Ilse Aichinger


Ilse Aichinger und ihre Zwillingsschwester Helga wurden am 1. November 1921 als Töchter einer jüdischen Ärztin und eines nichtjüdischen Lehrers in Wien geboren. Sie wuchsen jedoch nicht in Wien, sondern in Linz auf. Erst als der Vater sich von der Familie trennte und sich scheiden ließ, um seine berufliche Karriere nicht zu gefährden, zog die Mutter mit den Kindern wieder nach Wien, wo Ilse Aichinger meistens bei ihrer jüdischen Großmutter bzw. in Internaten lebte. Im März 1938 marschierten die Nationalsozialisten in Österreich ein. Ilses Mutter musste ihre Wohnung verlassen und durfte ihren Beruf nicht mehr ausüben. Helga emigrierte am 4. Juli 1939 mit einem Kindertransport nach England; die übrigen Familienmitglieder wollten ihr folgen, aber der Kriegsbeginn am 1. September vereitelte ihr Vorhaben.

Da eine Halbjüdin in der Regel nicht in ein Konzentrationslager gesperrt wurde, solange sie für ein unmündiges Kind sorgte, blieb Ilses Mutter bis 1942 unbehelligt. In diesem Jahr deportierten die Nationalsozialisten Ilses jüdische Großmutter und die Geschwister ihrer Mutter in ein Vernichtungslager. Ihre Mutter versteckte sich in Wien. Das nach dem Abitur angestrebte

Medizinstudium blieb Ilse Aichinger aus „rassischen“ Gründen verwehrt.

Erst nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft konnte Ilse Aichinger ein Medizinstudium beginnen. Aber sie brach das Studium nach fünf Semestern ab, wurde Lektorin beim S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main und engagierte sich als Assistentin von Inge Aicher-Scholl (1917 – 1998) beim Aufbau der Hochschule für Gestaltung in Ulm.

1948 veröffentlichte Ilse Achinger ihren einzigen Roman: „Die größere Hoffnung“. 1951 nahm sie erstmals an einer Tagung der „Gruppe 47“ teil, zu der auch der Lyriker und Hörspielautor Günter Eich (1907 – 1972) gehörte. Zwei Jahre später heirateten die beiden Schriftsteller. Ihre beiden Kinder wurden 1954 (Clemens) bzw. 1957 (Mirjam) geboren.

Günter Eich starb am 20. Dezember 1972. Die Witwe zog nach dem Tod ihrer Mutter 1984 von Großgmain bei Salzburg nach Frankfurt am Main und fünf Jahre später wieder nach Wien

Ilse Aichinger unterzeichnete 1996 die Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform und verbot es, die neue Rechtschreibung auf ihre Texte anzuwenden.

Am 22. Februar 1998 kam ihr 33 Jahre alter Sohn Clemens Eich bei einem Unfall in Wien ums Leben.

Ilse Achinger starb am 11. November 2016 in Wien.

© Dieter Wunderlich 2005

Ilse Aichinger: Die größere Hoffnung

Reinhard Kaiser-Mühlecker - Wilderer
Die karge, realistische Darstellung täuscht über die Komplexität und Ambivalenz des Geschehens hinweg. Man könnte von einem wuchtigen Entwicklungsroman sprechen, denn der Erzähler bleibt dicht bei der schwierigen Hauptfigur, folgt den Fehlschlägen, dem Aufschwung und dem Zusammenbruch. Erst auf den letzten Seiten des Romans "Wilderer" lässt uns Reinhard Kaiser-Mühlecker das ganze Ausmaß der Tragödie erkennen.
Wilderer