Pieta

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Pieta

Pieta – Originaltitel: Pieta – Regie: Kim Ki-duk / Ki Duk Kim – Drehbuch: Kim Ki-duk – Kamera: Jo Young-jik – Schnitt: Kim Ki-duk – Musik: Park In-young – Darsteller: Lee Jeong-jin, Cho Min-soo, Kang Eun-jin, Woo Ki-hong, Jo Jae-ryong, Lee Myung-ja, Heo Joon-seok, Kwon Se-in, Song Moon-soo u.a. – 2012; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Gang-do treibt in Cheonggyecheon, einem Stadtteil von Seoul, für einen Kredithai die ausstehenden Gelder ein. Erbarmungslos verstümmelt er die zahlungsunfähigen Gläubiger, damit sie mit der kapitalisierten Invaliditätsrente ihre Schulden tilgen können. Eines Tages taucht eine unbekannte Frau bei ihm auf, behauptet, seine Mutter zu sein und weicht ihm nicht mehr von der Seite. Ihre Gegenwart nährt in ihm die Hoffnung auf Mutterliebe – und wirft ihn aus der Bahn ...
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Kritik

In "Pieta" geißelt Kim Ki-duk den Kapitalismus. Der grobe Stil und die düsteren Bilder passen zu der Brutalität der Handlung, die allerdings nicht explizit zu sehen ist, sondern im Kopf des Zuschauers entsteht.
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Gang-do (Lee Jeong-jin) treibt in Cheonggyecheon, einem Stadtteil von Seoul, für einen Kredithai die ausstehenden Gelder ein. Der 30-Jährige kennt kein Erbarmen mit den kleinen Handwerkern, die weder ihre Schulden tilgen noch die Wucherzinsen bezahlen können. Gnadenlos zerquetscht er ihnen beispielsweise eine Hand in einer Presse, damit sie die bei der Aufnahme des Kredits abgeschlossene Invaliditätsrente beantragen und mit dem ausbezahlten Geldbetrag die Schulden tilgen können.

Als ihm eines Tages auf dem Heimweg ein Huhn auskommt, das er wohl auf dem Markt besorgte, taucht eine ihm unbekannte Frau auf und trägt ihm das Tier nach. Er will die Mitvierzigerin nicht in seine Wohnung lassen und versucht dreimal, seine Tür zuzuschlagen, aber Min-So fasst in den Türrahmen, lässt sich die Finger quetschen, ohne eine Schmerzreaktion zu zeigen und hindert Gang-do daran, die Tür zu schließen. Ungefragt beginnt sie bei ihm aufzuräumen und für ihn zu kochen. Schließlich kniet sie sich vor ihn auf den Boden und bittet ihn um Verzeihung. Sie heiße Min-sun (Cho Min-soo) und sei seine Mutter, behauptet sie. Bei seiner Geburt sei sie noch sehr jung gewesen, deshalb habe sie ihn gleich danach fortgegeben.

Gang-do glaubt ihr nicht. Er bleibt schroff, aber sie lässt sich nicht abschütteln, folgt ihm sogar, als er seiner Arbeit nachgeht. Sie schaut zu, wie er den Schuldner Tae-seung (Jo Jae-ryong) dazu zwingt, aus einem der oberen Stockwerke einer Bauruine zu springen und ihm dann das Kniegelenk des gebrochenen Beins zertritt. Als der am Boden liegende und vor Schmerzen schreiende Tae-seung seinen Peiniger beschimpft, tritt auch Min-sun auf ihn ein.

Sie bringt Gang-do einen lebenden Aal, aber statt ihn zu essen, wirft Gang-do ihn ins Aquarium. Erst einige Tage später holt Min-sun den Aal heraus, schneidet ihm den Kopf ab und bereitet ihn für ihren angeblichen Sohn zu.

Der nächste Schuldner, den Gang-do aufsucht, hat sich mit Tabletten vergiftet und einen Abschiedsbrief für seine Mutter hinterlassen. Gang-do fotografiert ihn mit seinem Smartphone, geht zu der Mutter, zeigt ihr das Foto ihres toten Sohnes und fragt nach Wertsachen. Aber die Frau besitzt nichts für ihn Brauchbares außer einem lebenden Hasen, den er mitnimmt. Das Tier wird allerdings bald darauf totgefahren.

Immer wieder versucht Gang-do die Frau zu vertreiben, die seine Mutter sein will. Aber selbst nachdem er sie vergewaltigt hat, bleibt sie bei ihm.

Allmählich beginnt Gang-do ihr zu glauben. Der 30-Jährige, der nie eine Familie hatte und immer allein war, verändert sich durch die Nähe der Frau.

Ein junger Mann, der ihm Geld schuldet, ist sofort bereit, nicht nur eine Hand, sondern beide Hände zu opfern – eine für die ungetilgten Schulden, die andere für einen neuen Kredit –, denn seine Freundin erwartet in vier Wochen ein Kind von ihm, und er will, dass es von Anfang an alles hat, was für eine bessere Zukunft erforderlich ist. Er bittet nur darum, noch ein letztes Mal auf seiner Gitarre spielen zu dürfen. Gerührt übergibt Gang-do dem Schuldner die Versicherungspolice, lässt ihn unversehrt und geht. Anschließend kauft er ein Geschenk für Min-sun.

Einen Gläubiger seines Auftraggebers, der offen zugibt, dass er nie vorgehabt habe, das Geld zurückzuzahlen – „Ich wollte Geld ausgeben und dann sterben“ –, kann Gang-do nicht davon abhalten, von einem Gebäude in den Tod zu springen. Da wird es kein Geld von der Invaliditätsversicherung geben.

Als Gang-do mit Min-sun ausgeht, werden sie von Tae-seung entdeckt, der jetzt auf Krücken angewiesen ist und als Bettler für seinen Lebensunterhalt sorgt. Tae-seung lauert Min-sun auf, bringt sie in seine Gewalt und drückt ihr ein Messer an den Hals. Mit der Drohung, sie zu ermorden, will er Gang-do zwingen, in dessen Haus Benzin zu verschütten und es in Brand zu setzen. Auf diese Weise will er sich rächen. Plötzlich beißt Min-sun ihn in die Hand, und Gang-do schleudert ihm ein Wurfmesser in die Brust. Schwerverletzt lässt Tae-seung von Min-sun ab, hält ein Auto an und verschwindet.

Wegen mehrfachen Versagens wird Gang-do von dem Kredithai entlassen.

Nachts bemerkt Min-sun, dass Gang-do im Halbschlaf masturbiert. Da greift sie unter seine Bettdecke und befriedigt ihn mit der Hand.

Er befürchtet, dass sie ihn wieder allein lassen könnte. Das würde er nicht ertragen, sagt er. Einmal bleibt sie einmal längere Zeit aus. Gang-do macht sich Sorgen und sucht nach ihr. Als sie endlich zurückkommt, wirft er ihr vor, ihn nicht angerufen zu haben. Gleichmütig nimmt sie seine Schimpftirade hin und entschuldigt sich nur kurz.

Kurz darauf kommt er ihrer Bitte nach und pflanzt etwa an der Stelle, an der Tae-seung verkrüppelt wurde, eine Kiefer. Dort wolle sie begraben werden, erklärt sie.


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Während Gang-do unterwegs ist, ruft sie ihn an und täuscht vor, von einem Einbrecher bedroht zu werden. Gang-do eilt nach Hause. Die Einrichtung ist verwüstet. Min-sun ist fort. Gang-do nimmt an, dass sie von einem seiner rachsüchtigen Opfer entführt worden sei. Er sucht einige von ihnen auf, findet jedoch keine Spur von Min-sun.

Während er schläft, kommt sie zu ihm. Ohne ihn aufzuwecken fragt sie, warum er so grausam gewesen sei. Er solle so fühlen, wie es die von ihm gequälten Menschen taten, flüstert sie.

Am nächsten Tag geht sie zu seinem früheren Auftraggeber und ohrfeigt ihn, bis er zurückschlägt. Da ruft sie mit ihrem Handy Gang-do an. Der hört, wie sie verprügelt wird. Er sucht seinen ehemaligen Chef auf und schlägt ihn mit einer Kette und einem Vorhängeschloss tot. Aber Min-sun ist nicht mehr da.

In böser Vorahnung rennt Gang-do zu dem Baum, den er für sie pflanzte. Dort hört er Min-sun; sie befindet sich in einem der oberen Stockwerke der Bauruine, aus der Tae-seung springen musste. Sie ist allein, tut jedoch so, als werde sie von jemandem bedroht. Verzweifelt fleht Gang-do um Gnade für sie. Unvermittelt taucht die Mutter des jungen Selbstmörders auf. Sie geht auf Min-sun zu, um sie in die Tiefe zu stoßen und ihren Sohn zu rächen. Aber bevor sie ihr Vorhaben ausführen kann, springt Min-sun von sich aus in den Tod.

Schluchzend hebt Gang-do ein Grab für Min-sun aus. Dabei stößt er auf die verscharrte Leiche eines von ihm Verkrüppelten, der sich danach erhängte. Der Tote ist mit einem von Min-sun gestrickten Pullover bekleidet.

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In „Pieta“ geißelt der koreanische Regisseur Kim Ki-duk den Kapitalismus und veranschaulicht eine moralisch verkommene Welt, eine vom Geld dominierte Hölle. Der gnadenlose Geldeintreiber Gang-do sagt lange Zeit kaum ein Wort; die Gläubiger seines Auftraggebers verstehen ihn auch so; sie wissen, dass sie von ihm brutale Gewalt zu erwarten haben. Außerdem geht es in „Pieta“ um die Sehnsucht selbst eines Monsters wie Gang-do nach einer Mutter.

Die Frau, die behauptet, seine Mutter zu sein, ist undurchschaubar. Durch ihre unerschütterliche Gegenwart nährt die Femme fatale in Gang-do die Hoffnung auf Mutterliebe – und wirft ihn aus der Bahn.

Indem Kim Ki-duk den Film nach Michelangelos berühmter Skultpur „Pieta“ nennt – das italienische Wort bedeutet Mitleid –, bezieht er sich auf die christliche Ikonografie. (Das der Pieta nachempfundene Bild auf dem Plakat gibt es im Film allerdings nicht.) Es ist nicht sicher, ob man die Handlung so verstehen kann, dass hier jemand wie Jesus für die Sünden der anderen stirbt, zumal es in „Pieta“ dann auch nicht der Sohn wäre. Stattdessen liegt es nahe, „Pieta“ als Rachethriller zu interpretieren: Die raffinierte, selbstzerstörerische Rache einer Mutter bewirkt die Läuterung eines Verbrechers, der nun gerade deshalb leidet.

„Pieta“ ist brutal. Alles andere würde die Vorstellung des Regisseurs und Drehbuchautors Kim Ki-duk vom Kapitalismus verharmlosen. Dazu passen der grobe Stil und die düsteren Bilder. Aber es ist keine einzige blutige Szene explizit zu sehen: Die Grausamkeit entsteht im Kopf des Zuschauers.

Der Film hat eine wundersame, surreale Gleichmütigkeit, er ist ganz auf den einzelnen Moment konzentriert und völlig frei vom Zwang zum dramatischen Suspense. (Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“, 7. November 2012)

Der Hauptdarsteller Lee Jeong-jin erinnert Fritz Göttler übrigens an Rainer Werner Fassbinder. Das ist durchaus nachvollziehbar.

Die Kameraführung in „Pieta“ oblag Jo Young-jik, aber Kim Ki-duk filmte parallel dazu mit einer Handkamera. Die Dreharbeiten fanden im Frühjahr 2012 statt, und zwar an Originalschauplätzen in Cheonggyecheon.

Bei den 69. Internationalen Filmfestspielen in Venedig Anfang September 2012 wurde Kim Ki-duk für „Pieta“ mit einem „Goldenen Löwen“ ausgezeichnet.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

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Martin Walser - Ein sterbender Mann
Der Protagonist äußert sich in Briefen, Mails, Postings, Selbst­ge­sprächen ... Eingestreut sind auch Texte anderer Figuren. Daraus ergibt sich eine heterogene Mixtur selbst­ironischer, tragikomischer, sarkas­tischer, grotesker, satirischer Passa­gen: "Ein sterbender Mann" von Martin Walser.
Ein sterbender Mann