Eine neue Freundin

Eine neue Freundin

Eine neue Freundin

Eine neue Freundin – Originaltitel: Une nouvelle amie – Regie: François Ozon – Drehbuch: François Ozon, nach der Kurzgeschichte "Eine neue Freundin" von Ruth Rendell – Kamera: Pascal Marti – Schnitt: Laure Gardette – Musik: Philippe Rombi – Darsteller: Romain Duris, Anaïs Demoustier, Raphaël Personnaz, Isild Le Besco, Aurore Clément, Jean-Claude Bolle-Reddat, Bruno Pérard u.a. – 2014; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Claire und Laura sind seit der Schulzeit eng befreundet. In einer Doppelhochzeit heiraten sie Gilles und David. Dass Laura kurz nach der Geburt ihrer Tochter Lucie stirbt, macht Claire schwer zu schaffen. Als sie David mit einem Besuch überrascht, hat er Lucie auf dem Arm und trägt Kleidung der Toten. Claire fühlt sich zu ihm hingezogen, allerdings nur in der Verkleidung als "Virginie", in der er sie an ihre verstorbene Freundin erinnert ...
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Kritik

Die Kurzgeschichte "Eine neue Freundin" von Ruth Rendell inspirierte François Ozon zu diesem Film. Es ist ein Plädoyer für einen toleranten Um­gang mit Familien­konstellationen, die der Tradition widersprechen. Psycho­lo­gische Analysen interessieren Ozon dabei nicht, aber die Hauptdarsteller spielen überzeugend.
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Als die Kinder sieben Jahre alt sind, kommt Laura (Mayline Dubois / Isild Le Besco) zu Claire (Anna Monedière / Anaïs Demoustier) in die Schulklasse. Die beiden Mädchen werden enge Freundinnen und feiern schließlich mit David (Romain Duris) und Gilles (Raphaël Personnaz) eine Doppelhochzeit. Laura stirbt kurz nach der Geburt ihrer Tochter Lucie. Bei der Trauerfeier gelobt Claire, sich zeitlebens um ihre Patentochter Lucie und deren Vater zu kümmern.

Der Tod ihrer besten Freundin macht Claire schwer zu schaffen. Einige Zeit nach der Beerdigung kommt sie beim Joggen an Davids Villa vorbei. Sie betätigt den Türklopfer, aber niemand öffnet. Allerdings ist die Haustüre nicht abgeschlossen, und Claire tritt ein. Im Wohnzimmer sieht Claire eine Frau mit Lucie auf dem Arm sitzen, doch als die Person sich umdreht, erkennt Claire, dass es sich um David handelt, der wie Laura angezogen ist. Er habe schon immer gern Frauenkleider getragen, sagt er. Laura habe es gewusst und toleriert. Während der Ehe sei sein Verlangen nach Cross-Dressing ohnehin abgeflaut. Beim Bestatter bestand er darauf, der toten Laura selbst das Hochzeitskleid anzuziehen, mit dem sie dann im Sarg lag. Weil er Lucie nur beruhigen konnte, wenn er ihr ein von der Mutter hinterlassenes Kleidungsstück hinhielt und das Baby den vertrauten Geruch wahrnahm, begann er wieder, Frauensachen zu tragen, allerdings nur heimlich im Haus. David beschwört Claire, das Geheimnis nicht zu verraten, denn eine Aufdeckung könnte ihn das Sorgerecht für Lucie kosten.

Claire fühlt sich zu dem als Frau verkleideten David hingezogen, den sie „Virginie“ nennt, und belügt ihren Mann, wenn sie den gemeinsamen Freund besucht. Einmal steht unangemeldet Davids Schwiegermutter Liz (Aurore Clément) vor der Tür, als Claire bei ihm ist und er Lauras Sachen trägt. Claire hält sie so lange hin, bis David sich umgezogen hat.

Einige Zeit später möchte David erstmals das Haus als Transvestit verlassen und überredet Claire, ihn beim Shoppen zu begleiten. Während Gilles zu arbeiten hat und annimmt, seine Frau besuche ihre depressive Mutter, verbringen Claire und „Virginie“ ein Wochenende miteinander auf Davids Landsitz. Weil Claire vergisst, zwischendurch ihren Mann anzurufen, fragt dieser telefonisch bei ihrer Mutter nach und erfährt, dass sie gar nicht dort ist. Nach der Rückkehr gibt Claire zu, bei David gewesen zu sein. Um Gilles‘ Eifersucht zu zerstreuen, behauptet sie, ihn nur deshalb belogen zu haben, weil der Freund ein peinliches Problem vertraulich mit ihr besprechen wollte: Er sei schwul.

Um Gilles zu zeigen, dass sein Misstrauen grundlos ist, lädt Claire den gemeinsamen Freund zum Essen ein, und David bringt die sechs Monate alte Lucie mit. Gleichzeitig beendet Claire die heimlichen Zusammenkünfte mit „Virginie“.

David hört mit dem Cross Dressing auf, stellt ein Kindermädchen ein und arbeitet wieder.

Aber Claire vermisst „Virginie“ und verabredet sich während der Arbeitszeit mit David in einem Hotel. Er trägt wieder Damenwäsche und -kleidung. Sie gehen miteinander ins Bett, doch als Claire seinen Penis berührt, springt sie erschrocken auf, denn sie kann sich nicht länger darüber hinwegtäuschen, dass er ein Mann ist. Verstört zieht sie sich an, verlässt das Zimmer und kehrt in ihr Büro zurück.

Durchs Fenster sieht sie David kurz darauf in Frauenkleidern aus dem Hotel kommen. Sie schickt ihm eine versöhnliche SMS. Dadurch abgelenkt, gerät David vor ein Auto und wird ins Krankenhaus gebracht. Er liegt im Koma. Als Claire und Gilles hinkommen, sind Davids Schwiegereltern Liz und Robert (Jean-Claude Bolle-Reddat) bereits da und haben erfahren, dass David bei dem Unfall Frauenkleider trug. Er könne doch zu dieser Tageszeit nicht zu einem Kostümball unterwegs gewesen sein, meinen sie.

Claire überredet Gilles dazu, dass sie das verwaiste Kind zu sich nehmen.

Als David nach längerer Zeit noch immer nicht aus dem Koma erwacht ist, packt Claire in seiner Villa künstliche Brüste, Wäsche und Kleider ein. Damit fährt sie ins Krankenhaus, richtet ihn als Frau her, ruft ihn „Virginie“ und singt ihm das Lied „Une femme pour toi“ vor, das sie gemeinsam in einem Transvestiten-Lokal hörten. Tatsächlich schlägt David die Augen auf.

Sobald er dazu in der Lage ist, nimmt Claire ihn mit nach Hause und überrascht Gilles mit ihrer „neuen Freundin“, die fortan ebenso wie Lucie zur Familie gehört.

Sieben Jahre später: Virginie und die hochschwangere Claire holen Lucie gemeinsam von der Schule ab.

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Nachdem François Ozon die 1985 von Ruth Rendell veröffentlichte Kurzgeschichte „A New Girlfriend“ / „Eine neue Freundin“ gelesen hatte, wollte er sie verfilmen, ließ das Vorhaben dann aber erst einmal fallen und griff es erst mit zwei Jahrzehnten Verspätung wieder auf. Der Film „Une nouvelle amie“ / „Eine neue Freundin“ weicht allerdings stark von der literarischen Vorlage ab. Beispielsweise wird der Frauenkleidung tragende Mann in der Kurzgeschichte im Hotelbett erstochen.

Mit „Eine neue Freundin“ plädiert François Ozon für einen toleranten Umgang mit Familienkonstellationen, die nicht dem Standard von Vater, Mutter und Kindern entsprechen, also beispielsweise mit der Homo-Ehe. Warum soll der Vater keine High Heels tragen, wenn es ihm Freude macht? Claire liebt David, aber eigentlich nicht den männlichen Freund, sondern in der Verkleidung als Virginie, in der sie wiederum ihre verstorbene Freundin Laura zu erkennen glaubt. Ob sie lesbisch ist? Oder durch Lauras Tod verstört? François Ozon lässt es offen; es kommt ihm gar nicht auf psychologische Analysen an. Er begründet auch Davids Neigung zum Cross Dressing nicht weiter. Entscheidend für den Regisseur und Drehbuchautor ist es, die traditionelle Vorstellung von den Geschlechterrollen zu überwinden.

„Eine neue Freundin“ beginnt beim Bestatter: David zieht seiner toten Frau das Hochzeitskleid an, mit dem sie im Sarg liegen soll.

Innerhalb weniger Minuten spult François Ozon dann die gemeinsame Zeit der beiden Freundinnen Laura und Virginie vom 7. Lebensjahr bis zur Doppelhochzeit und zu Lauras frühem Tod ab. Erst danach beginnt die eigentliche, nicht sehr realistische Handlung. Sehenswert ist „Eine neue Freundin“ nicht nur wegen des Denkanstöße liefernden Inhalts, sondern vor allem auch wegen der beiden Hauptdarsteller. Anaïs Demoustier spielt die hin- und hergerissene Claire ebenso differenziert wie nuanciert, und Romain Duris verkörpert David/Virginie jenseits fast aller Tuntenklischees.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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