John Demjanjuk


John Demjanjuk wurde am 3. April 1920 in Dubowi Macharynzi, einem Dorf im Westen der Ukraine, geboren und hieß eigentlich Iwan Mykolajowytsch Demjanjuk. Nach vier Jahren Schule arbeitete er in einer Kolchose, bis ihn die Rote Armee 1940 einzog. Im Mai 1942 geriet Iwan Demjanjuk auf der Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft, und im Juni kam er ins Kriegsgefangenenlager bei Chelm, östlich von Lublin. Nach seiner eigenen Aussage blieb er dort bis Oktober 1944 und kämpfte dann mit der Wlassow-Armee auf deutscher Seite gegen die Rote Armee. Die Münchner Staatsanwaltschaft wirft Demjanjuk dagegen vor, er habe sich in Lublin als „fremdvölkischer Hilfswilliger“ registrieren lassen und nach einer kurzen Ausbildung zunächst jüdische Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft bewacht. Von März bis September 1943 sei er von den Deutschen als Wachmann im Vernichtungslaer Sobibor, danach im KZ Flossenbürg eingesetzt worden.

Im Mai 1945 meldete sich Iwan Demjanjuk in einem US-Lager für Displaced Persons in Landshut. Seine ukrainische Ehefrau Wera, die er in diesem oder einem anderen DP-Lager kennengelernt hatte, gebar am 7. April 1950 in Ulm ihr erstes Kind, eine Tochter, die den Namen Lydia bekam. Die Familie schiffte sich am 29. Januar 1952 in Bremerhaven auf der USS „General W. G. Haan“ ein und emigrierte in die USA (Ankunft am 9. Februar). Iwan Demjanjuk änderte seinen Vornamen in John. Die Demjanjuks, die später noch zwei weitere Kinder bekamen, lebten zunächst in Indiana und ließen sich dann endgültig in Seven Hills nieder, einer Trabantenstadt von Cleveland, Ohio, wo John Demjanjuk als Mechaniker bei Ford anfing.

Am 14. November 1958 wurde John Demjanjuk eingebürgert. Als jedoch 1977 eine Kopie seines Dienstausweises auftauchte und sich herausstellte, dass er seine Tätigkeit als Kapo in Vernichtungslagern verschwiegen hatte, nahm man ihm 1981 den amerikanischen Pass wieder ab.

1983 beantragte Israel seine Auslieferung, und die USA entsprachen dem Antrag am 28. Februar 1986. Ab 25. Februar 1987 musste sich John Demjanjuk vor einem Gericht in Jerusalem verantworten. Dov Levin leitete die Verhandlungen. Aufgrund von Zeugenaussagen hielt man den Angeklagten für einen in Treblinka unter dem Namen „Iwan der Schreckliche“ berüchtigten ukrainischen Kapo. John Demjanjuk beteuerte dagegen, er sei nur ein einfacher Kriegsgefangener gewesen. Gegen das Todesurteil vom 25. April 1988 legte er Berufung ein.

Als nach der Auflösung des Ostblocks Nachforschungen in der ehemaligen UdSSR möglich wurden, stießen die Ermittler auf Aussagen, denen zufolge „Iwan der Schreckliche“ in Treblinka nicht Demjanjuk, sondern Martschenko hieß. Der Oberste Gerichtshof in Israel hob das Urteil gegen John Demjanjuk deshalb am 29. Juli 1993 auf und sprach ihn frei. Nach sieben Jahren Haft in Israel kehrte er in die USA zurück und bekam im Februar 1998 auch die Staatsbürgerschaft zurück.

Im Juni 2004 wurde sie ihm erneut genommen, denn inzwischen war ein Gericht zu dem Schluss gekommen, dass John Demjanjuk nacheinander in mehreren Lagern der Nationalsozialisten als Hilfswilliger gedient hatte. Gegen die Entscheidung rief John Demjanjuk den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten an, aber der lehnte die Berufung im November 2004 ab.

Als die USA John Demjanjuk Ende Dezember 2005 in die Ukraine abschieben wollten, wehrte er sich dagegen mit juristischen Mitteln und behauptete, in der Ukraine drohe ihm Folter. Das Board of Immigration Appeals hielt die Entscheidung jedoch am 22. Dezember 2006 aufrecht, und Demjanjuks Bemühungen scheiterten am 19. Mai 2008 auch vor dem Supreme Court.

Einen Monat später, am 19. Juni 2008, wurde bekanntgegeben, dass Deutschland Demjanjuks Auslieferung beantragen werde. Die Zentrale Stelle der

Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen führte gegen John Demjanjuk ein Vorermittlungsverfahren durch. Aufgrund der Ergebnisse warf ihm die Münchner Staatsanwaltschaft vor, zwischen März und September 1943 als Aufseher im Lager Sobibor an der Ermordung von mindestens 29 000 Gefangenen beteiligt gewesen zu sein. Das Bayerische Landeskriminalamt bestätigte im Februar 2009 die Echtheit eines in den USA sichergestellten SS-Dienstausweises, demzufolge John Demjanjuk als Wachmann im NS-Vernichtungslager Sobibor eingesetzt worden war. Die Staatsanwaltschaft München I beantragte daraufhin am 11. März 2009 einen internationalen Haftbefehl gegen Demjanjuk, um dessen Auslieferung zu veranlassen.

Das von John Demjanjuk am 30. April 2009 angerufene Verwaltungsgericht in Berlin wies seinen Einspruch am 6. Mai zurück. Auch juristische Schritte in den USA scheiterten am 7. Mai endgültig vor dem Supreme Court.

Am 11./12. Mai 2009 wurde der Neunundachtzigjährige in einem Ambulanzflugzeug von Cleveland nach München transportiert und dort in die Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt Stadelheim gebracht. (Der Bundesgerichtshof hatte das Landgericht München II am 9. Dezember 2008 für zuständig erklärt.) Nach mehreren ärztlichen Untersuchungen hielt man John Demjanjuk für verhandlungsfähig.

Die von ihm eingereichte Verfassungsbeschwerde über die Auslieferung aus den USA wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Staatsanwaltschaft München I erhob am 13. Juli 2009 formal Anklage gegen John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 27 900 Fällen. Am 30. November begann der Prozess unter dem Vorsitzenden Richter Ralph Alt. Das Gericht verurteilte John Demjanjuk am 12. Mai 2011 wegen Beihilfe zum Mord in 27 900 Fällen zu fünf Jahren Haft. Paradoxerweise wurde zugleich der Haftbefehl gegen den Einundneunzigjährigen aufgehoben. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig.

John Demjanjuk starb am 17. März 2012 in einem Pflegeheim in Bad Feilnbach.

Der Fall John Demjanjuk soll Joe Eszterhas (Drehbuch) und Costa-Gavras (Regie) zu dem Film „Music Box. Die ganze Wahrheit“ angeregt haben. Philip Roth wählte den Prozess gegen John Demjanjuk in Jerusalem als Hintergrundszenerie seines Romans „Operation Shylock. Ein Bekenntnis“. Und der kanadisch-jüdische Autor Jonathan Garfinkel schrieb das Stück „The Trials of Demjanjuk“, das 2004 in Kanada uraufgeführt wurde. Für die deutsche Erstaufführung am 31. März 2010 am Theater Heidelberg unter dem Titel „Die Demjanjuk-Prozesse“ aktualisierte Jonathan Garfinkel das „Holocaust-Cabaret“ (Inszenierung: Catja Baumann).

© Dieter Wunderlich 2010/2012

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