Esmas Geheimnis

Esmas Geheimnis

Esmas Geheimnis

Esmas Geheimnis – Originaltitel: Grbavica – Regie: Jasmila Zbanic – Drehbuch: Jasmila Zbanic, Barbara Albert – Kamera: Christine A. Maier – Schnitt: Niki Mossböck – Musik: Enes Zlatar – Darsteller: Mirjana Karanovic, Luna Mijovic, Leon Lucev, Kenan Catic, Jasna Ornela Berry u.a. – 2006; 90 Minuten

Inhaltsangabe

"Esmas Geheimnis. Grbavica" spielt nach den Balkankriegen in Sarajewo. Es geht um eine Mutter-Tochter-Beziehung. Jasmila Zbanic erzählt von der Pubertät und dem Erwachsenwerden einer Zwölfjährigen, von der ersten Liebe, und von den Sorgen ihrer allein erziehenden Mutter, die Tag und Nacht arbeitet, um genügend Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Von Anfang an lässt sie uns ahnen, dass Esma ein schreckliches Geheimnis verbirgt ...
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Kritik

Der Film "Esmas Geheimnis. Grbavica" geht uns nah, weil er unprätentiös, realistisch und schnörkellos, einfühlsam und ohne falsche Sentimentalität inszeniert wurde. Dazu kommt, dass Mirjana Karanovic und Luna Mijovic ihre Rollen sehr überzeugend spielen.
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Esma (Mirjana Karanovic), eine allein erziehende Mutter, lebt mit ihrer zwölfjährigen Tochter Sara (Luna Mijovic) in einer kleinen Wohnung in Grbavica, einem Stadtteil von Sarajewo. Weil die staatliche Unterstützung und das Geld, das sie mit Näharbeiten verdient, nicht zum Leben reicht, nimmt Esma eine Stelle als Kellnerin im Nachtklub „America“ an und bittet ihre Freundin Sabina (Jasna Ornela Berry), abends auf Sara aufzupassen. Sie liebt ihre Tochter über alles. Obwohl sie nicht genug Geld hat, kauft sie für Sara eine Forelle und bereitet sie ihr zu, benügt sich aber selbst mit Kartoffeln. Welche Anstrengungen Esma unternimmt, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, interessiert Sara in ihrer jugendlichen Unbekümmertheit kaum.

Weil Sara sich beim Fußballspielen mit ihrem Mitschüler Samir (Kenan Catic) prügelt, will der Klassenlehrer, Professor Muhaleb (Ermin Bravo), mit ihren Eltern sprechen. Sara erklärt ihm, ihr Vater sei als Schechid (Kriegsheld) gefallen, und ihre Mutter könne das Haus wegen einer Krebserkrankung nicht verlassen.

Samirs Vater gilt ebenfalls als Schechid. Die beiden Halbwaisen kommen sich näher. Samir zeigt seiner neuen Freundin ein Versteck, in dem er die Pistole seines Vaters aufbewahrt. Sie darf damit auch schießen, und als sie die Waffe als Vertrauensbeweis haben möchte, überlässt er sie ihr.

Eine zarte Romanze beginnt auch zwischen Esma und Pelda (Leon Lucev), dem verständnisvollen Bodyguard des Nachtklubbesitzers Cenga (Dejan Acimovic). Pelda erzählt Esma, dass er vor dem Krieg Betriebswirtschaft studierte, sein Studium aber nicht mehr abschließt, weil er sich unter den jungen Studenten schämen würde. Er will in Kürze zu seiner Schwester in Knittelfeld in der Steiermark ziehen.

Als Sara am frühen Morgen sieht, dass Esma von einem Fremden mit dem Auto nach Hause gebracht wird, dreht sie den Fernseher laut auf, obwohl ihre Mutter dringend Schlaf braucht.

Pena kümmert sich rührend um seine demenzkranke Mutter (Semka Sokolovic-Bertok).

Der Kriminelle Puska (Emir Hadzihafizbegovic) möchte Cenga und Pena für seine Schwarzmarktgeschäfte als Partner gewinnen, aber sie lehnen die Zusammenarbeit mit ihm ab.

Für eine geplante Klassenfahrt soll jeder Schüler 200 Euro mitbringen. Einige Eltern werden sich das nicht leisten können. Esma verspricht ihrer Tochter, das Geld zu beschaffen, aber zunächst scheitert sie mit ihren Versuchen, es von Bekannten geliehen zu bekommen. Als Sara erfährt, dass Kinder von Kriegshelden deutlich weniger bezahlen müssen, wenn sie eine amtliche Bescheinigung vorweisen, drängt sie ihre Mutter, das Dokument zu besorgen. Esma bemüht sich jedoch weiter, die volle Summe aufzubringen. Mit der Behauptung, es sei schwierig, das Papier von den Behörden zu bekommen, weil man den Körper ihres toten Vaters noch nicht gefunden habe, hält sie Sara einige Tage hin.

An dem Morgen des Tages, an dem Sara das Geld mit in die Schule bringen soll, gelingt es Esma, von dem Nachtklubbesitzer einen Vorschuss zu bekommen. Cenga ist gut auf sie zu sprechen, denn als er auf einer Reihe von Toto-Scheinen ankreuzte, was sie ihm riet, gewann er 300 Euro. Doch als sie ihm jetzt gesteht, dass sie vergaß, die Scheine abzugeben, reißt er ihr die 200 Euro Vorschuss wieder aus der Hand und beginnt, sie zu verprügeln. Mit Penas Hilfe kann sie flüchten.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

In ihrer Verzweiflung sucht sie Sabina in der Fabrik auf, in der sie arbeitet, und Sabina sammelt unter ihren Kolleginnen, bis sie ihrer Freundin 200 Euro in die Hand drücken kann.

Überglücklich läuft sie zur Schule, um Sara das Geld zu bringen. Als der Lehrer sie sieht, drückt er ihr sein Mitgefühl wegen ihrer schweren Krankheit aus. Esma begreift, dass ihre Tochter gelogen hat und ohrfeigt sie, sobald Professor Muhaleb fort ist.

Drei Schülerinnen, die mitbekommen haben, dass Sara die vollen 200 Euro bezahlte, statt einen Nachweis dafür zu bringen, dass ihr Vater ein Schechid war, hänseln sie und bezweifeln, dass es sich bei ihrem Vater um einen Kriegshelden handelte.

Zu Hause stellt Sara ihre Mutter zur Rede und schreit sie wütend an: „Du weißt nicht einmal, wer dich gefickt hat!“ Sie bedroht Esma mit der Pistole, die sie von Samir bekam, und will die Wahrheit erfahren. Esma schlägt auf sie ein und gesteht ihr schluchzend, dass sie bei einer Vergewaltigung im Krieg gezeugt wurde.

Das war bisher Esmas Geheimnis.

In der Frauengruppe, die sich regelmäßig trifft, um die staatliche Unterstützung abzuholen, redet sie erstmals darüber: Im Krieg wurde Grbavica einige Zeit von der serbisch-montenegrinischen Armee beherrscht und in ein Kriegslager verwandelt. Die Soldaten folterten bosnische Bewohner und vergewaltigten die Frauen. Esma war bereits schwanger, als sie immer noch jeden Tag mehrmals vergewaltigt wurde. Nach der Geburt wollte sie das Kind nicht sehen. Erst als am zweiten Tag die Milch einschoss, erklärte sie sich bereit, das Kind wenigstens einmal zu stillen. Sobald sie es an der Brust hatte, regte sich die Mutterliebe.

Sara rasiert sich das Haar ab, dessen Farbe sie laut Esma von ihrem Vater geerbt hat.

Ihre Mutter bringt sie zum Bus, mit dem die Klasse losfährt.

Pena verabschiedet sich von Esma: Er fährt zu seiner Schwester nach Österreich.

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„Esmas Geheimnis. Grbavica“ spielt nach den Balkankriegen in Sarajewo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Es geht um eine Mutter-Tochter-Beziehung. Jasmila Zbanic erzählt von der Pubertät und dem Erwachsenwerden einer Zwölfjährigen, von der ersten Liebe, und von den Sorgen ihrer allein erziehenden Mutter, die Tag und Nacht arbeitet, um genügend Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. Von Anfang an lässt Jasmila Zbanic uns ahnen, dass das nicht alles ist: Esma verbirgt ein schreckliches Geheimnis. Dass sie am Ende erstmals darüber redet, ist ein erster Schritt, um das Trauma zu verarbeiten. Es gibt also Hoffnung für einen Neuanfang von Mutter und Tochter.

Als der Krieg begann, habe ich mich gefreut, weil meine Mathe-Klausur abgesagt wurde. Als Teenager war ich hauptsächlich an Sex interessiert, oder mehr noch am Reden über Sex, am Träumen von Sex als größte Erfüllung der Liebe. Aber 1992 war plötzlich alles anders und ich begriff auf einmal, dass ich mich in einem Krieg befand, in dem Sex als Kriegsstrategie benutzt wurde, um Frauen zu erniedrigen und damit die Vernichtung einer ethnischen Gruppe herbeizuführen. Während des Krieges wurden in Bosnien 20 000 Frauen systematisch vergewaltigt. Ich wohnte damals 100 Meter von der Front entfernt und hatte schreckliche Angst vor dieser Art des Kampfes. Seitdem wurden Vergewaltigung und die Konsequenzen daraus für mich zu einer Obsession. Ich verfolgte und las alles, was mit diesem Thema zusammenhing. Trotzdem war mir nicht ganz klar, warum ich das tat oder was ich damit anfangen wollte. Als ich mein Kind auf die Welt brachte, ein Kind der Liebe, hat die Mutterschaft in mir ein Gefühlschaos verursacht, das mich sehr schockiert hat. Ich habe mich gefragt, was für eine emotionale Bedeutung das für eine Frau haben muss, die ihr Kind im Hass empfangen hat. Ab dem Moment wusste ich, was ich von Grbavica wollte und schrieb es noch während der Stillzeit auf. (Jasmila Zbanic in einem Interview)

Die Geschichte ist im Grunde tieftraurig und schmerzvoll, aber nicht pessimistisch. Der Film „Esmas Geheimnis. Grbavica“ geht uns nah, weil er unprätentiös, realistisch und schnörkellos, einfühlsam und ohne falsche Sentimentalität inszeniert wurde. Dazu kommt, dass Mirjana Karanovic und Luna Mijovic ihre Rollen sehr überzeugend spielen.

Jasmila Zbanic konnte am 18. Februar 2006 auf der Berlinale einen „Goldenen Bären“ für „Esmas Geheimnis. Grbavica“ in Empfang nehmen.

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Inhaltsangabe und Filmkritik: © Dieter Wunderlich 2009

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