Héctor Tobar : In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren
The Barbarian Nurseries Farrar, Straus & Giroux, New York 2011 In den Häusern der Barbaren Übersetzung: Ingo Herzke Piper Verlag, München 2012 ISBN: 978-3-492-05482-9, 490 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nach einem heftigen Streit mit ihrem Mann zieht Maureen mit ihrer kleinen Tochter für ein paar Tage in ein Hotel. Sie ahnt nicht, dass Scott das Haus bereits vor ihr verließ und die beiden elf bzw. acht Jahre alten Söhne mit der Haushälterin Araceli allein zurückgeblieben sind. Die illegal in den USA lebende Mexikanerin macht sich nach drei Tagen auf den Weg zum Großvater der Jungen, aber der ist verzogen. Während sie nach ihm sucht, kehren Scott und Maureen zurück und alarmieren die Polizei, die von einer Entführung ausgeht ...
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Kritik

Mit einer außergewöhnlichen Fabulierlust und einer Fülle lebendiger Szenen treibt Héctor Tobar in dem facettenreichen Gesellschaftsroman "In den Häusern der Barbaren" die Entwicklung voran. Auf stilistische Gimmicks verzichtet er dabei.
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Desert Landscaping

Scott Torres, der als Vizedirektor die Programmier-Abteilung von Elysian Systems in Santa Ana/Kalifornien leitet, und seine Frau Maureen Torres-Thompson sind seit zwölf Jahren verheiratet. Sie leben mit ihren beiden elf bzw. acht Jahre alten Söhnen Brandon und Keenan sowie der 15 Monate alten Tochter Samantha in der gated community Laguna Rancho Estates in Orange County. In ihrem großzügigen Anwesen am Paseo Linda Bonita beschäftigen sie drei Latinos, die sich ohne Genehmigung in den USA aufhalten. Mit den Nachbarn ist die Familie zerstritten.

Die Haushälterin und Köchin Araceli Noemi Ramirez bewohnt ein Zimmer im Gästehaus. Alle zwei Wochen hat sie zwei Tage frei. Dann besucht sie ihre Freundin Marisela in Santa Ana. Als die beiden tanzen gehen, lernt Araceli Felipe kennen, einen Mexikaner, der seinen Lebensunterhalt als Anstreicher verdient, obwohl er eigentlich Maler ist. Araceli erzählt ihm von ihrem Studium am Institutio Nacional de Bellas Artes in Mexico City, das sie allerdings nach zwei Semestern hatte abbrechen müssen.

Aus finanziellen Gründen entlassen Scott und Maureen sowohl den Gärtner Pepe als auch das Kindermädchen Guadalupe und behalten nur noch die zuverlässige Haushälterin Araceli, die von nun an auch auf die Kinder aufpasst, ohne mehr Geld zu bekommen. Um den Garten muss Scott sich von nun an selbst kümmern, aber er hat schon Schwierigkeiten, den Rasenmäher ans Laufen zu kriegen, und der bisher von Pepe gepflegte Tropengarten vertrocknet.

Nachdem die welken Pflanzen auch von einem Gast angesprochen wurden, wirft Maureen ihrem Mann vor, er habe ihren „kleinen Regenwald“ verkommen lassen, und die beiden streiten sich.

Bald darauf lässt Maureen sich von Desert Landscaping einen Kakteengarten entwerfen, der den Tropengarten ersetzen soll und für das kalifornische Klima sehr viel besser geeignet ist. Am Abend erzählt sie Scott davon, der gerade in ein Computerspiel vertieft ist.

„Ich werde ein paar Wüstenpflanzen anliefern lassen.“
„Cool.“
„Dann mache ich das also, ja?“
„Was?“
„Den Wüstengarten.“

Ein paar Tage später, am 29. Mai, einem Mittwoch, planieren Arbeiter den Tropengarten. Dann legt eine Landschaftsgärtnerin von Desert Landscaping mit ihren Helfern den gewünschten Kakteengarten an.

Als Scott am Abend vom Büro nach Hause kommt, ist es bereits dunkel und er bemerkt deshalb keine Veränderung. Maureen erwähnt zwar, dass der neue Garten angelegt worden sei, aber darauf achtet er nicht weiter. Erst am nächsten Morgen wundert er sich über die Kakteen. Allerdings hat er keine Zeit, sich das anzuschauen, denn er muss ins Büro.

Mittags lädt er sein Team zum Essen ein, um einen Projektabschluss zu feiern. Als er die Rechnung bezahlen möchte, wird seine Kreditkarte nicht akzeptiert. Daraufhin eilt er zum nächsten Geldautomaten, aber auch dort wird die Karte zurückgewiesen. Und als er wieder ins Restaurant kommt, haben die anderen die Rechnung bereits aufgeteilt und beglichen. Das ist ihm sehr peinlich. Auf dem Bürocomputer sieht er sich sein Bankkonto an und stellt fest, dass es tatsächlich überzogen ist, weil an eine Firma namens Desert Landscaping so viel Geld überwiesen wurde, wie der Gärtner Pepe in zwei Jahren bekam. Ist seine Frau verrückt geworden?

Am Abend stellt er sie zur Rede. Der Streit ist noch heftiger als der letzte. Scott stößt Maureen, und sie stürzt rücklings auf einen Glastisch, der dabei zerbricht.

Araceli räumt die Scherben weg und achtet vor allem wegen Samantha sorgfältig darauf, keine Splitter zu übersehen.

Maureen schläft in dieser Nacht neben Samanthas Bett auf dem Boden. Dort fühlt sie sich sicher vor ihrem Mann. Am Freitagmorgen will sie nur noch weg, wenigstens für ein paar Tage. Sie packt ein paar Sachen, nimmt Samantha mit und fährt los. Unterwegs merkt sie, dass sie ihr Handy vergessen hat, aber sie kehrt nicht um.

Scott fuhr schon eine Stunde vorher ins Büro, ohne dass Maureen ihn gehen hörte.

Araceli und die Kinder

Araceli macht Brandon und Keenan Frühstück. Sie ärgert sich darüber, dass Maureen wegfuhr, ohne ihr etwas zu sagen. Noch geht sie davon aus, dass Scott am Abend nach Hause kommt. Aber sie wartet vergeblich auf ihn, denn er quartiert sich bei seiner jungen Kollegin Charlotte Harris-Hayasaki ein, um seine Frau nicht sehen zu müssen. Araceli schläft in dieser Nacht auf dem Boden des Korridors vor den Zimmern der Jungen, statt in ihrem Bett im Gästehaus.

Am Samstag findet sie Maureens Handy und ruft damit Scott an, erreicht ihn jedoch nicht, denn sein Akku ist leer, und das Ladegerät liegt zu Hause. Im Büro meldet sich nur der Anrufbeantworter, der darauf hinweist, dass samstags geschlossen sei. Am Montag versucht Araceli es erneut, erfährt jedoch, dass Scott sich krank meldete.

Nach zwei Nächten bei Charlotte nahm Scott sich am Sonntagabend ein Zimmer im Irvine Hampton Inn, und an diesem Montagmorgen ist er so verkatert, dass er sich nicht in der Lage sieht, ins Büro zu fahren.

Araceli überlegt, ob sie sich an die Polizei wenden soll. Aber dann müsste sie mit ihrer Abschiebung rechnen. Außerdem befürchtet sie, dass die Behörden Kinder, die von ihren Eltern im Stich gelassen werden, in ein Heim einweisen, und das möchte sie Brandon und Keenan nicht antun. Stattdessen beschließt sie, die Jungen zu ihrem Großvater John Torres zu bringen, dessen Adresse in Los Angeles sie auf einem Foto findet.

Araceli nimmt mit den Kindern den Bus nach Laguna Niguel, und von dort fahren sie weiter nach Los Angeles, wo sie zu Fuß nach der Adresse suchen, die auf dem Foto steht.

Währenddessen kommt Scott nach Hause und wundert sich, dass niemand da ist. Er befürchtet, Maureen habe ihn verlassen und die Kinder mitgenommen.

Araceli findet das gesuchte Haus, aber dort wohnt seit einiger Zeit eine allein erziehende Mutter mit drei Kindern. Isabel Aguilar, die den Namen John Torres noch nie gehört hat, verweist Araceli an einen alten Afroamerikaner in der Nachbarschaft, der schon lange hier lebt. James Washington kann sich an John Torres erinnern, weiß jedoch nicht, wo er hingezogen ist. Als Isabel Aguilar Araceli, Brandon und Keenan dann verzweifelt am Bordstein sitzen sieht, holt sie die drei Gestrandeten herein, bewirtet sie und nimmt sie für die Nacht auf. Am nächsten Morgen ruft sie ihren angeheirateten Onkel Salomón Luján in Huntington Park an, denn der wurde kürzlich zum Stadtrat gewählt und kann Araceli hoffentlich helfen, den Großvater der Kinder zu finden.

Kidnapping?

Als Maureen am Dienstag zurückkehrt, findet sie das Haus ebenfalls leer vor, denn Scott verbrachte die Nacht am Strand. Bald darauf taucht er auf – jedoch ohne die Söhne. Wo er Brandon und Keenan gelassen habe, will Maureen als Erstes wissen. Scott versteht die Frage zunächst nicht, denn er nimmt an, Maureen habe sie bei sich gehabt. Erst jetzt begreifen die beiden, dass sie Brandon und Keenan vor vier Tagen mit Araceli allein im Haus zurückließen. Aber wo sind sie jetzt?

Araceli trifft mit ihnen bei Salomón Luján in Huntington Park ein. Der Stadtrat kann zwar wegen des Unabhängigkeitstages nicht sofort etwas unternehmen, aber er schlägt Araceli vor, mit den Jungen in seinem Haus zu übernachten und verspricht ihr, sich am nächsten Tag in der Stadtverwaltung nach John Torres‘ Adresse zu erkundigen.

Weil Maureen auch nach vier Jahren noch nichts von Aracelis Leben außerhalb des Anwesens weiß, kennt sie auch keine Bezugspersonen von ihr. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Polizei anzurufen. Die Telefonistin Melinda Nabor hat die Aufgabe, die Dringlichkeit des Notrufs abzuschätzen. Sie beschließt, einen Streifenwagen zu den Laguna Rancho Estates zu schicken. Deputy Ernie Suarez lässt sich von Maureen schildern, was geschehen ist. Sie behauptet, die Söhne am Sonntag (!) der Haushälterin anvertraut zu haben, die nun mit ihnen verschwunden sei.

Staatsanwalt Ian Goller trommelt ein Interventionsteam zusammen, dem außer ihm zwei Detectives, Olivia Garza vom Jugendamt in Santa Ana und später auch noch die Psychologin Gelfand-Peña angehören. Sie fahren zu Scott Torres und Maureen Torres-Thompson. Olivia Garza bezweifelt Maureens Aussage und kann sich nicht vorstellen, warum ein mexikanisches Hausmädchen zwei Jungen entführt haben soll. Aber Goller unterstellt Araceli Ramirez, dass sie es auf Geld abgesehen habe oder die Arbeitgeber leiden sehen wollte, weil sie sich schlecht bezahlt fühlte.

Bald darauf wird in den Nachrichten über eine mutmaßliche Kindesentführung berichtet. Die Meldungen schaukeln sich auf: Es ist die Rede von einer illegalen Immigrantin, und schließlich heißt es, die beiden Kinder seien ins Ausland verschleppt worden. Der Fall schlägt Wellen.

Salomón Lujáns 19-jährige Tochter Lucia und deren Freundin Griselda Pulido sehen die beiden Jungen, die im Haus übernachteten, im Fernsehen. Sie rufen Araceli. Brandon und Keenan sind verwirrt, als sie sich auf dem Bildschirm sehen und hören, dass sie vermisst werden. Auch ein Foto von Araceli wird gezeigt. Ein Reporter berichtet aus einem Hubschrauber über einen drei Kilometer langen Stau bei San Diego, der durch strenge Kontrollen an der mexikanischen Grenze verursacht wurde.

Brandon fasst sich als Erster. Er ruft zu Hause an und gibt seinem Vater die Adresse durch, die Salomón Luján ihm nennt.

Bevor Griselda das Haus verlässt, weil sie illegal in den USA lebt, rät sie Araceli, ebenfalls zu verschwinden, bevor die Polizei eintrifft. Araceli verabschiedet sich von Brandon und Keenan. Sie weiß, dass Lucia und deren Vater auf die Jungen aufpassen, bis sie geholt werden. Auf der Straße erkennen Passanten sie anhand des Fotos, das sie im Fernsehen sahen. Araceli kommt deshalb nicht weit. Mit einem Hubschrauber und einem Streifenwagen wird sie gejagt, ein Polizist rennt ihr nach, wirft sie zu Boden und verhaftet sie.

Die Medien berichten über den glücklichen Ausgang der mutmaßlichen Entführung, weisen aber darauf hin, dass noch unklar sei, was die beiden Jungen durchmachen mussten und in welchem Zustand sie sich befinden.

Falsche Anschuldigungen

Erst nach längerem Schweigen sagt Araceli bei der Vernehmung, sie habe die beiden Jungen zu deren Großvater bringen wollen, weil ihre Arbeitgeber am Freitagmorgen verschwunden seien, ohne ihr etwas zu sagen. Sie wird freigelassen.

Ein Pressesprecher der Polizei gibt es den Medien bekannt und erwähnt dabei, dass die Jungen von ihren Eltern im Stich gelassen worden seien. Das greifen die Reporter auf. Die Stimmung wendet sich gegen Scott und Maureen, denen vorgeworfen wird, ihre Kinder vernachlässigt zu haben. „Jugendamt leitet Ermittlungen gegen Eltern ein“, lautet eine Schlagzeile.

Araceli ruft ihre Freundin Marisela in Santa Ana von einer Telefonzelle aus an und fragt, ob sie zu ihr kommen könne. Marisela spricht kurz mit Octavio Covarrubias, einem Zimmermann halb im Ruhestand, dem das Haus gehört, in dem sie wohnt. Dann fordert sie Araceli auf, zu bleiben, wo sie ist; Mr Covarrubias sei bereits unterwegs, um sie mit dem Auto abzuholen.

Ian Goller, der den Einsatz des Interventionsteams rechtfertigen muss, rät Scott und Maureen, etwas dagegen zu unternehmen, dass die Medien sie als schlechte Eltern darstellen und zugleich eine illegale Immigrantin zur Heldin stilisieren. Er bringt Maureen mit einem Journalisten zusammen. Im Interview redet sie von einem zweitägigen Ausflug und tut so, als hätten Scott und sie ihn gemeinsam unternommen. Das Baby habe sie bei sich gehabt, sagt sie, aber die beiden Jungen dem Kindermädchen (!) anvertraut. Dafür seien Brandon und Keenan alt genug gewesen.

Goller erreicht, dass Araceli in Santa Ana erneut festgenommen wird. Diesmal wird die Verhaftung von vorab informierten Reportern gefilmt. Man beschuldigt die Mexikanerin, die Kinder unnötigen Gefahren ausgesetzt zu haben. Das gilt als Kindesmisshandlung. Der zuständige Richter setzt eine Kaution in Höhe von 10 000 Dollar fest.

Weil die Polizei die von Araceli gelösten Fahrkarten sichergestellt hat, die deren Aussage bestätigen, und Maureen Torres-Thompsons Anmeldung im High Desert Radiance Spa beweist, dass sie nicht zwei, sondern vier Tage dort war, macht Goller sich Sorgen. Er behält alles erst einmal für sich und nutzt den Umstand, dass er der Verteidigung erst nach der Vorverhandlung eventuell vorhandenes Beweismaterial zur Verfügung stellen muss. Noch hofft er, dass sich Araceli Ramirez‘ Pflichtverteidigerin vorher für einen Deal gewinnen lässt.

Die etwa 30 Jahre alte, im siebten Monat schwangere Anwältin Ruth Bacalan-Howland, die Araceli zugewiesen wurde, berichtet ihrer Mandantin von dem vorgeschlagenen Deal. Wenn sie eine nicht besonders schwere Straftat gesteht, lässt die Staatsanwaltschaft den Rest der Anklage fallen und sie wird sofort abgeschoben. Falls sie auf einer gerichtlichen Klärung bestehe, warnt Ruth, müsse sie mit einem Schuldspruch und einer Haftstrafe rechnen. Und selbst wenn das Gericht sie freisprechen würde, könnte sie gleich danach abgeschoben werden. Araceli ist jedoch nicht bereit, etwas einzugestehen, das sie nicht getan hat.

Unerwartet kommt Araceli bis zur Verhandlung frei, weil die South Coast Immigrant Coalition die Kaution für sie hinterlegt hat. Und Emilio Ordaz Rivera, der mexikanische Konsul in Santa Ana, möchte sich der Öffentlichkeit mit ihr zusammen zeigen, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

In der Bevölkerung sind die Meinungen geteilt. Die einen misstrauen Latinos grundsätzlich und halten die Mexikanerin deshalb für schuldig, die anderen hoffen, dass sie freigesprochen wird. Mr Adalian, ein Richter, teilt der Staatsanwaltschaft zuerst telefonisch und dann auch schriftlich mit, er habe die angeklagte Frau mit den beiden Jungen zwei Tage vor der angeblichen Entführung auf der Straße gesehen, aber niemand interessiert sich für seine Zeugenaussage, und er beklagt sich schließlich darüber in den Medien. Den Journalisten spielt Goller Informationen zu, die ein schlechtes Licht auf Araceli werfen.

Während Araceli im Haus von Octavio Covarrubias auf die Verhandlung wartet, taucht Felipe auf, mit dem sie im Mai getanzt hatte. Er war verreist, erfuhr nach seiner Rückkehr von den Ereignissen und suchte sie.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Entscheidung

Olivia Garza vom Jugendamt spricht noch einmal mit Scott und Maureen. Sie geht auch der Frage nach, ob ein Fall von häuslicher Gewalt vorliegt, denn Araceli berichtete in einem Interview von einem Streit ihrer Arbeitgeber. Maureen behauptet, sie sei gestolpert, aber Scott gibt sofort zu, dass er sie stieß. Daraufhin erzählt auch Maureen die ganze Wahrheit und gesteht, dass sie nicht nur getrennt, sondern auch ganze vier Tage weg waren. Die beiden erzählen außerdem, dass sie vorhaben, in ein bescheideneres Haus zu ziehen und die Kinder von der exklusiven Privatschule auf eine öffentliche Schule wechseln zu lassen. Kurz darauf schließt das Jugendamt den Fall, ohne irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.

Die Vorverhandlung gegen Araceli findet in der Gerichtsaußenstelle Laguna Niguel statt. Ian Gollers Mitarbeiter Arnold Chang vertritt die Anklage. Zeugen werden gehört. Am zweiten Verhandlungstag gibt der Richter einem Antrag der Verteidigerin statt und lässt die Anklage fallen. Chang erwähnt zwar noch, dass Araceli Ramirez keine Aufenthaltserlaubnis habe, macht damit jedoch den Richter nur zornig.

Weil Ruth Bacalan-Howland befürchtet, dass die Staatsanwaltschaft nichts Eiligeres zu tun hat, als die Einwanderungsbehörde auf Araceli anzusetzen, rät sie ihrer Mandantin, Kalifornien so schnell wie möglich zu verlassen.

Felipe, der am Parkplatz auf Araceli wartet, ist bereit, überall mit ihr hinzufahren. Sie schlagen den Weg nach Arizona ein. In Phoenix passieren sie ein Schild, auf dem steht, dass es bis Flagstaff noch 17 Meilen und bis Tucson noch 222 Meilen sind.

„Jetzt müssen wir uns entscheiden“, sagte Felipe. „In welche Richtung fahren wir? Nach Flagstaff, wenn wir in den Vereinigten Staaten bleiben wollen. Nach Tucson, wenn wir nach Mexiko wollen.“
Araceli schaute zu den Schildern hoch und dachte: Ja, es ist tatsächlich meine Entscheidung.
Sie hob die Hand, streckte sie bis fast zur Windschutzscheibe und deutete mit dem Zeigefinger.
„Para allá“, rief sie über das Brausen von Wind und Motoren, und dann sagte sie es noch einmal auf Englisch, einfach nur, weil sie es konnte.
„Da lang.“

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Héctor Tobar erzählt in seinem Gesellschaftsroman „In den Häusern der Barbaren“ (Originaltitel: „The Barbarian Nurseries“) von den Spannungen zwischen Nordamerikanern und Latinos in den USA. Er kritisiert aber auch die Medien und zeigt Absurditäten im amerikanischen Rechtswesen auf. Außerdem geht es in dem Buch „In den Häusern der Barbaren“ um die Oberflächlichkeit der Beziehungen und den Mangel an Kommunikation in Familien der weißen Mittelschicht. Ganz frei von Klischees ist „In den Häusern der Barbaren“ nicht, aber das gleicht Héctor Tobar mit einer außergewöhnlichen Fabulierlust und einer kraftvollen Darstellung aus. Mit einer Fülle lebendiger Szenen treibt er die Entwicklung voran. Dabei versucht er nicht, mit stilistischen Gimmicks zu punkten, sondern spult die facettenreiche Handlung chronologisch ab. Als auktorialer Erzähler wechselt er immer wieder zwischen den Erzählsträngen, und mehrmals nimmt das Geschehen eine unerwartete Wendung.

Héctor Tobar wurde 1963 in Los Angeles geboren. Seine Eltern waren aus Guatemala eingewandert. 1992 wurde er mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, und zwar für seine Reportagen über die Unruhen in Los Angeles nach dem Freispruch von vier Polizisten am 29. April, die beschuldigt worden waren, den Afroamerikaner Rodney King misshandelt zu haben (Los Angeles Riots). 1998 veröffentlichte er seinen ersten Roman: „The Tattooed Soldier“. Das Magazin „Hispanic Business“ setzte Héctor Tobar 2006 auf die Liste der 100 einflussreichsten Hispanics in den USA.

Zwei Fehler in der Vita des Autors, die der Verlag in das Buch „In den Häusern der Barbaren“ aufnahm, sind exemplarisch für die zunehmende Schludrigkeit bei der Abfassung von Klappentexten. (Es stimmt nicht, dass die Eltern mit Héctor einwanderten, und „In den Häusern der Barbaren“ ist nicht sein erster Roman.)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
Textauszüge: © Piper Verlag

J. M. Coetzee - Eiserne Zeit
"Eiserne Zeit" ist ein ergreifender, schnörkellos und unpathetisch geschriebener Roman von John M. Coetzee über das Apartheids-Regime in Südafrika und eine todkranke Frau, die sich verzweifelt fragt, ob sie mehr für die Unterdrückten hätte tun können.
Eiserne Zeit