Selma Mahlknecht : Luba und andere Kleinigkeiten

Luba und andere Kleinigkeiten
Luba und andere Kleinigkeiten Originalausgabe: Edition Raetia, Bozen 2016 ISBN: 978-88-7283-571-5, 384 Seiten ISBN: 978-88-7283-584-5 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die 31-jährige Lokalreporterin Luba stellt fest, dass sie ungewollt schwanger ge­wor­den ist. Ihrem Lebensgefährten Horst, dem Vater des Kindes, verschweigt sie es zu­nächst, denn die Neuigkeit, die alles zu verändern droht, wirft Luba aus der Bahn, verunsichert und überfordert sie. 13 Tage lang kreisen alle ihre Gedanken um die Schwangerschaft. Aus den Erfahrungen anderer Frauen versucht sie Lehren zu ziehen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen ...
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Kritik

Selma Mahlknecht versetzt sich in ihre Hauptfigur. "Luba und andere Kleinigkeiten" besteht aus einem in­ne­ren Monolog mit eingeflochtenen Dialogen. In Lubas Denken wechseln Wunschträume und Selbst­zwei­fel, Angst und Verwirrung, Frustration und Ver­antwortungs­bewusst­sein.
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Luba stellt mit einem Teststreifen fest, dass sie schwanger ist. Ihr Lebensgefährte Horst würde sich darüber gewiss freuen, aber erst einmal behält sie die Neuigkeit für sich, zumal sie mit dem Gedanken an eine Abtreibung spielt.

Noch könnte ich mich auch anders entscheiden. Zum Arzt gehen. Heimlich das Geld für den Eingriff zusammenkratzen. Einen Scheinurlaub buchen. Drei Tage später wäre alles wieder wie sonst, und Horst hätte nichts gemerkt. Wenn ich ihm jetzt aber Bescheid sage, dann ist es plötzlich auch seine Sache. Dann werden wir Eltern, gemeinsam.

Mit einem Kind könnte die 31-Jährige ihre Karriereträume begraben. Sie hatte zunächst ein wenig Germanistik, Komparatistik, Ethnologie, Anthropologie, Philosophie und Psychologie studiert und war dann auf Publizistik umgestiegen.

Mit dem Studium hatte es noch hoffnungsvoll angefangen. Eine der Besten war ich immer schon gewesen.

Ihre ersten journalistischen Erfahrungen sammelte Luba beim radikal-feministischen Studentinnen-Sender „Radio Lederstrumpf“. Als sie ihren ersten eigenen Sendeplatz bekam, dachte sie bereits, sie stünde kurz vor dem Durch­bruch, aber dann strich „Radio Lederstrumpf“ die Sendung „Lubas liebes Leben“. Sie verlas einige Zeit die Nachrichten des örtlichen Pfarramts beim Sender „Kleine Welle Hoffnung“, bis Horst ihr einen Job in der Kulturredaktion von „Antenne Freiland“ vermittelte. Dieser Sender stellte bald darauf den Betrieb ein. Inzwischen arbeitet Luba als Lokalreporterin der Sendereihe „Interview Today“ bei „Radio Today“. Luba stellt sich jedoch vor, Chefredakteurin zum Beispiel ihrer eigenen „feministisch-modisch-intellektuellen Frauenzeitschrift mit Pep, Charakter und Sex-Appeal“ zu werden. Der Titel könnte „Luba’s World“, „Alles Luba“ oder einfach „Luba“ lauten. Selbstverständlich würde sie damit viel Geld verdienen und sich etwas leisten:

Ein Schloss in Schottland („McLuba Castle“). Ein Château in der Provence („Château Loubeau“). Einen hochlukrativen Bio-Bauernhof im Burgenland mit dem europaweit gefragten Label „Bioluba“.

Aber die Schwangerschaft stellt alle bisherigen Zukunftspläne in Frage.

Der Absturz in die Mutterschaft wird nun endgültig alle meine hochfliegenden Pläne zunichtemachen. Im Grunde ist meine eine typische Frauenlaufbahn. In der Schule immer vorneweg, Hoffnungsträgerin ihrer Generation, dann kommt der Motor ins Stottern, ein Mann mischt sich ein, neidische Kolleginnen werfen Sand ins immer trägere Getriebe, Intrigen bringen alle ambitionierten Projekte zum Erliegen, der Hormonkollaps lässt nicht lange auf sich warten und irgendwann sind Heim und Herd und Baby­nahrung die letzten Bastionen eines Egos, das man nach anfänglicher Aufgeblasenheit nunmehr mit der Lupe suchen muss. Was bleibt, ist ein klägliches Arsenal zwangsneurotischer Ersatz­handlungen, die an die Stelle der erstrebten Höhenflüge treten. Anstatt den Chemie-Nobelpreis abzuholen, experimentiert man mit einer alternativen Rezeptur für Tomatensauce. Die kreative Ader wird beim weihnachtlichen Salzteigbasteln ausgelebt.

Würde Luba das von Horst gezeugte Kind austragen, müsste sie außerdem ihre Hoffnungen auf einen Traummann aufgeben.

Ein Mann mit dunklen Geheimnissen und einer einzigen großen Leidenschaft: mir. Rasende Ritte auf weißen Pferden über einsamwild-romantische Landstriche wie bei Rosamunde Pilcher.

Diesem Ideal entspricht Horst in keiner Weise. Als sie ihn vor drei Jahren ihrer Mutter vorstellte, meinte diese:

„Schönling ist er ja keiner. Aber ich glaube, er hält es mit dir aus. Du kannst froh sein.“

Ich denke an Horst. Der hat mir eigentlich nie gefallen. Als ich ihn kennenlernte, war er ein leicht bierbauchiger Hobbit mit einer hohen Stirn und einer unpassenden Hornbrille. Jetzt, nach drei Jahren, sind Stirn und Bierbauch noch größer geworden. Immerhin, die Hornbrille ist heute ansehnlicher. Dennoch: Schön finde ich Horst noch immer nicht […].

Horst sieht genauso aus wie diese Typen, die in den Filmen immer den verfressenen Computerfreak geben und keine abkriegen. […]
Im Grunde bin ich ja froh, dass Horst nicht aussieht wie der typische Frauenschwarm. Anfangs habe ich mich noch ein bisschen geschämt mit ihm. Ein Adonis an meiner Seite hätte mich selbst auch gleich mit aufgehübscht. Das neidische Raunen „Wie, die mit dem?“ hätte mir gut getan.
Jetzt sehe ich die Vorteile. Horst ist einer, den mir keine ausspannen will. Käme gar nicht auf die Idee. Horst ist einer, den man kennenlernen muss, um zu wissen, was man an ihm hat. […] Mit Horst habe ich das Schlimmste hinter mir, Haarausfall, Pullunder, spannender Hosenbund. Alles, was jetzt noch kommen mag, lange Unterhosen, Zahnprothesen, Runzelhaut, schreckt mich nicht. Hässlicher wird er nicht mehr, nur noch interessanter. Silber an der Schläfe wirkt edel. Je älter Horst wird, desto mehr beginnt er, menschliche Größe auszustrahlen. Wahrscheinlich ist er ja schon von Geburt an ein verkappter Fünfzigjähriger. Nur verständlich, dass das mit sechzehn lächerlich und mit dreißig mitleiderregend wirkt.

Lubas vorübergehende Arbeitslosigkeit federte Horst ab, indem er als Softwareentwickler bei der örtlichen Gebietskrankenkasse anfing. Sein Hobby ist das Beobachten von Vögeln, und er schreibt Artikel für das ornithologische Fachmagazin „Vogelperspektive“. Sein Kosename für Lupa lautet Spatz. „Der Kerl hat eine Meise“, meinte Lubas Freundin Annelies.

Annelies hat von ihren Eltern ein kleines Lokal im Stadtzentrum geerbt, das ursprünglich mal ein Fahrradgeschäft gewesen war. Daraus machte sie das „B.Y.O.F.“ Es gibt weder Küche noch Bar; die Gäste bringen ihr Essen und ihre Getränke selbst mit (Bring Your Own Food) und zahlen lediglich für das Gedeck.

Annelies‘ Freund Werner Mayer träumt seit Jahren von einer eigenen Comedy-Show. Das genderfreie Programm, in dem er als alternder Hermaphrodit auftreten möchte, ist so gut wie fertig. Es fehlt nur noch ein passender Name.

„Die Sache ist mir wichtig“, beharrt Werner. „Ich weiß, du und Annelies, ihr seht nur eine Turmfrisur und teure Schminke.“ Oha. Ich hielt es für billige Schminke.
„Aber für mich ist es mehr. Für mich ist es ein wichtiger Schritt. Ich exponiere mich. Mit allem Drum und Dran. Meine Lieder, meine Texte. Meinen Hang zu Federfummeln. Ich behaupte, dass ich ein Künstler bin. Das ist das größte Wagnis meines Lebens.“

Zufällig läuft Luba ihrer früheren Mitschülerin Jeannie Bach über den Weg. Jeannie war als Schulflittchen verschrien. Mit 17 wurde sie schwanger. Ihre Tochter Helen ist jetzt 14. Dass Jeannie vor zwei Jahren ein BWL-Fernstudium abschloss und inzwischen ihr eigenes Finanzberatungs-Büro betreibt, überrascht Luba. Jeannie beneidet Luba und die anderen Mitschülerinnen von damals, die sich aussuchen konnten, was sie werden wollten.

„Ich hatte damals keine Wahl, aber ihr wart ja alle frei.“
„Du meinst: frei, das zu studieren, was uns Spaß macht?“
„Ja. Oder überhaupt. Ihr konntet studieren gehen oder eine Weltreise machen oder schon zu arbeiten anfangen oder egal – es war jedenfalls eure Entscheidung.“ […]
„Du stellst dir das jetzt gerade vielleicht ein bisschen zu einfach vor“, sage ich schließlich. „Das Leben ist auch schwierig, wenn man kein Kind hat. […]
Wir haben alle geglaubt, jetzt kommt unsere Zeit. Jetzt geht es los mit dem Leben. Aber dann kamen die Inskriptionsformulare, die Anmeldefristen, die Klo-Ordnung in der WG und der Zoff mit der Vermieterin. Der Gelegenheitsjob war eine Tretmühle, die neue Beziehung eine Sackgasse, und der Traum vom Reisen hat sich irgendwo zwischen Östersund und Brunflo erledigt, als der nette Kerl auf dem Motorrad mit dem gesamten Reisegepäck verschwunden ist.“ […]
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so verbittert bist“, murmelt Jeannie, während sie nach ihrer Geldbörse kramt. […] „Ich dachte immer, nur ich bin so enttäuscht vom Leben.“ […]
„Ich hab’s falsch gemacht“, erklärt mir Jeannie. „Das Kind so früh … Da war kein Nest für das Küken. Ständig haben wir improvisiert. Ich habe Helen abgegeben, herumgeschubst, keine Zeit für sie gehabt. Wir sind ständig beide zu kurz gekommen. Ich war jung und hatte auch andere Träume. Ich konnte sie nicht verwirklichen, aber ab und zu musste ich wenigstens ausbrechen. Damit habe ich Helen wehgetan. Meine Mutter hat mir immer Vorwürfe gemacht und ich habe mir auch selbst Vorwürfe gemacht. Aber ich konnte einfach nicht aus meiner Haut. Ich weiß: Ich war nicht für mein Kind da, wie ich hätte sollen. Ich hatte mir das immer ganz anders vorgestellt, viel schöner. Eine glückliche Partnerschaft, und das Kind als Krönung. Die ganze Familie freut sich. Gemeinsame Spaziergänge, gemeinsames Sich-Kümmern, gemeinsam die Entscheidungen tragen. Sich wirklich einlassen auf die Sache. Mit ganzem Herzen Eltern, mit ganzer Seele Mutter sein. So hätte das sein sollen.“

Luba will das anders machen – falls sie das Kind austrägt, das sie inzwischen Bernadette nennt.

Wenn sie nämlich mit drei noch nicht lesen kann, kann sie nicht mit dem Geigenunterricht anfangen. Mit vier muss sie fließend Englisch und Französisch sprechen, damit sie in England bei einer französischen Lehrerin Unterricht nehmen kann. Sobald sie fünf ist, schreibe ich sie in ein amerikanisches Elite-Internat ein. Mit sechs hat sie ihren ersten Fernsehauftritt mit David Garrett. Mit sieben spielt sie mit den Wiener Philharmonikern Vivaldis Vier Jahreszeiten in einer Neubearbeitung von John Williams. Der Livemitschnitt schreibt als 3D-Film Kinogeschichte. Mit acht erhält sie einen Lehrstuhl auf einer Universität, doch sie beschließt schon mit neun, sich nur noch der Kunst zu widmen, da sie mittlerweile auch dirigiert und Symphonien schreibt. Mit zehn wird ihr der Literaturnobelpreis für ihr viel beachtetes essayistisches Meisterwerk Notes of Harmony zuerkannt.
Ja, es gibt viel zu tun. Da ist man auch als Mutter gefordert. Ich werde meinen Job hinschmeißen und mich nur noch dem Management widmen.

Die Macht, die ich ausübe, bringt auch Verantwortung mit sich. Ich kann Bernadette zur glühenden Kommunistin erziehen. Ich kann sie als Dreijährige zu Modeschauen schleppen, sie aufbrezeln wie eine Porzellanpuppe mit Föhnfrisur. Ich kann sie aufgrund obskurer religiöser Anschauungen vom Schulunterricht freistellen lassen. Ich kann sie mangelernähren oder zur Langstreckenläuferin trainieren. […] Ich kann meine Ängste, meinen Schmerz und meinen Hass auf das Kind übertragen, ich kann es mit meinem Misstrauen und meiner Feindseligkeit infizieren. […] Wenn ich das alles recht bedenke, wird mir schwindlig. Ich, die ich immer von Dominanz, Sonnenkönigtum und Weltherrschaft halluziniere, bekomme nun endlich die Gelegenheit, tatsächlich unumschränkt zu herrschen. Wie soll es mir jemals gelingen, meine Macht nicht zu missbrauchen?

Horst spürt, dass Luba etwas beschäftigt, das sie vor ihm verheimlicht. Zunächst befürchtet er, dass sie ihn verlassen will, und nachdem sie ihn diesbezüglich beruhigt hat, fragt er unvermittelt: „Findest du, wir sollten heiraten?“ Aber damit verunsichert er Luba noch mehr.

Von ihrer Chefin Jetta Frings bekommt Luba eine Karte für die Oper „Medea“ von Luigi Cherubini. Sie will versuchen, an die Opernregisseurin Noémia Da Silva Pinto heranzukommen, die noch kein einziges Interview gegeben hat. Nach der Aufführung drängen sich Autogrammjäger am Bühnenausgang, aber sie werden verscheucht. Luba gelingt es mit der dreisten Behauptung, „Noémia erwartet mich“, an dem Livrierten vorbeizukommen. Im Flur stößt sie auf die Regisseurin und den Tenor, der Jason sang und jetzt in eine Leberkäs-Semmel beißt. Der Geruch verursacht bei Luba Brechreiz, und sie übergibt sich in einen Stehaschenbecher. Als sie wieder zu sich kommt, hat man ihr die Beine hochgelegt, und Noémia Da Silva Pinto fragt, ob sie Drogen genommen habe.

„Ich weiß nicht“, beginnt sie dann langsam, „ob ich einen Krankenwagen oder die Polizei rufen soll. Oder ob ich Sie am besten einfach rauswerfe.“

Als sie erfährt, dass Luba schwanger ist, erzählt sie von ihrer eigenen Schwangerschaft. Die dauerte nur zwei Monate. Dann endete sie mit einer Fehlgeburt. Luba fragt, ob sie erleichtert gewesen sei.

„Ja, klar. Da war auch Erleichterung. Aber noch viel mehr Scham. Es war, als hätte ich versagt.“

Die beiden Frauen reden über Medea, und die Regisseurin meint:

„Sie ist die gefährlichste Idee von allen. Die ungehorsame Frau, die alles zurücknimmt, was sie gegeben hat – und triumphiert. Das bedroht nicht nur den Einzelnen. Es bedroht die Spezies.“

Zwei Tage später taucht Noémia Da Silva Pinto überraschend in der Redaktion auf und wartet sogar eine Stunde, bis Luba eintrifft: Die Opernregisseurin hat sich entschlossen, ihr erstes Interview zu geben.

„Meine Kunst ist eine Kunst des Leids, der Wut und der Grausamkeit. Ich dachte, darüber könnte man nicht sprechen.“

Die Sensation ist perfekt. Noémia Da Silva Pinto im Interview auf Radio Today.

Aber als Noémia Da Silva Pinto geht, bleibt Luba frustriert zurück und spielt mit dem Gedanken, die Aufzeichnung des Interviews zu löschen, denn statt Fragen zu beantworten, warf Noémia neue auf, und Luba hat den Eindruck, sie habe ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Beispielsweise sagte sie:

„Für Gewissheiten bin ich nicht zuständig. Es ist nicht Aufgabe der Kunst, Halt zu vermitteln. Es gibt genug Scharlatane, die Sicherheiten verkaufen. Der Preis dafür ist hoch, zu hoch, finde ich. Und doch sind viele bereit, für die Illusion von Ordnung, Berechenbarkeit und Sicherheit ihre Freiheit, ihre Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung aufzugeben.“

Noémia Da Silva Pinto sprach sich für Anarchie aus und erklärte Luba, dass es falsch sei, dabei an Chaos und Verwüstung zu denken; Anarchie bedeute, dass niemand Macht über andere hat. Auf Lubas Einwand, die Gesellschaft funktioniere ohne Machtstrukturen nicht, entgegnete sie, Regeln und Autoritäten würden genügen.

„Aber es müssen Regeln und Autoritäten sein, die immer wieder überprüft werden, die in Frage gestellt werden können.“

Die Künstlerin zitierte Ophelia in „Hamlet“ – „Lord, we know what we are, but know not, what we may be“ – und meinte dazu:

„Wir leben in einem Prozess, aber nie auf ein Ende hin. […] Ich empfinde das als befreiend. Wir müssen nicht bleiben, wer wir sind. Wir dürfen erfahren, was sonst noch in uns steckt.“

Luba denkt:

Sie sind eine gefährliche Sache, diese Interviews. Du kommst nicht als dieselbe aus ihnen heraus, als die du in sie hineingegangen bist.

Kurz darauf werden Luba und Annelies in einem Café von ihrer früheren Mitschülerin Vicki Fürst erkannt, von der sie wissen, dass sie in Shanghai parallel Sinologie und Betriebswirtschaft studierte. Vicki stellt ihnen ihre Kinder vor – Antonius und Cecilia – und berichtet, dass sie letztes Jahr ihren Jugendfreund Markus Lorenz geheiratet habe.

[Luba:] „Ich dachte, du wärst mit einem anderen zusammen.“
„War ich zwischendurch auch. Aber dann bin ich Markus wieder über den Weg gelaufen, und was soll ich sagen: Was damals richtig war, ist heute immer noch richtig. Es hat einfach sollen sein.“
„Klingt danach, als hättet ihr euch beide nicht wirklich weiterentwickelt.“

Am Samstagmorgen wacht Luba auf und vermisst Horst. Seit zwei Tagen hat sie nichts mehr von ihm gehört. Zuerst befürchtet sie, er habe sie verlassen, aber nach einiger Zeit fällt ihr ein, dass er für ein paar Tage mit den „Grünspechten“ in den Nationalpark wollte.

Klar. Er hatte mir doch davon erzählt, wochenlang hatte er kein anderes Thema mehr. Einmal im Jahr packt er Feldstecher, Poloshirt und Käppi ein und rückt mit den Kindern zur Vogel­beobachtungs­exkursion aus.

Luba fährt nach Rauris. Dort trifft sie auf Silke, die Mutter von zwei „Grün­spech­ten“. Weil Horst die Exkursion nicht ohne eine weibliche Begleitperson machen wollte, um nicht wegen Pädophilie ins Gerede zu kommen, fuhr Silke mit nach Rauris. An diesem Morgen blieb sie allerdings in der Pension, während Horst mit den Kindern zum Wandern ins Krumltal fuhr. Obwohl Silke meint, die Gruppe sei nicht mehr einzuholen, steigt Luba gleich wieder ins Auto.

Auf dem Wanderweg im Krumltal stößt sie jedoch auf Kühe.

So sieht sie aus, Horsts Naturidylle. Protzige Felsen, saftiges Gras, Blümchen. Und tonnenschwere Kampfkühe, die den Weg versperren.
Ich versuche mir gut zuzureden. Denk an Käse. An Vanilleeis. Leckere Milchschokolade. Kühe sind gut. Kühe sind sanft. Freundlich. Hetzen dich in der Herde und trampeln dich zu Brei. Zerschmettern dir mit einem Tritt den Brustkorb. Fordern jährlich mehr Tote als Haie, Bären und Wölfe zusammen. Ich denke an Wienerschnitzel. Rindsrouladen. Bündnerfleisch. Wie friedlich das auf dem Teller liegt! […]
Es hilft nichts. Alle meine Versuche, mich durch ablenkende Gedanken zu beruhigen, scheitern. Ich sehe nur die Schlagzeile vor mir. „Junge Frau von wild gewordenen Mutterkühen attackiert.“

Luba kehrt um. Auf einer Bank sieht sie ein Mädchen sitzen, das den Kopf in den Nacken gelegt hat, um einen rüttelnden Turmfalken zu beobachten. Das Kind heißt Helga und gehört zu den „Grünspechten“. Weil Helga sich wie Luba vor den Kühen am Weg fürchtete, sollte sie in einer nahen Gaststätte unter Obhut der Wirtin zurückbleiben, aber sie hat es vorgezogen, auf der Bank im Freien zu sitzen.

Horst wundert sich, als er zurückkommt und Luba bei Helga antrifft. Die Schwangere ist nun endlich in der Lage, ihm die Neuigkeit anzuvertrauen.

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Selma Mahlknecht (* 1979) versetzt sich in ihrem Roman „Luba und andere Kleinigkeiten“ in die Rolle der 31-jährigen Lokalreporterin Luba, die unerwartet feststellt, dass sie schwanger ist. Ihrem Lebensgefährten Horst, dem Vater des Kindes, verschweigt sie es zunächst, denn die Neuigkeit, die alles zu verändern droht, wirft Luba aus der Bahn, verunsichert und überfordert sie.

Die Handlung von „Luba und andere Kleinigkeiten“ beginnt an einem Dienstag, 13. Juni, und endet am übernächsten Sonntag, 25. Juni. In diesen 13 Tagen kreisen alle Gedanken Lubas um die Schwangerschaft. Sie ist überdreht. Wenn sie Freunde, Interview-Partner und frühere Mitschülerinnen trifft, denkt sie über deren Lebenswege nach und versucht, daraus Lehren zu ziehen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Dabei grübelt sie nicht nur über sich selbst nach, sondern auch über allgemeine Themen.

Selma Mahlknecht lässt Luba in der Ich-Form und im Präsens zu Wort kommen. „Luba und andere Kleinigkeiten“ besteht aus einem langen – durch Angaben von Tagen und Uhrzeiten gegliederten – inneren Monolog mit eingeflochtenen Dialogen. Die Sprache ist flott. In Lubas Denken wechseln sich Wunschträume und Selbstzweifel ab, Angst und Verwirrung, Frustration und Ver­antwortungs­bewusst­sein. Die werdende Mutter kommt zu teils klugen, teils trivialen Einsichten. Binsenweisheiten sind bei so einem tagelangen Denkprozess unvermeidlich. Für Unterhaltung sorgt Selma Mahlknecht mit Humor, Komik und Augenzwinkern, aber nicht alle Einfälle sind hochkarätig.

Mir wird ganz warm bei dem Gedanken. Oder kommt die Wärme daher, dass mein Handy mit seinen Mikrowellen mein Hirn röstet? Ich sollte mich kurz fassen.

„Kannst du nicht einfach was Langweiliges tun, wenn ich nicht dabei bin?“
„Was genau meinst du damit?“
„Na, zum Beispiel irgendwas mit Vögeln.“
„Tja, gerade das wird ohne dich etwas schwierig, Spatz.“

„Dann kennt er sich doch aus mit Vögeln.“
„Der Witz ist uralt, Jetta.“

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © Edition Raetia

Selma Mahlknecht: Helena

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