Marinus van der Lubbe


Am 18. Februar 1933, gut einen Monat nach seinem 24. Geburtstag, kommt der arbeitslose holländische Maurer Marinus van der Lubbe nach Berlin. Die Nacht auf den 27. Februar verbringt er im Polizeiasyl von Henningsdorf. Am Morgen geht er zu Fuß los, kauft von seinem letzten Geld vier Pakete Kohleanzünder und trifft am frühen Nachmittag in der Berliner Innenstadt ein. Kurz nach 21 Uhr klettert er durch ein Fenster in das Reichstagsgebäude. Hastig zündet er Vorhänge, Handtücher und Tischdecken an, zieht seinen Mantel und das Jackett aus, hält sie in die Flammen und schleudert die lodernden Kleidungsstücke in die Ecken. Schließlich brennt der Plenarsaal; die Glaskuppel zerbirst. Um 21.22 Uhr treffen Polizei und Feuerwehr ein. Als der Brandstifter, der mit seinem brennenden Hemd in der Hand keuchend durch die Gänge läuft, Polizisten sieht, bleibt er stehen und schreit: „Protest!“

Nach dem Rechtsgrundsatz „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne ein zum Tatzeitpunkt gültiges Gesetz) braucht Marinus van der Lubbe nur mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen, denn die Todesstrafe für Brandstiftung wurde erst mit der Verordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ am Tag nach der Tat eingeführt. Aber das NS-Regime erklärt am 29. März, das verschärfte Strafmaß gelte rückwirkend.

Am 21. September beginnt vor dem Leipziger Reichsgericht der Prozess. Angeklagt sind außer Marinus van der Lubbe vier Kommunisten: ein Deutscher und drei Bulgaren.

Marinus van der Lubbe beteuert, er habe das Feuer allein gelegt. Tatsächlich werden seine Mitangeklagten freigesprochen und er selbst am 23. Dezember 1933 zum Tod verurteilt. Obwohl das Reichsgericht aufgrund der vorgelegten Gutachten überzeugt ist, dass ein einzelner Täter ohne Helfer nicht in der Lage war, innerhalb weniger Minuten im Reichstag einen Großbrand auszulösen, sucht kein Staatsanwalt nach möglichen Hintermännern.

Marinus van der Lubbe wird am 10. Januar 1934 – drei Tage vor seinem 25. Geburtstag – enthauptet.

In einer gründlich recherchierten Untersuchung kam Sven Felix Kellerhoff zu der Überzeugung, dass Marinus van der Lubbe ein Einzeltäter gewesen sei (Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls, Be.bra Verlag, Berlin 2008, 160 Seiten, 14.90 €).

Nachdem der Bruder des Hingerichteten jahrelang vergeblich versucht hatte, die Rehabilitierung von Marinus van der Lubbe zu erreichen, wurde das Urteil am 10. Januar 2008 – 74 Jahre nach der Hinrichtung – auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 1998 aufgehoben.

Mehr über den Reichstagsbrand und die widersprüchlichen Theorien über mögliche Hintermänner: Reichstagsbrand.

© Dieter Wunderlich 2008

Reichstagsbrand

Stewart O'Nan - Der Zirkusbrand
"Der Zirkusbrand" ist kein Roman, sondern "eine wahre Geschichte", so der Untertitel des Buches von Stewart O'Nan, der versuchte, den Verlauf der Katastrophe zu rekonstruieren. Was fehlt, sind Identifikationsfiguren, an deren Schicksal die Leser mitfühlend Anteil nehmen könnten.
Der Zirkusbrand