Annette Pehnt : Mobbing

Mobbing
Mobbing Originalausgabe: Piper Verlag, München 2007 ISBN 978-3-492-05070-8, 166 Seiten Piper-Taschenbuch, München 2008 ISBN: 978-3-492-25289-8, 166 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Jahrelang leidet Joachim Rühler unter Demütigungen und Anfeindungen im Büro. Schließlich wird ihm unter falschen Voraussetzungen fristlos gekündigt. Diese Erschütterung der Lebensumstände stellt die Ehe auf eine harte Probe ...
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Kritik

Ohne Pathos, aber mit einfühlsamer Beobachtung gelingt es Annette Pehnt, die Gefühlslage eines Ehepaares darzustellen, dessen Achtung und Würde verletzt wird. Kaleidoskopartig setzt die Autorin die Vorfälle zusammen, bis am Schluss deutlich wird, wie das gegenseitige Vertrauen ins Wanken kommt.
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Joachim Rühler und seine Frau (die Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren) führen ein angenehmes Leben, wie es sich eine Familie des Mittelstandes wünschen kann. Die fünfjährige Mona geht in den Kindergarten; das zweite Töchterchen, auch mit vier Jahren noch Baby genannt, macht ebenfalls keine Schwierigkeiten. Die Mutter war vor Geburt der Kinder in einem Verlag tätig, für den sie französische Romane ins Deutsche übersetzte. Jo ist bei der Stadtverwaltung angestellt und für kulturelle Angelegenheiten zuständig.

Seit eine neue Chefin die Abteilung übernahm, empfindet Jo das Betriebsklima zunehmend unbehaglicher. Nicht nur dass die Chefin für ihn ohne vorherigen Termin nicht zu sprechen ist – was für die anderen Kollegen nicht gilt – und sie ohne Gruß auf dem Flur an ihm vorbeigeht, hat sie ihm auch noch ohne Erklärung einige Arbeitsbereiche entzogen. Bei seiner Kollegin A., die sich sonst nach seinen Kindern erkundigte und dem Kollegen T., der immer gerne mit ihm laufen gehen wollte, stellt er nachlassende Solidarität fest. Sie nehmen die Chefin in Schutz, wenn er sich bei ihnen beklagt, dass ihm alle Dienstreisen gestrichen wurden und er seit Monaten stupid Datenbänke anlegen muss, statt mit seinen Projektpartnern neue Konzepte zu erarbeiten. Zudem hat Jo den Eindruck, dass sie seine Arbeitszeit kontrollieren und ihn auszuhorchen versuchen.

Die Demütigungen und Erniedrigungen machen Jo mürbe. An Monas viertem Geburtstag wurde er zum erstenmal krank und musste eine Weile zu Hause bleiben. Weitere Schwindelanfälle treten unberechenbar auf, und wenn seine Frau ihn krankmeldet, wird das herablassend kommentiert: „So, ist er also wieder krank, ja, da kann man nichts machen.“

„Wenn das Schlimmste passiert, muss man sich endlich nicht mehr davor fürchten“, sagt Jo zu seiner Frau und legt die Kündigung auf den Küchentisch. Sie meint, bei ihm Erleichterung herauszuhören, während sie die Situation noch nicht verarbeitet hat. Wenigstens kann er jetzt Dinge tun, die er sich schon lange vorgenommen hat, tröstet sie sich. Und ein Neuanfang hat ja auch seinen Reiz. Aber Jo ist lethargisch. Er nimmt seinen Marathonlauf nicht wieder auf, und das Klavierbuch das sie ihm schenkt, mit dem er sich selbst Klavierspielen beibringen könnte, beachtet er nicht. „Warum sitzt du nur da und machst nichts, du bist nicht mehr der Alte“, tadelt sie ihn.

Frau Rühler bringt weiterhin Mona in den Kindergarten und ist mit der Versorgung des Kleinkinds und den häuslichen Verrichtungen ausgelastet, sodass sie sich öfters über Jo ärgert, weil er viel und oft schläft und ihr nicht häufiger bei der Hausarbeit hilft. So lässt sie sich vermehrt zu gereizten Bemerkungen hinreißen, weil er zum Beispiel mal wieder einen Topf nicht saubergemacht hat.

Eigentlich will sie in ihrem Mann einen „Kämpfer“ sehen und wundert sich, warum er in Kauf nimmt, von seinen Kollegen und der Chefin so geringschätzig behandelt zu werden. Seine Frau ärgert sich:

[…] sie haben alles, was er gesagt und nicht gesagt, geschrieben und nicht geschrieben hat, festgehalten, dokumentiert, umgestülpt, auf den Kopf gestellt, gegen den Strich gelesen und für ihre Zwecke benutzt. (Seite 9)

Dazu kommt nun auch die Sorge über ihre finanzielle Lage. Wegen der Kinder traut sich die Frau nicht zu, wieder Übersetzungsarbeiten anzunehmen – selbst wenn der Verlag ihr überhaupt nochmal welche gäbe. Die Rühlers werden den Kindergarten für Mona nicht mehr bezahlen können und sie vom Flötenunterricht und Kindertanzen abmelden müssen. Die Besuche im Fitness-Studio würde sich Frau Rühler wohl auch nicht mehr erlauben können.

Jo und seine Frau haben keine Lust mehr, sich mit Freunden zu treffen. Sie meinen, immer einen mitleidigen Unterton zu hören, wenn sie über ihre Situation sprechen und banale Ratschläge mögen sie sich nicht mehr anhören. Selbst Katrin, eine langjährige Freundin von Frau Rühler, ist ihr keine Stütze. Sie hat Verständnis für Jo und wirft ihr mangelndes Einfühlvermögen vor. Außerdem beklagt sich Katrin, dass die Freundin sich für Nöte anderer nicht mehr interessiere. Wie es zum Beispiel ihr gehe, habe sie schon lange nicht mehr gefragt.

Die angespannte Situation führt immer häufiger zu Streit, an deren Ende Jos Frau zwar „die Verlockung des Rechthabens spürt“, sich dann aber schämt, nicht stark genug gewesen zu sein, zu schweigen, „weil jedes Rechthaben eine Kerbe schlägt, die schwer verheilt: eine Bitterkeit, die man lange schmeckt.“ (Seite 78)

Ihre aufgestaute Aggressivität kommt einmal zum Ausbruch, als sie mit den Kindern am Spielplatz einem Mädchen beim Sandburgbauen zusieht. Mona und Baby möchten mitspielen. Das Mädchen will sie aber nicht mitmachen lassen – und die Mutter schlägt mit aller Kraft auf den Sandturm, dass er in alle Richtungen zerspritzt.

Um seinen Schreibtisch zu räumen, an dem er elf Jahre arbeitete, geht Jo erst abends ins Büro, damit er niemand begegnet. Die Schlüsselübergabe muss er sich jedoch quittieren lassen; da ist eine Begegnung mit der Chefin unvermeidlich. Auch A. und T. sind anwesend. Außer dem Formular zur Rückgabe der Schlüssel übergibt ihm die Chefin ein Schreiben, unterzeichnet von A. und T.:

„Hiermit möchten wir uns dagegen verwahren, dass Herr Rühler jemals wieder in diesem Arbeitszusammenhang eingesetzt wird. Er ist unzuverlässig und pflichtvergessen. Die von ihm betreuten Projekte erfordern intensive Nacharbeit und genaue Supervision. Auf Hilfsangebote und konstruktive Kritik reagiert Herr Rühler mit arroganter Herablassung. Seine Anwesenheit ist uns physisch unerträglich geworden. Als Kollege ist er nicht länger zumutbar.“ (Seite 113)

Als Jo das seiner Frau erzählt, wartet sie darauf, dass er jeden Augenblick einen Schwindelanfall bekommt; er starrt aber nur vor sich auf den Küchentisch. Vom Abendessen rührt er nichts an und sie kann ihn auch nicht dazu bringen, ins Bett zu gehen. Aus Sorge um ihn, ruft sie Katrin an. Mit deren Ratschlag kann sie allerdings nichts anfangen. Katrin rät ihr, Jo zu lassen, wie er ist, und sie solle ihm einfach Raum geben.

In der Kündigung wird nicht nur auf Jos „zahlreiche Verspätungen und Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Arbeitsbeginns, auf Versäumnisse, Unterlassungen und Nichterfüllungen“ hingewiesen – viel schlimmer noch: es wird ein strafrechlicher Tatbestand festgestellt, und deswegen erfolgte die Kündigung fristlos.

Jo hat zwar nichts gestohlen, ist aber durch eine Unbedachtheit in eine ihn belastende Lage geraten. Es ging um eine Kassette, in der Geld aus dem Erlös eines Benefizkonzerts war. In Anwesenheit von A. holte er die Kassette aus seinem Schreibtisch, um Kassensturz zu machen. A. wies ihn darauf hin, dass er die Kassette dort eigentlich nicht aufbewahren dürfte; aber nach der Abrechnung, bei der ihm A. zusah, dachte er nicht mehr daran.

Gegen die fristlose Kündigung klagt Jo erfolgreich. Er muss wieder eingestellt werden.

Die Chefin hat sich allerdings etwas Besonders für ihn ausgedacht. Im Hinterhof des Verwaltungsgebäudes, neben den Altglasbehältern, sind Containerbüros, die für ausrangierte Bürogeräte und Praktikanten vorgesehen sind. Da keine Praktikanten da sind, ist Jo ganz für sich allein. Es gibt keinen Telefonanschluss, keine Klimaanlage und keine Toilette. Am Wochenanfang wird ihm in die Tür ein Umschlag mit den Arbeitsaufträgen für die nächsten fünf Tage geklemmt. Meistens sind es Aufträge für französische Übersetzungen. Jo kann nicht gut Französisch. Mit Hilfe eines Wörterbuchs übersetzt er Protokolle, Verordnungen, Bestimmungen etc. Am Freitag bringt er dem Pförtner die Seiten in einem Briefumschlag ins Hauptgebäude. Der händigt den Umschlag der Chefin aus – und die wirft ihn in den Müll. Sagt Jo. Er bindet sich jetzt auch keine Krawatte mehr um.

Das Ehepaar streitet sich mal wieder. Frau Rühler hält Jo vor, dass er sich angeblich damit zufrieden gibt, in dem Container zu sitzen und „Müll zu schreiben“. Ein toller Sieg, sei das gewesen, den der Herr Rechtsanwalt da für ihn ausgehandelt habe; geholfen habe das gar nichts, beschwert sie sich. Er habe sich das nicht ausgesucht, kontert er. „Wir sind im Krieg!“ Und man könne sich nicht aussuchen, wann der Krieg zu Ende ist. „Von dir ist nichts mehr übrig“, sagt sie und wagt den Satz nur leise auszusprechen, weil sie weiß, dass die Bemerkung ungerecht ist.

Nach dem gewonnen Prozess haben sie Freunde eingeladen. Jos Frau findet, man müsse „die alten Gespenster“ austreiben. „Es ist geschafft“, ruft sie und hebt ihr Glas, „der Krieg ist gewonnen, wie Jo sagen würde.“ Aber der schaut nur verlegen zu Boden. „Mein Held, mein Kämpfer, wie gut hat er sich gehalten“, lobt sie auf ihn in diesem Augenblick. Nachdem die Gäste gegangen sind, fragt sie ihn beim Gläserspülen, ob er denn nicht froh sei, weil sie nun wieder Pläne machen könnten. „Das ist noch nicht das Ende“, sagt er, „das geht noch weiter.“ Sie ist so enttäuscht von seiner Resignation, dass sie ein Glas gegen den Wasserhahn schlägt. „Spielverderber“, zischt sie ihn an, und fasst absichtlich in die Scherben.

Du kannst nicht mehr feiern. Du bist vergiftet.
Du bist betrunken, sagte Jo, sag lieber nichts.
Alle kommen, um mit uns zu feiern, aber du willst ja nicht raus aus dem Loch.
Hör mal, so einfach ist das nicht, wir haben gewonnen, gut, aber sie werden in Berufung gehen, sie werden mich weiter in die Ecke treiben, das hört nicht einfach so auf.
Doch, schrie ich und schlug ihm die blutigen Hände gegen das Hemd, damit es verschmierte, doch das hört jetzt auf.
Blut lässt sich ganz schlecht auswaschen. Da bleibt immer etwas zurück. (Seite 141)

Nachdem sie sich mit Katrin nicht mehr über Jo unterhalten will, sucht sie eine Person, mit der sie sprechen kann. Xenia, der Mutter von Monas Freundin erzählt sie alles: von der Chefin, vom Prozess und dass Jo jetzt in einem Container sitzt und „Müll macht“. Xenia reagiert heftig; so etwas dürfe sie von ihrem Mann nicht sagen. Den Einwand, dass Jo das auch so sehe, lässt Xenia nicht gelten. Sie müsse Jo unterstützen, respektieren und ihm klarmachen, dass seine Arbeit zählt.

Abends fragt sie Jo, ob er auch finde, dass er Müll mache. Das sei noch untertrieben anwortet er. „Ich mache Scheiße, so einfach ist das. Oder noch schlimmer, ich mache nichts. Ich bin ein Nichtsnutz“, sagt er und lacht dabei.

Die Vorschläge von Freunden zur Verbesserung der Situation reichen von „Augen zu und durch“, „wenigstens seid ihr nicht ernsthaft krank“ oder „das kann ja nicht ewig so gehen“. An einen Hinweis erinnert sich Jos Frau aber jetzt, nämlich dass Jo seinen Teil getan habe und sie jetzt dran sei. Sie könnte doch wieder arbeiten gehen, wird ihr nahegelegt. Auf ihrer Liste zu erledigender Aufgaben steht zwar „Verlag anrufen“; bisher konnte sie sich jedoch nicht dazu aufraffen.

Ein ihr bisher nicht bekanntes Gefühl bedrückt sie: niemanden ganz auf ihrer Seite zu haben – die Freundinnen nicht, selbst Jo nicht. Sie ahnt, wie sich Jo „als einsamer Krieger“ fühlen muss. Jeder Satz will bedacht sein, um sich nicht bloßzustellen. Sogar mit Jo unterhält sie sich kaum noch.

Nach der zweiten Woche im Container gönnt sich das Ehepaar ein kinderloses Wochenende. Außer der von Jos Frau nicht sehr geschätzten Schwiegermutter erklärt sich keiner bereit, auf die Mädchen aufzupassen.

Bei einem Spaziergang fragt sie ihren Mann, ob er oft an den Container denken müsse.

Nur wenn du fragst, sagte Jo […]
Soll ich lieber nicht fragen.
Jo antwortete nicht. (Seite 165)

Dann platzt Jo damit heraus, dass sein Rechtsanwalt davon ausgehe, es werde nach der Sommerpause einen Gerichtstermin für die Berufung geben. Weitere Aussichten also: Sommerpause, Gerichtstermin, Herbstferien, Gerichtstermin, Weihnachten, Gerichtstermin. Und unseren Anwalt werden wir auch nicht mehr bezahlen können, gibt Jo zu bedenken.

Trotzdem, sagte er, bin ich froh.
In diesem Moment gab ich auf.
Ich ging weiter, ich hörte den Gleichklang unserer Schritte, den Schotter unter unseren Schuhen […] (Seite 166)

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Die bedrückende Stimmung, die durch ein vergiftetes Betriebsklima im Arbeitsbereich erlebt wird, überträgt sich auf die Privatsphäre. Der Mann ist deprimiert, die Frau will nicht wahrhaben, dass er Demütigungen ausgesetzt ist und sich nicht gegen das Mobbing wehrt. Die Gereiztheiten führen immer öfter zu häuslichem Streit. Da erscheint die Kündigung fast wie eine Erlösung. Statt sich jedoch über einen Neuanfang zu freuen oder lang geplante Aktivitäten aufzunehmen, lässt er sich hängen. Bei der Frau entstehen Existenzängste, nicht nur wegen der angespannten finanziellen Lage, sondern auch weil sie sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt. Den Prozess, den sie wegen der fristlosen Kündigung führen, gewinnen sie, und der Mann muss wiedereingestellt werde. Die Arbeitsbedingungen sind aber derartig entwürdigend, dass sich immer mehr Aggression anstaut. Die Familie muss überdies davon ausgehen, dass der Arbeitgeber ein Berufungsverfahren einleiten wird.

Annette Pehnt gelingt es, ohne Pathos die Gefühlslage der Protagonisten mittels einer Ich-Erzählerin anschaulich darzustellen. Die geschickt gewählte Perspektive führt dazu, dass nicht das Mobbing selbst im Mittelpunkt des Romans steht, sondern dessen Auswirkungen auf den Betroffenen und seine Angehörigen. Annette Pehnt schildert eindringlich und nachvollziehbar, wie ihnen durch Ungerechtigkeiten und falsche Beschuldigungen, Angst und Misstrauen der feste Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Nicole Weegmann verfilmte den Roman von Annette Pehnt: „Mobbing“.

Welche Auswirkungen Arbeitslosigkeit auf eine Ehe haben kann, zeigt auch der Film „Tage und Wolken“ von Silvio Soldini.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2008
Textauszüge: © Piper Verlag

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