Heidi Marks : "Als der Mann kam und mich mitnahm"

„Als der Mann kam und mich mitnahm“
"Als der Mann kam und mich mitnahm".Die Geschichte eines Missbrauchs Mit Berichten von Susanne Willzu den Verbrechen in Eschenau Originalausgabe: Fackelträger Verlag, Köln 2008 ISBN: 978-3-7716-4368-3, 272 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Heidi Marks schildert, was sie in ihrem Heimatdorf Eschenau vom 4. Lebensjahr an durchmachte, bis sie den Ort mit 15 endlich verlassen konnte. Warum sie unbedingt fort wollte, verheimlichte sie, und weder Eltern noch Geschwister ahnten, dass sie jahrelang von zwei Männern aus dem Dorf missbraucht worden war. Erst 35 Jahre später, als sie bei einem Besuch in Eschenau zufällig erfuhr, dass sie nicht das einzige Opfer gewesen war, brach Heidi Marks ihr Schweigen – und löste in ihrer Heimatgemeinde ein Beben aus, über das Susanne Will berichtet.
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Kritik

Mit einer ungekünstelten Sprache ohne Effekthascherei und Larmoyanz erzählt Heidi Marks, was sie durchmachte. Beim Lesen beginnt man zu verstehen, welch verheerende Wirkung der sexuelle Missbrauch von Kindern haben kann.
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Heidi Marks (Kurzbiografie)
Der Fall Eschenau

Im ersten Teil des Buches „‚Als der Mann kam und mich mitnahm‘. Die Geschichte eines Missbrauchs“ schildert Heidi Marks (* 1957), was sie in ihrem Heimatdorf Eschenau vom vierten Lebensjahr an durchmachte, bis sie mit fünfzehn endlich fortkam, weil ihr die Eltern 1972 erlaubten, die Hauswirtschaftsschule im hundert Kilometer entfernten Neuendettelsau zu besuchen. Warum Heidi unbedingt fort wollte, verschwieg sie, und weder Eltern noch Geschwister ahnten, dass das Kind jahrelang von zwei Männern aus dem Dorf missbraucht worden war.

Das Trauma ließ Heidi jedoch nicht los: Sie hielt sich für „schlecht“, litt unter Versagensangst und schluckte mit achtzehn in selbstmörderischer Absicht Tabletten. Eine aufmerksame Zimmerwirtin in München rettete ihr das Leben. 1981 versuchte Heidi einen radikalen Neuanfang, kaufte sich ein Ticket nach San Francisco und ließ auf dem Weg zum Flughafen ihr Auto stehen, damit sie nicht so leicht aufgespürt werden konnte.

In den USA heiratete sie im Jahr darauf den Offizier Rick Marks, den einzigen Menschen, dem sie ihr Geheimnis anvertraute. Obwohl er zu ihr hielt und Heidi Marks auch beruflich Erfolge erzielte, wurde sie immer wieder von Depressionen, Panikattacken und Selbstmordgedanken gequält.

Im Frühjahr 2007 reiste Heidi Marks mit ihrem Ehemann für vier Wochen nach Eschenau, um mit der Familie und Freunden ihren 50. Geburtstag nach- und die Silberne Hochzeit vorzufeiern. Als sie bei diesem Besuch zufällig erfuhr, dass sie nicht das einzige Opfer ihrer Peiniger von damals gewesen war, brach sie endlich ihr Schweigen. Eigentlich wollte sie nur verhindern, dass weitere Kinder missbraucht wurden, aber sie löste damit eine Entwicklung aus, die das Dorf bis heute nicht zur Ruhe kommen ließ.

Mit dieser von Heidi Mark angestoßenen Dynamik beschäftigt sich die Journalistin Susanne Will (* 1969) im zweiten Teil des Buches „‚Als der Mann kam und mich mitnahm‘. Die Geschichte eines Missbrauchs“. Sie sprach mit Dorfbewohnern und beleuchtet in fünfzehn Reportagen die Ereignisse in Eschenau aus verschiedenen Blickwinkeln.

Am Rand des Steigerwaldes liegt das Dorf Eschenau. Die Idylle scheint perfekt: alte Bauernhöfe, prachtvolle Gärten, ein Bach, der ruhig durch das Dorf fließt und in dem Gänse baden. 192 Menschen leben in der Gemeinde nahe Haßfurt; viele arbeiten hier noch in der Landwirtschaft, einige machen mit Ferienwohnungen für Touristen ein kleines Geschäft, andere pendeln zur Arbeit in die Städte Haßfurt, Schweinfurt oder Erlangen. Der Höhepunkt im Gemeindeleben, das vom Gartenbauverein, der Feuerwehr und der evangelischen Kirche bestimmt wird, ist das jährliche Dorffest, ein ruhiges Leben. Im Frühjahr 2006 erhält die scheinbare Idylle einen ersten Riss. Sofie Holst (48) zeigt bei der Haßfurter Polizeiinspektion einen honorigen Dorfbewohner an. Willi Webert (53), der größte Landwirt im Ort, Feuerwehr-Vizechef und Schöffe am Gericht, soll sie vergewaltigt haben. Sofie war damals 14 Jahre alt. Der Fall wird an die Bamberger Staatsanaltschaft weitergeleitet und dort eingestellt, weil die Straftat verjährt ist. Das ist die Ouvertüre für ein bislang in der deutschen Kriminalhistorie beispielloses Drama von Dürrenmatt’schem Ausmaß, das bald das ganze Dorf spaltet: in Täter und Opfer, in Ahnungslose, Mitwisser, Schweiger, in Mutige und Feiglinge. (Seite 149 – Namen geändert)

Bevor Heidi Marks 2007 wieder nach Eschenau kam, hatte bereits eine andere, zwei Jahre jüngere Frau – im Buch heißt sie „Sofie Holst“ – ihr Schweigen gebrochen und einen Bauern aus Eschenau 2006 beschuldigt, sie 1973 vergewaltigt und defloriert zu haben. Sie war damals vierzehn, er neunzehn. Weil der Fall inzwischen juristisch verjährt war, hatte die Anzeige keine Folgen. Der Stein kam erst durch Heidi Marks im Frühjahr 2007 ins Rollen. Einer der beiden Beschuldigten erhängte sich am 17. Mai 2007, der andere musste sich am 10. und 11. Oktober 2007 vor dem Landgericht Bamberg verantworten. Wegen zwei versuchten Vergewaltigungen einer damals Siebenjährigen im Jahr 1978 und sexuellen Missbrauchs von zwei weiteren Mädchen Mitte der Neunzigerjahre bzw. 2005 wurde er zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Susanne Will berichtet von dem Verfahren und den ihm zur Last gelegten Taten.

Sie führte ein Gespräch mit der inzwischen geschiedenen Ehefrau des Verurteilten, das sie allerdings auf deren Wunsch hin nur als Hintergrundinformation verwendet, etwa wenn sie der Frage nachgeht, warum die Dorfbewohner wegschauten und die meisten von ihnen sich gegen die Opfer stellten, sie als Nestbeschmutzer beschimpften.

Die Menschen, die den Missbrauch öffentlich machten, wurden plötzlich wie Täter behandelt, während die Männer, denen der Missbrauch von Kindern vorgeworfen wird, jahrzehntelang unbehelligt in der Gemeinde leben konnten. Doch nicht nur die Opfer wurden bewusst gemieden und bedroht, sondern mit ihnen ihre ganzen Familien. (Seite 165)

Susanne Will schildert, wie Heidi Marks‘ achtunddreißigjährige Schwester mit ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen im Sommer 2007 aus Eschenau fortzog, weil sie die Anfeindungen nicht länger ertrug.

An anderer Stelle geht Susanne Will auf die umstrittene Haltung der Gemeindepfarrerin Elfi Trautvetter-Ferg ein. Sie referiert über Verjährungsfristen in Fällen sexuellen Missbrauchs und fragt Polizeihauptkommissar Helmut Will, was der Weiße Ring für die Opfer tun kann.

Zum Schluss setzt sie sich mit den psychischen Folgen des sexuellen Missbrauchs von Kindern auseinander, zunächst allgemein, dann am konkreten Beispiel von Heidi Marks, mit deren Psychologin Linda L. Hartley sie ein Interview führte.

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Die beiden Teile des Buches „‚Als der Mann kam und mich mitnahm‘. Die Geschichte eines Missbrauchs“ greifen ineinander: Während Heidi Marks schildert, was sie selbst erlebte, ergänzt die Journalistin Susanne Will die Darstellung durch weitere Facetten, indem sie die Ereignisse in Heidi Marks‘ Heimatdorf Eschenau in fünfzehn Reportagen unter verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet [Der Fall Eschenau].

Ergreifend ist vor allem der erste Teil, in dem Heidi Marks mit einer ungekünstelten Sprache ohne Effekthascherei und Larmoyanz erzählt, was sie durchmachte – nicht nur in den elf Jahren, in denen sie als Kind missbraucht wurde, sondern auch in den Jahrzehnten danach. Die ebenso stringente wie authentische Darstellung der klugen und nachdenklichen Autorin geht weit über ein selbsttherapeutisches Schreiben hinaus, und es ist zu begrüßen, dass sie in Buchform veröffentlicht wurde, denn wir erhalten dadurch aufschlussreiche Einblicke in die Psyche eines missbrauchten Kindes. Beim Lesen beginnt man zu verstehen, welch verheerende Wirkung der sexuelle Missbrauch von Kindern haben kann.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © Fackelträger Verlag

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