Muriel Spark : Memento Mori

Memento Mori
Originalausgabe: Memento Mori Macmillan Publishers, London 1959 Memento Mori Übersetzung: Peter Naujack Diogenes Verlag, Zürich 1960 Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 87, München 2007, 237 Seiten Neuübersetzung: Andrea Ott Nachwort: A. L. Kennedy Diogenes Verlag, Zürich 2018 ISBN 978-3-257-07004-0, 294 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Godfrey Colston, der frühere Direktor der Colston-Brauereien, ist inzwischen 87 Jahre alt. Seine ein Jahr jüngere Ehefrau, die einst sehr erfolgreiche Schriftstellerin Charmian Piper, hat er immer wieder betrogen. Inzwischen begnügt er sich allerdings damit, sich von anderen Damen die Strumpfhalter zeigen zu lassen. Weil er nicht ahnt, dass auch Charmian Affären hatte, will er auf keinen Fall, dass sie etwas von seiner Untreue erfährt – und lässt sich deshalb erpressen ...
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Kritik

"Memento Mori" ist ein maliziöser, makrabrer Roman, in dem Muriel Spark mit Witz, Ironie und schwarzem Humor Lebenslügen, Rachegedanken, Bosheiten und Gebrechen einiger Greise schildert.
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Godfrey Colston, der frühere Direktor der Colston-Brauereien, ist inzwischen siebenundachtzig Jahre alt. Sein Geiz ist so ausgeprägt, dass er Streichhölzer schachtelweise mit dem Messer spaltet. Seit drei Jahren besucht er regelmäßig Olive Mannering, die vierundzwanzigjährige Enkelin des Dichters Percy Mannering, in Chelsea. Zur Tarnung hat er überall die Lüge verbreitet, sein Anwalt, sein Augenarzt und sein Fußpfleger praktizierten in Chelsea. Olive bekommt von ihm Geld dafür, dass sie ihren Rock hebt und ihm ihre Oberschenkel bis hinauf zum Strumpfhalter zeigt. Der Anblick erregt Colston.

Seine Ehefrau, die ein Jahr jüngere, einst sehr erfolgreiche Schriftstellerin Charmian Piper, leidet ihm Gegensatz zu ihm an Altersdemenz. Sie hält beispielsweise ihre siebzigjährige Haushälterin Mrs Anthony für ihre frühere Zofe Jean Taylor, die inzwischen zweiundachtzig Jahre alt ist und seit langem in der Pflegestation des Maud Long Krankenhauses lebt. Deshalb sucht Colston nach einer Betreuerin für Charmian. Er findet sie in der dreiundsiebzigjährigen Mabel Pettigrew, der langjährigen Haushälterin seiner ehemaligen Geliebten Lisa Brooke, die gerade im Alter von ebenfalls dreiundsiebzig Jahren einem Schlaganfall erlag. Mabel Pettigrew zeigt ihm ihre Oberschenkel schon für 1 Pfund, und Colston überlegt deshalb, wie er Olive Mannering loswerden könne.

Mabel Pettigrew nimmt die Stelle nicht ohne Hintergedanken an: In der Hoffnung, an das Geld der Colstons zu kommen, spioniert sie ihnen nach. Lisa Brooke hatte sie zwar als Alleinerbin ihres beachtlichen Vermögens eingesetzt, aber dann tauchte unerwartet der fünfundsiebzigjährige Literaturkritiker Guy Leet auf und machte ihr als Witwer der Verstorbenen das Erbe streitig. Mabel Pettigrew, die bei dem juristischen Streit von Lisas Bruder, dem ehemaligen Börsenmakler Ronald Charles Sidebottome, unterstützt wird, behauptet, die Ehe von Guy Leet und Lisa Brooke sei nie vollzogen worden.

Als jedoch Sidebottomes Ehefrau Tempest Ethel an einem Cervixkarzinom stirbt, ist der Witwer nicht länger an der Erbstreitigkeit interessiert. Einige Zeit später steht Colston bei einem seiner Besuche in Chelsea vor Olive Mannerings verlassener Wohnung, und kurz darauf liest er in der Zeitung, die Vierundzwanzigjährige habe den neunundsiebzig Jahre alten Witwer Ronald Sidebottome geheiratet. Ein Skandal!

Mabel Pettigrew stöbert heimlich in Schreibtischschubladen herum und erpresst schließlich Colston mit ihrem Wissen über dessen frühere Affäre mit Lisa Brooke und illegale Transaktionen bei den Colston-Brauereien. Sie behauptet, Dokumente über die Geschäftsvorgänge und die Liebesbriefe aus den Jahren 1902 bis 1904 zu besitzen. Colston, der auf keinen Fall möchte, dass seine Frau etwas von der Affäre erfährt, geht auf Mabel Pettigrews Forderungen ein und sucht schließlich sogar einen Rechtsanwalt auf, um sein Testament zugunsten der Erpresserin zu ändern. Allerdings benötigt der Anwalt etwas Zeit für die Ausfertigung, bevor Colston das Papier unterzeichnen kann.

Charmian ist der ständigen Beschwerden ihrer Betreuerin über Mrs Anthony bald überdrüssig. Deshalb zieht sie in ein Seniorenheim in Surrey.

Als Jean Taylor im Maud Long Krankenhaus hört, dass Colston sich Vorwürfe wegen seiner Untreue macht, drängt sie Alec Warner, ihn über die Seitensprünge seiner Frau aufzuklären. – Jean Taylor hatte 1907 eine Liebesaffäre mit Warner, aber dann verlobte sich Godfreys jüngere Schwester Lettie mit ihm. Aus der beabsichtigten Eheschließung wurde dann allerdings auch nichts. Der jetzt neunundsiebzigjährige Alec Warner hält alle seine Beobachtungen über andere Menschen auf Karteikarten fest, wobei er den Personen mit einem komplizierten System Decknamen zuordnet. Das gesamte Material ist nach seinem Tod zu vernichten. (Es geschieht allerdings schon vorher, als sein Haus abbrennt.) – Warner soll also Colston berichten, dass Charmian ihn seit 1902 betrog, unter anderem mit Guy Leet, mit dem sie von 1905 bis 1907 und dann noch einmal 1926/27 eine Affäre hatte. Lisa Brooke erpresste Charmian damit, bis Leet sie heiratete, damit sie den Mund hielt.

Seit Monaten bekommt Colstons jüngere Schwester, Dame Lettie, Anrufe eines Unbekannten, der sie immer nur ermahnt, an den Tod zu denken. Als sie einmal gerade bei ihrem Bruder zu Besuch ist, bittet der anonyme Anrufer ihn, ihr die Ermahnung auszurichten. Schließlich hat Colston den Mann erneut am Apparat, und als er ihn darauf hinweist, dass Lettie nicht bei ihm ist, meint der mysteriöse Mahner, das Memento mori gelte diesmal für ihn.

„Spricht dort Mr Godfrey Colston?“, fragte die Stimme im Telefonhörer.
„Ja, ich bin selbst am Apparat.“
„Denken Sie daran, dass Sie sterben müssen“, sagte der Mann.
„Dame Lettie ist nicht hier“, antwortete Godfrey verwirrt. „Wer spricht dort?“
„Der Anruf ist für Sie bestimmt, Mr Colston.“ (Seite 129)

Ein anderes Mal hebt Charmian ab:

„Spricht dort Mrs Colston?“
„Ja, ich bin selbst am Apparat.“
„Charmian Piper – wenn ich mich nicht irre?“
„Ja. Sind Sie ein Reporter?“
„Denken Sie daran“, sagte die Stimme, „dass Sie sterben müssen.“
„Oh, was das betrifft“, sagte sie, „so habe ich seit den vergangenen dreißig Jahren und auch schon früher von Zeit zu Zeit daran gedacht. In mancher Beziehung lässt mein Gedächtnis mich ja im Stich – ich bin sechsundachtzig geworden –, aber irgendwie kann ich meinen Tod nicht vergessen, wann immer das auch sein wird.“
„Sehr erfreut, das zu hören“, antwortete er. „Auf Wiederhören bis zum nächsten Mal.“
„Auf Wiederhören“, sagte sie. „Welche Zeitung vertreten Sie?“
Aber er hatte bereits aufgelegt. (Seite 136f)

Auch Mabel Pettigrew erhält ein telefonisches Memento mori, doch sie verdrängt die Erinnerung daran sogleich. Percy Mannering, Olives fast achtzig Jahre alter Großvater, der zu Lisa Brookes Schmarotzern gehört hatte, erhält ebenfalls so einen Anruf. Der pensionierte Chefinspektor Henry Mortimer, der von Dame Lettie gebeten worden war, dem anonymen Anrufer auf die Spur zu kommen, erhält das Memento mori von einer weiblichen Stimme, aber das behält er für sich und verschweigt es sogar seiner vier Jahre älteren Ehefrau Emmeline.

Weil Dame Lettie sich wegen der Anrufe in ihrem Haus in Hampstead nicht mehr sicher fühlt, stellt sie ein Hausmädchen ein. Gwen, eine junge selbstbewusste Frau, bleibt jedoch nicht lang, und nach ihrer Kündigung erzählt sie ihrem Freund, einem Bauarbeiter, von der ängstlichen reichen Witwe, die allein in ihrem Haus wohnt. Der Bauarbeiter kennt einen Fensterputzer, der wiederum von einem Ganoven Geld für Tipps bekommt. Kurz darauf hört Dame Lettie nachts Geräusche und überrascht zwei Einbrecher in ihrem Haus. Bevor sie etwas unternehmen kann, wird sie von ihnen totgeschlagen. Ihre Leiche findet man erst nach Tagen.

Colston erhält die Nachricht vom Tod seiner Schwester, während er gerade einen Streit mit Mabel Pettigrew und seinem Sohn Eric hat. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Eric Colston in einer Trinkerheilanstalt gewesen und hatte deshalb nicht zum Militär gemusst. Seine Ehe mit einer Schwarzen scheiterte nach einem halben Jahr. Weil er nach dem Krieg von seinem Vater kein Geld mehr bekam, ließ er sich von wohlhabenden Damen wie Lisa Brooke aushalten. Unlängst hat der jetzt Sechsundfünfzigjährige seinen zweiten Roman veröffentlicht. Als er von Olive erfuhr, dass sein Vater erpresst wird, eilte er nach London und tat sich mit Mabel Pettigrew zusammen. Godfrey Colston, der gerade bei einem Besuch seiner Frau im Seniorenheim erfuhr, dass sie alles über seine Seitensprünge wusste, lässt sich jedoch nicht länger erpressen und wirft sowohl Eric als auch Mabel Pettigrew hinaus.

Unter Dame Letties Sachen findet die Polizei zweiundzwanzig verschiedene Testamente aus vierzig Jahren. In einem Testament aus dem Jahr 1918 stoßen die Ermittler auf eine Begünstigte Namens Lisa O’Brian aus Nottingham, bei der es sich offenbar um die kürzlich verstorbene Lisa Brooke handelte. Es ist bekannt, dass Lisa – die Schwester von Ronald und Janet Sidebottome – in erster Ehe mit dem reichen, sehr viel älteren irischen Rechtsanwalt Simon Brooke verheiratet war. Nach der Scheidung von ihm im Jahr 1912 war sie mit einem sieben Jahre älteren Mann namens Matthew O’Brian zusammen, doch als sie 1919 von einer gemeinsamen Kanada-Reise zurückkam, erklärte sie, O’Brian sei dort bei einem Unfall getötet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellt sich heraus, dass Lisa Brooke, geborene Sidebottome, 1918 Matthew O’Brian geheiratet hatte. Und der ist nicht tot, sondern lebt seit 1919 in einem Heim für Geistesgestörte in Folkestone.

Lisas Ehe mit Guy Leet war also Bigamie. Der Literaturkritiker hat deshalb keine Chance, sie zu beerben. Als O’Brien einige Zeit später in Folkestone stirbt, tritt Mabel Pettigrew aufgrund des letzten Testaments von Lisa Brooke das Erbe an. Kurz darauf erleidet sie einen Schlaganfall.

Im Jahr darauf stirbt Charmian an Urämie, und Godfrey Colston kommt bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Eric Colston bringt das Erbe durch.

Guy Leet stirbt an Arteriosklerose, Jean Taylor an Endokarditis, Ronald Sidebottome an einem Bronchialkarzinom, Janet Sidebottome an einem Schlaganfall, Henry Mortimer an einer Koronarthrombose. Alec Warner liegt aufgrund einer Gehirnblutung gelähmt in einem Pflegeheim.

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„Memento Mori“ ist ein maliziöser, makrabrer Roman von Muriel Spark über etwa zehn zum Teil skurrile Greise, deren Schicksale mehr oder weniger miteinander verwoben sind. Mit Witz, Ironie und schwarzem Humor schildert Muriel Spark Lebenslügen, Rachegedanken, Bosheiten und Gebrechen.

Der Blick, mit dem die Autorin ihr skurriles Personal ins Visier nimmt, ist von einer derart alterskitschfreien Unsentimentalität, dass ihr böser Humor dadurch um so makabrer ins Rabenschwarze trifft. Wie Spark von Beerdigungen und Todesfällen, von permanenten Testamentsänderungen, Gedächtnisaussetzern und den absonderlichsten Schrulligkeiten erzählt, wie sie dabei geschickt ein paar Krimi-Elemente in die Handlung einflickt […] , ist große, elegante Satirekunst. „Memento Mori“ ist ein ebenso witziger wie gescheiter Roman […]
(Christine Dössel, Süddeutsche Zeitung, 29. Dezember 2007)

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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