Radovan Karadžić


Radovan Karadžić wurde am 19. Juni 1945 im heutigen Montenegro geboren. 1960 zog die Familie nach Sarajevo, wo Radovan das Abitur machte und Medizin studierte. Bereits als Student veröffentlichte er Gedichtbände, und er komponierte auch Musik. Nach der Promotion im Jahr 1971 arbeitete Radovan Karadžić als Psychiater in einem Krankenhaus. 1974/75 bildete er sich in Zagreb, Belgrad und an der Columbia University in New York weiter. Anschließend eröffnete er eine Praxis in Pale, 20 Kilometer östlich von Sarajevo.

1990 gründete Radovan Karadžić die Serbische Demokratischer Partei in Bosnien-Herzegowina und übernahm den Vorsitz.

1991 brach Jugoslawien vollends auseinander: Zuerst Slowenien und Kroatien, dann auch Makedonien proklamierten ihre Unabhängigkeit, und es kam nicht nur in verschiedenen Teilen des Landes zu Bürgerkriegen, sondern auch zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der serbisch dominierten Bundesarmee und den slowenischen bzw. kroatischen Streitkräften. Die Kampfhandlungen verlagerten sich Anfang 1992 in die zwischen allen Kriegsparteien umstrittene, von Serben, Kroaten und muslimischen Bosniaken bewohnte jugoslawische Teilrepublik Bosnien-Herzegowina.

Nachdem der Krieg in Jugoslawien begonnen hatte und die Republik Serbische Krajina gegründet worden war, bildete Radovan Karadžić im September 1991 in Bosnien-Herzegowina die autonomen serbischen Regionen Bosnische Krajina, Herzegowina und Romanija. Bei einer Volksabstimmung am 9. November stimmten 90 Prozent der Teilnehmer für die Bildung eines Serbien, Montenegro, die Republik Serbische Krajina und die Gebiete der bosnischen Serben umfassenden Staates. Anfang 1992 wurde Radovan Karadžić Präsident der später in Republika Srpska umbenannten neuen Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina.

Seine Gegner proklamierten jedoch am 3. März 1992 die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas. Daraufhin initiierte er von Pale aus einen militärisch von Ratko Mladić geführten und von Serbien unterstützten Krieg der Serben gegen die anderen Bevölkerungsgruppen in Bosnien-Herzegowina. Bei der Belagerung von Sarajevo vom 5. April 1992 bis 29. Februar 1996 kamen 11 541 Bewohner ums Leben. Am 11. Juli 1995 veranlasste Radovan Karadžić, dass serbische Truppen die UN-Schutzzone Srebrenica mit über 40.000 bosnischen Flüchtlingen einnahmen. Frauen und Kinder vertrieb man. Mindestens 6975 Männer wurden ermordet (Massaker von Srebrenica).

Wegen der militärischen Erfolge der Kroaten und der bosnischen Truppen fanden ohne Beteiligung von Radovan Karadžić Ende 1995 in Dayton Friedens­verhand­lungen zwischen Alija Izetbegović, Slobodan Milošević und Franjo Tuđman statt, also den Präsidenten von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien. Radovan Karadžić konnte nicht verhindern, dass der Friedensvertrag am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet wurde. Internationaler Druck zwang ihn dazu, am 30. Juni 1996 als Präsident der Republika Srpska abzutreten und das Amt Biljana Plavšić zu überlassen. Am 19. Juli musste er auch den Parteivorsitz abgeben.

Bereits eine Woche vorher, am 11. Juli 1996, war ein internationaler Haftbefehl gegen Radovan Karadžić ausgestellt worden. Er tauchte ebenso wie Ratko Mladić unter. Im Sommer 2005 appellierte Ljiljana Zelen-Karadžić im Fernsehen an ihren Ehemann, sich zu stellen.

Drei weitere Jahre später, am 21. Juli 2008, wurde er in Serbien verhaftet. Zuletzt hatte er unter dem falschen Namen Dragan David Dabić als Alternativmediziner in Belgrad praktiziert.


Ende Juli 2008 brachte man Radovan Karadžić nach Scheveningen, in die Untersuchungshaftanstalt des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien. Sein Prozess in Den Haag begann am 26. Oktober 2009. Die Beweisaufnahme dauerte bis Mai 2012. Radovan Karadžić, der sich selbst verteidigte, leugnete jede Schuld und beteuerte, er habe keine Kriegsverbrechen begangen, sondern im Gegenteil alles getan, um Frieden zu stiften und Leid zu verhindern. Das UN-Kriegsverbrechertribunal befand Radovan Karadžić am 24. März 2016 für schuldig an Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter anderem bei der Belagerung von Sarajevo und beim Massaker von Srebrenica. Gegen das Urteil – 40 Jahre Haft – legte Radovan Karadžić Berufung ein.

Die Figur des Dr. Vladimir („Vuk“) Dragan aus Montenegro in dem Roman „Die kleinen roten Stühle“ der irischen Schriftstellerin Edna O’Brien weist Parallelen zu Radovan Karadžićs Biografie auf.

© Dieter Wunderlich 2017

Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens
Edna O’Brien: Die kleinen roten Stühle

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