Barbara Vine : Heuschrecken

Heuschrecken
Originalausgabe: Grasshopper Viking, London 2000 Heuschrecken Übersetzung: Renate Orth-Guttmann Diogenes Verlag, Zürich 2001 ISBN 3-257-06275-3, 644 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Ich-Erzählerin Clodagh Brown leidet aufgrund eines im Alter von zehn Jahren erlittenen Traumas an einer Klaustrophobie. U-Bahn-Stationen, Tunnels und Souterrain-Wohnungen sind für sie eine Qual; nur in der Höhe fühlt sie sich frei. Deshalb kletterte sie als Kind auf Strommasten, als Jugendliche über Hausdächer und wohnt jetzt in einem Penthouse. In der Retroperspektive schreibt sie als Dreißigjährige über ihre eigenen Erfahrungen und das, was sie vom Leben anderer mitbekam.
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Kritik

In "Heuschrecken" porträtiert Barbara Vine ein halbes Dutzend Figuren, die nicht von Erlebnissen in ihrer Vergangenheit loskommen. Die Stärke des Romans liegt in der Struktur und in den ausgefallenen Charakteren, weniger in der Sprache.
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Im Alter von zehn Jahren wird Clodagh Brown von ihrem Vater in eine Autowaschanlage mitgenommen. Was als kleines Abenteuer gedacht war, erweist sich für Clodagh als traumatisches Erlebnis: Angesichts der sich von allen Seiten nähernden Bürsten und Stangen gerät sie in Panik und leidet von da an unter einer stark ausgeprägten Klaustrophobie.

Zwei Jahre nach dem Schrecken in der Autowaschanlage beginnt Clodagh, auf Hochspannungsmasten zu klettern. Das tut sie auch noch, als sie und ihr gleichaltriger Mitschüler Daniel Fleetwood mit siebzehn eine Liebesbeziehung anfangen. Daniel, dem Hochspannungsmasten wie riesige Heuschrecken vorkommen, will es Clodagh nachmachen: Er klettert ihr voraus auf einen Strommast und schickt sich an, an einem der Kabel eine Zigarette anzuzünden. Da wird er von einem Blitz getroffen und davongeschleudert. Etwas weiter unten bleibt er kurz in einer Stahlstrebe hängen. Clodagh versucht, ihn vor dem Abrutschen zu bewahren, aber sie schafft es nicht, ihn länger festzuhalten: Daniel stürzt zu Boden. Aber er ist wohl schon vor dem Aufprall tot. Clodagh hatte ihn zwar nicht aufgefordert, auf einen Hochspannungsmast zu klettern, aber sie fühlt sich schuldig an Daniels Tod, weil sie ihn hätte zurückhalten können.

Als Neunzehnjährige verlässt Clodagh ihr Elternhaus in Suffolk, um an der Grand Union Polytechnic in London Betriebswirtschaft und Psychologie zu studieren. Sie kommt bei entfernten Verwandten unter: Max ist ein Vetter von Clodaghs Mutter. Der fanatische Nichtraucher hat einen Lehrstuhl für Neue Geschichte an der University of London und schreibt Bücher über den Ersten Weltkrieg. Seine Ehefrau Selina, die in einer Seifenoper die Hauptrolle spielt, ist zwar nicht weniger egozentrisch als er, aber ansonsten das Gegenteil des staubtrockenen Akademikers. – Entsetzt stellt Clodagh fest, dass sich die Räume, die Max und Selina ihr zur Verfügung stellen, im Souterrain befinden: Es ist die Wohnung, in der Max‘ Großmutter Mabel Fisherton mit über neunzig starb.

Mit dem Studium an der Fachhochschule findet Clodagh sich nicht zurecht. Nach kurzer Zeit geht sie kaum noch zu Vorlesungen, und schließlich wirft man sie hinaus.

Inzwischen hat Clodagh einen gleichaltrigen jungen Mann kennen gelernt, der im obersten Stockwerk eines Nachbarhauses wohnt, das seinen Eltern Jack und Erica Silverman gehört, die jedoch nur noch selten nach London kommen und ansonsten in St. Albans leben. Er heißt Michael, wird aber wegen seiner strohblonden Haare und hellen Haut Silver genannt. Das Studium am Queen Mary College der University of London brach Silver vor einiger Zeit ab. Er lebt von den Zinsen eines kleinen Vermögens, das ihm seine Großmutter hinterließ.

Erst als Silver und Clodagh bereits ein Paar sind, erzählt er ihr von einem Erlebnis, das er als Dreijähriger hatte. Während eines Sommerurlaubs seiner Familie an der Küste von Cornwall schauten seine beiden älteren Geschwister – der elfjährige Julian und die neunjährige Rachel – einen Schmetterling an, und als sie sich wieder nach ihrem kleinen Bruder umdrehten, war er weg. Vergeblich suchte man nach ihm. Die Polizei ging von einer Entführung aus. Nach drei Tagen tat eine gewisse Diana Lomax so, als habe sie den Jungen in einer Höhle am Strand gefunden. Michael war wohlauf, jemand hatte seine Sachen gewaschen, und bei einer medizinischen Untersuchung fand man keine Anzeichen von Misshandlungen. Zunächst stand Diana Lomax im Verdacht, Michael entführt zu haben, aber sie hatte selbst drei erwachsene Kinder und zwei Enkel, und die Polizei konnte ihr nichts nachweisen.

In seiner Wohnung hat Silver auch einige andere junge Leute vorübergehend aufgenommen, darunter Wim, Jonny und Liv.

Wim ist Ende zwanzig. Bei seinem Vater handelte es sich um einen niederländischen Hochseilartisten, der an dem Tag, an dem er erfuhr, dass seine achtzehnjährige Geliebte Catherine schwanger war, von einem in dreißig Metern Höhe zwischen zwei Kirchtürmen gespannten Seil stürzte und starb. Drei Wochen nach Wims Geburt verschwand seine Mutter Catherine. Das Kind wurde von verschiedenen Verwandten aufgezogen und war nirgendwo willkommen. Während einer Dachdecker-Ausbildung entwickelte Wim die Obsession, fast täglich zum Spaß über Hausdächer zu klettern.

Das tut auch Jonny Rathbone, aber nicht, weil er sich dabei besonders wohl fühlt, sondern um in offene Fenster einzusteigen und Wohnungen auszurauben. Als er zwei Jahre alt war, starb seine Mutter an einer Überdosis Heroin, sein Vater George missbrauchte ihn von seinem vierten Lebensjahr an und reichte ihn unter Bekannten herum. Mit neunzehn arbeitete Jonny als Portier im Hotel „Gilmore“. Da machte es ihn verrückt, dass die Hotelgäste immer wieder vergaßen, die Innentüre des Aufzugs zu schließen und er dann über die Treppen hinauflaufen musste, damit der Lift wieder fuhr. Ein amerikanischer Geschäftsmann namens Clarence Tudorlap machte sich einen Spaß daraus, die Tür absichtlich offen zu lassen und er ärgerte Jonny, indem er den Aufzug zu seiner Etage holte und nichts weiter tat, als die Innentür zu öffnen. Als Jonny ihn dabei erwischte, ging er mit einem Hammer auf ihn los. Dafür verbüßte er eine dreijährige Haftstrafe. Inzwischen ist Jonny sechsundzwanzig Jahre alt.

Tagsüber arbeitete Jonny bis vor Kurzem als Parkwächter. Dabei lernte er die Schwedin Liv Almquist kennen, die vor einem Jahr als Au-pair-Mädchen nach London gekommen war. Claudia und James Hinde erwarteten von Liv, dass sie sich um ihre drei Kinder kümmerte, denn sie waren beide berufstätig. Um die Hausbar sorgten sich die Hindes ebensowenig wie um Geld. So kam es, dass die von dem siebenjährigen Cyrus, dem vierjährigen Marcus und der neun Monate alten Claudia genervte Liv zu trinken anfing und das Wechselgeld von Einkäufen sparte. 2000 Pfund brachte sie im Lauf der Zeit zusammen. An ihrem neunzehnten Geburtstag fuhr sie die Kinder mit dem Auto in die Stadt, obwohl sie getrunken hatte, verursachte einen Verkehrsunfall und rannte davon. Jonny brachte sie dann mit zu Silver, bei dem er seit einiger Zeit wohnte. Weil Liv befürchtet, dass die Polizei und die Hindes nach ihr suchen, wagt sie sich nicht mehr auf die Straße, so als hätte sie eine Agoraphobie.

Liv und Jonny sind zwar ein Paar, aber es dauert nicht lang, da treibt Liv es auch mit Wim. Jonny, der argwöhnt, dass Liv ihn mit Wim betrügt, schlägt seiner Geliebten einen Backenzahn aus und droht Jonny Schlimmeres an. Aus Sorge, Jonny könne ihr die 2000 Pfund abnehmen, bittet Liv Clodagh, das Geld für sie zu verstecken.

Jeden Tag sieht Clodagh in der Schublade nach, in die sie das Geldbündel geschoben hat. Plötzlich ist es nicht mehr da. Max hat die Souterrain-Wohnung durchsucht und die 2000 Pfund an sich genommen. Die Scheine liegen vor ihm auf dem Tisch, als er Clodagh nach der Herkunft des Geldes fragt. Für ihn ist klar: Nur durch eine strafbare Handlung oder den Kontakt zu Kriminellen kann das missratene Mädchen in den Besitz von so viel Geld gekommen sein. Er will deshalb, dass sie innerhalb einer Woche sein Haus verlässt. Clodagh wartet nicht lang: Sie packt das Bündel Banknoten, rennt davon und sucht bei Silver Zuflucht.

Håkan und Elsie Almquist machen sich Sorgen um ihre Tochter. Zuerst schicken sie ihr das Geld für ein Flugticket, und als Liv nicht nach Hause kommt, reist ihr Vater eigens nach London, um sie zu holen. Liv ist jedoch nicht in der Lage, vor die Haustür zu gehen, geschweige denn, nach Schweden zu fliegen. Am Abend vor seiner Abreise gibt sie ihrem Vater ein Päckchen, in dem sich angeblich 2000 Pfund befinden. Håkan Almquist wird jedoch auf dem Weg zum Hotel niedergeschlagen und ausgeraubt. – Liv, Wim, Silver und Clodagh sind überzeugt, dass es sich bei dem Straßenräuber um Jonny handelte, zumal dieser nicht mehr auftaucht.

Abends klettert Clodagh mit Silver, Wim und manchmal auch mit Liv über die Dächer. In einer Wohnung entdecken sie drei Personen, deren Foto sie in der Zeitung sahen: Das Ehepaar Andrew Lane und Alison Barrie mit dem von ihnen entführten achtjährigen Jungen Jason Patel. Jason, der Sohn eines weißen Vaters und einer indischen Mutter, wuchs in Kinderheimen auf. Alison und Andrew wünschten sich ein Kind und bewarben sich als Adoptiveltern für Jason. Die Behörden vertrauten ihnen den Jungen erst einmal für ein halbes Jahr zur Pflege an, aber dann hieß es, man bevorzuge eine gemischtrassige Familie für das dunkelhäutige Kind. Um Jason nicht mehr hergeben zu müssen, hoben Andrew Lane und Alison Barrie ihr ganzes Geld ab und tauchten unter. Seit einigen Wochen leben sie in einer Wohnung eines Bekannten namens Louis Robinson, der sich seit dem Tod seiner Frau Helen in Südfrankreich aufhält. – Silver und Clodagh beschließen, ihnen zu helfen. Sie kaufen für sie ein, damit sie die Wohnung nicht zu verlassen brauchen und arbeiten einen Fluchtplan aus: Weil zwei Weiße mit einem nichtweißen Kind zu auffällig wären, schlägt Silver vor, er könne Jason nach Australien bringen, Andrew und Alison sollten dann am folgenden Tag nachkommen. Außerdem besorgt er über Jonny, den er auf der Straße trifft, drei gefälschte Pässe, ein Flugticket hin und zurück sowie drei One-Way-Tickets nach Sydney.

Andrew, der durch das Eingesperrtsein verbittert und verzweifelt ist, traut Silver nicht und ersetzt nur einen Teil von dessen Auslagen. Clodagh spürt, dass Andrew längst bereut, sich auf die Kindesentführung eingelassen zu haben. Er mag den Jungen, aber seine Liebe zu Alison war der Belastung nicht gewachsen.

Eines Nachts wacht Liv auf und sieht, wie Jonny durchs Fenster hereinkommt. Vor Schreck ist sie wie gelähmt und nicht einmal in der Lage, zu schreien. Hilflos muss sie mit ansehen, wie Jonny dem neben ihr auf dem Bauch schlafenden Wim die Bettdecke wegreißt und mit einer Axt oberhalb der Ferse ins Bein hackt. Die herbeigerufenen Sanitäter bringen Wim ins St. Mary’s Hospital in Paddington. Weil es fraglich ist, ob er jemals wieder über Dächer klettern kann, trägt er sich mit Selbstmordgedanken.

Noch in derselben Nacht verschwindet Liv mit den 2000 Pfund, die sie in den Saum der Vorhänge eingenäht hatte. In dem ihrem Vater geraubten Päckchen waren nur Zeitungspapierschnipsel gewesen.

Die Polizei verhaftet Jonny nach ein paar Tagen, aber ohne die Zeugin Liv kann ihm der Überfall auf Wim nicht nachgewiesen werden.

Kurz vor dem geplanten Abflug verrät Silver Andrew und Alison versehentlich seinen Familiennamen. Da begreift Alison, dass er der dreijährige Junge gewesen war, den sie entführt hatte. Silver ahnte es schon einige Zeit, weil ihm die auf einer Vitrine stehenden Porzellanvögel bekannt vorkamen und Alison einmal erwähnte, dass ihre Mutter Diana hieß. Die jetzt neununddreißigjährige Alison hatte mit achtzehn einen fünfzehn Jahre älteren Mann namens Charles Barrie geheiratet, der sie jedoch nach vier Jahren verließ. Wegen einer nicht sachgemäß durchgeführten Abtreibung konnte sie keine Kinder bekommen, obwohl das ihr sehnlichster Wunsch war. Als sie dann zufällig in Cornwall dem Dreijährigen begegnete, der seine Angehörigen suchte, nahm sie ihn mit zu sich, aber ihre Mutter Diana sorgte drei Tage später dafür, dass der Kleine wieder zu seiner Familie zurückkam.

Durch die Enthüllung fühlt Clodagh sich in ihren Zweifeln bestärkt, ob Alison und Andrew die richtigen Pflegeeltern für Jason sind.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Es klingelt. Vor dem Haus stehen zwei Streifenwagen. Es bleibt nur die Flucht durchs Fenster und über die Dächer. Jason findet das toll, aber für Andrew und Alison ist es beschwerlich, zumal ein Sturm aufgekommen ist. Während der Junge auf die langsameren Erwachsenen wartet, öffnet er den von Andrew noch schnell gepackten Rucksack. Eine Windböe erfasst die Geldscheine, die unter der Klappe steckten. Andrew sieht entsetzt, wie seine gesamten Ersparnisse durch die Luft gewirbelt und von Schaulustigen auf der Straße eingesammelt werden. Alison rutscht ab. Kurz bevor Silver sie zu fassen bekommt, lässt sie sich absichtlich in die Tiefe fallen. Silver droht ebenfalls abzustürzen, aber anders als bei Daniel gelingt es Clodagh diesmal, ihn zu retten.

Silver, Clodagh und Andrew werden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Was aus Jason wird, erfahren sie nicht.

Die Eltern Brown und Silverman unterbinden jeden Kontakt zwischen Clodagh und Silver. Schließlich erfährt Clodagh, dass Silver im Auftrag der Hungerhilfe-Organisation „Famaid“ nach Afrika gegangen ist. Seine Briefe hat sie ebensowenig erhalten wie er ihre. Sie lässt sich zur Elektroingenieurin ausbilden und gründet eine eigene Firma: C. Brown & Co Ltd.

Einmal begegnet sie Jonny auf der Straße, und er brüstet sich damit, der Polizei verraten zu haben, wo Andrew Lane und Alison Barrie sich mit Jason versteckten.

Jahre später finden Clodagh und Silver wieder zusammen. Zehn Jahre nach den ereignisreichen Wochen heirateten sie, und jetzt bewohnen sie ein Penthouse im Londoner Stadtteil Highgate. Silver hält sich allerdings oft monatelang in Afrika auf.

Während Silver wieder einmal fort ist, soll Clodagh in einer Wohnung einen defekten Dimmer reparieren. Bei der Auftraggeberin handelt es sich um Liv, die ihrerseits nicht wusste, wem die Elektrofirma gehört. Liv ist inzwischen mit einem Mann namens Angus Clarkson verheiratet und hat einen vierjährigen Sohn und eine dreijährige Tochter. Auf keinen Fall möchte sie, dass ihre Familie erfährt, was sie im Alter von neunzehn Jahren erlebte.

Nach diesem zufälligen Wiedersehen mit Liv sucht Clodagh ihre Tagebücher von damals heraus und schreibt ihre Erlebnisse auf.

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Sie haben mich hierher geschickt, weil das mit dem Mast passiert ist. Oder vielleicht, damit ich nicht jedesmal, wenn ich aus dem Haus gehe oder auch nur aus dem Fenster gucke, den Mast sehe.
„Wir haben überlegt, ob wir das Haus verkaufen und wegziehen sollen“, hatte mein Vater gesagt. „Glaub nur ja nicht, dass wir uns darüber keine Gedanken gemacht hätten. Aber du bist ja schließlich…“
Weiter kam er nicht, aber ich wusste, wie der Satz weitergegangen wäre. Du bist ja schließlich nicht ewig hier. (Seite 7)

So beginnt der Roman „Heuschrecken“ von Barbara Vine.

„Heuschrecken“ gilt als Thriller, aber das trifft nur teilweise zu. Die Ich-Erzählerin Clodagh Brown leidet aufgrund eines im Alter von zehn Jahren erlittenen Traumas an einer Klaustrophobie. Der Aufenthalt in U-Bahn-Stationen, Tunnels und Souterrain-Wohnungen ist für sie eine Qual; nur in der Höhe fühlt sie sich frei. Deshalb kletterte sie als Kind auf Strommasten, als Jugendliche über Hausdächer und wohnt jetzt in einem Penthouse. In der Retroperspektive schreibt sie als Dreißigjährige über ihre eigenen Erfahrungen und das, was sie vom Leben anderer mitbekam. Mit diesem Kunstgriff ist es der Autorin Barbara Vine gelungen, ein halbes Dutzend Figuren zu porträtieren, die nicht von Erlebnissen in ihrer Vergangenheit loskommen, und die Geschichten durch die Ich-Erzählerin zu verklammern.

Spannung baut Barbara Vine vor allem durch Andeutungen auf. Lange Zeit erwähnt sie beispielsweise ein schreckliches Erlebnis, das mit einem Starkstrommast zu tun hat, aber erst nach neunzig Seiten erfahren wir Näheres darüber. Einige Kapitel beendet sie mit unheilschwangeren Worten – und spannt die Leser dann auf die Folter, indem sie erst einmal einen anderen Handlungsstrang weiterführt.

Die Stärke des Romans „Heuschrecken“ liegt in der Struktur und in den ausgefallenen Charakteren. Die Sprache ist zumindest in der deutschen Übersetzung von Renate Orth-Guttmann nicht frei von stilistischen Schnitzern. Hier zwei Beispiele:

Es war Samstag, am Dienstag fing das Herbsttrimester an. Und um mein Studium anzufangen und nach Möglichkeit […] bis zum bitteren Ende durchzuziehen, war ich schließlich hier. Von Psychologie hatte ich keine Ahnung, konnte dafür aber immerhin ein gewisses Interesse aufbringen, während ich nicht nur mit dem Begriff Betriebswirtschaft nichts anzufangen wusste, sondern mir ganz sicher war, dass ich mich damit nicht befassen wollte. Warum ich dann überhaupt angefangen habe? (Seite 51)

Hätte ich da schon den Stadtplan mit allen Straßen von London gehabt, hätte ich gesehen, dass die Sache einen Haken hatte, aber diesen Plan hatte ich erst am Vortag erstanden. (Seite 53)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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