Der Pianist

Der Pianist

Der Pianist

Der Pianist - Originaltitel: The Pianist - Regie: Roman Polanski - Drehbuch: Ronald Harwood, nach den Memoiren von Wladyslaw Szpilman - Kamera: Pawel Edelman - Musik: Wojciech Kilar - Darsteller: Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Frank Finlay, Maureen Lipman, Ed Stoppard, Julia Rayner, Jessica Kate Meyer, Emilia Fox, Ruth Platt u.a. - 2002; 150 Minuten

Inhaltsangabe

1940 sperren die Deutschen den polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman zusammen mit 445 000 anderen Juden in das Warschauer Ghetto. Während seine Familienangehörigen 1942 in ein Vernichtungslager gebracht werden, rettet ihm ein Kollaborateur im letzten Augenblick das Leben, und ausgerechnet ein deutscher Offizier bewahrt ihn Ende 1944 vor dem Verhungern.
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Kritik

Bei "Der Pianist" von Roman Polanski handelt es sich um eine realistisch-nüchterne, erschütternde Verfilmung der Autobiografie des polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman (1911 - 2000).
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Der polnische Pianist Wladyslaw Szpilman (1911 – 2000, gespielt von Adrien Brody) wohnt noch mit seinem Bruder Henryk (Ed Stoppard) und seinen beiden Schwestern Regina (Julia Rayner) und Halina (Jessica Kate Meyer) bei den Eltern (Frank Finlay, Maureen Lipman), als im September 1939 die Deutschen einmarschieren. Geschützfeuer bringt die Mauern des Warschauer Rundfunks zum Bersten: Die Aufnahme eines Nocturnes von Frédéric Chopin mit Wladyslaw Szpilman am Flügel muss abgebrochen werden. Auf dem Weg in den Schutzkeller begegnet er der Cellistin Dorota (Emilia Fox), die sich trotz der unpassenden Situation freut, den Pianisten kennen zu lernen, dessen Kunst sie bewundert.

Einige Zeit später trifft Wladyslaw Szpilman die junge Polin wieder und lädt sie in ein Café ein, aber für ihn als Juden ist der Zutritt inzwischen verboten. In den Park darf er auch nicht. Schließlich müssen die Juden einen blauen Davidstern auf weißem Grund an ihrem Ärmel tragen und überall auf die Schikanen der Deutschen gefasst sein: Wenn es einem Posten gefällt, haben sie auf der Straße zu tanzen. Die Szpilmans werden enteignet und 1940 zusammen mit 445 000 anderen Juden in das Warschauer Ghetto gesperrt. Damit die Familie wenigstens Kartoffeln kaufen kann, spielt Wladyslaw allabendlich in einer von Kollaborateuren besuchten Gaststätte.

Endlich gelingt es ihm durch Beziehungen, Arbeitsgenehmigungen für die Familienmitglieder zu beschaffen. Aber am 22. Juli 1942 beginnen die Deutschen mit der Räumung des Ghettos, in dem bereits 50 000 Menschen an Hunger und Krankheit gestorben sind. Innerhalb eines Vierteljahres werden 300 000 Juden in Vernichtungslager transportiert – darunter auch die Familie Szpilman. Nur Wladyslaw wird im letzten Augenblick und ohne sein Zutun durch einen jüdischen Kollaborateur vor diesem Schicksal bewahrt. Er kommt bei einem Bautrupp unter. Bei einem Einsatz außerhalb des Ghettos sieht er noch einmal seine heimliche Liebe Dorota, die auf einem Marktplatz einkauft.

Durch die Hilfe eines Leidensgenossen gelingt ihm die Flucht aus dem Ghetto; polnische Untergrundkämpfer verstecken Szpilman in einer leer stehenden Wohnung unmittelbar an der Ghettomauer. Durchs Fenster beobachtet er, wie SS-Einheiten 1943 mit Geschützen und gepanzerten Fahrzeugen einen Aufstand der letzten Ghetto-Bewohner niederschlagen, die wochenlang mit Pistolen, Handgranaten und Molotow-Cocktails um jeden Schlupfwinkel kämpfen.

Die Untergrundgruppe, die ihm geholfen hat, wird von der Gestapo enttarnt. Man warnt ihn, dass er in seinem Versteck nicht mehr sicher sei, aber er bleibt. Erst als er – zitternd vor Hunger – auf der Suche nach Lebensmitteln aus Versehen einen Stapel Teller umkippt und die Nachbarn durch den Lärm auf ihn aufmerksam werden, läuft er aus dem Haus.

Er sucht die Adresse auf, die ihm jemand für den Notfall aufgeschrieben hat. Dorota öffnet die Wohnungstür. Sie ist inzwischen verheiratet und schwanger. Ihr Mann bringt Szpilman in einer anderen leer stehenden Wohnung unter. In den Häusern auf der anderen Straßenseite haben die Deutschen ein Lazarett und eine Kommandozentrale eingerichtet. Ein früherer Techniker des Warschauer Rundfunks bringt Szpilman hin und wieder etwas zu essen. Er sammelt zwar im Untergrund für den versteckten jüdischen Pianisten, aber er steckt einen Großteil davon in die eigene Tasche und kümmert sich nicht darum, dass Szpilman leberkrank wird. Dorota und ihr Mann, die noch einmal nach ihm sehen, bevor sie mit ihrem Neugeborenen die Stadt verlassen, entdecken den Bettlägerigen und rufen einen vertrauenswürdigen Arzt.

Szpilman erholt sich wieder. Er bleibt unbehelligt – bis sich im Herbst 1944 die Warschauer gegen die Deutschen erheben und aus Nachbarwohnungen auf sie geschossen wird. Da fährt ein Panzer auf und zerschießt die Häuserfront. Im letzten Augenblick gelingt es Szpilman, zu entkommen. Zunächst verkriecht er sich in der Ruine des verlassenen Lazaretts gegenüber, aber die Deutschen setzen alles mit Flammenwerfern in Brand: Gerade noch rechtzeitig springt er durch ein Parterrefenster in den Hinterhof und entkommt über eine Mauer in das ausgestorbene Ghetto.

Verdreckt und jeder menschlichen Beziehung beraubt, nur noch vom puren Überlebenswillen getrieben, irrt er durch die zerschossenen Straßenzüge und versteckt sich in der Ruine eines mehrstöckigen Hauses auf dem Dachboden. Verzweifelt sucht er in den leeren Wohnungen nach etwas Trink- und Essbaren. Endlich findet er eine Dose Gurken. Mit einem Schürhaken und einer Schaufel versucht er sie zu öffnen. Da steht plötzlich ein Wehrmachtsoffizier (Thomas Kretschmann) vor ihm und fragt: „Was suchen Sie hier?“ Szpilman starrt den Deutschen an. Als Hauptmann Wilm Hosenfeld herausfindet, dass es sich bei dem aufgestöberten Mann um einen Pianisten handelt, befiehlt er ihm, auf einem Flügel im Zimmer nebenan etwas zu spielen. Dann begreift er, dass er einen Juden vor sich hat, aber er erschießt ihn nicht, sondern lässt sich sein Versteck zeigen und geht dann, ohne ein Wort zu sagen.

In den nächsten Tagen richten die Deutschen einen Kommandostab in den noch brauchbaren Wohnungen der Ruine ein. Hauptmann Hosenfeld bringt Szpilman heimlich einen Laib Brot. Und als dieser sich nach der Bedeutung des Artilleriefeuers erkundigt, berichtet ihm der Offizier, dass die Russen schon ganz in der Nähe ist. „Halten Sie durch! Nur noch ein paar Wochen.“ Am 12. Dezember 1943 schenkt Wilm Hosenfeld dem Untergetauchten seinen Mantel und verabschiedet sich, denn die Deutschen verlassen Warschau und weichen der Roten Armee.

Im Frühjahr 1944 fährt ein russischer Lastwagen durch die Straße. Wladyslaw Szpilman eilt aufgeregt ins Freie und läuft den ersten Menschen, die er sieht, mit offenen Armen entgegen. Aber die schrecken vor ihm zurück: „Ein Deutscher!“ Russische Soldaten schießen auf ihn, bis sie begreifen, dass es sich um einen Polen handelt. Warum er einen deutschen Offiziersmantel trage, fragen sie ihn. Weil ihm kalt sei, antwortet er.

Nach dem Krieg tritt Wladyslaw Szpilman wieder als Pianist auf. Ein anderer Musiker berichtet ihm, in einem Lager habe ihn ein kriegsgefangener deutscher Offizier nach dem Pianisten Szipilman gefragt und um Hilfe gebeten. Sie suchen nach Wilm Hosenfeld, aber sie finden ihn nicht.

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Roman Polanski wurde 1933 in Paris geboren, als Sohn eines jüdischen Ehepaares, das 1936 nach Krakau zog. Während seine Mutter in Auschwitz umkam, gelang es ihm und seinem Vater, den Holocaust zu überleben. In seiner Autobiografie ging er über dieses Trauma hinweg, und – obwohl es ihn nie losließ – beabsichtigte er nach eigener Aussage nie, seine eigene Geschichte in einem Film zu erzählen. Erst in der Autobiografie des polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman („Das wunderbare Überleben. Warschauer Erinnerungen 1939 bis 1945“) fand Roman Polanski die Möglichkeit, seine Kindheitserlebnisse filmisch zu verarbeiten.

„Der Pianist“ ist eine unfassbare, unglaubliche und doch authentische Geschichte, grauenvoller noch als „Schindlers Liste“. Auf ebenso realistisch-nüchterne wie eindringliche Weise veranschaulicht Roman Polanski, was Juden während des Zweiten Weltkriegs in Polen widerfuhr, wie sie durch Vorschriften gedemütigt wurden und deutsche Soldaten sie zum Spaß schikanierten: „Wisst ihr, warum wir euch heute verprügeln?“, herrscht ein Offizier eine Gruppe an und nimmt einen Schluck aus seiner Schnapsflasche. „Weil wir heute Silvester feiern!“

Roman Polanskis Inszenierung des Grauens wirkt beinahe dokumentarisch – und gerade dadurch schockierend. Beispielsweise zeigt er in „Der Pianst“ einen deutschen Offizier, der auf der Straße einen Bautrupp anhält, einem Dutzend Männern befiehlt, aus der Marschkolonne herauszutreten, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen, dann gelassen die Reihe abgeht und einen nach dem anderen durch einen Schuss in den Hinterkopf tötet. Kein tobender Nazi. Keine sich krümmenden Sterbenden. Die Männer liegen still da, bis der Mörder vor ihnen steht, und dann zucken sie nur kurz. Als der Offizier an den letzten Mann am Boden herantritt und abdrückt, ist nur der Schlagbolzen zu hören. Während das Opfer den Kopf dreht und nachsieht, warum der erwartete Schuss ausblieb, sichert der Deutsche ungerührt seine Waffe, wechselt das Magazin, entsichert die Pistole wieder und schießt dann genauso zielsicher wie zuvor.

Die bei Jüterbog und auf dem Filmgelände in Babelsberg für „Der Pianist“ nachgebauten Straßenzüge, Hausfassaden und Ruinen wirken echt.

Adrien Brody erweist sich als Idealbesetzung für die Hauptrolle: Er stellt sehr glaubwürdig die Entwicklung des Pianisten zum ohnmächtig der Willkür der Nationalsozialisten ausgelieferten Ghettobewohner dar, den physischen und psychischen Verfall des Untergetauchten, der jederzeit mit seiner Entdeckung und Tötung rechnen muss, vor Durst, Hunger und Angst beinahe krepiert und nur noch vom blanken Willen zum Überleben getrieben wird.

Am Ende der Vorführung von „Der Pianist“ im voll besetzten Kino in Kelkheim am 30. Dezember 2002 stand niemand vor dem Ende des minutenlangen Nachspanns auf, obwohl das Licht im Saal allmählich immer heller wurde. Vielleicht hörten die Zuschauer dem Pianisten zu, der zum Schluss noch einmal spielte, möglicherweise waren sie aber auch so betroffen, dass sie eine Weile brauchten, um sich zu sammeln.

Am 23. März 2003 gab es „Oscars“ für Regie, Drehbuch und Hauptdarsteller Adrien Brody.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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Die satirische Erzählung "1912 + 1" ist in das politische Geschehen unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg eingebettet und nach Leonardo Sciascias eigenen Worten "vollgestopft mit Zitaten, Verweisen und Anspielungen" (Seite 87).
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