Margaret Millar : Liebe Mutter, es geht mir gut ...

Liebe Mutter, es geht mir gut …
Originalausgabe: Beast in View Random House, New York 1955 Liebe Mutter, es geht mir gut ... Übersetzung: Elizabeth Gilbert Diogenes Verlag, Zürich 1967 Süddeutsche Zeitung / Kriminalbibliothek Band 18, München 2006, 166 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Helen Clarvoe erhält einen Anruf von einer Frau, die sich als ihre frühere Schwägerin Evelyn Merrick ausgibt. Die Anruferin weiß erstaunlich gut über Helen Bescheid und behauptet, sie schwer verletzt in einer Kristallkugel zu sehen. Verstört und verängstigt wendet Helen sich daraufhin an ihren Vermögensverwalter Paul Blackshear und bittet ihn, ihr zu helfen ...
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Kritik

Margaret Millar erzählt ohne jede Effekthascherei, schnörkellos und psychologisch stringent. Der packende Psychothriller "Liebe Mutter, es geht mir gut ..." läuft wie ein präzises Uhrwerk ab: Da greift ein Rädchen ins andere.
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Helen Clarvoe, eine unverheiratete Frau Anfang dreißig, zog nach dem Tod ihres Vaters Harrison Clarvoe vor einem Jahr zu Hause in Beverly Hills aus und mietete ein Apartment in dem zweitklassigen Hotel „Monica“ in Hollywood. Da ihr der Vater ein Vermögen hinterließ, hätte sie sich eigentlich etwas Besseres leisten können. Mit ihrer Mutter Verna wechselt sie allenfalls einmal ein paar Worte am Telefon; auch ihren jüngeren Bruder Douglas, der noch zu Hause wohnt, hat sie seit der Trauerfeier nicht mehr gesehen. Helen ist einsam und wagt sich kaum auf die Straße. Sie achtet darauf, dass ihr Apartment stets abgeschlossen ist und auf ihrem Schreibtisch nichts herumliegt.

Sie erhält einen Telefonanruf von Evelyn Merrick, die erstaunlich gut über sie Bescheid weiß. Sie und Evelyn besuchten zusammen dieselbe Privatschule – „Hope Ranch“ – und waren damals die besten Freundinnen. Aber dann gingen sie sich aus dem Weg. Evelyn traf sich jedoch weiterhin mit Helens Bruder Douglas und heiratete ihn kurz nach dem Tod seines Vaters. Die Ehe hielt nur ein paar Tage. Evelyn erzählt Helen am Telefon, sie sei dabei, berühmt und unsterblich zu werden, denn sie stehe einem begnadeten Maler Modell.

„Mein Akt wird in jedem Kunstmuseum des Landes zu sehen sein. Jedermann wird die Möglichkeit haben, mich zu bewundern. Macht Sie das nicht neidisch, Clarvoe?“ (Seite 6)

Dann behauptet Evelyn, mit einer Kristallkugel in die Zukunft sehen zu können und fährt fort:

„Ah, jetzt sehe ich es. Sie haben einen Unfall gehabt. Sie sind verletzt. Ihre Stirn ist aufgerissen, Ihr Mund blutet – Blut, Blut, überall Blut …“ (Seite 7)

Verstört und verängstigt schickt Helen ihrem Vermögensberater Paul Blackshear eine Nachricht und bittet ihn, sie so rasch wie möglich aufzusuchen. Der Fünfzigjährige, der mit ihrem Vater befreundet war, kommt sofort. Helen erzählt ihm von dem Anruf. Er rät ihr, für einige Zeit zu verreisen, aber davon will sie nichts wissen. Stattdessen bittet sie ihn, nach Evelyn Merrick zu suchen.

Paul tut ihr den Gefallen. Er ist ohnehin dabei, sich aus den Geschäften zurückzuziehen, und zu Hause wartet niemand auf ihn: Seine Frau Dorothy starb an Krebs, und seine beiden erwachsenen und verheirateten Söhne haben ihr eigenes Leben.

Weil Evelyn behauptete, sie stehe einem Künstler Modell, versucht Paul es bei entsprechenden Agenturen. Lydia Hudson, die eine „Schule für Charme und Modellausbildung“ betreibt, erinnert sich an Evelyn: Sie bewarb sich kürzlich bei ihr und behauptete, bereits mit dem Fotografen Jack Terola gearbeitet zu haben. Ihr Alter gab sie mit einundzwanzig an, aber Lydia Hudson hielt sie für älter – und etwas verrückt, weil sie allen Ernstes sagte: „Ich will unsterblich werden.“ (Seite 36) Aus Mitleid gab Lydia Hudson ihr die Adresse des Malers Harley Moore, der ständig Modelle sucht.

Jack Terola, ein zwielichtiger Fotograf Anfang vierzig, ist nicht bereit, Pauls Fragen nach Evelyn Merrick zu beantworten. Während Paul weiterfährt, um sich mit Harley Moore zu treffen, erhält dessen Ehefrau Bertha einen Anruf. Am Apparat ist Evelyn. Sie gibt sich als Freundin Harleys aus, und als sie erfährt, dass Bertha nach fast zwanzig Jahren Ehe vor vier Monaten endlich das ersehnte Kind zur Welt brachte – ein Mädchen, das Bertha liebevoll Angie nennt, obwohl es eigentlich Stephanie Caroline heißt –, erkundigt sie sich bei der stolzen Mutter eingehend nach dem Baby und bittet schließlich darum, es sehen zu dürfen. Kurz nachdem Bertha aufgelegt hat, ruft ihr Mann an, und als er hört, dass Evelyn Merrick gerade ihren Besuch ankündigte, warnt er seine Frau, sie auf keinen Fall ins Haus zu lassen, denn es handele sich vermutlich um eine gefährliche Verrückte. Das habe er soeben von einem Besucher erfahren. Bertha hält sich daran und öffnet nicht, als es klingelt. Evelyn bleibt dennoch einige Zeit vor der Tür, behauptet, von Harley schwanger zu sein und beschuldigt den Künstler, mit all seinen weiblichen Modellen zu schlafen.

Zufällig treffen sich Verna, Evelyn und deren Mutter Annabel auf der Straße. Verna ist immer noch angetan von ihrer früheren Schwiegertochter Evelyn, die ihr nach wie vor liebenswürdig begegnet und sich trotz allem freundlich nach Douglas erkundigt.

Helen wird von ihrer Mutter angerufen: Douglas feiert am nächsten Tag seinen sechsundzwanzigsten Geburtstag; Verna möchte mit ihm essen gehen und lädt auch Helen dazu ein. Helen weiß, worauf es ihrer Mutter ankommt: Sie hofft auf einen Scheck als Geburtstagsgeschenk für Douglas, denn es fehlt den beiden an Geld und sie können sich nur halbtags eine Bedienstete leisten. Douglas hatte das College vorzeitig abbrechen müssen, „wegen eines reichlich überschätzten Zwischenfalls im Garderobenraum des Turnsaals“ (Seite 58), wie seine Mutter glaubt. Seither studiert er informell Keramik, Dichtung, Malerei, das Züchten von Avocados, Gitarre, Fotografie.

Nach dem Telefongespräch erinnert Helen sich an frühere Zeiten, vor allem an ein Schulfest, zu dem ihr Vater sie und Evelyn im Auto hingebracht hatte. Während Evelyn von allen umschwärmt wurde und pausenlos tanzte, versteckte Helen sich weinend in der Toilette. Ihrem Vater, der sie abholte, log sie vor, sie habe sich toll unterhalten und beschrieb ihm die Mitschüler, mit denen sie angeblich getanzt hatte. Am nächsten Tag erfuhr Harrison Clarvoe durch den Anruf einer besorgten Lehrerin, dass Helen auf dem Fest todunglücklich gewesen war. Er stellte sie zur Rede und sagte:

„Deine Strafe ist, so zu sein, wie du bist, Helen, und mit dir leben zu müssen.“ (Seite 83)

Am Abend belauschte Helen ihre Eltern, die im Bett über den Vorfall redeten, und hörte, wie ihre Mutter sagte:

„Du kannst eben keine Rose aus einer Distel machen […] Ein Jammer, dass wir keine Tochter haben wie Evie.“ (Seite 83f)

Seit dieser Zeit übertrumpfte Helen ihre Freundin bei jeder Gelegenheit mit Lügen: Wenn Evelyn einen Freund hatte, behauptete sie, mit zwei Männern zusammen zu sein. Darüber zerbrach ihre Freundschaft.

Paul verabredet sich mit Annabel Merrick, die seit dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren im Blumengeschäft des Hotels „Roosevelt“ in Westwood arbeitet. Evelyn wohnt noch bei ihr, verbringt jedoch gerade ein paar Tage bei ihrer neuen Freundin Claire Laurence und ist tagsüber unterwegs auf der Suche nach einer Arbeitsstelle.

„Evelyn ist jederzeit bereit, Menschen gefällig zu sein. So ist sie, das ist so ihre Art; und für Freunde würde sie alles tun.“ (Seite 87)

Annabel Merrick macht sich Vorwürfe, weil sie es zuließ, dass Evelyn und Douglas Clarvoe heirateten. Die Flitterwochen wollten die beiden in Las Vegas verbringen, doch Evelyn kam nach ein paar Tagen allein zurück und ließ die nicht vollzogene Ehe annullieren: Sie hatte in Las Vegas herausgefunden, dass Douglas homosexuell ist.

Abends erhält Verna einen Anruf von Evelyn, die ihr in allen Einzelheiten erzählt, was Douglas mit seinem angeblichen Kunstlehrer Jack Terola in dessen Atelier treibt. Beim Frühstück stellt Verna ihren Sohn zur Rede. Zuerst leugnet er alles, dann gibt er zu, homosexuell zu sein, und als Verna annimmt, Jack Terola habe ihn verführt, klärt er sie darüber auf, dass er schon mit vielen Männern zusammen war. Dennoch macht Verna sich auf den Weg, um Jack Terola ihre Meinung zu sagen

Als sie fort ist, schluckt Douglas – der an diesem Tag sechsundzwanzig Jahre alt geworden ist – Schlaftabletten, aber er kann nicht genügend hinunterwürgen. Die Rasierklinge, mit der er sich daraufhin die Pulsadern zu öffnen versucht, ist stumpf und schneidet nicht tief genug. Doch als er das Blut sieht, wird er ohnmächtig und schlägt im Fallen mit der Schläfe gegen die Kante des Waschbeckens.

Helen nimmt die Nachricht vom Tod ihres Bruders ungerührt von Paul entgegen. Dass sie verlernt hat, Gefühle zu haben, bedauert Paul sehr. Bei der Beerdigung ihres Vaters sagte sie ihm, sie habe ihren Vater geliebt, er sie allerdings nicht. Paul deutet an, dass er sie gern hat, aber Helen fürchtet sich vor seiner Zuneigung und schreckt bei dem Gedanken zurück, dass er sie berühren könnte. Obwohl Evelyn voller Hass und Rachsucht sein müsse, sagt Paul, hätten weder Verna Clarvoe noch Annabel Merrick auch nur den leisesten Verdacht, dass sie geisteskrank sein könnte. Offenbar sei Evelyns Persönlichkeit regelrecht gespalten. Schließlich überredet er Helen, zu ihrer um Douglas trauernden Mutter zu fahren. Er will nachkommen, vorher nur rasch noch einmal bei Jack Terola vorbeischauen.

In Terolas Atelier trifft Paul auf das verstörte Fotomodell Nola Rath. Der Fotograf liegt tot auf einer Couch; eine Schere steckt in seinem Hals. Als Paul die junge Frau auffordert, die Polizei anzurufen und sie darauf hinweist, dass dann auch mit Pressefotografen zu rechnen sei, drängt sie ihn aufgeregt zum Gehen und knöpft noch während des Telefonierens ihr Kleid auf: Gleich wird sie halbnackt auf die Straße laufen und verzweifelt „Mord!“ schreien. Nola will ihre Chance nutzen.

Wie geplant, fährt Paul weiter zu Verna – und wundert sich, dass Helen noch nicht da ist. Er berichtet Verna von dem Mord. Sie räumt zwar ein, zu Terola gefahren zu sein, um sein Verhältnis mit ihrem Sohn zu beenden, aber sie beteuert, nicht in das Fotostudio hineingegangen zu sein. Es habe so verkommen ausgesehen, dass sie im Auto sitzen geblieben und wieder nach Hause gefahren sei.

Kurz darauf kommt Annabel Merrick, um sich darüber zu beschweren, dass Verna sie vorhin anrief und lautstark über Evelyn schimpfte, sie sogar beschuldigte, Douglas mit ihren Verleumdungen in den Tod getrieben zu haben. Verna verteidigt sich und berichtet von den Gemeinheiten, die Evelyn am Vorabend über Douglas sagte. Annabel kann sich jedoch nicht vorstellen, dass ihre Tochter sich zu so einem abscheulichen Verhalten hinreißen ließ.

Helen ist immer noch nicht eingetroffen. Stattdessen ruft Evelyn an und erzählt Verna, Helen sei in einem Bordell zu finden.

Auf der Suche nach Helen und Evelyn wendet Paul sich an Claire Laurence. Sie erzählt ihm, sie sei seit acht Monaten eng mit Evelyn befreundet. Während der Dienstreisen ihres Mannes leistet Evelyn ihr Gesellschaft und übernachtet bei ihr. Claire kann nicht glauben, dass Evelyn schizophren ist. Gleich darauf kommt Evelyn von der Jobsuche. Paul sieht sie zum ersten Mal und ist überrascht: Die fröhliche Frau, die lachend Claires Spaniel begrüßt, wirkt in der Tat nicht wie eine Psychopathin. Als Claire ihr mitteilt, dass Paul eine ihrer Bekannten sucht, fragt sie nach dem Namen.

„Ist es jemand, den ich kenne?“
„Helen Clarvoe.“
Helen! Großer Gott, das ist wohl der letzte Name auf der Welt, den ich erwartet hätte. Sie ist verschwunden, sagen Sie?“ (Seite 136)

Helen kommt in einem Massagesalon im Rotlichtviertel zu sich. Ihr Kopf dröhnt. Bella, die fette Besitzerin des Etablissements, behauptet, sie sturzbetrunken vor der Tür aufgelesen zu haben und muss lachen, als Helen einwendet, das könne nicht sein, weil sie niemals Alkohol trinke. Immerhin muss Helen zugeben, dass sie stark nach Schnaps riecht. Sie flüchtet auf die Straße, aber auch da fühlt sie sich verfolgt. Evelyn!

In jähem Entsetzen wich sie zurück. Auch die Frau im Fenster wich zurück. Blitzartig, bevor noch die Angst ihr ganzes Denken auslöschte, erkannte Helen, dass diese Frau ihr eigenes Spiegelbild war. (Seite 148)

Vor Schreck läuft Helen vor ein Taxi. Zum Glück wird sie nur leicht verletzt. Weil sie immer noch eine starke Fahne hat, glauben der Fahrer Harry Reis und die Unfallzeugen, sie sei betrunken. Reis bietet sich an, sie in ihr Hotel zu bringen.

Bruchstückhaft erinnert Helen sich während der Fahrt an die letzten Ereignisse. Paul bot ihr zwar an, sie zu Verna zu fahren, aber sie zog es vor, ein Taxi zu nehmen, um nicht neben ihm sitzen zu müssen. In dem Gedränge auf dem Gehsteig bekam sie Angstzustände und brachte es nicht fertig, ein Taxi heranzuwinken. Sie war wie gelähmt. Da tauchte plötzlich Evelyn auf, und Helen war froh. Es war wieder wie früher, als sie zusammen zur Schule gingen.

In der Hotelhalle wird sie von Evelyn erwartet.

„Alle haben sich deinetwegen geängstigt“, sagte Evelyn. „Wo warst du denn bloß?“
„Das weiß du doch. Das weißt du doch sehr gut. Ich war mit dir zusammen.“
„Wovon sprichst du eigentlich?“
„Wir sind doch zusammen aufs Land gefahren […]“
„Du hast schon immer fantastische Lügen erzählt, Helen, aber das geht denn doch zu weit. Ich habe dich fast ein Jahr überhaupt nicht gesehen.“ (Seite 158)

Als Evelyn fragt, ob Helen bei Jack Terola gewesen sei, lässt diese sie stehen und geht zum Aufzug.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Am Telefon erfährt Verna von Evelyn, dass Helen wieder im Hotel ist. Wenige Minuten später trifft Paul ein. Helen öffnet nicht. Paul und Evelyn hören jemand in dem Apartment, aber es ist nicht Helens Stimme, sondern eine schrille, fast schreiende Frau. Paul drängt Helen, zu öffnen. Es dauert lang, bis jemand an die Tür kommt.

Es knackte im Schloss, die Sicherheitskette wurde zurückgeschoben und die Tür langsam geöffnet und Miss Clavoes zermartertes Gesicht schaute misstrauisch heraus. Sie sprach zu Blackshear, und ihr bleicher Mund arbeitete mühsam, um die Worte zu bilden: „Helen ist nicht hier. Sie ist weit weg gefahren. Sie ist alt und krank und todunglücklich und möchte in Ruhe gelassen werden.“ (Seite 163)

„Ganz ruhig, Helen. Regen Sie sich nicht auf. Alles wird noch gut.“
Er wartete. Dann fing er wieder an zu sprechen. Mit leiser, eindringlicher Stimme sprach er von Ärzten und Sanatorien, von Ruhe und Pflege und von der Zukunft. Immer von der Zukunft, als wäre sie etwas Bestimmtes, Greifbares, rotbackig und rund wie ein Apfel.
Sie blickte in die Kristallkugel des Spiegels und sah ihre Zukunft vor sich; von Erinnerungen vergiftete Nächte und von Begierde zerfressene Tage. (Seite 165f)

Sie hält einen Arm auf dem Rücken, und in einem Wandspiegel bemerkt Paul, dass sie einen Brieföffner in der Hand hat. Er bittet sie, ihn wegzulegen, aber sie durchsticht sich damit die Kehle.

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Aus einem einfachen Plot hat Margaret Millar einen sorgfältig durchdachten, intelligenten Psychothriller gemacht: „Liebe Mutter, es geht mir gut …“ Die beklemmende Atmosphäre, die sie auf der ersten Seite evoziert, hält sie bis zum Ende bei. Margaret Millar erzählt ohne jede Effekthascherei, schnörkellos und psychologisch stringent aus wechselnden Perspektiven. Die Charaktere werden durch Szenen, Dialoge und pointierte Beschreibungen lebendig. Aus mehreren über das ganze Buch verteilten Andeutungen entwickelt Margaret Millar auf virtuose Weise eine Schlusspointe, die alles umkippt, was man als Leser bis dahin annahm. Erst wenn man die Auflösung kennt und noch einmal zurückblättert, merkt man, dass „Liebe Mutter, es geht mit gut …“ wie ein präzises Uhrwerk abläuft und ein Rädchen ins andere greift.

Tatsächlich erschien selten die Auflösung einer Kriminalgeschichte so überraschend und zugleich so offensichtlich. Tat und Täter liegen so unmittelbar vor den Augen des Lesers wie Poes „Stibitzter Brief“, und doch sieht sie keiner. (Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 13. Mai 2006)

Margaret Millar wurde 1915 in Ontario geboren. Ihr Mädchenname war Margaret Ellis Sturm. In Toronto studierte sie Philologie und Archäologie. 1938 heiratete sie Kenneth Millar, der unter dem Pseudonym Ross Macdonald erfolgreiche Kriminalromane schrieb. Margaret Millar war zwar eine ausgezeichnete Konzertpianistin, aber nach der Geburt ihrer Tochter verlegte sie sich aufs Schreiben und veröffentlichte 1941 ihren ersten Kriminalroman: „The Invisible Worm“. Für „Liebe Mutter, es geht mir gut …“ wurde sie 1955 mit dem „Edgar Allen Poe Award“ ausgezeichnet. Im Alter von neunundsiebzig Jahren starb Margaret Millar 1994 in Santa Barbara, Kalifornien, an Herzversagen.

Margaret Millar: Bibliografie (Auswahl)

  • The Devil Loves Me (1942)
  • Wall of Eyes (1943; Blinde Augen sehen mehr, Übersetzung: Renate Orth-Guttmann)
  • Fire Will Freeze (1944; Da waren’s nur noch neun, Ilse Bezzenberger)
  • The Iron Gates (1945)
  • Experiment in Springtime (1947; Umgarnt, Monika Elwenspoek)
  • It’s all in the family (1948; Es liegt in der Familie, Klaus Schomburg)
  • The Cannibal Heart (1949)
  • Do Evil in Return (1950; Wie du mir, Renate Orth-Guttmann)
  • Rose’s Last Summer (1952; Letzter Auftritt von Rose, Nikolaus Stingl)
  • Vanish in an Instant (1952; Stiller Trost, Klaus Schomburg)
  • Wives and Lovers (1954)
  • Beast in View (1955; Liebe Mutter, es geht mir gut …, Elizabeth Gilbert)
  • An Air that Kills / The Soft Talkers (1957; Die Süßholzraspler, Georg Kahn-Ackermann und Susanne Feigl)
  • The Listening Walls (1959; Die lauschenden Wände, Karin Polz)
  • A Stranger in My Grave (1960)
  • How Like an Angel (1962; Fast wie ein Engel, Luise Däbritz)
  • The Fiend (1964; Die Feindin, Elizabeth Gilbert)
  • The Birds and the Beasts Were There (1968)
  • Beyond This Point Are Monsters (1970; Von hier an wird’s gefährlich, Fritz Güttinger)
  • Ask for Me Tomorrow (1976; Fragt morgen nach mir, Anne Uhde)
  • The Murder of Miranda (1979; Der Mord von Miranda, Hans Hermann)
  • Mermaid (1982; Nymphen gehören ins Meer!, Otto Bayer)
  • Banshee (1983; Banshee die Todesfee, Renate Orth-Guttmann)
  • Spider Webs (1986; Gesetze sind wie Spinnennetze, Jobst-Christian Rojahn)

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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Statt einer Handlung mit anschaulich gestalteten farbigen Szenen folgen wir Beobachtungen und Gedanken des ebenso klugen wie skurrilen Erzählers. So wird "Blaues Blut" zur mit Aperçus gespickten philosophischen Achterbahnfahrt weitab vom Mainstream, vorgetragen mit gedanklichem Furor und einer außergewöhnlich kraftvollen poetischen Sprache.
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