Der Mann ohne Vergangenheit

Der Mann ohne Vergangenheit

Der Mann ohne Vergangenheit

Der Mann ohne Vergangenheit - Originaltitel: Mies vailla menneisyyttä - Regie: Aki Kaurismäki - Drehbuch: Aki Kaurismäki - Kamera: Timo Salminen - Schnitt: Timo Linnasalo - Musik: Ken Yokoyama - Darsteller: Markku Peltola, Kati Outinen, Juhani Niemelä, Kaija Pakarinen, Sakari Kuosmanen, Annikki Tähti u.a. - 2002; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Ein Mann wird überfallen und halb tot geschlagen. Er verliert dadurch seine Existenz, aber er behält seinen Lebenswillen und richtet sich in einer Asozialensiedlung am Rand von Helsinki ein. Ohne zu klagen oder mehr als das gerade Verfügbare zu verlangen, geht er seinen Weg und begegnet dabei der Liebe seines Lebens.
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Kritik

Aki Kaurismäki bildet die Wirklichkeit nicht naturalistisch ab, sondern er stellt sie in einer minimalistischen und skurrilen Verzerrung dar. Das gilt auch für die lakonischen Dialoge in "Der Mann ohne Vergangenheit".
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Ein Mann mittleren Alters (Markku Peltola) steigt in Helsinki aus dem Zug, setzt sich auf eine Bank und stellt seinen Koffer neben sich. Er raucht eine Zigarette und nickt ein wenig ein. Drei junge Männer schleichen sich von hinten heran. Einer schlägt den Reisenden mit einem Baseballschläger in den Rücken, sodass dieser auf den Boden kippt, ohne auch nur die Augen geöffnet zu haben. Die Vandalen nehmen ihrem Opfer die Brieftasche ab und durchwühlen seinen Koffer, bevor sie den bewusstlos am Boden Liegenden halb tot schlagen und treten.

Aber der Mann ist zäh. Blutüberströmt taumelt er in die Bahnhofstoilette, wo ihn ein Wachmann findet und ins Krankenhaus bringen lässt. Dort erklärt der Arzt ihn für tot, und die Schwester breitet das Leichentuch über ihn aus.

Ein paar Minuten später erhebt der Mann sich mit einem Ruck, richtet seine gebrochene Nase gerade, schlüpft in seine Hose und verlässt das Krankenhaus wie in Trance. Am Rand einer Wellblechbaracken-Siedlung bricht er zusammen. Zwei kleine Jungen finden ihn. Deren Eltern (Juhani Niemelä, Kaija Pakarinen) holen den Unbekannten in ihre Baracke und pflegen ihn gesund.

Schließlich beginnt er, wieder zu sprechen, aber er kann sich nur noch vage an eine Zugfahrt erinnern, weiß weder wie er heißt, noch woher er kommt und was er von Beruf war: Er hat sein Gedächtnis verloren.

Am Freitag stellt der Gastgeber sich unter seine selbst gebaute Dusche, zieht einen Anzug an und sagt zu dem Genesenen: „Heute gehen wir auswärts essen.“ Dann nimmt er ihn mit zur Suppenausgabe der Heilsarmee. Dort begegnet der Mann ohne Vergangenheit einer nicht mehr jungen und nicht besonders attraktiven Frau. Als sie ihn erblickt, hält sie kaum merklich mit der Schöpfkelle inne. Es ist Liebe auf den ersten Blick, aber die beiden lassen sich nichts anmerken. Die Heilsarmee-Angehörige gibt dem Fremden eine Adresse, wo Kleiderspenden an Bedürftige verteilt werden.

Ohne zu klagen, versucht der Mann ein neues Leben anzufangen. Beim Sozialamt wird er abgewiesen: Ohne Namen und Versicherungsnummer gibt es hier weder Arbeitsvermittlung noch Unterstützung. „Drogen bekommen Sie auf der Straße“, meint der eigens hinzugezogene Abteilungsleiter.

In einer Gaststätte erbittet er eine kostenlose Tasse heißes Wasser, setzt sich und holt einen Teebeutel aus der Jacke. Mitleidig bringt die Wirtin ihm ein Essen, das er auch nicht zu bezahlen braucht.

Danach geht er zur Heilsarmee. Die Frau von der Essensausgabe, die ihm die Adresse gab, sucht ihm Hemd, Hose und Jackett heraus und besorgt ihm eine Hilfstätigkeit. Erst auf mehrmaliges Fragen verrät die scheue Frau ihm ihren Namen. Sie heißt Irma (Kati Outinen).

Da er nun ein bisschen Geld verdient, kann er sich in der Asozialen-Siedlung am Stadtrand in einem leer stehenden Container einrichten, obwohl der feiste Besitzer Attila (Sakari Kuosmanen) dafür eine unverschämt hohe Miete verlangt und der neue Bewohner erst einmal den Müll hinausschaffen muss. Vor dem Container pflanzt er eine Hand voll Kartoffeln.

Als er ein Konto eröffnen will, wird er Zeuge eines Banküberfalls: Ein Mann mit einem Gewehr zwingt die einzige Angestellte, den Tresorraum zu öffnen und ihm eine bestimmte Summe abzuzählen. Bevor der Räuber damit flieht, sperrt er die Kassiererin und den Kunden ein, aber durch die Zertrümmerung des Sprinklers löst die Bankangestellte Alarm aus. Die Polizei verdächtigt den Unbekannten, der sich nicht ausweisen kann und bei der Vernehmung keine persönlichen Angaben macht, der Komplizenschaft. Aber ein von der Heilsarmee bestellter Anwalt verhindert, dass er eingesperrt wird.

Kurz darauf trifft er den Bankräuber zufällig wieder. Der Mann erzählt ihm, er sei Bauunternehmer. Weil ihm die Bank die Kredite kündigte und die Konten sperrte, konnte er seinen Arbeitern die ihnen zustehenden Löhne nicht ausbezahlen. Deshalb holte er sich sein Guthaben bei der Bank durch den Überfall. Er vertraut seinem Gegenüber die bereits abgezählten Summen für die einzelnen Arbeiter an und erschießt sich, sobald dieser losgegangen ist, um den Arbeitern das Geld zu überbringen.

Die Zeitungen berichten über den Banküberfall. Anhand des Fotos erkennt eine Frau weiter oben im Norden Finnlands ihren Mann wieder, der vor einiger Zeit nach Helsinki fuhr, weil sie sich von ihm trennen wollte. Sie hatte ihn nicht als vermisst gemeldet.

Der Mann möchte lieber bei Irma bleiben, aber sie hält die Ehe für etwas Heiliges und schickt ihn zu seiner Frau.

Die unterrichtet ihn nach seiner Ankunft darüber, dass die Scheidung inzwischen rechtskräftig geworden ist und sie mit einem anderen Partner zusammen lebt.

Also kehrt der Mann ohne Vergangenheit wieder zu Irma nach Helsinki zurück.

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Ein Mann wird überfallen und halb tot geschlagen. Er verliert dadurch seine Existenz, aber er behält seinen Lebenswillen und richtet sich in einer Asozialensiedlung am Rand von Helsinki ein. Ohne zu klagen oder mehr als das gerade Verfügbare zu verlangen, geht er seinen Weg. In „Der Mann ohne Vergangenheit“ hält Aki Kaurismäki nicht nur der auf hohem Niveau klagenden Gesellschaft den Spiegel vor, sondern er kritisiert auch die unbarmherzige Bürokratie, für die ein Mensch nur eine Nummer ist. Er trägt seine Anklage jedoch nicht klassenkämpferisch vor, sondern zeigt auch einen rechtschaffenen Bauunternehmer, der selbst zum Opfer des rücksichtslosen Systems wird. Hoffnungslos ist die Kaurismäki-Welt nicht. Der Bauunternehmer erschießt sich zwar, aber „der Mann ohne Vergangenheit“ lässt sich nicht unterkriegen und begegnet der Liebe seines Lebens.

Aki Kaurismäki bildet die Wirklichkeit nicht naturalistisch ab, sondern er stellt sie in einer minimalistischen und skurrilen Verzerrung dar. Das gilt auch für die lakonischen Dialoge. Die satten Farben stehen dazu bewusst im Widerspruch.

Bei den Filmfestspielen in Cannes 2002 wurde „Der Mann ohne Vergangenheit“ mit dem „Großen Preis der Jury“ ausgezeichnet, und Kati Outinen erhielt den „Preis für die beste Darstellerin“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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T. C. Boyle erzählt die Geschichte bruchstückhaft, zwischen Handlungssträngen und Zeitebenen hin und her springend. Weitschweifige, detailverliebte Beschreibungen retardieren ebenso wie Abschweifungen, Rückblenden und Nebenhandlungen.
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