Thomas Wolfe : Die Party bei den Jacks

Die Party bei den Jacks
Originalausgabe: The Party at Jack's Manuskript: 1930 – 1937 The University of North Carolina Press, 1995 Die Party bei den Jacks Übersetzung: Susanne Höbel Nachwort von Kurt Darsow Manesse Verlag, Zürich 2011 ISBN: 978-3-7175-2234-8, 350 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der erfolgreiche jüdische Börsenspekulant Frederick Jack wuchs in Deutschland auf. Seit 37 Jahren lebt er mit seiner Frau Heather, einer gefeierten Bühnenbildnerin, und den beiden Kindern in New York. Dass das Personal stiehlt und betrügt, weiß er, unternimmt jedoch nichts dagegen, sondern amüsiert sich darüber. Auch die Affären seiner Frau bleiben ihm nicht verborgen. Am 2. Mai 1928 gibt sie eine ihrer berühmten Partys, zu denen sie neben Künstlern und Theaterleuten einen Querschnitt der High Society einlädt ...
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Kritik

Bei "Die Party bei den Jacks" handelt es sich um eine literarisch anspruchsvolle Gesellschaftssatire über die Roaring Twenties. Das Gebäude, in dem die Party stattfindet, symbolisiert die Welt vor dem Bankenkrach: Die stabil aussehende Fassade täuscht.
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Friedrich („Fritz“) Jack wuchs in Koblenz auf. Dort hatte sein jüdisch-deutscher Großvater eine Bank gegründet. Nachdem sein Vater gestorben war, übernahm einer von dessen Brüdern das Familienunternehmen, und seine Mutter zog mit ihm und seiner Schwester zu ihrem Schwager und ihrer Schwägerin. Als Siebzehnjähriger verabschiedete sich Friedrich Jack und ging an Bord eines Rheindampfers, der nach Rotterdam fuhr, denn er wollte zu seinem in die USA ausgewanderten Onkel Max.

Das war vor siebenunddreißig Jahren. Jetzt schreiben wir den 2. Mai 1928. Frederick Jack, wie er nun heißt, lebt mit seiner zehn Jahre jüngeren Ehefrau Heather, deren Schwester Edith, dem vierundzwanzigjährigen Sohn Ernie und der Tochter Alma in einem Apartment in der Park Avenue in Manhattan. Außerdem ließ er sich in Westchester County ein riesiges Landhaus bauen. Seinen Reichtum verdankt er der „schillernden Blase der Spekulation“. Heather Jack hatte vor zwanzig Jahren ihren Beruf als Malerin aufgegeben, um Kostüme und Bühnenbilder für Theateraufführungen zu entwerfen. Seit fünfzehn Jahren arbeitet sie parallel dazu als Modezeichnerin für eines der mondänsten Modegeschäfte in Amerika. Frederick ist stolz auf sie. Liebe war es von Anfang an nicht. Über ihre Affären sieht er hinweg, denn wirklich wichtig ist es ihm, die Familie zusammenzuhalten, und in diesem Anliegen sind sie sich einig.

In dieser Nacht träumt Frederick Jack, er sei wieder in Koblenz, bei einer Herrenrunde seiner ehemaligen Mitschüler, die ihn wie Albert Hartmann drangsalierten oder wie Walter Grauschmidt als Juden beschimpften. Albert Hartmann hat es zu nichts gebracht; er schlägt sich als einfacher Arbeiter durch und wagt es kaum, sich zu den Herren zu setzen. Ludwig Berniker hat ein Loch in der Stirn: Eine Woche vor dem Waffenstillstand fiel er durch einen Kopfschuss. – Am liebsten hätte Jack seinen früheren Peinigern von seinem Reichtum erzählt.

Er war begierig gewesen, ihnen von seinem Reichtum zu erzählen, von seinen immensen Besitztümern, von dem Leben in Saus und Braus, das er führte, und der fabelhaften Welt, in der er lebte. Er wollte ihnen von seinen drei teuren Automobilen erzählen und von seinem Chauffeur, dem er über siebenhundert Mark im Monat zahlte – ja! Und Verpflegung und Unterkunft für seine Familie obendrein! – was mehr war, als die meisten von ihnen in drei Monaten verdienen konnten. Er wollte ihnen von dem großen Haus erzählen, das er sich auf dem Land baute und das ihn über fünfhunderttausend Mark kosten würde, und von der Stadtwohnung, in die er vor Kurzem gezogen war und für die er im Jahr über fünfzigtausend Mark Miete bezahlte. Und er wollte ihnen von den vier Hausangestellten erzählen, von denen jede dreihundertfünfzig Mark im Monat erhielt, und von seiner Köchin – einer Deutschen! –, der er fünfhundert Mark im Monat zahlte, und von seinem Büro, das ihn zweihunderttausend Mark Miete im Jahr kostete und in dem noch die niedrigsten unter seinen fünfzig Angestellten – selbst die Laufburschen – vierhundert Mark im Monat erhielten.
[…] Über ihr Staunen würde er gutmütig lachen, und wenn sie ihn fragten, ob diese Wunderdinge, die er ihnen beschrieben hatte, nicht nahezu beispiellos seien, selbst in dem legendären Land, in dem er lebte, würde er ihnen versichern, dies sei nicht der Fall – er sei nichts weiter als ein kleiner Karpfen in einem riesigen Teich, und er habe viele Freunde, die ihn für einen armen Mann hielten und die – ja! – in einem Monat mehr einnahmen und ausgaben als er in einem Jahr!

Wie an jedem Morgen serviert Molly Fogarty ihrer etwa gleich alten Arbeitgeberin Heather Jack das Frühstück. Die Irin wird von den Jacks seit über zwanzig Jahren als Hausangestellte beschäftigt und überaus großzügig entlohnt. Ebenso lang hat sie Mrs Jacks Liebhaber kommen und gehen sehen.

Seit über zwanzig Jahren hatte Molly dieser Frau und ihrer Familie gedient, und obwohl unstrittig war […], dass sie ihre Arbeitgeber betrogen, bestohlen, belogen (und auch für sie gelogen) hatte und dass sie, die im Überfluss lebte, träge geworden war und dabei die guten irischen Gefühle von Zuneigung, Aufopferung und Wärme für sie hegte, hatte sie doch niemals auch nur einen Moment lang daran gezweifelt, dass die Familie letzten Endes samt den anderen Ungläubigen und all den heidnischen Stämmen zur Hölle fahren würde.

Die Haushälterin hatte von der harten Welt, in der ihre Herrin sich tagtäglich abmühte und behauptete, genug gesehen, um zu wissen, dass sie in ihrem ganzen trägen Körper, selbst wenn sie einen Bruchteil des immensen Talents und Wissens ihrer Herrin hätte, niemals so viel Energie, Entschlusskraft und Antrieb aufbringen könnte, wie die andere Frau in der Spitze ihres kleinen Fingers trug. Dieses Wissen, weit davon entfernt, Groll in ihr zu wecken, gab ihr vielmehr ein Gefühl der Selbstzufriedenheit und erfüllte sie mit der Genugtuung, dass eigentlich ihre Herrin und nicht sie die Arbeiterin war […]

Ein Wachtmeister, der Molly den Hof macht, wird von ihr heimlich auf Kosten der Familie Jack verköstigt. Und die Alkoholikerin bewirtet nicht nur ihren Geliebten mit dem vorzüglichen Whiskey, den Mr Jack sich kistenweise schicken lässt, sondern trinkt auch selbst regelmäßig davon. Eigentlich könnte sie zufrieden sein, aber sie glaubt, in ihrem Leben etwas versäumt zu haben.

An diesem Morgen fragt Mrs Jack, die auf dem rechten Ohr taub geworden ist, nach einem verschwundenen Kleid ihrer Schwester Edith. Aber Molly weist den Verdacht, es gestohlen zu haben, weit von sich und beschwört ihre Unschuld bei allem, was ihr heilig ist.

Frederick Jack weiß, dass ihn das Personal betrügt und bestiehlt.

Er wusste zum Beispiel, dass ebendieser Fahrer, der halb Ire, halb Italiener war und Barney Dorgan hieß, ihn von vorn und hinten bestahl und betrog, dass jede Rechnung für Benzin, Öl, Reifen, Reparaturen oder Wartung gnadenlos frisiert war und dass ebendieser Dorgan zu diesem Zweck mit dem Garagenbesitzer unter einer Decke steckte und von ihm einen erklecklichen Anteil als Belohnung erhielt. Doch dies zu wissen störte oder verärgerte ihn nicht im Mindesten. Im Gegenteil, er bezog daraus ein ganz eigenes Vergnügen, eine zynische Belustigung. Zu wissen, dass sein Fahrer ihn bestahl und dass er sich das leisten konnte, verlieh ihm ein Gefühl von Macht und Sicherheit.

Desgleichen wusste er, dass die irischen Hausmädchen in seinem Haushalt unentwegt stahlen und dass mindestens drei Angehörige der Polizei und ein irischer Vorarbeiter den größten Teil ihrer Freizeit in seiner Küche, im Aufenthaltsraum und in den Zimmern der Hausmädchen verbrachten. Auch wusste er, dass diese Hüter der öffentlichen Ordnung und Sicherheit Abend für Abend an seinem mit den köstlichsten Gerichten gedeckten Tisch fürstlich speisten, dass für ihr leibliches Wohl gesorgt war, noch ehe er, seine Familie und seine Gäste bedient wurden, und dass ihnen sein bester Whiskey und die erlesensten Weine kredenzt wurden.

Er zahlte sogar eine monatliche Pension an eine Tante seiner Frau, eine gefärbte und angemalte alte Schachtel von zweiundachtzig Jahren, die seine Frau und deren Schwester um die kleine Erbschaft des Vaters betrogen hatte und die Jack nicht nur deshalb, sondern auch aus vielen anderen Gründen verabscheute.

Er war so weit davon entfernt, zu verstehen, wie sehr seine eigene Sichtweise eine verzerrte, falsche und theatralisch vereinfachte war, dass er sich für seine „Abgebrühtheit“ und Stärke rühmte und dafür, dass er die Intelligenz besaß, dieses düstere Bild von der Welt mit einem so unbekümmerten und gleichmütigen Zynismus wegzustecken.

Denn seiner Überzeugung nach war nicht nur der Betrug seiner Dienstboten, die Korruption der Polizei und die allgegenwärtige Tyrannei von Privilegien überall auf der Welt, von den wichtigsten bis zu den nichtigsten Angelegenheiten, ein Tatbestand, den man ohne die geringste und beiläufigste Spur von Überraschung hinzunehmen hatte, und mit derselben Gelassenheit musste man auch die vollständige Verderbnis der Menschheit überall begreifen und hinnehmen.

Frederick Jack liebt die Ordnung; sie gibt ihm Macht und Sicherheit.

Er mochte die Natur in kultivierter Form: gepflegte Rasenflächen vor großen Landhäusern, das fröhliche Regiment bunter Gartenblumen, die üppig gedrängte Fülle von Hecken und Büschen […]

Seine Stadtwohnung in Manhattan befindet sich in einem zwölfstöckigen Apartmenthaus an der Park Avenue.

Der mächtige Koloss, zwölf Stockwerke hoch, mit einem Sockel aus dauerhaftem Stein, darüber riesige Flächen recht rußiger, stadtverwitterter Backsteinmauern, gleichmäßig von Tausenden quadratischer Fenster durchbrochen, nahm einen kompletten Block ein und bildete ein Geviert, mit Eingängen an zwei Straßenfronten. Es war so imposant, so riesig, so massiv und viereckig angelegt, dass es unmittelbar aus der Erde emporzuwachsen, aus dem immerwährenden Fels gehauen zu sein schien, an dieser Stelle für die Ewigkeit gebaut, von derselben Dauerhaftigkeit wie der Felsen selbst.
Und doch verhielt es sich in Wirklichkeit ganz anders. Das mächtige Gebäude, so massiv gebaut es dem Auge schien, war in Wahrheit ausgehöhlt und durchlöchert wie ein riesenhafter Bienenstock. Es ruhte auf mächtigen Bögen, deren Säulen in die durchsiebte Leere reichten. In Wirklichkeit war es auf monströsen Stelzen errichtet […]

Wenn in den beiden Tunnels unter dem Gebäude Züge durchfahren, spürt Frederick Jack das Vibrieren des Untergrunds.

An diesem Abend gibt Heather Jack eine ihrer berühmten Partys. Bevor die ersten Gäste eintreffen, inspiziert sie die Räume und das opulente Buffet. Als Bühnenbildnerin weiß sie, auf was es ankommt. Die Attraktion des Abends soll der etwa dreißig Jahre alte Drahtpuppenspieler Piggy Logan sein, der sein Studium sowohl in Harvard als auch in York abgebrochen hatte und danach fünf Jahre lang in Paris gewesen war. Etwas beunruhigt verfolgt Mrs Jack seine Vorbereitungen, denn Piggy Logan meint, er werde für seinen Auftritt ein paar Tische verschieben müssen.

Nach und nach bringen die Fahrstuhlführer – der vierundsechzigjährige John Enborg und der fünfundzwanzigjährige Herbert Anderson – die Gäste herauf: Lily Mandell am Arm des Industriellen und Kunstmäzens Lawrence Hirsch, der einen Großteil seines Einkommens mit Kinderarbeit in seinen Textilfabriken in den Südstaaten erwirtschaftet, Theaterleute wie der schwule Roy Farley, der Schriftsteller Stephen Hook mit seiner Schwester Mary, Roberta Heilprinn mit Robert Ahrens, die verruchte Amy Van Leer mit dem japanischen Bildhauer Nokamura und ihrem aktuellen Liebhaber Teddy Samuels, der Bildhauer Kroch mit seiner Ehefrau und seiner Geliebten, „einem jungen, vollbusigen ausgemachten Flittchen“ und viele andere. Widerstrebend ist auch Mrs Jacks Geliebter George der Einladung gefolgt.

Nun, hier waren sie also, drei Dutzend der Vortrefflichsten und Besten, in schimmernder Seide, mit perlendem Lachen, dem verwirrenden Babel feiner Stimmen, dem Klirren von Eiswürfeln in hauchdünnen Gläsern und dem Klang von Silber, inmitten eines pulsierenden Gewebes aus Schönheit, Witz und Liebreiz – mit allem an Leidenschaft, Freude und Hoffnung und Angst, an Triumph und Niederlage, an Qual, Verzweiflung und Sieg, an Sünde, Niedertracht, Grausamkeit und Stolz, an schmählichen Intrigen, unwürdigem Eifern und unnoblem Streben, wie nur Fleisch und Blut es kennen, und was in einem Raum Platz findet – weiß Gott genug, um die Hölle zu füllen, den Himmel zu bevölkern, oder das Universum zu besiedeln –, sie alle waren hier, wundersam verwoben zu einem magischen Geflecht – bei den Jacks.

Dies waren schrillere Zeiten: Die Welt war jetzt älter, subtiler, wissender – die derben Scherze, über die ihre Väter gelacht oder in denen schlichtere Gemüter sich ergötzt hatten, taugten nicht für eine so übersättigte Gesellschaft wie diese. Deren Gaumen war verwöhnter, unempfindlicher; um den Appetit dieser angeödeten Gesellschaft zu wecken, bedurfte es einer delikateren Sauce eines raffinierteren Kochs.

Man spricht über Kunst und Politik. Heather Jack sagt beispielsweise:

„Wissen Sie, ich bin schon immer Sozialistin gewesen […] Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Alle meine Sympathien liegen auf Seiten der Arbeiter.“

Nachdem überraschend auch Piggy Logans Busenfreund Hen Walters mit einer Schar von Fans des Drahtpuppenspielers eingetroffen ist, beginnt die Vorstellung. Aber die Darbietung ist so enttäuschend, dass schon bald die ersten den Raum wechseln.

Während Piggy Logan einpackt und Heather Jack feststellt, welche Unordnung er hinterlässt, verabschieden sich die meisten Partygäste.

Heather Jack tritt ans Fenster, denn die Sirenen mehrerer Feuerwehrautos sind zu hören. Es riecht nach Rauch. Weil der Fahrstuhl ausgefallen ist, werden die Bewohner und ihre Besucher aufgefordert, das Gebäude über den Dienstbotenaufgang zu verlassen. Das Licht geht aus. Ernie Jack verteilt Kerzen. Die Menschen, die sich im Freien versammeln, sehen, wie aus den Fenstern der obersten Etage des Südflügels – drei Stockwerke über der Wohnung der Jacks – Rauch quillt.

Es war eine Melange von Gesellschaftsschichten, Typen und Charakteren, wie man sie auf der ganzen Welt und zu der Zeit nirgendwo sonst hätte antreffen können als in einem Gebäude wie diesem. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die meisten Bewohner ihre Nachbarn nie zuvor gesehen […]
Es war eine erstaunliche Zusammenballung. Da gab es festlich gekleidete Menschen in prächtiger Abendgarderobe und schöne Damen mit funkelnden Juwelen und teuren Pelzen. Da gab es Menschen, die offenbar schon im Bett gewesen waren, als die Sirene ertönte, und die Schlafanzüge, Hausschuhe, Morgenmäntel, Kimonos trugen oder was immer sie im Moment der Aufregung und Angst zufällig gerade in Griffweite hatten. Da gab es junge Leute, und da gab es alte. Da gab es Menschen jedweden Schlags und Typs und Alters und Aussehens.

Man sah hochmütige Nichtjuden mit reichen Juden zusammenstehen, vornehme Damen mit Revueschauspielerinnen, eine Frau, die für ihre Wohltätigkeitsaktivitäten berühmt war, mit einer gefeierten Hure.

Der Filmproduzent Henry J. Baer schleppt Aktenordner aus dem brennenden Gebäude, bis ihn die Feuerwehr nicht mehr hineinlässt. Vergeblich versucht er den Männern zu erklären, dass die Unterlagen in seiner Wohnung 75 Millionen Dollar wert sind. In seiner Verzweiflung bietet er jedem, der dabei hilft, seine Sachen zu retten, 10 000 Dollar.

Einige der Bewohner suchen Zuflucht in nahen Hotelhallen, nehmen sich ein Zimmer für die Nacht oder lassen sich von Freunden in der Nachbarschaft aufnehmen. Frederick Jack, Ernie, Alma, Amy Van Leer und einige andere gehen ins Ritz. Heather Jack, ihre Bediensteten, Lily Mandell und Piggy Logan ziehen einen Drugstore vor, in den auch die Reporter kommen, um ihre Berichte per Telefon durchzugeben.

Inzwischen lokalisieren die Feuerwehrleute den Feuerherd im Keller. Der Rauch im obersten Stockwerk kommt aus dem Abluftschacht. Wegen des Löschwassers müssen die Tunnel vorübergehend für den Zugverkehr gesperrt werden. Unauffällig werden zwei Tote aus dem Gebäude getragen: die Fahrstuhlführer John Enborg und Herbert Anderson.

Als die Feuerwehr den Brand gelöscht hat, dürfen die Bewohner wieder zurück ins Gebäude. Heather Jack, die nichts vom Tod der beiden Fahrstuhlführer ahnt, wundert sich, dass der Nachtportier Henry den Aufzug bedient. Sie sagt zu ihm:

„Sie müssen alle ganz erschöpft sein! […] Aber war es nicht ein spannender Abend? […] Haben sie jemals in Ihrem Leben solche Aufregung und so viel Verwirrung erlebt wie heute Abend?“

Lily Mandell holt ihr Cape und verabschiedet sich dann von der Gastgeberin:

„Darling, es war einfach fantastisch“, sagte sie mit rauer Stimme und matter Herablassung. „Feuer, Rauch, Piggy Lohan, alles – ich fand es einfach berückend!“, sagte sie, und Mrs Jack lachte aus vollem Halse. „Deine Partys sind unübertroffen!“, sagte sie. „Man weiß nie, was als Nächstes geschehen wird.“

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Wie James Joyce in „Ulysses“ und Virginia Woolf in „Mrs Dalloway“, lässt Thomas Wolfe (1900 – 1938) in „Die Party bei den Jacks“ die Handlung (mit Ausnahme der ersten siebeneinhalb Seiten) an einem einzigen Tag spielen. Es ist der 2. Mai 1928. Wir befinden uns in New York.

Zu Beginn schläft Frederick Jack noch. Der vierundfünfzigjährige jüdisch-amerikanisch Börsenspekulant, der es zu einem enormen Vermögen gebracht hat, träumt von seiner Jugend in Deutschland, seinen Mitschülern, die ihn gemobbt hatten und seinem Aufstieg in New York. Am Abend gibt seine zehn Jahre jüngere Ehefrau, eine erfolgreiche Bühnenbildnerin, Theaterausstatterin und Modezeichnerin, eine Party, zu der sie außer Künstlern und Theaterleuten einen Querschnitt der High Society eingeladen hat. Nachdem sich die meisten Gäste bereits verabschiedet haben, bricht ein Feuer aus, bei dem zwei Aufzugführer (!) ums Leben kommen. Anders als die unbekümmerten Reichen ahnen deren Bedienstete und die Feuerwehrleute Unheil voraus. (Es wird in Form der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs eintreten.)

Ob man „Die Party bei den Jacks“ als Roman oder eine (lange) Erzählung ansehen soll, ist umstritten, aber es handelt sich ohne Zweifel um eine literarisch anspruchsvolle Gesellschaftssatire über die Roaring Twenties. Das Gebäude, in dem die Party stattfindet, symbolisiert die Welt vor dem Bankenkrach: Es sieht so aus, als sei es für die Ewigkeit gebaut, aber die Fassade täuscht, denn in Wirklichkeit wurde es auf Stelzen über einem Tunnelsystem errichtet und vibriert, wenn im Untergrund Züge durchfahren.

„Die Party bei den Jacks“ ist aus Bildern komponiert. Thomas Wolfe beschreibt viel, und er tut es genau. In einem Brief an F. Scott Fitzgerald bezeichnet er sich selbst als „Putter-inner“: Im Gegensatz zu einem „Leaver-outer“ neigt er dazu, lieber einen Satz zu viel zu schreiben als einen wegzulassen. Kritiker und Kollegen zählen Thomas Wolfe zu den großen amerikanischen Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Dem Roman (bzw. der Erzählung) „Die Party bei den Jacks“ fehlt es am letzten Schliff, denn Thomas Wolfe starb am 15. September 1938, zweieinhalb Wochen vor seinem 38. Geburtstag, und er konnte das Manuskript nicht mehr für den Druck überarbeiten. Suzanne Stutman und John L. Idol fanden es 1995 in seinem Nachlass und veröffentlichten es. In deutscher Übersetzung – von Susanne Höbel – erschien „Die Party bei den Jacks“ 2011.

In einer Blockhütte in den Smoky Mountains, in die sich Thomas Wolfe im Sommer 1937 zurückgezogen hatte, entstanden die Passagen über die Party. Die Anregung dafür lieferte ihm eine Abendgesellschaft, die Aline Bernstein am 3. Januar 1930 in dem von ihr, ihrem Ehemann, dem Wall Street-Broker Theodore F. Bernstein, sowie den beiden Kindern Theodore Frankau (1904 – 1949) und Edla (1906 – 1983) bewohnten Apartment in der Park Avenue in Manhattan gegeben hatte. (Dementsprechend glaubt man auch, die Vorbilder für einige der Figuren zu kennen, Aline und Theodore Bernstein für Heather und Frederick Jack, Alexander Calder für Piggy Logan und Emily Davies Vanderbilt Thayer für Amy Van Leer …)

Thomas Wolfe (George in „Die Party bei den Jacks“) war damals der Geliebte der zwanzig Jahre älteren New Yorker Bühnen- und Kostümbildnerin Aline Bernstein (1880 – 1955). Sie hatten sich im August 1925 während der Überfahrt von Europa nach Amerika kennengelernt. Aline Bernstein unterstützte die literarischen Ambitionen Thomas Wolfes, der 1929 mit dem Roman „Schau heimwärts, Engel“ debütierte und führte ihn in die feine Gesellschaft ein. 1931 trennten sie sich, und nach einem Selbstmordversuch kehrte Aline Bernstein zu ihrem toleranten Ehemann zurück.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011
Textauszüge: © Manesse Verlag

Ben Roeg - Verwandtschaften
In drei polyphonen "Real-Fiktionen" prangert Ben Roeg in­humane Auswirkungen von Ideo­lo­gien, Gesetzen und Institu­tio­nen an. Die Texte bewegen sich zwischen Sachbuch und Belle­tristik, denn fiktive Figuren konkretisieren historische Fakten.
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