Thomas Wharton : Salamander

Salamander
Originaltitel: Salamander McClelland & Stewart, Toronto 2001 Salamander Übersetzung: Theda Krohm-Linke dtv, München 2003 ISBN 3-423-24350-3, 357 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts folgt der Londoner Buchdrucker Nicholas Flood einem Ruf des verwitweten Grafen Ostrow, der sich mit seiner Tochter Irena in ein geheimnisvolles Schloss an der Grenze zwischen Böhmen und Oberungarn zurückgezogen hat. Flood soll ein Buch ohne Anfang und Ende herstellen ...
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Kritik

Der Roman "Salamander" beeindruckt nicht durch einen großen Spannungsbogen oder eine ausgeklügelte Konstruktion, sondern durch die Fabulierlust des Autors und die Fülle fantastischer Geschichten im Stil des Magischen Realismus.
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Quebec 1759. Ein paar Tage vor der Übernahme der belagerten Stadt durch die Briten entdeckt der französische Oberst de Bougainville in den Ruinen einer von Bomben zerstörten Buchhandlung eine Frau, die ihm von einem Buch erzählt, das sie gern lesen würde.

Die Geschichte beginnt 1717. Die christlichen Heere unter Prinz Eugen von Savoyen sind vor den Mauern von Belgrad auf die osmanischen Belagerer gestoßen, und die Rückeroberung der Stadt steht bevor. Konstantin Graf Ostrow und sein siebzehnjähriger Sohn Ludwig, die Prinz Eugens Streitmacht angehören, erfuhren vor einem Monat, dass die Frau des Grafen im Kindbett gestorben war. Noch bevor die Schlacht vor Belgrad beginnt, findet Graf Ostrow die Leiche seines Sohnes. Er scheint einfach tot vom Pferd gefallen zu sein. Daraufhin reicht der Graf seinen Abschied ein und zieht sich in das Schloss seiner Vorfahren auf einer steilen Felsinsel im Fluss Vah zurück.

Seine Tochter Irena wird von einer Amme aufgezogen, bis sie eines Tages schwer erkrankt. Da verscheucht Graf Ostrow die Frauen und kümmert sich persönlich um das Mädchen. Weil er Ärzten misstraut, braut er selbst Kräutertees und pflegt Irena gesund. Allerdings behält sie von der Krankheit ein schwaches Rückgrat zurück und muss ein eigens für sie angefertigtes Stahlkorsett tragen, um stehen und aufrecht sitzen zu können.

Nach dem Frieden von Passarowitz suchen Regierungsbeamte den Grafen auf und unterrichten ihn darüber, dass der Fluss Vah aufgrund neuer Vereinbarungen die Grenze zwischen dem Herzogtum Böhmen und dem Fürstentum Oberungarn bilde. Deshalb soll er Steuern und Abgaben an beide Staaten entrichten. Auf seinen Protest hin finden die Beamten ein neunzig Jahre altes lex terrae, wonach ein Flüchtling, der genau auf der Grenze steht, von keiner Seite erschossen werden darf. Daraus schließen sie, dass Graf Ostrow weder Böhmen noch Oberungarn etwas schulden würde, wenn es in Schloss Ostrow keine getrennten Zimmer gäbe, sondern nur einen einzigen Raum, der keiner der beiden Seiten zugeordnet werden könnte. Der Graf, der bereits damit begonnen hat, Rätsel und Merkwürdigkeiten zu sammeln, verwandelt das Schloss daraufhin in ein Labyrinth, in dem ein überdimensionales Uhrwerk Wände und Mobiliar bewegt. Neunzehn Jahre dauern die Bauarbeiten. Inzwischen hat zwar ein veränderter Grenzverlauf den Grafen ohnehin von der Doppelbesteuerung befreit, aber er macht weiter. Von Samuel Kirshner, einem genialen jüdischen Metallurgen aus Venedig, der in einem polnischen Dorf geboren worden war, lässt er sich Automaten bauen, die er nach der slowakischen Bezeichnung für Landarbeiter „Robotnik“ nennt.

War nicht auch der Verstand, so mutmaßte der Graf, eine komplexe Maschine aus wirrer tierischer Unvollkommenheit und der Ordnung eines Uhrwerks? (Seite 22)

Wesentlicher Bestandteil des unaufhörlich sich bewegenden Labyrinths ist eine Bibliothek, und Irena wird selten ohne ein Buch in der Hand angetroffen. Eines Tages packt sie eine Büchersendung aus Boston aus. Eines der Bücher ist ausgehöhlt. Darin befindet sich ein kleineres Buch, das ebenfalls ausgehöhlt ist, damit ein noch kleineres Buch darin Platz findet und so weiter. Als Schöpfer des Buches wird im Impressum Nicholas Flood, ein Drucker und Buchhändler in London, genannt. Der Graf lässt ihn mit seinem Schiff holen und beauftragt ihn, für seine Bibliothek ein Buch ohne Anfang und Ende herzustellen.

Flood wundert sich natürlich über das mysteriöse Schloss. Graf Ostrow und seine Tochter Irena erläutern ihm dazu Folgendes:

„Vor langer Zeit glaubte ich, dieses Rätselschloss hier schaffen zu müssen, um eine Handvoll Regierungslakaien zu überlisten und meine Börse zu schonen. Aber in der letzten Zeit ist mir wirklich klar geworden, was ich hier eigentlich tue. […] Das ist kein Schloss, sondern ein System. Priester und Irre machen Systeme aus ihren Träumen. Schriftsteller […] machen Systeme aus Wörtern. Ich habe dieses System, mein System, aus Stein, Holz, Metall und Glas geschaffen.“ (Seite 46)

„Der Traum meines Vaters“, sagte Irena, „ist ein Mechanismus, der sich vollkommen selber reguliert, wie die Himmelskörper, die um die Planeten kreisen. Er sieht das Schloss, wenn er und ich schon lange tot sein werden, ohne eine lebende Seele darin. Wände, Böden und Möbel bewegen sich in aller Stille. Ewig.“ (Seite 96f)

Der Schreiner, ein junger Savoyarde namens Turini, der in die gehörlose Schlangenfrau Darka verliebt ist, hilft Flood beim Bau einer Druckerpresse. Als Assistenten erhält der Buchdrucker Djinn, einen neunjährigen blonden afrikanischen Krauskopf mit kaffeebrauner Haut und blauen Augen, und einen Roboter aus Porzellan, der auf den Namen „Ludwig“ hört. Djinn ist der Sohn eines chinesischen Seidenhändlers und einer Äthiopierin, die sich in Alexandria kennen gelernt hatten.

Zu Gast in dem Schloss ist Abbé Ezequiel de Saint-Foix aus Quebec. Als er zwölf Jahre alt war, starben seine Eltern bei einer Schiffsüberfahrt von Kanada nach Frankreich. Sein älterer Bruder Michel verbannte die beiden Schwestern in ein Kloster und schickte Ezequiel mit siebzehn auf ein Jesuitenkolleg in Paris. Doch statt in Versailles Beichtvater der Mätresse des Königs zu werden, begann er Bücher zu schreiben. Jetzt muss er zurück nach Quebec, denn sein Bruder ist gestorben, und er will das Erbe antreten, bevor sich Staat oder Kirche den Besitz aneignen. Vor seiner Abreise gesteht er Irena seine Liebe, doch die junge Frau lässt keinen Zweifel daran, dass sie seine Gefühle nicht erwidert.

Auch Nicholas Flood verliebt sich in Irena. Er druckt ein Buch mit dem Titel „Verlangen“ und steckt es anstelle des siebten Bandes der „Libraria Technicum“ ins Buchregal. Irena entdeckt das Buch, zieht es mit bebenden Fingern heraus und blättert darin, nachdem sie zu Bett gegangen ist. Der Inhalt – eine Predigt – enttäuscht sie. Doch als sie die Kerze löscht, nimmt sie in der Dunkelheit einen grünlichen Schimmer war, öffnet das Buch noch einmal und bemerkt nun, dass überall zwischen den Zeilen in kursiver Pica ihr Name steht. Vor Aufregung verirrt sie sich zum ersten Mal im Schloss.

Bei dem Gedanken daran, dass sie eine leere Stelle in einem der Regale hinterließ, ein Makel im System ihres Vaters, stockte ihr der Atem. (Seite 99)

Irena flüstert Nicholas Flood zu, um wieviel Uhr sich ihre Betten nähern werden. Er passt den Zeitpunkt ab und springt hinüber in ihr Bett.

Dem Graf fällt ein Ungleichgewicht in seinem System auf, und als er nach der Ursache forscht, bemerkt er das fehlende Buch. Irena! Ihr Bett ist leer! Als Flood in der vierten Nacht durch die roten Samtvorhänge in Irenas Bett springt, wird er von Graf Ostrow und zwei Jägern mit Schrotflinten erwartet. Sie überwältigen ihn und sperren den verliebten Buchdrucker in eine Steinkammer unter dem Schloss.

Frei von den Beschränkungen echten Papiers und echter Tinte, der dumpfen Widerspenstigkeit toter Gegenstände, konnte er sich endlich ein Buch erträumen, das anders war als alle anderen. (Seite 108)

Nach zwölf Jahren wird er von Djinn und einem zehn- oder elfjährigen Mädchen mit rötlichen Haaren aus dem Verlies befreit. Das Mädchen heißt Pica und ist seine Tochter.

Er [Flood] blickte sich um in dem zugigen Schloss. Gleitwände hingen schief in ihren Schienen, auf ewig angehalten. Eine Wendeltreppe endete mitten in der Luft. Die verbliebenen Bücherschränke standen bewegungslos. Manche waren umgestürzt, die Regale geplündert. Pica hatte ihm erzählt, dass die Dienstboten nach dem Tod des Grafen fast alles mitgenommen hatten, was auch nur irgendwie von Wert schien. (Seite 126)

Nachdem Pica tagelang in einem Korb auf dem Meer getrieben war, wurde sie an der Küste einer Insel angespült und dort in einem Kloster aufgenommen. Eine andere Novizin traf sie eines Tages in der Badewanne unter Wasser schlafend an. Pica kann wie ein Salamander sowohl unter Wasser als auch an Land leben!

Flood, Pica und Djinn machen sich mit Ludwig auf den Weg über Wien und Pressburg nach Buda. Dort werden sie von Turini erwartet, der inzwischen mit seiner Ehefrau Darka und den zweieiigen Zwillingen Lolo und Miza auf der „Biene“, dem Schiff des Grafen, lebt.

Zunächst reisen sie nach Venedig, wo sie den Metallurgen Samuel Kirshner aufsuchen. Der schenkt ihnen einen geheimnisvollen Setzkasten und den dazu gehörigen Setzrahmen. In Alexandria stoßen sie auf Abbé de Saint-Foix, der die in einem unergründlich tiefen Brunnen versteckten Reste der legendären Bibliothek birgt. Mit der aus einem Tintenfisch gewonnenen Druckertinte verlassen sie Alexandria.

Unterwegs spürt Pica eine dunkelhäutige Frau auf, die heimlich mit an Bord gekommen war und schließlich ihre Geschichte erzählt. Amphitrite Snow – so nennt sie sich – und andere Frauen waren an Männer in New Providence verkauft worden. Nachdem die Frauen mit Ausnahme von Amphitrite Snow, die der Kapitän für sich persönlich beansprucht hatte, vergewaltigt worden waren, gelang es ihnen, im Nordatlantik die Besatzung nach einem Saufgelage zu überwältigen. Sie setzten die Männer in einem Beiboot aus. Der Kapitän überlebte, übernahm das Kommando auf der „Acheron“ und verfolgt seither Amphitrite Snow. Prompt taucht die „Acheron“ auf, feuert eine Kanone auf die „Biene“ ab, und nur mit Mühe entkommen Flood, Pica, Djinn, Turini, Darka, Lolo, Miza und Amphitrite Snow.

Sie geraten zwischen große Eisinseln, stranden auf einer Seegrasinsel und gelangen dann über Macao nach Kanton, wo sie chinesisches Papier erwerben möchten. Da es Ausländern aufgrund eines kaiserlichen Erlasses nicht einmal gezeigt, geschweige denn verkauft werden darf, verbirgt Djinn sich im Gehäuse Ludwigs und zieht los. Einige Zeit später kehrt das mit einem neuen Uhrwerk versehene Robotergehäuse mit dem Papier und einer Nachricht zurück: Djinn bleibt in China.

Ein Engländer, der ihnen begegnet, ist verblüfft über die Ähnlichkeit zwischen Pica und einer Madame Beaufort, die er in London sah.

London ist ohnehin das nächste Ziel der Reise, die an Madagaskar vorbei und um das Kap der Guten Hoffnung herum führt. Von dem Spielkartenfabrikanten A. Martin, einem väterlichen Freund in London, erhält Flood den Klebstoff, den er für das Binden des Buches benötigt, an dem er während er ganzen Reise gearbeitet hat.

Nachdem er mehrmals zusammengebrochen ist, wird Flood ins Irrenhaus von Bedlam gebracht. Dort findet sich auch Abbé Ezequiel de Saint-Foix ein. Er schließt mit Pica einen Handel: Die Freiheit ihres Vaters als Gegenleistung für Druckerpresse, Setzkasten, Setzrahmen, Tinte und Papier.

Im Kabinett der Wunder findet Pica Madame Beaufort. Enttäuscht stellt sie fest, dass es sich um einen wahrsagenden Automaten handelt, der wie eine Frau aussieht und Pica tatsächlich ähnelt. Dann taucht die Besitzerin des Automaten auf, bei der es sich um niemand anderes als um Picas Mutter Irena handelt.

In der Nacht, als ihr Vater Flood einsperren ließ, wurde Irena in eine Jagdhütte gebracht, dann auf einer Barke die Donau hinunter zu einem Schiff, auf dem sie der Abbé erwartete. Er wollte sie gewaltsam mit nach Quebec nehmen, doch vor der nordamerikanischen Küste gerieten sie in einen Sturm und mussten deshalb Zuflucht im Hafen von New York suchen. In einem Kanu wurde Irena zu einer Siedlung religiöser Sektierer mitten im Urwald gepaddelt. Dort musste sie auf den Feldern arbeiten – bis sie eines Tages einfach in den Wald lief und von Wilden gefunden wurde. Sie arbeitete zunächst als Näherin in New York und verdiente dann Geld durch den Verkauf selbst hergestellter mechanischer Spielzeuge, bis sie sich die Überfahrt nach London leisten konnte, wo sie auf Nicholas Flood gewartet hat.

Flood stirbt kurz nach dem Wiedersehen mit Irena.

An Bord der „Biene“ stößt Pica auf Abbé Ezequiel de Saint-Foix, der sich auf dem Schiff bereits umgesehen und Floods letztes Buch gefunden hat. Pica bringt ihn dazu, auf einen Stuhl zu steigen und in den mysteriösen Setzrahmen einzutauchen, den Flood von Samuel Kirshner in Venedig erhielt. Sobald er darin verschwunden ist – leider mit dem Buch ihres Vaters –, will sie damit in ein Beiboot flüchten, denn inzwischen werden sie wieder von der „Acheron“ angegriffen. Beim Einschlag einer Kanonenkugel auf der „Biene“ fällt Pica der Setzrahmen aus der Hand. Sie kann sich gerade noch auf ein Beiboot retten. Amphitrite Snow bleibt allein auf der „Biene“ zurück. Sie zündet das Feuerwerk, das Djinn in Kanton gekauft hatte, und zerstört damit sowohl die „Biene“ als auch die „Acheron“.

Pica wird von dem französischen Marinefrachter „La Constance“ geborgen und 1755 nach Quebec gebracht. Dort kann sie einen zunächst zögernden Buchhändler überreden, sie einzustellen.

Hier endet die Geschichte, die Pica vier Jahre später in der zerstörten Buchhandlung Oberst de Bougainville erzählt.

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Der Roman „Salamander“ beeindruckt nicht durch einen großen Spannungsbogen oder eine ausgeklügelte Konstruktion, sondern durch die Fabulierlust des Autors und die Fülle fantastischer Geschichten im Stil des Magischen Realismus. „Salamander“ handelt von den märchenhaften Abenteuern, die der Buchdrucker Nicholas Flood in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf einer Weltreise erlebt, die er nach seiner Befreiung aus dem Verlies eines Schlosses mit seiner Tochter Pica unternimmt, um ein Buch ohne Anfang und Ende herstellen zu können. Dabei hat die Romanfigur „Nicholas Flood“ mit dem historischen Londoner Buchdrucker aus dem 18. Jahrhundert nur den Namen gemeinsam.

Der kanadische Schriftsteller Thomas Wharton (*1963) veröffentlichte 1995 seinen ersten Roman: „Icefields“, der zwei Jahre später unter dem Titel „Der Klang des Schnees“ auch in deutscher Übersetzung erschien. „Salamander“ ist sein zweiter Roman.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © dtv

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