Charles Lewinsky : Der Teufel in der Weihnachtsnacht

Der Teufel in der Weihnachtsnacht
Der Teufel in der Weihnachtsnacht Originalausgabe: Zeichnungen: Nikolaus Heidelbach Haffmans Verlag, Zürich 1997 ISBN 3-251-00378-X, 59 Seiten Nagel & Kimche, München 2010 ISBN 978-3-312-00465-2, 59 Seiten Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013 ISBN 978-3-423-21472-8, 59 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Trotz seiner guten Vorsätze hat der Papst auch dieses Jahr zu viel von Schwester Innocentias original Dresdener Christpanettone gegessen. Ein drückender Magen und Krümel im Bett erschweren das Einschlafen. Mitten in der Weihnachtsnacht schlägt er die Augen auf. Da steht der Teufel im maßgeschneiderten Anzug und mit einem Aktenkoffer in der Hand vor seinem Bett. Der nimmt ihn im fliegenden roten Ferrari mit und präsentiert ihm einen Vorschlag nach dem anderen, wie die Probleme der katholischen Kirche behoben werden könnten ...
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Kritik

In der flotten Erzählung "Der Teufel in der Weihnachtsnacht" brennt Charles Lewinsky ein Feuerwerk lustiger Einfälle ab. Vieles davon ist originell und witzig.
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Jedes Jahr nimmt der Papst sich vor, Schwester Innocentias original Dresdener Christpanettone zu widerstehen. Aber auch diesmal fällt ihm das Einschlafen in der Weihnachtsnacht schwer, nicht nur weil der Magen drückt, sondern auch wegen der Krümel im Bett.

Er schläft dann doch ein, aber mitten in der Nacht schlägt er die Augen auf, und da steht ein Fremder im maßgeschneiderten Anzug vor seinem Bett:

„Hieronymus Teufel. Altes schwäbisches Patriziergeschlecht. Selbstverständlich katholisch.“

Der Teufel entnimmt seinem Aktenkoffer Computerausdrucke über die desolate finanzielle Lage der katholischen Kirche und kommt auch gleich darauf zu sprechen: „Fusionieren wäre eine Möglichkeit.“

„Ich denke an all die vielen Orte, wo eine katholische neben einer evangelischen Kirche steht, und beide sind in der gegenwärtigen Marktsituation nicht ausgelastet. Und das trotz oft bester Citylagen. Wenn sich dieser brachliegende Immobilienbestand aktivieren ließe …“

Ein Verkauf von Kirchen kommt für den Papst nicht in Frage, aber der Teufel meint, Leasing wäre ohnehin vorteilhafter. Um dem Papst ein Beispiel zu zeigen, sorgt er dafür, dass sie beide im nächsten Moment in einem roten Ferrari über die Dächer von Rom und weiter nach Paris fliegen. Unterwegs erklärt der Teufel, er denke da an Bühnenshows:

„Showbusiness ganz allgemein war doch schon immer eine verwandte Branche. Die große Show damals am Sinai –“

Vor der Kathedrale Notre Dame hängt ein riesiges Plakat:

Paradise Productions proudly presents DER GLÖCKNER VON NOTRE-DAME

Kooperationspartner bei diesem Projekt sei Andrew Lloyd Webbers Really Useful Company, erklärt der Teufel. Die Miss World kommt am Arm eines Erzbischofs vorbei. Ein Reporter stürzt sich auf den Papst:

„Herr Papst, Sie sind hier ja gewissermaßen der Hausherr. Was sagen Sie dazu, dass man dieses Jahr in Notre-Dame das Weihnachtsfest nicht mit der traditionellen Mitternachtsmesse begeht, sondern mit der Premiere eines neuen Musicals?“

Das ist zu viel für den Kirchenführer. Der Teufel merkt, dass er den Papst nicht von dieser Idee überzeugen kann. Er verlässt Paris mit ihm, spricht das Thema Nachwuchsmangel im Priesterberuf an und präsentiert dafür eine Lösung. Sie heißt „Absolvo 2000“. Es handelt sich um einen vollautomatischen elektronischen Beichtstuhl. Aber davor scheut der Papst zurück.

Als Nächstes bringt der Teufel den Papst in die erfolgreichste Talkshow des deutschen Fernsehens. Vor der Werbepause heißt es:

Live bei uns! Was der Heilige Vater zum Thema Mode, zu den Chancen der Fußball-Nationalmannschaft und zum Schutz der Delphine zu sagen hat, das erfahren Sie gleich nach dieser kurzen Unterbrechung.

Entsetzt drängt der Papst noch vor dem Ende der Werbepause zum Aufbruch. Der Teufel präsentiert auch gleich den nächsten Vorschlag: Die Vermarktung von Weihwasser.

Das Vertriebsnetz für das Produkt existiert schon fix und fertig! Wir müssen nur diese unhygienischen offenen Becken durch Verkaufsautomaten ersetzen.

Nachdem der Papst auch das abgelehnt hat, macht der Teufel einen recht undämonischen Eindruck und bremst sogar einmal, als ein kleines Kind über die Straße rennt. „Ich bin ein Versager“, klagt er. „Wenn ich nicht unsterblich wäre, würde ich mich am liebsten umbringen.“ Und er erzählt dem Papst, dass er und „der da oben“ immer wieder Wetten abschließen, um die Zeit totzuschlagen.

„Haben Sie sich schon mal überlegt, wie langweilig es einem werden kann, wenn man die ganze Ewigkeit hinter sich und noch einmal die ganze Ewigkeit vor sich hat? Es wird uns beiden manchmal so unbeschreiblich fad, mir und dem da oben.“

„Natürlich langweilt sich der da oben. Ständig immer nur allwissend sein und ab und zu mal eine neue Welt erschaffen, das füllt den Tag ja auch nicht aus.“

Der Papst hat den Eindruck, dass der Teufel bemüht sei, sich zu bessern, und als er ihn darauf anspricht, bestätigt dieser es:

„Alles, was ich mir ausgedacht habe, sollte doch nur die Kirche in ihrem Kampf gegen das Böse unterstützen.“
„Mit moralisch verwerflichen Mitteln“, sagte der Papst streng.

Da bringt der Teufel den Papst in einen Sitzungssaal und zaubert einen Overhead-Projektor herbei, um einen letzten Vorschlag zu erläutern: Sponsoring. Dabei bezahlen Unternehmen wie Volkswagen oder Procter & Gamble einfach nur für die Erwähnung ihres Namens bzw. ihrer Marken. Das ist endlich ein Vorschlag, der dem Papst gefällt. Er unterzeichnet denn auch einen vom Teufel bereits vorbereiteten Vertrag, ohne das Kleingedruckte zu lesen, kümmert sich also nicht um die Details, in denen bekanntlich der Teufel steckt.

Von da an duftet der Weihrauch nach Fischstäbchen von Käpt’n Iglu, die Geistlichen verkünden von der Kanzel: „Die zehn Gebote wurden Ihnen präsentiert durch Krombacher Pils.“ Und über den Altären hängen Schilder mit der Aufschrift: „Viel Erbauung wünscht Ihnen Beate Uhse.“

Da hört der Papst Kirchenglocken. Zunächst vermutet er, dass das vom Verband der Raiffeisenbanken gesponserte Läuten zum Jüngsten Gericht ruft, aber dann begreift er, dass es sich um seinen Wecker handelt. Schwester Innocentia zieht die schweren Samtvorhänge auf, Sonnenlicht flutet durchs Fenster, und wie an jedem Morgen hat ihm Schwester Innocentia eine duftende Tasse Kaffee hingestellt – mit einem großen Stück Dresdner Christpanettone.

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In der flotten Erzählung „Der Teufel in der Weihnachtsnacht“ brennt der Schweizer Schriftsteller und Drehbuchautor Charles Lewinsky (* 1946) ein Feuerwerk lustiger Einfälle ab. Es wimmelt von Anspielungen auf die Welt der Wirtschaft im Allgemeinen und die der Werbung im Besonderen. Vieles davon ist originell und witzig. Gewiss ist die Darstellung des Papstes im Pyjama, der zu viel Kuchen gegessen hat, alles andere als ehrfürchtig, aber respektlos ist Charles Lewinsky auch nicht.

Die Erzählung „Der Teufel in der Weihnachtsnacht“ von Charles Lewinsky gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Dietmar Mues (Regie: Margrit Osterwold, Hamburg 2010, ISBN 978-3-86952-064-3).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

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