Bohumil Hrabal : Ich dachte an die goldenen Zeiten

Ich dachte an die goldenen Zeiten
Originalausgabe: Proluky, 1986 Ich dachte an die goldenen Zeiten Übersetzung: Susanna Roth Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1999 Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 76, München 2007, 164 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

"Der Herr Gemahl ist ein lustiger Kerl", sagt eine Mitreisende zu Eliška. "Sie erleben wohl so allerlei mit ihm, nicht wahr?" – Der autobiografische Roman "Ich dachte an die goldenen Zeiten" besteht aus einer lockeren Folge von selbstironischen Schnurren und Anekdoten aus den 60er-Jahren.
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Kritik

Das Besondere an dem Roman "Ich dachte an die goldenen Zeiten" ist, dass Bohumil Hrabal aus der Sicht seiner Ehefrau Eliška erzählt.
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„Kleinod“ nennt Eliška („Pipsi“) ihren Ehemann Bohumil Hrabal. Sie hat es nicht leicht mit ihm, denn er ist ein Tollpatsch und betrinkt sich häufig. Als 1963 der Vorabdruck seines ersten Buches – eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel „Perlchen auf dem Grunde“ – auf sich warten lässt, dreht er beinahe durch und droht sich umzubringen, bis Eliška im Paradekleid und mit roten Schuhen zum Verlag in Prag läuft und das Exemplar abholt. Auf dem Nachhauseweg geht sie damit zu der Altstoff-Sammelstelle, in der ihr Mann vier Jahre lang Altpapier gepackt hatte. Sie zeigt es der Leiterin, die Bohumil entlassen hatte und dem Kaderreferenten, der ihn einen Drückeberger genannt hatte, weil er ein Stipendium vom Literaturfonds des Schriftstellerverbandes erhalten und nur noch halbtags gearbeitet hatte.

Als sie kurz darauf für zwei Wochen zu ihrem Bruder Karel und ihrer Schwägerin nach Wien fährt, erscheint Bohumil Hrabal kurz vor der Abfahrt angetrunken auf dem Bahnsteig und schwenkt ein Einkaufsnetz voller Geldscheine: Es handelt sich um 10 000 Kronen Vorschuss für „Perlchen auf dem Grunde“. Als der Zug sich in Bewegung setzt, sagt eine Mitreisende, die den Auftritt mit ansah, zu Eliška:

„Der Herr Gemahl ist ein lustiger Kerl; Sie erleben wohl so allerlei mit ihm, nicht wahr?“ (Seite 10)

Zu Beginn ihrer Ehe brachte Eliška, die als Serviererin im Grill des Hotels Palace in Prag arbeitete, Essen im Henkelmann mit nach Hause. Sie hatte sich bewährt und erhielt sogar das Portemonnaie zum Kassieren anvertraut. Als der Hoteldirektor jedoch seine Geliebte einstellte und von Eliška verlangte, ihr das Portemonnaie zu überlassen, kündigte sie und fing eine Woche später in einer Altstoff-Sammelstelle zu arbeiten an, wo nach der Niederschlagung des Prager Frühlings Lastwagenladungen verfemter Bücher angeliefert wurden.

Im Lauf der Ehe hat Eliška ihren Mann ganz gut kennen gelernt. Sie sagt beispielsweise über ihn:

Mein Mann sagte gern von sich, sein Charakter ändere sich mehrmals am Tag. (Seite 55)

[…] dass er unendlich von seiner Umgebung abhängig war, denn so wie die Zeit sich änderte, veränderte sich auch mein Mann. (Seite 60)

Kaum betraten wir irgendein Restaurant, kaum waren wir in einer Gesellschaft gut gekleideter Leute, die sich zu benehmen, zu essen und Konversation zu führen wussten, da wurde mein Mann blass und vollbrachte lauter Fehlleistungen, er lief rot an, stotterte und kam erst wieder zu sich, als wir im Freien waren, er kam angesichts dieser untadeligen Menschen immer fürchterlich ins Schwitzen. (Seite 17f)

Von ihrer Schwiegermutter erfährt Eliška, dass Bohumil unehelich geboren wurde.

„Ich, ich hab dieses Söhnchen nämlich bekommen, als ich noch ledig war … Das war damals noch eine Schande … Ich erinnere mich, es war an einem Sonntag, die Mutter bereitete das Mittagessen zu, und ich sagte zu meinem Vater, ich bin schwanger und er will mich noch nicht heiraten … und mein jähzorniger Vater packte mich an der Schulter, warf mich zu Boden und schleifte mich auf den Hof hinaus, dann holte er seine Jagdflinte und schrie … Hinknien, ich werd dich erschießen! Und ich erschrak ganz fürchterlich und faltete die Hände … Doch da kam meine weise Mutter heraus und sagte zu uns … Lasst das, kommt essen, es wird sonst kalt …“ (Seite 41)

„[…] diese Schwangerschaft erschreckte mich so sehr, dass ich wie gelähmt von dieser ersten Liebe war, ich verging fast, wollte diese erste Liebe aber nicht mit einem Kind im Bauch erleben, ich schämte mich, brach zusammen […] Aber meine erste Liebe ließ mich sitzen, und ich schämte mich und war entsetzt, damals zu Österreichs Zeiten war es eine Schande, als Ledige ein Kind zu haben, und dieses Kind hat im Grunde genommen mein Schicksal geteilt, denn diese Angst vor der Liebe, dieses Entsetzen, diese Erniedrigung, aus der ich mir nicht herauszuhelfen wusste, hat sich auf mein Kind übertragen, fast mein Leben lang ist meine erste Liebe auch meine Schuld geblieben, deshalb ist mein Sohn wegen seiner ersten Liebe zusammengebrochen, darum hat er sich im Zimmer eingeschlossen und seine ersten Verse getippt, nur so hat er ein wenig Ruhe gefunden, und seine ersten Verse, seine ersten Büchlein waren wie seine Liebe zu Georgine, er schämte sich dieser Verse, er errötete, wenn er sie schüchtern jemandem zeigte, genauso war es, wenn er jemandem sein Mädchen vorstellen sollte, mit dem er schon ein Jahr lang ging, und das Gleiche geschah, wenn er sie zu uns mitbrachte, vier Jahre ging er schon mit Georgine und schämte sich, nicht ihretwegen, er schämte sich für die Liebe zu ihr […]“ (Seite 62)

Von dem Geld, das Bohumil Hrabal für seine Bücher bekommt, kauft das Ehepaar ein Wochenendhaus in den Wäldern von Kersko und ein Auto. Sofort nach der Hochzeit hatte sich Eliška für eine Genossenschaftswohnung angemeldet und eine Anzahlung geleistet. Sie war in einer Villa mit dreizehn Zimmer aufgewachsen und leidet darunter, jetzt nachts über den Hof zur Toilette laufen zu müssen. Endlich teilt man ihr mit, die neue Wohnung in einem dreizehnstöckigen Plattenbau in Sokolníky am Stadtrand von Prag sei bezugsfertig.

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Der Roman „Ich dachte an die goldenen Zeiten“ (auch: „Baulücken“), den Bohumil Hrabal 1986 veröffentlichte („Proluky“), bildet zusammen mit „Svatby v domé“ (1987, „Hochzeiten im Haus“) und „Vita nuova“ (1987, „Das neue Leben“) eine autobiografische Trilogie.

„Ich dachte an die goldenen Zeiten“ besteht aus einer lockeren Folge von selbstironischen Schnurren und Anekdoten aus den Sechzigerjahren. Das Besondere daran ist, dass Bohumil Hrabal über sich selbst und andere – etwa den Besuch Heinrich Bölls in Prag zur Zeit des Prager Frühlings und dessen Niederschlagung – aus der Sicht seiner Ehefrau Eliška erzählt.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

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