Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd

Originaltitel: Neue Vahr Süd – Regie: Hermine Huntgeburth – Drehbuch: Christian Zübert, nach dem Roman "Neue Vahr Süd" von Sven Regener – Kamera: Sebastian Edschmid – Schnitt: Eva Schnare – Musik: Jakob Ilja – Darsteller: Frederick Lau, Eike Weinreich, Miriam Stein, Johannes Klaußner, Robert Gwisdek, Albrecht Schuch, Daniel Michel, Ulrich Bähnk, Margarita Broich, Simon Finkas, Christoph Jöde, Patrick Joswig, Jan-Peter Kampwirth, Johannes Kienast, Ulrich Matthes, Hinnerk Schönemann u.a. – 2010; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Frank Lehmann wohnt noch bei seinen Eltern in dem Bremer Neubauviertel Neue Vahr Süd. Weil er es versäumt hat, den Kriegsdienst zu verweigern, muss er zur Bundeswehr. Militärisches Auftreten liegt ihm jedoch gar nicht. An seinem ersten freien Wochenende überwirft er sich mit den Eltern und zieht in die WG früherer Mitschüler, die gegen das feierliche Gelöbnis im Weserstadion demonstrieren wollen. Mit den utopistischen Parolen kann Lehmann auch nichts anfangen. Es fällt ihm schwer, seinen Weg zu finden ...
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Kritik

Für die Verfilmung haben Christian Zübert und Hermine Huntgeburth aus dem Roman "Neue Vahr Süd" von Sven Regener eine tragikomische Coming-of-Age-Story destilliert. Die Dialoglastigkeit fällt aufgrund der temporeichen Inszenierung gar nicht auf.
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Bremen 1980. Frank Lehmann (Frederick Lau) hat gerade eine Lehre als Speditionskaufmann abgeschlossen. Er wohnt noch bei seinen Eltern (Ulrich Bähnk, Margarita Broich) im Neubauviertel Neue Vahr Süd. Sein vier Jahre älterer Bruder Manfred („Manni“) ging vor einiger Zeit nach Berlin und versucht sich dort als Objektkünstler.

Weil Frank es aufgrund seiner Antriebs- und Orientierungslosigkeit versäumt hat, den Wehrdienst rechtzeitig zu verweigern, muss er sich in der Niedersachsen-Kaserne in Dörverden/Barme zur Grundausbildung als Pionier melden.

Dort lernt er als Erstes, dass er Antworten auf Fragen des Hauptfeldwebels Tietz (Hinnerk Schönemann) mit „Herr Hauptfeldwebel“ zu beenden hat und selbst nicht mehr Lehmann, sondern „Pionier Lehmann“ heißt.

Als Frank am ersten Wochenende nach Hause kommt, steht mitten in seinem Zimmer ein großes Fernsehgerät. Sein Vater erklärt beim Abendessen, er versuche, den Fernseher von Tante Helga zu reparieren. Es kommt zum Streit, und Frank zieht in die Wohngemeinschaft, die sich sein früherer Schulfreund Martin Klapp (Eike Weinreich) gerade zusammen mit seinen Kommilitonen Ralf Müller (Johannes Klaußner) und Achim Schwarz (Robert Gwisdek) einrichtet.

In der zweiten Woche bei der Bundeswehr steht die Wahl eines Vertrauensmannes auf der Tagesordnung. Der Spieß (Hans-Martin Stier) teilt den Rekruten Baumann (Simon Finkas) als Wahlleiter ein. Da keiner der Anwesenden Vertrauensmann werden möchte, schlägt jemand Baumann als Kandidaten vor. Der sträubt sich, aber der Spieß bringt ihn dazu, sich zu fügen. Da es bei einer ordentlichen Wahl mindestens zwei Kandidaten geben muss, stellt die Versammlung auch Frank Lehmann, der gerade den Standortpfarrer (Raphael Traub) mit ungewohnten Fragen ärgerte, gegen seinen Willen als Kandidaten auf. Und er kann nicht verhindern, dass er zum Vertrauensmann gewählt wird.

Kurz darauf muss er sich beim Kompaniechef (Ulrich Matthes) melden. Der Rekrut Reinboth (Josef Mattes) musste nach dem letzten Wochenende von den Feldjägern in die Kaserne zurückgeholt werden. Der neue Vertrauensmann soll dazu eine Stellungnahme abgeben, bevor der Hauptmann eine Disziplinarstrafe gegen Reinboth verhängt. Reinboth weigert sich jedoch, mit Frank zu reden.

Am nächsten Wochenende feiern die Bewohner der Wohngemeinschaft eine Einweihungsparty. Bei dieser Gelegenheit sieht Frank eine Studentin wieder, die er kürzlich als Anhalterin mitnahm. Sibille (Miriam Stein), so heißt sie, bringt ihre Mitbewohnerin Birgit (Rosalie Thomass) mit. Nachdem kräftig getrunken wurde, folgt Birgit Frank auf allen Vieren in dessen Zimmer und in dessen Bett, aber bevor sie sich ausziehen können, übergibt sie sich.

Frank gibt die angeforderte Stellungnahme ab. Da erfährt er, dass Reinboth nach einem Selbstmordversuch mit Schlaftabletten im Krankenrevier liegt.

Als Frank wieder frei hat, findet er in seiner Kammer Wolfgang („Wolli“) Grabe (Daniel Michel) vor. Den haben die anderen inzwischen in die WG aufgenommen, weil Frank von Montag bis Freitag ohnehin nicht da ist. Am Wochenende müssen sie sich irgendwie arrangieren.

Auf der Straße trifft Frank zufällig Birgit. Sie nimmt ihn mit in die Wohnung, die sie sich mit Sibille teilt. Schon im Flur reißen sie sich die Klamotten vom Leib, aber als sie in Birgits Zimmer das Licht anknipsen, liegt deren Freund im Bett. Er wollte Birgit überraschen. Nun verpasst er Frank ein blaues Auge.

Dieses Indiz für eine Prügelei liefert der Kommission, die über Franks nachträglichen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu entscheiden hat, das Argument für die Ablehnung.

Frank schläft mit Sibille, und sie verabreden sich für den Abend beim Jugoslawen. Bevor der Wirt (Bohdan Artur Swiderski) das Essen serviert, gesteht Sibille, sie habe einen alten Bekannten wiedergetroffen und festgestellt, dass sie ihn noch immer liebt. Frank bleibt enttäuscht zurück.

Martin, der Sibille für sich gewinnen möchte, sah die beiden durchs Fenster im Restaurant sitzen, bekam jedoch Sibilles Aufbruch nicht mehr mit. Deshalb überredet er die übrigen Mitglieder der WG, Frank hinauszuwerfen. Der ruft daraufhin seinen als Schläger gefürchteten früheren Mitschüler Harry (Albrecht Schuch) an, von dem er weiß, dass er eine Unterkunft sucht und erzählt ihm, sein Platz in der WG sei gerade frei geworden und die Mitbewohner würden ihn gern aufnehmen. Mit Harry zusammen kehrt Frank in die WG zurück und packt seine Sachen, während Martin und die anderen es nicht wagen, sich gegen Harrys Einzug zu wehren.

Frank weiß, dass Sibille, Martin und die anderen eine Demonstration gegen das feierliche Gelöbnis der Rekruten im Bremer Weserstation planen. Nicht zuletzt auch deshalb weigert er sich, es abzulegen, aber der Kompaniechef teilt ihn daraufhin als Fackelträger ein.

Hauptfeldwebel Tietz rückt mit den Fackelträgern an. Sie werden von Demonstranten angegriffen. Der Hauptfeldwebel, der als einziger der Soldaten keinen Stahlhelm trägt, wird von einem Stein am Kopf getroffen und geht zu Boden. Nach kurzer Zeit unterstützt eine Polizeieinheit die Rekruten. In dem Kampfgetümmel setzt Frank einem verletzten Demonstranten seinen Stahlhelm auf, damit dieser entkommen kann. Dann ruft er einen Sanitäter zu Hauptfeldwebel Tietz. Aus dem Erste-Hilfe-Koffer stiehlt er ein Röhrchen Schlaftabletten. Davon schluckt er ein halbes Dutzend und legt sich auf eine Treppe des Stadions.

Im Krankenhaus kommt er wieder zu sich.

Die Bundeswehr entlässt ihn.

Daraufhin fährt Frank Lehmann zu seinem Bruder nach Berlin.

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Das Besondere an dem Roman „Neue Vahr Süd“ von Sven Regener sind die Dialoge. In den tragikomischen, mitunter absurden Gesprächen und den Selbstreflexionen des orientierungslosen Protagonisten Frank Lehmann liegt der Witz des melancholischen Romans. Sven Regener hielt es für unmöglich, das zu verfilmen, aber Christian Zübert (Drehbuch) und Hermine Huntgeburth (Regie) haben es gewagt, übrigens ohne Mitarbeit des Schriftstellers. „Macht ihr das mal“, habe er gemeint, erzählt Hermine Huntgeburth in einem Interview.

Im Film werden die politischen Positionen der Studenten nicht so deutlich wie in der literarischen Vorlage herausgearbeitet. Auf das von Sven Regener entworfene Panorama der Denk- und Lebensweise junger Leute zu Beginn der Achtzigerjahre lassen sich Christian Zübert und Hermine Huntgeburth auch nicht ein. Stattdessen haben sie aus 585 Seiten Monologen und Dialogen eine tragikomische Coming-of-Age-Story destilliert.

Im Mittelpunkt steht Frank Lehmann, ein junger Mann, der aufgrund seiner Orientierungs- und Antriebslosigkeit vergisst, rechtzeitig einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu stellen und zum Wehrdienst eingezogen wird. Damit sitzt er zwischen den Stühlen: In der Kaserne kann und will er sich nicht an den Befehlston gewöhnen, und wenn er am Wochenende in der WG seiner früheren Mitschüler ist, gehört er auch nicht dazu, denn mit den utopistischen Parolen kann er nichts anfangen, zumal der radikalste Kommunist seine Mitbewohner skrupellos ausbeutet. Lehmann fällt es schwer, seinen Weg zu finden und erwachsen zu werden. Ohne es zu wollen, eckt er überall an, und bei der Vorbereitung des feierlichen Gelöbnisses im Bremer Weserstadion gerät er endgültig zwischen die Fronten.

Dass der Film „Neue Vahr Süd“ dialoglastig ist, fällt aufgrund der temporeichen Inszenierung gar nicht auf. Ein paar Klischees stören auch nicht weiter. Die Tragikomödie ist ausgesprochen unterhaltsam. Den Tiefgang des Buches weist sie allerdings nicht auf. Hervorzuheben ist Frederick Lau, der die undankbare Rolle des Frank Lehmann recht überzeugend spielt.

Übrigens kam es bei einem Bundeswehr-Gelöbnis am 6. Mai 1980 im Weserstadion in Bremen tatsächlich zu Gewalttätigkeiten zwischen Demonstranten und der Polizei.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010

Sven Regener: Neue Vahr Süd

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Walter Kempowski hat einige Tage zwischen Juni 1941 und Mai 1945 herausgegriffen und dazu Collagen aus privaten und offiziellen Dokumenten zusammengestellt. "Das Echolot" ist ein polyphoner Stimmenchor, eine aus tausend authentischen Perspektiven erzählte Geschichte.
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