxi und lässt sich zu Makoto Hodakas Villa bringen. Vom Auto aus beobachtet sie, wie Makoto Hodaka und Naoyuki Suruga einen großen, schweren Karton in einen Kombi heben. Kaori Yukizasa folgt ihnen zu dem Mietshaus, in dem Naoyuki Suruga wohnt. Als sie hinkommt, steht der Kombi mit offenem Kofferraum vor dem Eingang. Bald darauf verlassen die beiden Männer das Gebäude. Den Karton haben sie bei sich, aber er ist jetzt leer. Sie fahren weg.

Die Lektorin, die weiß, dass sich das Apartment des Managers in der vierten Etage befindet, wundert sich darüber, dass die Männer vom zweiten Stockwerk sprachen. Sie fährt mit dem Lift hinauf und klingelt. Niemand öffnet. Aber die Türe lässt sich öffnen. Im Apartment liegt die geisterhafte Frau, die vor dem Aufbruch zum Restaurant in Makoto Hodakas Garten stand. Sie ist tot. Auf einem Glastisch liegen ein rasch auf einen Werbezettel geschriebener Abschiedsbrief, ein Röhrchen mit Kapseln, wie Makoto Hodaka sie gegen seinen chronischen Schnupfen nimmt und ein Fläschchen mit weißem Pulver.

Kaori Yukizasa hört jemand aus dem Aufzug kommen. Rasch steckt sie eine der Kapseln ein und verbirgt sich. Naoyuki Suruga betritt den Raum und schluchzt im Anblick der Toten. Schließlich bemerkt er, dass er nicht allein ist. Die Frau habe sich in Makoto Hodakas Garten vergiftet, erklärt er der Lektorin. Hodaka wollte nicht, dass die Selbstmörderin am Tag vor seiner Hochzeit mit ihm in Zusammenhang gebracht wird. Deshalb soll sie in ihrer Wohnung gefunden werden, zusammen mit dem Abschiedsbrief, den Kapseln und dem Giftpulver, das sie bei sich hatte.

Bevor Naoyuki Suruga das Apartment verlässt, nimmt er ein Ladegerät mit, das mit Makoto Hodaka in Verbindung gebracht werden könnte, weil er Junko Namioka ein Handy gekauft hatte.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen findet Takahiro Kanbayashi unter der Tür seines Hotelzimmers einem Umschlag. Er öffnet ihn und liest:

Ich weiß, dass Du einen Umgang mit Miwako Kanbayashi hattest, der über eine geschwisterliche Beziehung hinausgeht. Wenn Du nicht willst, dass dies öffentlich bekannt wird, tue Folgendes: In diesem Umschlag findest Du eine Kapsel. Die musst Du gegen Makoto Hodakas Medikament austauschen. Entweder in der Originalflasche oder in seiner Pillendose. Ich wiederhole: Wenn Du das nicht tust, werde ich Euer widernatürliches Treiben bekannt machen. Solltest Du zur Polizei gehen, geschieht das Gleiche. Verbrenne diesen Brief, sobald Du ihn gelesen hast.

Takahiro Kanbayashi überlegt. Makoto Hodakas Schnupfenmittel kannten vermutlich viele Freunde und Bekannte. Aber wer konnte etwas von dem Inzest ahnen? Und wer wusste, in welchem der beiden von Takahiro Kanbayashi auf seinen Namen für sich und seine Schwester gebuchten Hotelzimmer er übernachtet hatte?

Während die Braut für die Hochzeit angekleidet und geschminkt wird, treffen die Gäste ein. Kaori Yukizasa bringt auch ihre Assistentin Eri Nishiguchi mit.

Der Bräutigam bricht in der Kapelle tot zusammen.

Die Ermittlungen leitet Kriminalhauptkommissar Watanabe, denn es besteht der Verdacht, dass Makoto Hodaka vergiftet wurde.

Makoto Hodakas Vater, ein Taxiunternehmer im Ruhestand, sein ältester Sohn Michihiko Hodaka und dessen Ehefrau kamen als Hochzeitsgäste aus Ibaraki nach Tokio und müssen sich nun um die Bestattung des Bräutigams kümmern.

Takahiro Kanbayashi erwähnt bei seiner Vernehmung die seltsame Frau in Makoto Hodakas Garten. Darauf angesprochen, sagt Naoyuki Suruga aus, es habe sich um Junko Namioka gehandelt. In deren Apartment stößt die Polizei auf die Leiche, und Naoyuki Suruga wird geholt, um sie zu identifizieren.

Augenscheinlich handelt es sich um einen Suizid. Kommissar Kaga vom zuständigen Polizeirevier des Tokioter Stadtbezirks Nerima zweifelt nicht daran, wundert sich jedoch über welkes Gras im Haar der Toten und Erde an ihren Sandalen, denn in dem Wohnviertel ist alles asphaltiert.

Sowohl Junko Namioka als auch Makoto Hodaka starben an einer Strychninnitrat-Vergiftung. Die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass das Nervengift aus der Tierklinik Kikuchi stammt.

Es ist naheliegend, von einem erweiterten Selbstmord auszugehen. Junko Namioka scheint das Strychninnitrat gestohlen und Makoto Hodakas Schnupfenmittel damit präpariert zu haben, bevor sie sich selbst vergiftete. Allerdings findet Kommissar Kaga heraus, dass Junko Namioka erst am Tag vor ihrem Tod um die Mittagszeit in einer Apotheke ein Röhrchen von dem Schnupfenmittel kaufte. Danach hatte sie wohl keine Gelegenheit mehr, vergiftete Kapseln mit anderen aus Makoto Hodakas Pillendose auszutauschen.

Makoto Hodakas Leiche wird am 22. Mai in Tokio im Rahmen einer Trauerfeier kremiert. Die Familie nimmt die Urne mit nach Ibaraki, wo eine weitere Feier im engsten Kreis stattfindet. Als Naoyuki Suruga erschöpft von der Trauerfeier in Ibaraki zurückkommt, wartet Kommissar Kaga auf ihn und lässt sich nicht auf den nächsten Tag vertrösten. Inzwischen weiß er nicht nur von der Affäre, die Makoto Hodaka und Junko Namioka miteinander hatten, sondern auch von der Abtreibung und der schmählichen Trennung. Der Kommissar ahnt, dass Naoyuki Suruga die Frau liebte und lässt erkennen, dass er ihn zu den Mordverdächtigen zählt.

„Nein“, sagte ich. „Ich weiß, was Sie denken, Kommissar. Sie denken, ich wollte Hodaka töten, weil er die Frau, die ich liebte, wie Dreck behandelt hat, nicht wahr? Tut mir leid, aber das stimmt nicht. So simpel funktioniere ich nicht.“

Warum Naoyuki Suruga am 17. Mai das italienische Restaurant nach einem Telefonanruf vorzeitig verlassen habe, möchte Kaga wissen. Der Manager behauptet, ihm sei eingefallen, dass er noch eine Zusammenstellung für einen Roman machen musste, die Makoto Hodakas auf die Hochzeitsreise mitnehmen wollte. Den Anruf habe er fingiert, um ohne große Erklärungen aufbrechen zu können.

Am 25. Mai erhält Takahiro Kanbayashi ein Telegramm.

Gedenkfeier – 25. 05. – 13 Uhr – in meinem Wohnzimmer – Makoto Hodaka

Auf Miwakos Bett liegt ein Zettel mit der Nachricht, sie sei zur Gedenkfeier gefahren. In Makoto Hodakas Villa stellt sich heraus, dass Takahiro Kanbayashi nicht als Einziger ein Telegramm bekam. Naoyuki Suruga und Kaori Yukizasa wurden ebenfalls eingeladen. Unvermittelt taucht Miwako im Garten auf und starrt herein, so wie Junko Namioka es am 17. Mai getan hatte. Sie betritt den Raum und erklärt den drei anderen Personen, Junko Namioka habe zwar möglicherweise einen erweiterten Suizid geplant, sei aber nicht dazu gekommen, Makoto Hodakas Schnupfenmittel gegen vergiftete Kapseln auszutauschen. Einer von ihnen – Takahiro Kanbayashi, Naoyuki Suruga oder Kaori Yukizasa – müsse Makoto Hodakas Mörder sein.

Kommissar Kaga kommt hinzu.

Er geht mit den Anwesenden die Tatsachen bzw. Indizien durch. Junko Namioka schrieb ihren Abschiedsbrief auf einen Reklamezettel, den sie wohl aus einem Briefkasten gezogen hatte. Die Werbung war zwar in dem Viertel verteilt worden, in dem sich Makoto Hodakas Villa befindet, aber nicht in Junko Namiokas Wohngebiet. Das in ihrem Haar gefundene Gras und die Erde an ihren Sandalen stammen – so das Ergebnis der Laboruntersuchungen – aus Makoto Hodakas Garten. Daraus schließt der Kommissar, dass Junko Namioka sich nicht in ihrer Wohnung, sondern hier im Garten das Leben nahm.

Im Apartment der Toten stellte die Polizei ein Handy sicher, das Junko Namioka von der Tierklinik Kikuchi zur Verfügung gestellt worden war, damit man sie bei Notfällen erreichen konnte. Allerdings passte das bei den Kleidern gefundene Ladegerät nicht zu diesem Mobiltelefon. Naoyuki Suruga begreift, dass er das falsche Ladegerät mitnahm. Kaga fährt fort:

„Frau Namioka muss noch ein anderes gehabt haben, und wir beschlossen, danach zu fahnden. Aber bei der Durchsicht ihrer Bank- und Kreditkartenauszüge stießen wir auf keine Gebührenrechnung. Demnach lief das Handy wohl auf einen anderen Namen. Wenn aber das Mobiltelefon einer jungen Frau auf einen anderen Namen angemeldet ist, kann man sich leicht denken, von wem sie es hat.“

Obwohl das zweite Handy, das Makoto Hodaka gekauft hatte, unauffindbar blieb, gelang es der Polizei, die mit diesem Gerät geführten Telefongespräche aufzulisten. Die letzte Person, die Junko Namioka damit anrief, war Naoyuki Suruga. Es geschah unmittelbar, bevor er das Restaurant verließ, und der Kommissar unterstellt ihm deshalb, die Leiche der Selbstmörderin aus Makoto Hodakas Garten weggeschafft zu haben. Dabei seien ihm auch von Junko Namioka vergiftete Kapseln des Schnupfenmittels zugänglich gewesen.

Naoyuki Suruga hält es an dieser Stelle für erforderlich, darauf hinzuweisen, dass sich Kaori Yukizasa ebenfalls einige der präparierten Kapseln hätte verschaffen können, denn sie habe den Transport der Leiche beobachtet und sei eine Weile allein in Junko Namiokas Apartment gewesen. Die Lektorin gibt zu, eine der vergifteten Kapseln mitgenommen zu haben. Was sie damit gemacht habe, möchte der Kommissar wissen. „Nichts“, lautet ihre Antwort. Sie öffnet ihre Handtasche und faltet ein Papiertaschentuch auseinander, in dem sich die Kapsel befindet. Kaga stellt das Beweismittel sicher. Nun dreht Kaori Yukizasa den Spieß um und behauptet, sie habe eine von acht vorhandenen Kapseln aus dem Röhrchen genommen, aber später seien nur noch sechs darin gewesen. Naoyuki Suruga gibt zu, dass er ebenfalls eine Kapsel einsteckte und behauptet, sie später weggeworfen zu haben.

Daraufhin mutmaßt Takahiro Kanbayashi, dass er den Erpresserbrief mit der Kapsel von Naoyuki Suruga erhalten habe und berichtet erstmals darüber. Naoyuki Suruga gesteht, der Absender zu sein. Takahiro Kanbayashi hat zwar das Schreiben verbrannt, aber die Kapsel hat er in einer Tüte bei sich.

Auch wenn offenbar die beiden entwendeten Giftkapseln noch vorhanden sind, hält der Kommissar daran fest, dass sich der Mörder unter den Anwesenden befindet.

Bei den Zeugenvernehmungen erfuhr er, dass sich Makoto Hodaka am Vortag der Hochzeit über zwei Kapseln des Schnupfenmittels in seiner leer geglaubten Pillendose wunderte und sie in den Papierkorb warf, weil er glaubte, es könne sich um alte, übersehene Medikamente handeln. Im Papierkorb fand die Polizei dann aber keine Kapseln. Kagas Hypothese: Junko Namioka war es am 17. Mai doch gelungen, zwei Giftkapseln in Makoto Hodakas Pillendose zu legen. Das konnte nur geschehen sein, während sich der Hausherr mit seiner Braut und den Gästen bis auf Takahiro Kanbayashi eine Weile im Obergeschoss aufhielt. Takahiro Kanbayashi könnte in dieser Zeit die Toilette benutzt und dann durch eine angelehnte Tür unbemerkt Junko Namioka beobachtet haben. Später, so der Kommissar weiter, habe Takahiro Kanbayashi die Gelegenheit gehabt, die weggeworfenen Giftkapseln aus dem Papierkorb zu nehmen. Aber wie hätte er Makoto Hodaka das Gift verabreichen können?

Junko Namioka kaufte am 16. Mai ein Röhrchen mit 12 Kapseln des Schnupfen­mittels und ersetzte das Medikament durch Strychninnitrat, das sie in einer Tierklinik gestohlen hatte. Zwei der vergifteten Kapseln schmuggelte sie in Makoto Hodakas leere Pillendose. Makoto Hodaka warf sie am 17. Mai in den Papierkorb und gab sowohl die erneut leere Pillendose als auch ein Röhrchen mit 10 Kapseln des Schnupfenmittels seiner Braut, die am Hochzeitstag eine der Kapseln, die der Bräutigam vor der Zeremonie nehmen wollte, in die Pillendose legte. Eine Pillendose wanderte durch die Hände von Kaori Yukizasa, Eri Nishiguchi und Naoyuki Suruga, bis Makoto Hodaka sie von einem Hotelpagen erhielt.

Über den Verbleib der zwölf von Junko Namioka manipulierten Kapseln hat Kommissar Kaga folgendes herausgefunden: Zwei legte sie heimlich in Makoto Hodakas Pillendose. Der warf sie in den Papierkorb, und Takahiro Kanbayashi holte sie dort wieder heraus. Eine davon mischte er ins Futter einer Katze, um sich zu vergewissern, dass es sich um ein tödliches Gift handelte, die andere behielt er. Mit einer Kapsel nahm Junko Namioka sich das Leben. Die beiden von Kaori Yukizasa und Naoyuki Suruga im Apartment der Toten gestohlenen Kapseln werden jetzt vom Kommissar aufbewahrt. Bei einer weiteren Kapsel war die Befüllung mit Gift nicht gelungen; sie lag zerbrochen auf Junko Namiokas Glastisch. Kaori Yukizasa zählte nach eigener Aussage zuletzt sechs Kapseln in dem Röhrchen, aber Kaga nimmt an, dass es nur fünf waren und entweder Kaori Yukizasa oder Naoyuki Suruga zwei Kapseln gestohlen habe.

Zum Schluss legt der Kommissar Fotos von der Pillendose, dem Medikamenten­röhrchen und Miwako Kanbayashis Handtasche hin. Dazu erklärt er:

„Auf einem der hier abgebildeten Gegenstände befinden sich Fingerabdrücke, die sich zunächst nicht identifizieren ließen. Sie stammen weder von einem von Ihnen noch vom Mordopfer. […]“
Kaga hob langsam den Finger, mit dem er auf die Fotos gezeigt hatte.
„Sie haben nicht die geringste Ahnung, um wessen Abdrücke es sich handelt. Nur einer versteht, wovon ich spreche und was es bedeutet. Und genau diese Person ist Makoto Hodakas Mörder“, sagte Kaga. „Der Mörder sind Sie.“

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Keigo Higashino entwickelt seinen Kriminalroman „Ich habe ihn getötet“ aus drei Perspektiven und lässt abwechselnd Takahiro Kanbayashi, Naoyuki Suruga und Kaori Yukizasa zu Wort kommen. „Ich habe ihn getötet“ erinnert an die Kriminalromane von Agatha Christie, denn es geht nicht um Action, sondern allein um das Whodunit-Rätsel. So wie bei der englischen Schriftstellerin befindet sich auch bei ihrem japanischen Kollegen Keigo Higashino am Ende die Gruppe der Mordverdächtigen in einem Raum. In „Ich habe ihn getötet“ sind es die drei Ich-Erzähler: ein Quantenphysiker, der Manager des ermordeten Autors und eine Lektorin. Der Kommissar breitet systematisch die Indizien vor ihnen aus, achtet auf ihre Reaktionen und zieht seine Schlussfolgerungen daraus, bis er keinen Zweifel mehr daran hat, wer der Mörder ist und auf ihn deutet.

Auf wen er deutet, erfahren wir allerdings nicht, denn das Besondere an „Ich habe ihn getötet“ ist, dass Keigo Higashino den Leserinnen und Lesern eine Auflösung vorenthält. Stattdessen fügt er einen Dialog des emeritierten Professors Shinta Nishigami mit einem Assistenten an, der von Keigo Higashinos Verlag den Auftrag bekam, Erläuterungen zu dem Kriminalroman „Ich habe ihn getötet“ zu schreiben, den auch Shinta Nishigami bereits gelesen hat.

Bei der „Anleitung zur Lösung“ geht es vor allem um Makoto Hodakas Schnupfenmittel und die von Junko Namioka vergifteten Kapseln, aber Professor Shinta Nishigami kommt zu dem Schluss, dass sich der Fall nicht durch den Verbleib der Kapseln klären lasse. Aus irgendeinem Grund glaubt er zu wissen, dass sich die Fingerabdrücke, von denen Kommissar Kaga zuletzt spricht, auf einer Pillendose befinden und von Makoto Hodakas geschiedener Frau stammen, von der wir bereits wissen, dass sie genau die gleiche Pillendose wie ihr Ex-Mann besitzt.

„Und nun der letzte und wichtigste Punkt. Es gibt einen Abschnitt, der auf die Person hinweist, die die Gelegenheit hatte, nicht die Kapsel, sondern die Pillendosen zu vertauschen.“

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger

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