Martin Suter : Montecristo

Montecristo
Originalausgabe: Diogenes Verlag, Zürich 2015 ISBN: 978-3-257-06920-4, 310 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Eigentlich träumt der 38-jährige Schweizer Jonas Brand von einer Karriere als Film­regisseur, aber er findet keinen Produzenten für sein Drehbuch "Montecristo" und schlägt sich deshalb als freier Video-Journalist durch. Als Jonas nach Basel fährt, stürzt ein Börsenhändler aus dem Zug. Einige Wochen später merkt Jonas, dass er zwei 100-Franken-Scheine mit gleicher Seriennummer besitzt. Einer muss gefälscht sein. Aber bei der Bank versichert man ihm, beide Banknoten seien echt. Kurz darauf findet Jonas seine Wohnung durchwühlt vor, und er wird auf der Straße ausgeraubt ...
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Kritik

In seinem Wirtschaftskrimi "Montecristo" erzählt Martin Suter eine zugespitzte Geschichte zum Thema "Too big to fail". Die Handlung dreht sich um eine groß­angelegte Ver­schwö­rung von Alphatieren aus Politik und Wirtschaft.
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Jonas Brand ist 38 Jahre alt. Seit der Matura träumt der Schweizer von einer Karriere als Filmregisseur, aber sein Drehbuch „Montecristo“ will niemand realisieren.

Die Geschichte funktioniert nach dem Prinzip des Grafen von Monte Christo, spielt aber heute. Ein junger Mann hat eine Dotcom-Firma gegründet, mit der er Millionen macht. Während seiner Ferien in Thailand wird ihm eine große Menge Heroin ins Gepäck geschmuggelt. Er wird erwischt und kommt als Dealer ins Gefängnis. Ihm droht die Todesstrafe oder lebenslänglich. Der Fall erregt Aufsehen in seiner Heimat, aber als seine drei Geschäftspartner, die sein Anwalt als Zeugen bestellt hat, ihn überraschend belasten, verliert die Öffentlichkeit das Interesse. Der Mann bekommt lebenslänglich und verschwindet in einem der berüchtigten Gefängnisse Thailands. Seine Geschäftspartner erhalten die Kontrolle über die Firma und verkaufen sie für ein Vermögen. […]
Montecristo gelingt nach ein paar Jahren die Flucht. Er hat von früher von viel Geld auf der Seite. Damit finanziert er jetzt seine Rache, unterzieht sich mehreren kosmetischen Operationen, beschafft sich eine neue Identität und reist zurück. Der Rest des Films handelt davon, wie er, als Investor getarnt, seine drei ehemaligen Geschäftspartner ruiniert.

In der Hoffnung, den Film „Montecristo“ irgendwann einmal drehen zu können, schlägt sich Jonas Brand als freier Videojournalist für das TV-Magazin Highlife durch. In dieser Funktion fährt er am 19. September mit dem Intercity von Zürich nach Basel, um über eine Fundraising-Party zu berichten. Er sitzt im Speisewagen, als der Zug nach einer Notbremsung in einem Tunnel stehenbleibt. In der Lautsprecher-Durchsage wird als Begründung ein „Personenschaden“ angegeben. Ein Mann sei aus dem Zug gestürzt, heißt es. Jonas filmt, wie die Menschen darauf reagieren.

Eine Mischung aus Ungeduld und Überdruss machte sich breit. […]
„Personenschaden?“ – „Das heißt, jemand ist unter den Zug geraten. Das kann Stunden dauern.“
Jonas Brand ging von Tisch zu Tisch und befragte die Fahrgäste. […]
„Ich finde es eine Zumutung, sich so umzubringen. Es gibt andere Methoden. Solche, die nicht den Feierabend von ein paar hundert Nichtdepressiven versauen.“

Jonas nimmt auch ein kurzes Gespräch von zwei Männern auf:

„Hast du Paolo gesehen?“ […]
„Sitzt er nicht bei euch?“ […]
„Er hat einen Anruf bekommen und ist rausgegangen zum Sprechen. Und nicht mehr zurückgekommen.“

Zweieinhalb Monate später lernt Jonas Brand die bei der Eventagentur Eventissimo! in Zürich beschäftigte Marina Ruiz kennen. Ihr Vater, ein Filipino, studierte in der Schweiz Agronomie und nahm dann eine Schweizerin, die seine Ehefrau wurde, mit in die Heimat. Marina war sechs Jahre alt, als ihre Eltern sich trennten und die Mutter mit ihr in die Schweiz zurückkehrte.

Als Jonas zwei 100-Franken-Scheine für Frau Knezevic, seine Haushaltshilfe, hinterlegen will, fällt ihm auf, dass beide die gleiche Seriennummer tragen. Eine der beiden Noten muss wohl gefälscht sein. Am nächsten Morgen geht er damit zu seiner Bank, der General Confederate Bank of Switzerland (GCBS), und legt sie seinem langjährigen Kundenberater Hans Weber vor. Der untersucht die Scheine, zieht Kollegen zu Rate und versichert Jonas dann, beide seien echt.

Jonas steckt die zwei 100-Franken-Scheine in eine vor längerer Zeit in Saigon gekaufte Statue, die er als Ersatz für einen Safe benutzt.

Am 3. Dezember findet er seine Wohnung durchwühlt vor. Bei der Aufnahme des Schadens durch die Polizei behauptet er, 1900 versteckte Franken seien verschwunden.

Er hatte weiß Gott lange genug für nichts Versicherungsprämien bezahlt.

Die Versicherung zahlt jedoch nichts, weil die Polizei keine Einbruchspuren findet und deshalb davon ausgeht, dass Jonas Brand vergaß, die Wohnungstür abzuschließen.

Am nächsten Tag wird Jonas auf der Straße überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt. Weil es keine Zeugen gibt, unternimmt die Polizei nichts weiter.

Das Versteck in der Statue haben die Einbrecher nicht gefunden. Jonas vereinbart ein Interview mit Adam Dillier, dem CEO der Sicherheitsdruckerei Coromag, in der die Schweizer Banknoten hergestellt werden. Nachdem Dillier auf eine entsprechende Frage geantwortet hat, dass zwei Schweizer Geldscheine auf keinen Fall die gleiche Seriennummer aufweisen können, zeigt Jonas ihm vor laufender Kamera die beiden 100-Franken-Scheine mit der gleichen Seriennummer. Dillier prüft sie, bestätigt ihre Echtheit und räumt ein, dass so ein Fall beim Zusammentreffen mehrerer extrem unwahrscheinlicher Ereignisse doch möglich sei.

Nach dem Interview mietet Jonas Brand ein Schließfach bei seiner Bank und deponiert darin die beiden 100-Franken-Scheine. Er will die Sache weiterverfolgen. Vielleicht ergibt sich daraus eine Fernseh-Reportage.

Pedro Birrer, der seit 20 Jahren als Allrounder für die GCBS arbeitet und kürzlich am Shreddern großer Mengen von Doppelnummerierungen beteiligt war, wird vom Sicherheitschef darauf angesprochen, dass zwei Banknoten mit gleicher Seriennummer aufgetaucht sind. Birrer gibt zu, der Versuchung nicht widerstanden und gut 100 000 Franken unterschlagen zu haben. Noch am selben Tag kommt er bei einer Autofahrt nach Davos ums Leben: Während er eine Brücke überquert, explodiert der Airbag im Lenkrad. Als Leser wissen wir, dass ein englisch sprechender Mann mit roten Haaren ein Kästchen in den Motorraum von Birrers geparktem Auto montiert hatte, ihm dann mit einem schwarzen Golf folgte und im geeigneten Augenblick auf einen Fernauslöser drückte.

Ohne von diesem Unfall bzw. Mord etwas zu erfahren, wendet Jonas sich an den befreundeten Wirtschaftsjournalisten Max Gantmann, der seit einem tödlichen Autounfall seiner Frau nicht mehr im Fernsehen auftritt und in seiner Wohnung verwahrlost. Max rät ihm, die beiden Geldscheine dem angesehenen Numismatiker Oskar Trebler in Zürich vorzulegen. Jonas folgt dem Rat, und der Experte stellt fest, dass eine der beiden Banknoten gefälscht ist. Das kann Jonas sich gar nicht vorstellen. Bei der GCBS versicherten sie ihm, die Hunderter seien echt, und Adam Dillier, der CEO der Coromag, hätte gewiss großes Interesse daran gehabt, nicht zugeben zu müssen, dass beide Scheine aus seiner Druckerei stammen.

Kurz vor Weihnachten schaut Jonas sich noch einmal das am 19. September im Intercity nach Basel gedrehte, bisher nicht benützte Video-Material an und stößt dabei auf die Szene, in der jemand nach Paolo fragt. Er findet heraus, dass der aus dem Zug gestürzte Mann Paolo Contini hieß. Der 39-Jährige galt als Star des Trading Floors der GCBS in Zürich. An seinem Wohnort Basel hinterließ er eine Ehefrau und zwei Kinder.

Jonas nimmt noch einmal den gleichen Zug nach Basel. Wie erwartet, sind unter den Reisenden auch welche, die er damals filmte und die nun auch wieder von der Arbeit in Zürich nach Hause fahren. Er wendet sich an den Mann, der vor drei Monaten fragte: „Sitzt er nicht bei euch?“ Es handelt sich um einen Kollegen von Paolo Contini, aber als Jonas nach einem möglichen Grund für einen Suizid des Börsenmaklers fragt, verweist Herr Kägi ihn an einen anderen Kollegen, der mit Paolo Contini befreundet war und ebenfalls im Zug sitzt: Jack Heinzmann. Der sucht nach der Ankunft in Basel mit dem Videojournalisten zusammen die Witwe Barbara Contini-Hubacher auf, die überzeugt ist, dass ihr Mann nicht lebensmüde war, obwohl die Polizei den Fall als Selbstmord abgeschlossen hat.

Jonas will bei der zuständigen Polizei Basel-Land in Liestal nachbohren, aber als er zur verabredeten Zeit hinkommt, wird ihm eine Unterredung unter Verweis auf den Einbruch ohne Spuren und den Überfall ohne Zeugen verweigert.

Ebenso abgewimmelt wird er, als er Hans Bühler, den Chef des Trading Floors der GCBS, interviewen möchte. Anstelle von Bühler empfängt ihn die PR-Chefin Karin Hofstettler und storniert die Zusage für das Gespräch.

Andererseits wird Jonas überraschend von dem Filmproduzenten Jeff Rebstyn zum Essen in ein Restaurant eingeladen. Nembus Production will „Montecristo“ realisieren, und Jonas soll selbst Regie führen. Moviefonds, so erfährt Jonas, hat 1,5 Millionen Franken für das Projekt bewilligt.

Als Erstes fliegt Jonas als sein eigener Location Scout nach Thailand und besucht im Gefängnis Bang Kwan nordöstlich von Bangkok den Engländer Cameron Busbar, der vor elf Jahren mit 100 Gramm Heroin erwischt, zunächst zum Tod verurteilt und dann zu 60 Jahren Haft begnadigt wurde. Busbar beteuert, man habe ihm die Drogen untergeschoben.

Im Hotel stößt Jonas in seinem Koffer auf einen mit weißem Pulver gefüllten, schätzungsweise ein Pfund schweren Beutel. Heroin! Hastig spült er das Heroin im WC hinunter, wischt alles sorgfältig ab und beseitigt auch den leeren Beutel. Wenige Minuten später stürmen vier Polizisten ins Zimmer und fangen an, alles zu durchsuchen. Als sie fort sind, fehlt das Geld aus Jonas‘ Portemonnaie, aber er bleibt vorerst ungeschoren. Offenbar sollte es ihm so gehen wie seinem Protagonisten Montecristo und vielleicht auch Cameron Busbar.

Jonas fliegt nach Hause. Inzwischen hat Max Gantmann herausgefunden, dass die GCBS zu den wichtigsten Geldgebern des Moviefonds zählt. Hat die Bank 1,5 Millionen Franken eingesetzt, um Jonas von weiteren Recherchen im Fall der beiden Geldscheine abzuhalten? Hängt das mit dem Einbruch, dem Überfall und dem in Thailand untergeschobenen Heroin zusammen? Serge Cress, der Chef des Moviefonds, verschanzt sich zwar hinter den Statuten, aber nach dem von Jeff Rebstyn vermittelten Gespräch mit ihm hat Jonas den Eindruck, dass die Entscheidung, seinen Film mitzufinanzieren, nichts mit der Bankensache zu tun habe. Vielleicht will er das auch nur glauben. Jedenfalls beschließt er, sich ganz auf den Film „Montecristo“ zu konzentrieren und überlässt sein Material über die Banknoten mit gleichen Seriennummern Max Gantmann, der dieser Sache weiter nachgehen will.

Hans Weber kommt unerwartet zu Jonas, der noch gar nicht mitbekommen hat, dass dem 53-jährigen Bankberater gekündigt wurde und er arbeitslos ist. Weber bestätigt ihm, dass das ursprünglich vorgezeigte Paar Banknoten mit gleicher Seriennummer echt gewesen sei und deutet an, dass einer der beiden Geldscheine im Schließfach gegen eine Fälschung vertauscht wurde. Bevor er wieder geht, hinterlässt er dem Video-Journalisten noch die Adresse eines ebenfalls entlassenen Speditionsmitarbeiters namens Gabor Takacs. Jonas hat die Sache mit den Banknoten an Max abgegeben, aber Gabor Takacs ist nur bereit, mit Jonas zu reden, so wie er es mit Hans Weber vereinbarte.

Als Jonas ihn besucht, öffnet Gabor Takacs im Schlafanzug und geht gleich wieder zurück ins Bett: Drei Monate nach seiner Kündigung erfuhr er, dass er unheilbar krebskrank ist. Er hat nichts mehr zu verlieren, aber noch eine Rechnung mit Arbeitgebern offen. Gabor Takacs berichtet vor der Kamera über Geldtransporte der Coromag. Dass für Malaysia, Jordanien oder andere Staaten gedruckte Banknoten zum Flughafen gebracht wurden, war nicht ungewöhnlich, aber einmal wurde Gabor Takacs Zeuge eines Transports von 18 vollen Paletten zum Bargeldlager der GCBS in Nuppingen. Auf jeder Palette befanden sich 48 Kartons mit je 10 000 eingeschweißten Banknoten. Bei 100-Franken-Scheinen wären das 48 Millionen, bei 1000-Franken-Scheinen 480 Millionen – pro Palette. Von einem Freund in der Druckerei erfuhr Gabor Takacs, es habe sich um Doppelnummerierungen gehandelt.

Max weiß inzwischen, dass Paolo Contini zwischen 10 und 20 Milliarden Franken verspekulierte. Obwohl er die effektiven Verluste durch fiktive Gewinne mit Derivaten ausglich, fiel das vermutlich in der Bank auf, und um einen Ruin der GCBS zu verhindern, ließ das Unternehmen palettenweise Geld drucken. Weil falsche Seriennummern bei der Überprüfung erkannt werden, wählte man Doppelnummerierungen. Niemand rechnete damit, dass eine Person zwei Scheine mit gleicher Nummer bekommen und es auch noch merken würde.

Max Gantmann ruft Adam Dillier an und fragt ihn nach einer großen Menge absichtlich gedruckter Doppelnummerierungen. Der CEO der Coromag alarmiert daraufhin sofort William Just, den CEO der GCBS. Dass ein Videojournalist zwei von einem Mitarbeiter unterschlagene Geldscheine mit gleicher Seriennummer in die Finger bekam und sich darüber wunderte, war schlimm genug. Aber weitere Nachforschungen eines erfahrenen Wirtschaftsjournalisten wie Max Gantmann sind weitaus gefährlicher.

Bald darauf brennt das Miethaus, in dem Max wohnt. Der Brandherd wird in seiner Wohnung vermutet, und die Feuerwehr findet dort auch seine Leiche.

Frau Gabler, die ebenfalls in dem Haus wohnte, kennt Jonas Brand als mehrmaligen Besucher ihres Nachbarn Max Gantmann. Nach der Trauerfeier erzählt sie ihm, dass ein rothaariger Fremder kurz vor dem Ausbruch des Feuers bei ihr klingelte, im Treppenhaus dann „wrong house“ rief, aber dennoch mit dem Lift in den 4. Stock fuhr, also in die Etage, in der Max Gantmann wohnte.

Jonas weist die Polizei darauf hin, dass das Feuer möglicherweise gelegt wurde, um einen Mordanschlag auf den Wirtschaftsjournalisten zu kaschieren und sein brisantes Material zu zerstören. Aber man nimmt Jonas nicht ernst.

„Herr Brand. Am dritten Dezember melden Sie unseren Kollegen von der Stadt einen Einbruch ohne Einbruchspuren. Am nächsten Tag einen Überfall ohne Zeugen und Personenbeschreibung. Am neunzehnten Dezember wollen Sie unseren Kollegen in Basel-Land weismachen, ein eindeutiger Selbstmord sei ein Mord gewesen. Und heute kommen Sie zu uns und erklären uns, der Wohnungsbrand eines kettenrauchenden Messies sei in Wahrheit ein Mord mit Brandstiftung gewesen.“


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Unter seinen Mails findet Jonas eine von Max mit dem Freistellungslink eines als „Dynamit“ bezeichneten Dropbox-Ordners. Jonas brauche nichts weiter zu tun, als Kopien des Ordner-Inhalts zu machen und an verschiedenen Orten zu deponieren, schrieb Max. Bevor Jonas drei Kopien auf USB-Sticks zieht, schaut er sich das Material an. Max hat von Barbara Contini-Hubacher den Entwurf eines an Konrad Stimmler, den Präsidenten der Schweizerischen Bankenaufsicht gerichteten Schreibens ihres Mannes erhalten. Ob der Brief abgeschickt wurde oder nicht, ist noch unklar. Jedenfalls hatte Paolo Contini dem Chief Risk Officer der Bank den Spekulationsverlust doch noch gemeldet, und weil die GCBS den Fall vertuschte, beabsichtigte er, die Bankenaufsicht einzuschalten.

Für Jonas gibt es nun keinen Zweifel mehr daran, dass Paolo Contini aus dem fahrenden Zug gestoßen, Max ermordet und er selbst gekauft wurde.

Als er vorzeitig von seinem Büro bei der Nembus Production nach Hause kommt, trifft er Frau Knezevic an, und sie erzählt ihm, der von ihm bestellte Computermann habe vor ein paar Minuten einen Anruf erhalten und sei dann sofort gegangen. Er habe bereits am Computer gearbeitet, als sie gekommen sei und behauptet, er habe vom Auftraggeber einen Wohnungsschlüssel erhalten. Jonas hat keinen IT-Spezialisten bestellt. Der Dropbox-Ordner ist leer, der USB-Stick in der Packung Farfalle fehlt, den in der vietnamesische Statue hat der Einbrecher nicht gefunden. Im Büro stellt Jonas fest, dass auch der unter die Schreibtischplatte geklebte USB-Stick fort ist.

Daraufhin täuscht Jonas bei Nembus Production einen Trip nach Abu Dhabi vor, aber statt wegzufliegen, gibt er sich in Feldwil im Zürcher Oberland als Buchautor Hans Hofer aus und mietet eine Ferienwohnung. Nicht einmal Marina weiht er ein. Er stellt eine Video-Reportage über den angeblichen Suizid im Intercity, die Banknoten mit gleichen Seriennummern, die Ergebnisse von Max‘ Recherchen und die weiteren Ereignisse zusammen. Das Material bietet er zwei konkurrierenden Schweizer Fernsehsendern an. Obwohl es angenommen wird, strahlt es keiner der beiden Sender aus. Stattdessen sieht Jonas ein Fahndungsfoto von sich. So schnell wie möglich verlässt er Feldwil.

Wenn sich das Fernsehen weigert, das brisante Material zu veröffentlichen, bleibt Jonas nur eine Möglichkeit: Er muss es ins Internet stellen. Aber dazu benötigt er Zeit und einen einigermaßen schnellen DSL-Anschluss. Nach Hause kann er nicht. Er muss zu Marina, aber nicht mit seinem Wagen, nach dem die Polizei sucht. Jonas stellt das Auto bei einer Werkstatt für landwirtschaftliche Maschinen ab, ruft Marina an, beschreibt ihr, wo er sich befindet und bittet sie, ihn abzuholen.

Eine Stunde später flammen plötzlich Scheinwerfer auf, und Jonas wird von schwarz gekleideten Männern überwältigt. In einem Lieferwagen bringt man ihn weg. Zwei der Männer fahren mit ihm in einem Lastenaufzug nach oben, stoßen ihn hinaus, und die Tür schließt sich hinter ihm. Jonas betritt eines der Büros. Da sitzen zwei Polizisten.

„Mein Name ist Jonas Brand. Ich wurde entführt.“
Der Mann am Telefon unterbrach das Gespräch und wählte eine Nummer. „Er ist da“, sagte er und legte auf.

Nach Minuten bringen ihn zwei Polizisten zu Lukas Gobler, den Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Der versucht ihm klarzumachen, was im Fall einer Enthüllung passieren würde: Zweifel an der Bankenaufsicht kämen auf, die GCBS bräche zusammen und würde andere Banken mit in den Abgrund reißen. Die Folgen wären eine weltweite Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Hungersnöte und Kriege.

[Jonas:] „Sie sind also der Meinung, dass es eine kritische Größe gibt, ab der man einen Skandal nicht mehr aufdecken darf?“
Gobler nickte heftig. „Und dieser Punkt ist dann erreicht, wenn dessen Enthüllung der Allgemeinheit mehr schadet als nützt.“

Hanspeter Anderfeld, der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, der sich dazu gesellt, weist darauf hin, dass sich auch Rederick Corncrake, der Präsident der FED, bereits Sorgen wegen der Vorgänge in der Schweiz mache.

Schließlich nimmt Jonas den letzten verbliebenen USB-Stick aus der Tasche und zertritt ihn auf dem Boden. Zu diesen Entschluss gratuliert ihm auch Goblers Chef, der Bundesrat August Sublinger. Jonas wird in den Kreis der „Lilien“ aufgenommen, zu dem nicht nur Konrad Stimmler, Adam Dillier, William Just und Hans Bühler gehören, sondern auch Barbara Contini-Hubacher, Jack Heinzmann, Karin Hofstettler, Serge Cress, Jeff Rebstyn, dessen Produktionsassistentin Lili Eck, Jonas‘ Regieassistent Tommy Wipf, der Fernsehredakteur Heiner Stepler – und Marina Ruiz.

Ein Jahr später nimmt Jonas Brand mit seiner Lebensgefährtin Marina Ruiz an der Premiere seines Kinofilms „Montecristo“ teil.

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In seinem Roman „Montecristo“ erzählt Martin Suter eine Geschichte zu dem in der Weltfinanzkrise hochgekochten Thema „Too big to fail“. Da kommt die größte Schweizer Bank ins Straucheln, und weil das schlimme Folgen hätte, tun Staat und Wirtschaft alles, um die Sache zu vertuschen. „Montecristo“ dreht sich also um eine großangelegte Verschwörung. Aber die kleinen Leute sind im Grunde nicht besser als die korrupten Alphatiere der Gesellschaft: sie unterschlagen Geld, betrügen die Versicherung und schimpfen mitleidlos über einen vermeintlichen Selbstmörder, der ihnen den Feierabend vergällt.

Der Klassiker „Der Graf von Monte Christo“ spiegelt sich in dem Film „Montecristo“, den Jonas Brand dreht, und der Plot dieses Machwerks wiederholt sich beinahe in den Erlebnissen des Protagonisten in Thailand und möglicherweise im Schicksal des englischen Häftlings Cameron Busbar. Martin Suter hat nicht nur Alexandre Dumas‘ Roman gelesen, sondern wohl auch den Film „Blow Up“ von Michelangelo Antonioni gesehen: Wie der Londoner Fotograf Thomas entdeckt der Schweizer Video-Journalist auf von ihm gemachten Aufnahmen ein Detail, das in einem Kriminalfall wichtig sein könnte.

Martin Suter schaut in „Montecristo“ als auktorialer Erzähler abwechselnd der Hauptfigur und den Drahtziehern der Verschwörung über die Schulter. In manchen Passagen retardiert er zu sehr mit nebensächlichen Einzelheiten, aber im Großen und Ganzen ist „Montecristo“ durchaus spannend.

Am Ende seines Buches bedankt sich Martin Suter u. a. bei Peter Siegenthaler, dem Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, für die Beratung bei der Abfassung des Manuskripts. Damit versucht er wohl auch, seine überspitzte Darstellung glaubwürdig erscheinen zu lassen.

Den Roman „Montecristo“ von Martin Suter gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Wanja Mues (Regie: Boris Heinrich, ISBN 978-3-257-80362-4).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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