Durchgeknallt

Durchgeknallt

Durchgeknallt

Durchgeknallt - Originaltitel: Girl, interrupted - Regie: James Mangold - Drehbuch: James Mangold, Lisa Loomer und Anna Hamilton Phelan, nach der Autobiografie "Seelensprung. Ein Leben in zwei Welten" von Susanna Kaysen - Kamera: Jack N. Green - Schnitt: Kevin Tent - Musik: Mychael Danna - Darsteller: Winona Ryder, Angelina Jolie, Clea DuVall, Vanessa Redgrave, Whoopi Goldberg, Brittany Murphy, Elisabeth Moss, Jared Leto, Jeffrey Tambor, Travis Fine, Jillian Armenante, Mary Kay Place u.a. - 1999; 125 Minuten

Inhaltsangabe

Die 18-jährige Amerikanerin Susanna Kaysen fühlt sich niedergeschlagen, missverstanden und unschlüssig. Nach einem Selbstmordversuch wird die Heranwachsende, die mit Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen hat, die in diesem Alter "normal" sind, von ihren konservativen Eltern in eine psychiatrische Klinik eingewiesen ...
mehr erfahren

Kritik

Susanna Kaysen wurde 1968 nach einem zweijährigen Aufenthalt aus dem McLean Psychiatric Hospital bei Cambridge entlassen. Ihre Erlebnisse verarbeitete sie in der 25 Jahre später veröffentlichten Autobiografie "Seelensprung. Ein Leben in zwei Welten", die James Mangold als Vorlage für den Film "Durchgeknallt" verwendete.
mehr erfahren

1967 im Nordwesten der USA. Statt sich wie ihre Mitschülerinnen um einen Studienplatz zu bewerben, fühlt sich die achtzehnjährige Susanna Kaysen (Winona Ryder) niedergeschlagen, missverstanden und unschlüssig. Ihr Freund Tobias Jacobs (Jared Leto) befürchtet, nach Vietnam in den Krieg zu müssen [Vietnam-Krieg]. Deprimiert schluckt Susanna 50 Aspirintabletten und trinkt eine Flasche Wodka dazu.

Dann verließ ich das Haus, um Milch zu kaufen, denn darum hatte meine Mutter mich gebeten, bevor ich die Aspirin nahm.
[…]
Während ich die fünf Blocks zum A&P ging, wurde ich von Scham und Reue gepackt. Ich hatte einen Fehler gemacht, und ich würde deswegen sterben. Vielleicht verdiente ich es sogar, deswegen zu sterben. Ich fing an, über meinen Tod zu weinen. Einen Augenblick lang hatte ich Mitgefühl mit mir und dem ganzen Unglück in mir. Dann begann alles zu verschwimmen und zu sausen. Als ich den Supermarkt erreichte, war die Welt zu einem engen, pochenden Tunnel zusammengeschrumpft. Ich hatte meine periphere Sehfähigkeit verloren, mir dröhnten die Ohren, mein Puls hämmerte. Die blutigen Koteletts und Steaks, die sich gegen ihre Plastikverpackung pressten, waren das letzte, was ich deutlich sah.
Das Magenauspumpen brachte mich wieder zu Bewusstsein. Sie nahmen einen langen Schlauch und schoben ihn mir langsam durch die Nase hoch und hinten durch die Kehle wieder hinunter. Das war, als würde ich erstickt. Dann fingen sie an zu pumpen. Das war, als würde ich in großem Stil Blut abgezapft bekommen – der Sog, das Gefühl von kollabierendem Gewebe, das sich so berührte, wie es sich nicht berühren sollte, die Übelkeit, als alles, was drinnen war, herausgesogen wurde. Es war ein gutes Abschreckungsmittel. Nächstes Mal, so beschloss ich, würde ich bestimmt nicht wieder Aspirin nehmen.
Aber als sie fertig waren, war ich nicht sicher, ob es ein nächstes Mal geben würde. Ich fühlte mich gut. Ich war nicht tot, doch irgend etwas war tot. Vielleicht hatte ich mein sonderbares Ziel des partiellen Selbstmordes erreicht. Ich war so leicht und lebhaft wie seit Jahren nicht mehr.
Meine Lebhaftigkeit hielt monatelang an. Ich erledigte einen Teil meiner Hausaufgaben. Ich traf mich nicht mehr mit Johnny [im Film: Tobias] und ließ mich mit meinem Englischlehrer ein, der sogar noch bessere Gedichte schrieb, wenn auch nicht an mich. Ich fuhr mit ihm nach New York; er ging mit mir ins Frick, um die Vermeers anzusehen.
Komisch war nur, dass ich plötzlich Vegetarierin war. Ich assoziierte Fleisch mit Selbstmord, weil ich an der Fleischtheke ohnmächtig geworden war. Aber ich wusste, dass noch mehr dahintersteckte.
Das Fleisch hatte Druckstellen, blutete und war in einen enge Hülle eingesperrt. Und obwohl ich mich sechs Monate lang vom Nachdenken darüber erholen konnte, war ich das auch.
(Susanne Kaysen: Seelensprung. Ein Leben in zwei Welten. Übersetzung: Sabine Schulte. btb-Verlag, München 1996)

Sie habe sich nicht das Leben nehmen, sondern nur die Kopfschmerzen betäuben wollen, beteuert sie nach ihrer Rettung. Doch der mit ihrem Vater befreundete Psychiater diagnostiziert ein „Borderline-Syndrom“ und hält die Einlieferung des Mädchens in eine Irrenanstalt für erforderlich. Die Heranwachsende, die mit Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen hat, die in diesem Alter „normal“ sind, wird von ihren konservativen Eltern weggesperrt und psychisch entmündigt. Tabletten soll sie schlucken, damit sie ruhiger wird.

Im Clay Moore Hospital wird Susanna von der Krankenschwester Valerie (Whoopi Goldberg) aufgenommen. Sie muss sich das Zimmer mit Georgina (Clea DuVall) teilen, die sich selbst als pathologische Lügnerin outet. Janet (Angela Bettis) leidet unter Bulimie. Polly (Elisabeth Moss) hatte als Kind einen Hund, doch als sich herausstellte, dass sie allergisch gegen Hundehaare war, nahmen ihr die Eltern das Haustier weg. Daraufhin übergoss sie die geröteten Hautstellen mit Benzin und zündete sich an.

Lisa (Angelina Jolie) wird gerade nach einem Ausbruch zurückgebracht. Sie rät der Neuen, den Ärzten und Pflegerinnen nicht zu trauen, auch nicht Dr. Wick (Vanessa Redgrave) und Dr. Melvin (Jeffrey Tambor). Die stille, unsichere Susanna und die rebellische, exzentrische, charismatische Lisa befreunden sich.

Tobias kommt zu Besuch: Um nicht nach Vietnam zu müssen, will er sich nach Kanada absetzen und Susanna mitnehmen. Aber sie ist noch nicht bereit, sich der Realität zu stellen und bleibt bei ihren neuen Freundinnen im Clay Moore Hospital.

Daisy (Brittany Murphy), die regelmäßig von ihrem Vater mit Hähnchen versorgt wurde, darf Clay Moore eines Tages verlassen, obwohl sich ihre psychische Verfassung nicht gebessert hat. Der Vater hat ihr eine eigene Wohnung gemietet.

Nachdem Lisa in eine andere Abteilung verlegt wurde, taucht sie eines Nachts bei Susanna auf und nimmt sie mit bei ihrer Flucht nach Florida. Zunächst fahren sie per Anhalter zu Daisy, die eigentlich lieber nicht an ihren Aufenthalt im Clay Moore Hospital erinnert werden wollte. Am anderen Morgen findet Susanna Daisys Leiche: Sie hat sich erhängt.

Lisa und Susanna werden nach Clay Moore zurückgebracht. Susanna hat Daisys verwaiste Katze dabei.

Schließlich begreift Susanna, dass es gerade ihre beste Freundin ist, die sie daran hindert, sich von ihrer geistigen Verwirrung zu erholen. Lisa hält sie durch ihre Überdrehtheit und ihre Dominanz davon ab, ihren eigenen Weg zu suchen. Susanna setzt sich von Lisa ab und schafft es, von den Ärzten als gesund entlassen zu werden.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Susanna Kaysen wurde 1968 nach einem zweijährigen Aufenthalt aus dem McLean Psychiatric Hospital in Belmont (Massachusetts) entlassen. Ihre Erlebnisse verarbeitete sie in der 25 Jahre später veröffentlichten Autobiografie „Seelensprung. Ein Leben in zwei Welten“. In seinem Film „Durchgeknallt“ – „Girl, Interrupted“ – machte James Mangold aus Episoden des Buches eine durchgehende Geschichte, in der es um die von der Gesellschaft verlangte Anpassung und die Suche junger Menschen nach sich selbst geht.

Geistig normale, aber unangepasste Menschen werden in eine Irrenanstalt gesperrt. Das erinnert an „Einer flog über das Kuckucksnest“. Aber im Vergleich zu dem Roman von Ken Kesey bzw. der Verfilmung durch Miloš Forman bleibt „Durchgeknallt“ zurück. Die Stärke dieses Films liegt in der Authentizität und in der schauspielerischen Leistung von Winona Ryder und Angelina Jolie. Letztere wurde mit einem „Oscar“ ausgezeichnet.

Susanne Kaysen: Seelensprung. Ein Leben in zwei Welten. Übersetzung: Sabine Schulte.
btb-Verlag, München 1996

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003

Borderline-Syndrom

James Mangold (kurze Biografie / Filmografie)
James Mangold: Kate und Leopold
James Mangold: Identität
James Mangold: Walk the Line
James Mangold: Todeszug nach Yuma

Friedrich Christian Delius - Die Birnen von Ribbeck
Mit der Erzählung "Die Birnen von Ribbeck" mahnt Friedrich Christian Delius, weder die Vergangenheit noch Traditionen zu ignorieren. Er überlässt das Wort einem Ribbecker, der emotional und unstrukturiert redet. Seine Gedanken springen zwischen Zeiten und Themen hin und her. Literarisch betrachtet ähnelt der Text einem Stream of Consciousness, und Friedrich Christian Delius betont das auch noch, indem er keine Sätze voneinander abgrenzt, sondern nur am Ende des Buchs einen einzigen Punkt setzt.
Die Birnen von Ribbeck