Theresa Prammer : Mörderische Wahrheiten

Mörderische Wahrheiten
Mörderische Wahrheiten Originalausgabe: List Verlag, Berlin 2016 ISBN: 978-3-471-35137-6, 496 Seiten ISBN: 978-3-8437-1264-4 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

30 Jahre nach der Festnahme des Serienmörders Alfred Riedl in Wien werden erneut Jugendliche nach exakt dem gleichen Muster erstochen, und die Polizei stellt an den Leichen Riedls DNA sicher. Aber er ist tot: Kurz vor dem Beginn der neuen Mordserie starb er im Gefängnis. Konrad Fürst, der vor 30 Jahren die polizeilichen Ermittlungen leitete, leidet unter einer Amnesie. Aber die Möbelhaus-Detektivin Carlotta Fiore wirkt bei der Aufklärung des Falls mit ...
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Kritik

Ein paar Details in "Mörderische Wahrheiten" wirken konstruiert, aber Theresa Prammer behält die Komplexität souverän im Griff und versteht es, nicht nur durch Andeutungen und Cliffhanger Spannung zu erzeugen, sondern auch mit unerwarteten Wendungen zu überraschen.
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Wien, 2006. Carlotta Fiore arbeitet in einem Möbelhaus als Detektivin. Die 29-Jährige gilt als Tochter der inzwischen toten Operndiva Maria Fiore. Aber sie selbst hält es für möglich, dass Maria ihre leibliche Tochter Carlotta vor 25 Jahren wegen psychischer Auffälligkeiten heimlich in ein teures Privatheim abschob und ein von ihr entführtes Mädchen aufzog. Carlotta vermutet, dass sie die im Alter von vier Jahren entführte Tochter Julia des früheren Wiener Kriminalkommissars Konrad Fürst ist. Der quittierte damals den Polizeidienst und wurde Clown. Seine Frau war überzeugt, dass ihre Tochter sich ertränkt hatte, gab sich dafür die Schuld und nahm sich bald darauf das Leben.

Um der Polizei zu helfen, eine Mordserie in der Wiener Oper aufzuklären, schleuste sich die Kaufhausdetektivin Carlotta Fiore vor eineinhalb Jahren als Statistin ein. Konrad Fürst, der ebenfalls undercover mitarbeitete, obwohl er der Polizei längst den Rücken gekehrt hatte, stürzte damals von einer sechs Meter hohen Beleuchterbühne in die Tiefe. Er wurde reanimiert und lag seither im Koma. Nachdem der 59-Jährige jetzt zu sich gekommen ist, nimmt Carlotta ihn mit in seine Wohnung, in die sie inzwischen mit ihrem bei der Mordkommission beschäftigten Lebensgefährten Hannes Fischer und dem sechs Monate alten Sohn Konny gezogen ist.

Am Grünen Prater, wo Kinder sich prostituieren, hat man die Leiche der 14-jährigen Schülerin Emmy Hauser gefunden, und ihre gleichaltrige Freundin Diana Krämer wird vermisst. Die Tote ist mit einem gelben T-Shirt und einer kurzen grauen Hose bekleidet. Exakt 21-mal hat der Mörder mit einem Messer zugestochen, obwohl bereits der erste Stich tödlich war. Das entspricht bis in die Details einer Mordserie vor 30 Jahren. Damals brachte der angesehene Kinderarzt Dr. Alfred Riedl innerhalb eines Jahres drei Jungen und drei Mädchen im Alter zwischen 13 und 16 Jahren auf diese Weise um. Seine DNA wird nun auch an Emmy Hausers Leiche sichergestellt.

Alfred Riedl starb jedoch drei Tage vor dem Leichenfund, vermutlich am Tag vor dem Mord, in der Justizanstalt Stein in Krems im Alter von 59 Jahren an Herzversagen.

Dass Konrad Fürst so rasch aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte Hauptkommissar Heinz Krump veranlasst. Er hofft nämlich, dass ihm sein früherer Kollege bei der Aufklärung des Mordfalls helfen wird. Aber Konrad Fürst kann sich an nichts erinnern; er leidet an einer Amnesie.

Carlotta Fiore wird von mehreren Fragen zugleich umgetrieben. Unlängst wies sie Hannes Fischers Heiratsantrag ebenso brüsk wie gedankenlos zurück, und nun wissen sie beide nicht, wie sie damit umgehen sollen, denn sie lieben sich. Die zweite Frage betrifft ihre Identität: Um zu überprüfen, ob sie Konrad Fürsts Tochter ist, lässt sie sich von einem DNA-Labor eine Box mit Wattestäbchen für Speichelproben schicken. Außerdem beschäftigt sie der Mordfall, nicht nur, weil ihr mutmaßlicher Vater damals die Ermittlungen leitete, sondern auch, weil sie die Witwe des Serienmörders vor 15 Jahren kennenlernte. Sarah Riedl, eine geborene Pressler, ist inzwischen mit Adam Fitzpatrick verheiratet. Aus ihrer Ehe mit Alfred Riedl stammen der 46-jährige Schönheitschirurg Dr. Victor Riedl, dessen jüngere Geschwister Renate („Nate“) und Moritz sowie die in Vietnam geborene Adoptivtochter Kim Riedl.

Auf sie alle trifft Carlotta Fiore bei Alfred Riedls Beerdigung im Stadtteil Neuwaldegg.

Kim schickt ihr später eine SMS, der nicht mehr steht als „nach Jana suchen“. Dann erhält Carlotta eine E-Mail der jungen Frau mit dem Geständnis, sie habe ein Verhältnis mit ihrem Adoptivvater und der Ankündigung ihres Suizids. Bald darauf findet man ihre Leiche. Kim wurde von einem Zug erfasst.

Sarah Fitzpatrick gerät außer sich, als sie erfährt, dass ihr Ehemann Adam eine Wohnung in der Schweglerstraße als Liebesnest für sich und seine Adoptivtochter gemietet hatte. Adam Fitzpatrick flüchtet aus der Villa und wagt sich nicht mehr nach Hause.

Die vermisste Diana taucht zwar wieder auf, aber im Hotel Orient wird die Leiche des 15-jährigen Kevin gefunden, in der Oper die der ein Jahr älteren Magda, und im Gebüsch („Liebeslaube“) am Kunsthistorischen Museum liegt die des 13-jährigen Patrick. Alle tragen die gleiche Kleidung – gelbes T-Shirt, kurze graue Hose –, und jeder Körper weist 21 Stichwunden auf.

Als Carlotta eine mit ausgeschnittenen Buchstaben gebastelte Warnung erhält – „FürSt SteigT auS SonsT sTirbt SeinE tochTEr“ –, schickt sie Konny sicherheitshalber nach Lauterhofen bei Nürnberg, wo ihn eine Cousine ihrer Nachbarin Anna aufnimmt.

Weil Carlotta sich innerhalb weniger Tage mehrmals krank meldete, wird sie vom Möbelhaus entlassen. Aber sie bekommt rasch einen neuen Job: Um Konrad Fürst für die Mitarbeit bei der Mordkommission zu gewinnen, akzeptiert Heinz Krump, der soeben zum Polizeichef avanciert ist, Carlotta Fiore als dessen Assistentin und schickt ihr einen entsprechenden Vertrag.

Der von Kim angegebene Name führt Carlotta zu Jana Schneider, aber die frühere Filmschauspielerin weiß nichts, was bei der Aufklärung des Mordfalls Emmy Hauser helfen könnte. Sie war wohl nicht gemeint. Es dauert eine Weile, bis die Polizei aufgrund von Carlottas Hinweisen auf Jana Birnbaum stößt. Der Vater des am 3. Oktober 1970 geborenen Kindes war Alfred Riedl. Seine Frau Sarah ahnte nichts davon, bis Anneliese Birnbaum mit der fünfjährigen Tochter Jana vor der Tür stand und Geld verlangte. – Jana Birnbaum kann nicht mehr befragt werden; sie brach sich im Alter von 15 Jahren bei einem Sturz das Genick.

Der Witwer Georg Wagener vermisst seine Tochter Franziska („Fanny“). Die 13-jährige Schauspielschülerin wollte am Nachmittag zu einem Casting, ist seither verschwunden und meldet sich nicht mehr am Handy. Während Heinz Krump alle verfügbaren Polizisten in die Hasnerstraße schickt, wo das Casting stattfinden sollte, fährt Carlotta mit Konrad in die Schweglerstraße. Weil es Konrad nicht gut geht, bleibt er im Auto sitzen, und Carlotta sucht allein nach der von Adam Fitzpatrick gemieteten Wohnung. Victor Riedl reißt die Tür auf. Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegen eine kurze graue Hose und ein gelbes T-Shirt. In der Hand hält er einen Plastikbeutel mit einem Messer.

Da erst sah ich die Plastikhandschuhe an seinen Händen. Sie waren durchsichtig und eng wie eine zweite Haut. Darum hatte ich sie nicht bemerkt. Er registrierte meinen Blick, trat einen Schritt zurück und hob entschuldigend die Hände.
„Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich habe immer welche von diesen Chirurgenhandschuhen dabei.“

Er habe das Messer in der heimlich von seinem Stiefvater gemieteten Wohnung gefunden und daraufhin die Handschuhe übergestreift, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, erklärt er.

„Wissen Sie, was ich mich die ganze Zeit frage?“ Er zog sich die Handschuhe von den Händen. „Ob Kim es gewusst hat? Ob sie deshalb … Oder ob er …“ Er musste es nicht aussprechen, ich wusste, was er meinte. Hatte Adam Kim umgebracht? Vielleicht war diese letzte Mail gar nicht von ihr. Vielleicht hatte er sie zur Seite schaffen müssen, weil sie ihn durchschaut hatte.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Die Polizei habe er bereits angerufen, sagt Victor Riedl, sie werde gleich eintreffen. Weil Carlotta ihr Handy nicht bei sich hat, fragt sie, ob es in der Wohnung ein Telefon gebe.

Victor Riedl sah sich um. „Ich weiß nicht. Ich habe keines gesehen. Wenn Sie wollen, mein Handy – es ist unten im Auto.“
„Ja, bitte.“

Zu spät fällt ihr auf, dass Riedl behauptete, vor einer Minute die Polizei alarmiert zu haben. Womit will er das getan haben, wenn sein Handy im Auto liegt?

Als sie wieder zu sich kommt, sitzt sie gefesselt auf einem Stuhl – neben der ebenfalls gefesselten Fanny. Beide tragen gelbe T-Shirts und kurze graue Hosen. In der Schweglerstraße sind sie offenbar nicht mehr. Carlotta fragt sich, ob Victor Riedl sie in die Hasnerstraße gebracht hat, erfährt aber von Fanny, dass diese bei der angegebenen Adresse einen Zettel mit dem Hinweis fand, das Casting sei verlegt worden.

Um Zeit zu gewinnen, redet Carlotta mit dem Mörder. Der durchschaut zwar ihre Absicht, geht aber darauf ein. Er fühlt sich sicher.

Victor Riedl erzählt, sein Großvater sei traumatisiert aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekommen und habe sich 1948, ein Jahr nach der Geburt des Sohnes, das Leben genommen. Weil die Witwe danach verschwand, wuchs Alfred bei seiner Großmutter auf, die sich mit Heim- bzw. Näharbeit durchschlug. Im Alter von zehn Jahren wurde Alfred von einer Straßenbande überfallen und in einen Keller gezerrt. Dort schnitten ihm die Jugendlichen, zu denen auch ein Mädchen gehörte, reihum kleine Hautstücke aus dem Körper, insgesamt 21. Das dauerte Stunden. Erst als er sich nicht mehr wehrte, ließen sie von ihm ab. Am Morgen kam er nach Hause und fand seine geliebte Großmutter tot vor: Sie war vor Sorge und Aufregung an einem Herzinfarkt gestorben. Alfred Riedl musste daraufhin in ein Heim. Als seine Kinder etwa so alt waren, wie damals die Mitglieder der Bande, konnte er dem Drang nach Rache nicht mehr widerstehen: Im Verlauf eines Jahres ermordete er sechs Jugendliche, nachdem er sie jeweils dazu gebracht hatte, ein gelbes T-Shirt und eine kurze graue Hose anzuziehen, wie er sie damals getragen hatte. Victor Riedl gibt zu, sowohl seine Halb- als auch seine Adoptivschwester getötet zu haben. Bei Jana fingierte er einen Unfall, bei Kim einen Selbstmord. Kims angeblichen Abschiedsbrief schrieb er selbst. Die Geschwister wussten von Kims Verhältnis mit Adam Fitzpatrick, und durch die Deponierung der „Beweismittel“ in dem Liebesnest wollte Victor Riedl den Mordverdacht auf ihn lenken.

Carlottas Hoffnung, Konrad werde ihr und Fanny helfen, bricht in sich zusammen, als Victor Riedl einen Scheinwerfer schwenkt und auf Konrad Fürst richtet, der ebenfalls gefesselt auf einem Stuhl sitzt. Nun kommen auch Renate und Moritz Riedl herein. Die Geschwister wechselten sich bei der Ermordung der Kinder ab, um ihrem verstorbenen Vater ein Denkmal zu setzen.

Mit einer Überlebenschance rechnete Carlotta nicht mehr. Sie bedauert, ihre Beziehung mit Hannes nicht geklärt und die Post vom DNA-Labor nicht geöffnet zu haben.

Unvermittelt befreit Moritz Riedl sie und stellt sich seinem älteren Bruder in den Weg. Dann bringt er seine Schwester zu Fall, und sie stürzt in das Messer, das sie in der Hand hielt. Im selben Augenblick taucht Heinz Krump in der Tür auf und schießt Moritz Riedl nieder. Victor Riedl schlägt den Polizeichef zu Boden. Auf seiner Flucht in Renates Auto nimmt er Carlotta mit. Nach kurzer Zeit taucht ein Hubschrauber über ihnen auf, und von hinten nähern sich Streifenwagen. Zunächst gibt Victor Riedl Gas, aber als er einsieht, dass er keine Chance hat, die Verfolger abzuschütteln, hält er an. Er lasse sie am Leben, weil sein Bruder Moritz sie geliebt habe, erklärt er Carlotta, bevor er aussteigt und mit einem Griff nach hinten in den Hosenbund das Ziehen einer Waffe vortäuscht, damit ihn die Polizei erschießt.

Konrad Fürst war Victor Riedl und Carlotta Fiore in die Herbststraße 69 nachgefahren und hatte Heinz Krump die Adresse durchgegeben, bevor er hineinging und überwältigt wurde. Der Polizeichef fuhr aus der nahen Hasnerstraße allein hin. Während er bewusstlos am Boden lag, beobachtete sein auf der Straße zurückgebliebener Sohn Florian, in welches Auto Victor Riedl mit Carlotta Fiore stieg und teilte es der Polizei mit.

Renate Riedl erstach sich bei dem Sturz versehentlich selbst; auch ihr Bruder Victor ist tot. Moritz Riedl überlebt seine Schussverletzung. Sarah Fitzpatrick muss in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden.

Das Ergebnis des DNA-Vergleichs bestätigt Carlotta Fiores Vermutung, dass es sich bei ihr um Konrad Fürsts im Alter von vier Jahren entführte Tochter Julia handelt.

Hannes Fischer räumt ihre Befürchtung aus, dass er sie zugunsten seiner 26-jährigen Assistentin Regina Steindl aufgeben könnte. Carlotta kann es kaum glauben, dass er trotz allem zu ihr hält, und endlich gelingt es ihr, ihm vertrauensvoll ihre Liebe zu gestehen.

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Theresa Prammer wurde 1974 in Wien geboren. 1996 bis 1999 besuchte sie die Schauspielschule Krauss in Wien. Danach stand Theresa Prammer nicht nur in Wien auf der Bühne (Volksoper, Burgtheater u. a.), sondern auch bei Dreharbeiten für Kino- und Fernsehfilme vor der Kamera. Außerdem führte sie Regie bei Theater-Aufführungen. 2006 gründete sie mit ihrem Ehemann Joseph Prammer die Komödienspiele Neulengbach in Niederösterreich, die sie seither leitet. 2013 debütierte Theresa Prammer als Schriftstellerin mit dem Roman „Die Rettung der Regenwürmer“. Zwei Jahre später erschien unter dem Titel „Wiener Totenlieder“ der erste Kriminalroman mit der Protagonistin Carlotta Fiore. Dafür erhielt sie von der Gemeinde Wien und der Hauptverband des österreichischen Buchhandels den Leo-Perutz-Preis.

Mit „Mörderische Wahrheiten“ – und „Die unbekannte Schwester“ – knüpft Theresa Prammer an die Handlung von „Wiener Totenlieder“ an.

Sie lässt Carlotta Fiore als Ich-Erzählerin auftreten und entwickelt das Geschehen chronologisch. Eingestreut sind „Interviews“, in denen aus der Sicht der Opfer, aber in der dritten Person, mehrere Morde in Szene gesetzt werden. Ein paar Details wirken konstruiert (und die Sex-Szenen mit dem Chefarzt Peter Hutbauser sind haarsträubend), aber Theresa Prammer behält die Komplexität souverän im Griff und versteht es nicht nur, durch Andeutungen und Cliffhanger Spannung zu erzeugen, sondern auch mit unerwarteten Wendungen zu überraschen. Zum Lesevergnügen trägt nicht zuletzt die Originalität des Personals bei.

Zum Abschluss noch ein amüsanter Sprachschnitzer:

Hutbauser saß an einem fast nicht einsichtigen Ecktisch.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © Ullstein Buchverlage

Theresa Prammer: Die unbekannte Schwester

Wolf Wondratschek - Mozarts Friseur
"Mozarts Friseur" ist eine schräge, humorvolle Milieustudie in einer ironisch funkelnden, virtuosen Sprache.
Mozarts Friseur