Anne Tyler : Die störrische Braut

Die störrische Braut
Originalausgabe: Vinegar Girl The Hogart Press, London 2016 Die störrische Braut Übersetzung: Sabine Schwenk Albrecht Knaus Verlag, München 2016 ISBN: 978-3-8135-0655-6, 229 Seiten ISBN: 978-3-641-18279-3 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Kate ist 29 Jahre alt und unverheiratet. Sie hat keine Zeit, sich mit Männern abzu­geben, weil sie in einer Kita arbeitet, den Haushalt für ihren verwitweten, sieben Tage in der Woche im Labor forschenden Vater Louis Battista führt und aufpasst, dass ihre 15-jährige Schwester Bunny nicht zu viel Unsinn treibt. Dr. Battista benötigt seinen Assistenten Pjotr Shcherbakov für den wissenschaftlichen Durchbruch. Das Visum des Russen läuft zwar in zwei Monaten ab, aber Louis Battista hat eine Idee ...
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Kritik

Anne Tyler hat den Plot der Komödie "Der Widerspenstigen Zähmung" von William Shakespeare als Roman adap­tiert und in unsere Zeit verlegt. "Die störrische Braut" ist lustig und hu­mor­voll, unter­haltsam und un­kom­pli­ziert. Witz und Komik funkeln v. a. in den flotten Dialogen.
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Katherine („Kate“) Battista ist 29 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem verwitweten Vater Louis und ihrer 15-jährigen Schwester Bernice („Bunny“) in Baltimore/Maryland. Verwandte befürchten bereits, dass sie unverheiratet bleibt, aber Kate hat keine Zeit, sich mit Männern abzugeben, denn sie führt den Haushalt, achtet darauf, dass Bunny nicht zu viele Dummheiten macht und arbeitet seit sechs Jahren als Betreuerin in der Kindertagesstätte im Souterrain der Aloysious Church. Ihr Biologie-Studium hatte sie im zweiten Studienjahr abbrechen müssen, nachdem sie mit einem Professor aneinandergeraten war. Ihre Tante Thelma vermittelte ihr damals die Stelle in der Kita.

Deren Schwester, Kates Mutter Thea, litt unter Depressionen. Louis Battista hörte schließlich von einem in Europa gerade auf den Markt gekommenen Wundermittel. Obwohl es in den USA nicht zugelassen war, besorgte er das Antidepressivum, und von da an ging es Thea viel besser. Aber als sie während der zweiten Schwangerschaft untersucht wurde, diagnostizierten die Ärzte einen von dem Präparat verursachten Herzfehler. Das Medikament war in Europa bereits wieder aus dem Verkehr gezogen worden, aber davon hatte Louis Battista nichts mitbekommen. Seine Frau starb ein paar Monate nach Bunnys Geburt.

Dr. Louis Battista ist Mikrobiologe an der Johns Hopkins University in Baltimore. Vor langer Zeit musterte man ihn aus dem Lehrbetrieb aus und schob ihn in ein Labor außerhalb des Campus ab. Seit Jahrzehnten forscht er an sieben Tagen pro Woche im Bereich der Autoimmunerkrankungen, aber bisher konnte er noch kein Ergebnis vorlegen, und die finanzielle Förderung seiner Arbeit verringert sich von Jahr zu Jahr.

Als er an einem Sonntag aus dem Labor zu Hause anruft und Kate darum bittet, ihm die vergessene Lunch-Box zu bringen, wundert sie sich, zum einen, weil er sein bisher verschmähtes Handy benutzt und zum anderen, weil er die Schachtel schon häufig auf dem Kühlschrank stehen ließ und noch nie danach fragte. Auch wenn er sie bei sich hat, denkt er im Labor nicht ans Essen. Dort stellt er nun Kate seinen Assistenten vor:

„Pjoder Scherbakow“, erklärte ihr Vater.
„Pjotr“, korrigierte ihn der Mann, ohne auch nur etwas Luft zwischen dem markigen T und dem rauen, rollenden R zu lassen. „Und Nachname Shcherbakov“, fügte er hinzu, ein einziger, explosiver Wust von Konsonanten.
„Pyoder, das ist Kate.“

Kate will gleich wieder weg, aber ihr Vater tut alles, um sie in ein Gespräch zu verwickeln und Pjotr mit einzubeziehen. Louis Battista erklärt seiner Tochter, dass er unmittelbar vor dem Durchbruch stehe, es aber nicht ohne seinen hervor­ragenden Assistenten schaffen könne. Der Russe kam vor knapp drei Jahren in die Staaten, mit einem O-1-Visum, für das nur Personen mit außer­ordent­lichen Fähigkeiten auf speziellen Gebieten qualifiziert sind. Das läuft jedoch in zwei Monaten ab, und weil niemand mehr an den Erfolg von Louis Battistas Forschungsarbeit glaubt, gibt es keine Hoffnung auf eine Verlängerung. Die einzige Chance, den unverzichtbaren Assistenten zu behalten, wäre dessen Eheschließung mit einer US-Staatsbürgerin. Kate hört sich das an, kommt allerdings gar nicht auf die Idee, dass ihr Vater dabei an sie denken könnte.

Das begreift sie erst, als er den Russen unangekündigt zum Essen mit nach Hause bringt. Als sie mit ihrem Vater allein ist, fragt sie nach:

„Du willst also, dass ich jemanden heirate, den ich gar nicht kenne, damit du deinen wissenschaftlichen Assistenten behalten kannst.“

Nachdem Louis Battista den Plan bestätigt hat, denkt Kate:

Vater ging offenbar davon aus, dass sie nie einen Mann finden würde, der sie um ihrer selbst willen liebte; da war es doch besser, sie jemandem anzudrehen, der auch ihm nützlich war, oder?

Laut sagt sie:

„Ich werde niemals zustimmen, jemanden zu heiraten, den ich nicht liebe.“
„In anderen Kulturen“, fing er an, „sind arrangierte Ehen –“
„Wir sind hier aber nicht in anderen Kulturen, und es ist keine arrangierte Ehe. Das hier ist Menschenhandel.“
„Was?“
Er sah entsetzt aus.
„Na ja, du machst mich gegen meinen Willen zum Gegenstand eines Tauschhandels. Du schickst mich weg, um mit einem Fremden zusammenzuleben, mit einem Fremden zu schlafen, und das nur für deinen persönlichen Gewinn. Wie willst du das sonst nennen?“
„O mein Gott“, sagte er. „Katherine, du meine Güte! Ich würde doch niemals von dir erwarten, mit ihm zu schlafen.“
„Nein?“
„Kein Wunder, dass du dich so sträubst!“
„Was würdest du denn erwarten?“, fragte sie.
„Na, ich dachte nur … Du liebe Zeit! Das ist doch gar nicht nötig, ich meine, das.“ Er nahm noch einen Schluck Wein, räusperte sich. „Also, ich habe mir vorgestellt, dass wir mehr oder weniger genauso weiterleben wie bisher, nur dass Pjotr bei uns einzieht. Denn das lässt sich offenbar nicht vermeiden. Aber er würde Mrs Larkins altes Zimmer bekommen, und du würdest in deinem Zimmer bleiben. Ich ging davon aus, das wäre klar. Ach du lieber Himmel!“
„Und du bist nicht mal auf die Idee gekommen, dass die Einwanderungsbehörde das vielleicht suspekt finden könnte?“

Über die Einwanderungsbehörde hat Louis Battista sich bereits Gedanken gemacht. Deshalb knipst er bei jeder Gelegenheit Handy-Fotos von Kate und Pjotr. Die Bilder sollen die Phase des Kennenlernens dokumentieren. Die beiden sollen außerdem anfangen, sich SMS zu schreiben.

Kate vergewissert sich, dass ihr Vater lediglich an eine Scheinehe denkt.

„Also, ich meine, es ist ja nicht so, dass sich wirklich viel an meinem Leben ändern würde.“
„Ich schwöre dir, es wird sich überhaupt nichts ändern.“

Kates Onkel Theron Dell, Tante Thelmas Zwillingsbruder, ist Pfarrer. Der soll das Paar ohne großes Brimborium trauen, ohne Gäste, nur mit Louis und Bunny als Trauzeugen. Nicht einmal Tante Thelma, Onkel Barclay und deren Sohn Richard sollen eingeladen werden. Pjotr hat ohnehin keine Familienangehörigen. Seine Eltern kennt er nicht, denn es handelt sich bei ihm um ein im Waisenhaus aufgewachsenes Findelkind. Er ist ein Jahr jünger als Kate.

Als Louis die Verwandten einlädt und über die bevorstehende Hochzeit unterrichtet, fragt Tante Thelma, ob Kate in Zukunft Scherbakow heißen werde.

„Auf keinen Fall“, sagte Kate. Auch wenn diese Ehe nicht vorläufig gewesen wäre, war Kate grundsätzlich dagegen, dass Ehefrauen ihren Namen änderten. Zu ihrer Erleichterung schien Pjotr ins gleiche Horn zu stoßen. „Nein, nein, nein“, sagte er, fuhr dann aber fort: „Wird heißen Shcherbakov-ah.“

„Aber nach der Hochzeit zieht er bei uns ein“, sagte Dr. Battista. Tante Thelma runzelte die Stirn. Pjotr tat dasselbe. Und Bunny fragte: „Bei uns?“
„Nein“, sagte Pjotr. „Ich habe ganzes Stockwerk in Haus von Mrs Murphy, mietfrei, weil ich Mrs Murphy vom Rollstuhl zu Auto trage und Glühbirnen wechsle.“

Bunny rät ihrer Schwester von dem „Menschenopfer“ ab:

„Ich weiß, du bildest dir ein, es wäre nur so eine kleine Sache auf dem Papier, um die Einwanderungsbehörde auszutricksen“, sagte Bunny. „Aber dieser Typ tut ja jetzt schon so, als würdest du ihm gehören! Er schreibt dir vor, welchen Nachnamen du haben, wo du wohnen und ob du weiter arbeiten sollst. Ich meine, ich würde mich ja freuen, ein größeres Zimmer zu kriegen, aber wenn der Preis dafür ist, dass einer es schafft, meine einzige Schwester zu zähmen und einen ganz anderen Menschen aus ihr zu machen …“

Kate hat sich jedoch inzwischen mit dem Gedanken angefreundet, zumal Pjotr meint, sie brauche nicht länger in der Kita zu arbeiten, denn er verdiene genug für sie beide. Sie könne ihr Studium wieder aufnehmen. Wenn Pjotr seine Greencard erhält und die Scheinehe geschieden werden kann, will Kate nicht mehr ins Elternhaus zurückkehren, sondern sich eine eigene kleine Wohnung suchen.

„Das hier ist die Chance für mich, meinem Leben eine neue Richtung zu geben, Bunny! Alles mal richtig schön aufzumischen!“

Am Hochzeitstag schaut Theron Dell in seiner Kirche ungeduldig auf die Uhr. Kate, Louis und Bunny warten schon seit geraumer Zeit auf den Beginn der Zeremonie, aber der Bräutigam fehlt noch. Endlich schickt er eine SMS: „Ein schrecklicher Vorfall. Mäuse sind weg.“ Louis Battista ist am Boden zerstört. Tierschutz-Aktivisten brachen ins Labor ein und raubten die über viele Generationen gezüchteten Versuchstiere.

„Wie sind diese Leute überhaupt ins Labor reingekommen?“, jammerte Dr. Battista. „Woher kannten sie den Code? O Gott, ich muss wieder ganz von vorn anfangen, und dafür bin ich doch viel zu alt. Es würde mindestens noch mal zwanzig Jahre dauern. Ich verliere meine ganzen Fördergelder.“

Als Kate ihn bedauert, fährt er sie an:

„Ach, dir kann es doch egal sein! […] Ich wette, du bist heilfroh, dass du jetzt nicht mehr heiraten musst.“
„Muss ich nicht?“, fragte Kate.
„Warum sollte sie heiraten müssen?“, fragte ihr Onkel.

Kate ist entsetzt. Sie wird weiterhin im Elternhaus wohnen und in der Kita sagen müssen, dass es mit der Hochzeit nicht geklappt habe. Louis will sich gerade von seinem Schwager verabschieden, als Pjotr auftaucht – in Shorts, die wie eine Unterhose aussehen, und mit roten Plastik-Flipflops an den Füßen.

„Zuerst ich habe nicht verstanden. […] War klar, was passiert ist, aber ich habe trotzdem nicht verstanden. Ich gucke nur. Zwei leere Gestelle und keine Käfige. Daneben Buchstaben, direkt auf Wand gemalt: TIERE SIND KEINE LABORGERÄTE. Und da habe ich gedacht, ich rufe Polizei.“
„Die Polizei, tja, schön, aber … was kann die Polizei schon ausrichten? Jetzt ist sowieso alles zu spät.“

Pjotr beschuldigt Bunny, die Labormäuse geraubt zu haben und weist darauf hin, dass sie sich als Veganerin ausgebe und den Türcode kenne.

„Ich?!“, rief Bunny. „Du glaubst, ich hätte das getan! Du glaubst allen Ernstes, ich würde meinem eigenen Vater sein Projekt vermasseln? Du bist verrückt. Sag es ihm, Kate.“


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Bevor Kate einen klaren Gedanken fassen kann, sagt Pjotr zu ihr:

„Los! Wir heiraten.“
„Oh, also …“, fing Dr. Battista an. „Ich weiß nicht, ob das wirklich noch … Ich glaube, ich würde jetzt lieber ins Labor fahren, Pjoder, selbst wenn es da nichts zu –“

Nach der ultrakurzen Zeremonie denkt Kate über die Anschuldigung gegen ihre Schwester nach. Sie kann sich nicht vorstellen, dass Bunny ihrem Vater die Labormäuse geraubt hat. Aber vielleicht wollte ihr der einige Jahre ältere Nachbarjunge Edward Mintz, den Kate in letzter Zeit immer wieder mit ihrer Schwester ertappte, durch die Aktion imponieren. Weil er Bunny einmal zu ihrem Vater ins Labor begleitete, weiß er, wo es sich befindet, und er könnte sich den von ihr eingetippten Türcode gemerkt haben.

Pjotr fährt sofort los, hämmert gegen die Tür der Familie Mintz, brüllt Edward an und stößt ihn beiseite, stürzt ins Haus, rennt die Treppe hoch und findet die Käfige mit den Labormäusen im Zimmer des Jungen. Daraufhin zwingt er Edward, ihm zu helfen, sie wieder zurückzubringen, und anschließend meldet er ihn der Polizei. Allerdings erstatten auch Edwards Eltern, Jim und Sonia Mintz, Anzeige, und zwar gegen Pjotr wegen Hausfriedensbruchs und eines tätlichen Angriffs gegen den Sohn. Am Ende werden beide Anzeigen zurückgezogen.

Kurz bevor Louie Shcherbakov in die Schule kommt, fahren seine Eltern zu einer feierlichen Preisverleihung nach Washington, denn Kate hat den Plant Ecology Award des Botaniker-Verbands gewonnen.

Als sein Dad und sein Grandpa letzten Winter ihren Preis bekommen hatten, war das in einem ganz anderen Land gewesen.

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1592 oder 1593 vollendete William Shakespeare die Komödie „The Taming of the Shrew“ / „Der Widerspenstigen Zähmung“, die im Juni 1594 uraufgeführt wurde. Die eigentliche Geschichte ist in Form eines Theaterstücks im Theaterstück in eine Rahmenhandlung eingefügt. Sie spielt in Padua. Dort lebt der reiche Kaufmann Baptista Minola mit seinen beiden Töchtern Katharina und Bianca. Während die Jüngere von mehreren Männern umschwärmt wird, hat Katharina keinen Verehrer. Weil der Vater jedoch die jüngere Tochter nicht vor der älteren verheiraten will, überreden Biancas Verehrer den aus Verona stammenden Mitgiftjäger Petruchio dazu, um Katharinas Hand anzuhalten. Widerwillig gibt sie dem Mann, der zur Trauung nicht nur zu spät, sondern auch noch demonstrativ schlecht gekleidet erscheint, das Ja-Wort.

Die frauenfeindliche Komödie über die „Zähmung“ einer „widerspenstigen“ Frau passt nicht mehr in die Zeit. Im Rahmen des Hogarth Shakespeare Projekts anlässlich des 400. Todestages von William Shakespeare adaptiert Anne Tyler das Theaterstück als Roman mit dem Titel „Die störrische Braut“ und verlegt den Plot ins heutige Baltimore. Es ist schwierig, darzustellen, wie eine selbstbewusste junge Frau in eine zunächst ungewollte Scheinehe einwilligt und darin sogar eine Chance für sich erkennt. Wirklich nachvollziehbar ist diese psychische Entwicklung nicht. Aber „Die störrische Braut“ ist lustig und humorvoll, unterhaltsam und unkompliziert. Witz und Komik funkeln vor allem in den flotten Dialogen.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © Albrecht Knaus Verlag

Anne Tyler: Der leuchtend blaue Faden

Weitere Neufassungen von Shakespeare-Stücken:
Margaret Atwood: Hexensaat
Howard Jacobson: Shylock
Ian McEwan: Nussschale
Jo Nesbø: Macbeth
Edward St Aubyn: Dunbar und seine Töchter
Jeannette Winterson: Der weite Raum der Zeit

Michael Zeller - Abhauen!
An keiner Stelle wird Michael Zeller larmoyant oder rührselig. Umso bewegender und eindrucksvoller wirkt die autobiografische Erzählung. Ungeachtet des ruppigen Titels ist "Abhauen! Protokoll einer Flucht" eine feinsinnige und reflektierte, konzentrierte und tiefsinnige Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema.
Abhauen!