Leon de Winter : Geronimo

Geronimo
Originalausgabe: Geronimo De Bezige Bij, Amsterdam 2015 Geronimo Übersetzung: Hanni Ehlers Diogenes Verlag, Zürich 2016 ISBN: 978-3-257-06971-6, 448 Seiten ISBN: 978-3-257-60716-1 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Weil Usama bin Laden Informationen über Barack Obama besitzt, deren Ver­öffent­lichung den US-Präsidenten politisch vernichten würde, soll der al-Quaida-Anführer getötet werden. Aber der Leiter der Operation Neptune Spear verstößt gegen die inoffizielle Anweisung: "Geronimo" wird gegen einen Doppelgänger ausgetauscht und verschleppt. Die CIA merkt davon nichts, aber arabische Geheimdienste werden aktiv, und das alarmiert die Israelis ...
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Kritik

"Geronimo" ist eine komplexe Mischung aus Polit-, Agenten- und Action-Thriller mit mehr als einem halben Dutzend Personen, darunter eine 13-Jährige, der die Taliban beide Hände abhacken, weil sie Pianistin werden möchte. Bei der Gliederung folgt Leon de Winter dem Vorbild der Goldberg-Variationen.
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Tom Johnson wurde 1970 als Sohn eines im Milwaukee Symphony Orchestra spielenden amerikanischen Musikerpaars geboren. Seine Großeltern mütter­licher­seits waren aus Russland eingewandert. Toms für eine Kunstzeitschrift tätige Frau Vera brachte am 10. Februar 2003 eine Tochter zur Welt. Als Vera mit der 13 Monate alten Sarah in Alcalá de Henares war, um über den Skulpturenpark zu schreiben, wollte sie die Gelegenheit nutzen, um sich mit ihrem Geliebten zu treffen, einem Freund Toms namens Muhammed Hashimi. Als sie am 11. März 2004 mit dem Zug nach Madrid fuhr, explodierten im Bahnhof Atocha Bomben. Vera blieb bei dem Terroranschlag unverletzt, aber bei Sarah drangen Metallsplitter in die Leber ein. Sie wurde zwar so schnell wie möglich operiert, starb jedoch elf Monate später, am 23. Januar 2005, an den Folgen der Verletzungen. Tom erfuhr vom Tod der Tochter durch einen Telefonanruf seiner Frau. Er war als Mitglied der auf Terror­bekämpfung spezialisierten Delta Force der US-Armee im Irak. An dem Verlust zerbrach die Ehe. 2006 wurde sie geschieden.

Im selben Jahr quittierte Tom nach 18 Jahren seinen Dienst bei Delta Force und wechselte zur CIA.

Im Frühjahr 2008 wird Tom auf einen Stützpunkt im Nordosten Afghanistans abkommandiert. Dort arbeitet der Lehrer Sadi als Dolmetscher und kultureller Berater für die Amerikaner. Die Taliban hatten 2002 seine Ehefrau und zwei der drei Töchter bei lebendigem Leib verbrannt. Sadi und seine 1995 in Laschkar Gah geborene Tochter Apana überlebten das Gemetzel. Tom hört mit Vorliebe die von Glenn Gould gespielten Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach. Auch die 13-jährige Apana wird von diesen 32 Sätzen so beeindruckt, dass sie begeistert den Wunsch äußert, Pianistin zu werden. Tom besorgt ihr deshalb ein Keyboard.

Sadi wird von einem Heckenschützen unmittelbar oberhalb seiner kugelsicheren Weste ins Genick getroffen. Mit einer Schmiergeldzahlung kann Tom verhindern, dass der korrupte Distriktchef die verwaiste Tochter des getöteten Dolmetschers illegal verkauft. Seine Eltern überredet er dazu, sich um Apanas Adoption zu bemühen, aber sie scheitern damit an der Bürokratie.

Ende 2008 wird Tom schwer verwundet. Er liegt auf der Intensivstation in Bagram, als Taliban seine Forward Operating Base am 1. Januar 2009 überfallen und Apana verschleppen.

Später erfährt er von einer jungen Frau, die am 6. Januar 2009 in Khar an der pakistanisch-afghanischen Grenze bestraft wurde, weil sie westliche Musik gehört und gespielt hatte. Die Taliban schnitten ihr die Ohren ab und hackten ihr beide Hände ab. Tom vermutet, dass es sich um Apana handelt und gibt sich die Schuld, weil er sie die Goldberg-Variationen hören ließ.

Tom rekonstruiert, dass Apana am 31. Mai 2009 von einem damals 14-jährigen pakistanischen Jungen und dessen verwitweter Mutter in Abbottabad aufgenommen wurde. Die beiden sind Christen und heißen eigentlich John und Maria, nennen sich jedoch Jabbar und Mariyam, um nicht aufzufallen. Sie wohnen in einem Haus im Vorort Bilal Town, das der Familie Khan gehört, die sich die meiste Zeit in London oder Südfrankreich aufhält und Mariyam vor Jahren als Haushälterin der Sommerresidenz in Abbottabad angestellt hat. – Vierzehn Monate lang sorgen Mariyam und Jabbar für das Mädchen ohne Ohren und Hände, dann, am 10./11. September 2010, verschwindet es.

In dieser Nacht wird Apana von Usama bin Laden entführt. Die Amerikaner vermuten den Gründer und Anführer des Terror-Netzwerks al-Qaida in einer Höhle im Tora-Bora-Gebirge und haben 25 Millionen Dollar Kopfgeld für ihn ausgelobt, aber er wohnt seit dem 6. Januar 2006 mit seinen drei Frauen, den Kindern, seinem Kurier Abu Ahmed al-Kuweiti, dessen Bruder Abrar al-Kuweiti und deren Familien auf einem von hohen Mauern geschützten Anwesen in der Nähe der pakistanischen Militärakademie in Abbottabad.

Im Schutz der Nacht fährt Usama bin Laden am 10./11. September 2010 mit einem Moped in die Stadt, um Zigaretten für sich und Speiseeis für seine jüngste Frau zu kaufen.

Usama bin Laden lebte fünf Jahre lang hinter den Mauern seines Verstecks, lautet die offizielle Geschichte. Das ist unrichtig. Er ist nachts regelmäßig ins Freie gegangen.
Auch am frühen Morgen des 11. September 2010 – acht Monate vor Operation Neptune Spear – schlüpfte er aus seinem Haus und fuhr das Moped aus dem Lagerraum. Wie üblich steuerte er ein Lebensmittelgeschäft an, das nie die Türen schloss.
In Abbottabad, Pakistan, war es Viertel nach zwei in der Nacht, und UBL – so die vom amerikanischen Geheimdienst für ihn benutzte Abkürzung, die seine jüngste Braut, Amal, ihm auch manchmal herausfordernd ins Ohr flüsterte: „UBL, mein Scheich, kommst du?“ – war ein glücklicher Mensch.
[…] Wie tarnte er sich, wenn er nachts sein Versteck verließ? Den Beschreibungen nach, die man mir gegeben hat, wie folgt: Auf dem Kopf trug er einen vorsintflutlichen Helm, eine Art halbierten Lederball mit Ohrenklappen. Auf der Nase eine Brille mit Bifokalgläsern, die seine Augen verzerrten, und um Hals und Kinn einen Schal, der einen Großteil seines Gesichts verbarg. Im Winter trug er einen halblangen grünen Militärmantel, wie er Männer in weiten Teilen Asiens warm hält. Solche Mäntel gibt es überall für wenig Geld zu kaufen, schwere Mäntel aus dicker Baumwolle, in die man ein zusätzliches Futter aus dickem Schaffell knöpfen kann (das Fell brauchte er noch nicht, obwohl die Nächte in dieser Bergstadt wieder kühler zu werden begannen).
Dazu trug UBL eine beigefarbene, an den Knöcheln enganliegende Pluderhose, den sogenannten Salwar, den er auch schon in den Jahren in Afghanistan getragen hatte, und an den Füßen verschlissene Sandalen.

Als Usama bin Laden den nachts geöffneten Laden verlässt, bemerkt er die in der Nähe auf der Straße kauernde Bettlerin, die er an dieser Stelle schon öfter sah. Er fühlt sich euphorisch, weil ihm Abu Ahmed al-Kuweiti einen USB-Stick beschafft hat, auf dem sieben Fotos, ein Video und ein 3000 Wörter langer Bericht gespeichert sind, mit denen er den US-Präsidenten Barack Obama aus dem Amt jagen will. Gleichzeitig mit der Veröffentlichung plant er radioaktive Anschläge auf New York und Washington. Vorher soll Obama bereits erfahren, welche brisanten Informationen Al-Quaida über ihn besitzt.

Seine Hochstimmung veranlasst Usama bin Laden, dem Mädchen erstmals Almosen zu geben. Zu seiner Verwunderung entdeckt er bei der Obdachlosen eine schmuddelige Ansichtskarte mit einem Porträt von sich selbst, und er argwöhnt, dass sie trotz seines verhüllten Gesichts weiß, wer er ist. Bringt diese verstümmelte Bettlerin sein Vorhaben in Gefahr? In der Absicht, sie zu töten, nimmt er sie auf dem Moped mit und sperrt sie in die Garage, in der sich unter einer Bodenklappe der Zugang eines geheimen, 300 Meter langen Tunnels zu seinem Haus befindet.

Es dauert länger als ein Jahr, bis Tom Johnson sich von seinen Verwundungen und 16 Operationen im Gesicht und am Bein soweit erholt hat, dass er wieder arbeiten kann, aber auch das nur im Stabsdienst, bei der Special Activities Division der CIA.

Anfang 2011 trifft er auf dem The Harvey Point Defense Testing Activity genannten Stützpunkt des Verteidigungsministeriums auf einer kleinen Halbinsel in North Carolina zufällig einen alten Bekannten wieder, der bei den United States Navy SEALs ist: Vito Giuffrida. Es entgeht ihm nicht, dass Vito mit anderen Navy SEALs eine Mission an einem aufwendig errichteten Mock-up House übt. Tatsächlich wurde das Anwesen in Abbottabad, auf dem sich Usama bin Laden versteckt, nach Originalbauplänen aus dem Gemeindearchiv nachgebaut. Die Männer des Spezialkommandos haben offiziell den Auftrag, Usama bin Laden zu verschleppen oder zu töten („kill or capture“). Ein hochrangiger Mitarbeiter des Weißen Hauses ließ Vito unmissverständlich wissen, dass der Präsident die Tötung des Terroristenchefs durch die Operation mit dem Codenamen Neptune Spear bevorzugt und die Meldung „Geronimo EKIA“ erwartet. Dabei steht Geronimo, der Name eines legendären Apachen-Häuptlings, für die Zielperson Usama bin Laden, und die Abkürzung EKIA bedeutet enemy killed in action. Vito und seine Kameraden fragen sich, warum der US-Präsident den Al-Quaida-Anführer zum Schweigen statt zum Reden bringen möchte, und sie beschließen heimlich, alles daran zu setzen, Usama bin Laden lebend in ihre Gewalt zu bekommen.

Am 8. Februar 2011 erfährt Tom von seiner Mutter, dass seine Ex-Frau wieder eine Tochter hat. Sie heißt Eva. Dass Vera im dritten Monat schwanger war, als sie den Internetmilliardär Rick Barrancov in Los Angeles heiratete, weiß er bereits.

Ein paar Tage später kündigt Tom bei der CIA und fängt bei einem Security-Consulting-Unternehmen in London an, aber die Beratungstätigkeit hält er nur drei Monate lang durch.

In der Nacht vom 1./2. Mai 2011 wird der inzwischen 16 Jahre alte Jabbar in Bilal Town vom Lärm eines Militärhubschraubers geweckt. Drei weitere Hubschrauber folgen. Der Strom ist ausgefallen.

Die Nächte waren immer still, abgesehen von den Grillen, die jetzt, da der Frühling begonnen hatte, wieder zu hören waren. Jabbar, sechzehn und klein für sein Alter, war von einem Geräusch geweckt worden, das nach einer Explosion klang. Nicht weit von ihrem Haus entfernt. Alles bebte.
Jabbar war ein schlanker pakistanischer Junge mit hübschem, ebenmäßigem Gesicht, neugierigen, sanften Augen und wuscheligem Haarschopf. Er war klug und aufgeweckt und interessierte sich brennend für alles, was mit Amerika zu tun hatte.
Er war jetzt hellwach und hörte etwas, das ihm ungewöhnlich und doch bekannt vorkam. Er hatte im wirklichen Leben zwar noch nie einen amerikanischen Hubschrauber gesehen, sondern nur in Filmen, die er sich heruntergeladen hatte, aber trotzdem wusste er, dass das ein amerikanischer Militärhubschrauber war. Er wusste alles über amerikanische Flugzeuge. Und er hatte Black Hawk Down gesehen, den Film von Ridley Scott über die somalische Operation von US Army Rangers und Delta Force im Jahr 1993. Ein bärenstarker Film war das, aber die Bilder waren Jabbar viel zu lange nicht mehr aus dem Kopf gegangen und hatten ihn bis in seine Träume verfolgt. Die Filmhandlung war eine Art Alptraum: Zwei Black Hawks werden abgeschossen, und die überlebenden Soldaten müssen sich mitten in einer feindlichen Stadt verteidigen, bis Hilfe kommt. Es war grausig. Zweimal hatte Jabbar den Film gesehen, ohne Synchronisation oder Untertitelung, und die Geräusche der Hubschrauber und das Dröhnen vom Aufprall, als sie abstürzten, hatte er nicht mehr vergessen. Er hörte jetzt einen Black Hawk. Er kniff sich in den Arm; nein, er träumte nicht. Vielleicht träumte er, dass er wach war.
Er stand auf und zog den Rollladen hoch. Er hörte, dass seine Mutter in ihrem Zimmer das Gleiche tat. Sie wohnten in einem Zweithaus der Familie Khan; von ihren Zimmern im Dachgeschoss blickten sie auf das Haus hinter den hohen Mauern. Der Abstand betrug etwa zweihundert Meter, vielleicht etwas mehr. Nie rührte sich etwas in dem stillen Haus dort. Mit zehn hatte er von weitem beobachtet, wie das Haus gebaut wurde. Morgens verließ ein rotes Auto mit Frauen und Kindern das Grundstück, und am Ende des Tages kehrte das Auto zurück. Manchmal öffneten sich die Pforten des grünen Tors, und ein weißes Auto fuhr weg. Aber man sah die Kinder nie draußen. Abends schimmerte hinter einem der kleinen Fenster Licht. Es war ein Geisterhaus. Flog jetzt ein Black Hawk über diesem Haus? Hatte es dort eine Explosion gegeben?

Jabbar läuft neugierig ins Freie. Aus den Nachbarhäusern kommen Männer auf die Straße. Der Militäreinsatz richtet sich augenscheinlich gegen das mit hohen Mauern umgebene Anwesen ganz in der Nähe.

Einen zerstörten Hubschrauber lassen die Amerikaner bei ihrem Abzug zurück. Sobald sie fort sind, dringen Schaulustige durch die aufgesprengten Stahltore und Haustüren ins Innere der Gebäude vor. Es wird geplündert. Jabbar stiehlt einen einfachen Hocker aus der Küche des Haupthauses. Den will er verhökern und sich vom Erlös neue Reifen fürs Fahrrad kaufen. Oder vielleicht Prothesen für Apana, wenn er sie wiederfindet.

Am 8. Juli 2011 trifft Tom sich im Hotel Claridge’s in London mit seinen Freunden Vito Giuffrida und Muhammed Hashimi. Tom fühlt sich schuldig, weil er zwei kleine Mädchen nicht beschützen konnte. Der in Katar lebende Araber, von dem er nicht ahnt, dass er vor Sarahs Tod eine Affäre mit Vera hatte, soll ihm bei der Suche nach Apana helfen. Muhammed will am 2. Oktober seine Verlobte Raiza aus dem Klan des Scheichs Hamad bin al-Thani heiraten. Vito und seine Ehefrau Jeannie haben dagegen gerade beschlossen, sich zu trennen. Er bittet den reichen Geschäftsmann aus Katar um 100 000 Dollar. Die Geschichte, die er erzählt, um zu begründen, wozu er die Summe benötigt, können Tom und Muhammed kaum glauben.

Barack Obama verkündete zwar in der Nacht vom 1./2. Mai 2011 in einer Fernsehrede an die Nation, dass Usama bin Laden getötet worden sei, aber der Terroristen-Anführer lebt. Tadschiken bewachen den Gefangenen in Faizabad. 110 000 Dollar haben sie dafür von Vito und seinen Mitverschworenen bereits bekommen, aber nun verlangen sie mehr.

Bei der Operation Neptune Spear sei Geronimo gegen einen Doppelgänger vertauscht worden, behauptet Vito. Seine Zuhörer wenden ein, dass die DNA des in Abbottabad Getöteten mit der einer in den USA gestorbenen Schwester Usama bin Ladens verglichen wurde. Vito erklärt, dass er für den Gentest eine Blutprobe von Usama bin Ladens bei der Mission getötetem Sohn weitergegeben habe. „Wie hätte man Geronimo da rausholen und einen anderen reinschleusen können?“, fragt Muhammed. Vito berichtet, wie die Aktion ablief: Kurz bevor die amerikanischen Hubschrauber in Abbottabad eintrafen, schmuggelten von Vito und seinen Kameraden angeworbene Tadschiken einen aus Goa herangeschafften, Usama bin Laden ähnlich sehenden Inder durch einen von der CIA übersehenen Tunnel in das Haus, dessen Bewohner mit dem geruchlosen Gas ZK-122 betäubt wurden. Deshalb wachten sie trotz des Hubschrauber-Lärms nicht auf, und Geronimo konnte durch den Tunnel weggebracht werden.

100 000 Dollar sind für Muhammed kein Problem, aber bevor er so viel Geld ausgibt, will er sich in Faizabad persönlich vergewissern, dass Vitos unglaubliche Geschichte wahr ist. Um für Tom nach Apana zu suchen, muss er ohnehin nach Afghanistan.

Am 10. Juli 2011 nimmt der 40 Jahre alte, aus Australien stammende jüdische Mathematiker Danny Davis mit seiner sechs Jahre jüngeren Lebensgefährtin Deborah in London an einem Umtrunk anlässlich der Berit Mila des Sohnes der Freunde Julia und Michael Wolf teil. Unter den Gästen befindet sich eine Frau namens Charlotte Gross, die stolz ein Selfie herumzeigt, das sie zwei Tage zuvor von sich und Elton John im Hotel Claridge’s knipste. Danny lässt sich das Bild auf sein Handy schicken und ruft dann Roy Sharett in der israelischen Botschaft an, denn im Hintergrund des Fotos hat er Muhammed Hashimi aus Katar erkannt, für den sich der Mossad interessiert.

Zwei Tage später trifft Danny sich in Amsterdam mit Ruth Fiorentino. Die 63-Jährige italienisch-stämmige Israeli leitet das europäische Netzwerk des israelischen Geheimdienstes. Sie weiß inzwischen, dass Muhammed Hashimi sich in London mit den Amerikanern Vito Giuffrida und Tom Johnson traf. Außerdem ist auf dem Foto der Pakistaner Kamal Durrani zu erkennen, ein Agent des saudischen Geheimdienstes al-Muchabarat al-Amma, und es sieht so aus, als habe er das Trio observiert.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Muhammed Hashimi lässt sich am 3. August 2011 in Faizabad von Tadschiken zu Geronimo bringen. Am Tag darauf wird das Safehouse von Kämpfern des Taliban-Feindes Achmed Schah Massoud überfallen. Sie schneiden Muhammed die Kehle durch, trennen ihm den Kopf ab und verschleppen Usama bin Laden.

Tom erfährt durch eine SMS von Vito aus Bagram von Muhammeds Tod. Kurz darauf wird ein Chinook-Hubschrauber mit 22 Navy SEALs westlich von Kabul in einen Hinterhalt gelockt und abgeschossen. Unter den Toten sind Vito und seine Mitverschworenen Sam, Robbie, Ed, Jerry und Mike. Tom zweifelt keinen Augenblick daran, dass die Anschläge zusammenhängen. Was sie verbindet, ist die irre Geschichte, die Vito über Geronimo und die Operation Neptune Spear erzählte.

Inzwischen hat Danny Davis auf Ersuchen Ruth Fiorentinos Kontakt mit Tom aufgenommen. Die beiden Männer teilen ihre Begeisterung für die Goldberg-Variationen und die Überzeugung, dass es sich um zu Klang gewordene Mathematik handele. Am 6. August wendet sich Tom an Danny und dessen Mitarbeiterin Chavva. Damit ihm der israelische Geheimdienst hilft, nicht nur die Mörder seiner Freunde, sondern auch Apana zu finden, vertraut er Danny und Chavva an, was er über Geronimo, Muhammed Hashimi und Vito Giuffrida weiß.

Drei Tage später spricht Tom mit Ruth Fiorentino in Amsterdam, wiederholt seinen Bericht über die Operation Neptune Spear – und erfährt, dass Muhammed Haschimi zwei, drei Stunden vor seinem Tod eine letzte Meldung aus Faizabad nach Riad schickte, die nur aus dem Wort „Geronimo“ bestand. Für eine Milliarde Dollar hatte er das Geheimnis dem saudischen Geheimdienst verraten.

Der israelische Geheimdienst vermutet Apana in Abbottabad. Tom fliegt Anfang September hin und erfährt nach drei Tagen vom Pfarrer der christlichen Gemeinde, dass eine junge Bettlerin von einer Haushälterin und deren Sohn im Haus der Familie Khan im Vorort Bilal Town aufgenommen worden sei.

Jabbar fand Apana halb verhungert in einer Garage in Abbottabad und überredete seine Mutter, das verstümmelte Mädchen am 18. Mai im Haus der Familie Khan unterzubringen. Nach und nach erfuhr Jabbar, dass Apana im September 2010 von dem Scheich entführt worden war, dessen Hocker er nach dem Hubschrauber-Angriff gestohlen hatte. Der Scheich, von dem es heißt, dass er für die Terroranschläge vom 11. September 2001 verantwortlich war, hatte Apana in einer Garage versorgt, zu der er durch einen Tunnel gelangte.

Aufgrund eines Hinweises, den Apana vom Scheich erhielt, bricht Jabbar dem Hocker ein Bein ab und findet einen USB-Stick in einer Aushöhlung. Eine halbe Stunde dauert es, bis er den Zugangscode geknackt hat und sich die sieben gespeicherten Fotos und die mit einer alten 8-mm-Kamera aufgenommenen Filmsequenzen anschauen kann. Sie entlarven den US-Präsidenten Barack Obama als Muslim. Das ist Jabbar nicht geheuer, und er verbrennt deshalb den USB-Stick. Den Hocker mit dem wieder angeleimten Holzbein verkauft er einem Trödler für ein paar Rupien, ohne auf die besondere Herkunft hinzuweisen.

Während niemand zu Hause ist, wird das Haus der Khans am 11. September 2011 von vier Einbrechern gründlich durchsucht. Tom, der inzwischen Kontakt mit Mariyam, Jabbar und Apana aufgenommen hat, ahnt sofort, dass es sich bei den Tätern nicht um gewöhnliche Kriminelle handelt. Nachdem Mariyam und Jabbar eine Tasche mit ein paar Sachen gepackt haben, bringt er sie und Apana mit seinem gemieteten Landcruiser nach Rawalpindi. Dort mietet Tom Hotelzimmer. Außerdem heuert er die Bodyguards Rashid und Kamal für sich und seine Schützlinge an.

Tom vermutet, dass es sich bei den Einbrechern in Abbottabad um Agenten des saudischen Geheimdienstes Muchabarat handelte. Was suchten sie? Widerstrebend beantwortet Jabbar die Fragen des Amerikaners und gibt nach und nach zu, einen Hocker von Usama bin Laden gestohlen und in einer Aushöhlung einen USB-Stick gefunden zu haben. Den Hocker habe er verkauft und den Stick verbrannt, sagt er und beteuert, die Dateien seien nicht zu öffnen gewesen. Offenbar befindet Geronimo sich in der Gewalt des Muchabarat. Wahrscheinlich folterte man den Gefangenen, und er wies schließlich auf den in einem gewöhnlichen Hocker in seiner Küche versteckten USB-Stick mit brisanten Informationen hin.

Tom hat Apana wiedergefunden. Aber nun fühlt er sich nicht nur für das Mädchen verantwortlich, sondern auch für Mariyam und Jabbar, die von Mai 2009 bis September 2010 und ab Mai 2011 für Apana sorgten. Wie soll er sie aus dem Land bringen?

Am 13. September fliegt er nach Washington, D. C., und vereinbart einen Termin mit einem auf Einbürgerungsfragen spezialisierten Rechtsanwalt. Der sieht nur eine Möglichkeit: Tom müsse Maria zum Schein heiraten und mindestens ein halbes Jahr mit ihr in Pakistan zusammenleben, meint er. In dieser Zeit sollten sie Papiere für das Mädchen kaufen und es in Pakistan adoptieren. Dann könne Tom ein Visum für seine Ehefrau, seinen Stiefsohn und die Adoptivtochter beantragen. Dass Apana eine Muslima, Mariyam jedoch eine Christin ist, kompliziert die Angelegenheit: Mariyam wird vorübergehend zum Islam konvertieren müssen, um Apana adoptieren zu können, und für die Eheschließung wäre Toms Konfessions­wechsel erforderlich.

Tom ruft Mariyam an und erzählt ihr von dem Vorschlag des Juristen. Sie ist überglücklich, als sie hört, dass sie, Jabbar und Apana eine Chance bekommen sollen, in den USA ein neues Leben zu beginnen.

Um nichts unversucht zu lassen, wendet Tom sich an ehemalige Kollegen von der CIA und an die Citizenship and Immigration Services, aber in Langley beruft man sich auf Vorschriften und Prioritäten, und die Behörden in Washington geben ihm lediglich Formulare zum Ausfüllen mit.

Bevor Tom sich über das weitere Vorgehen klar wird, erhält er einen Anruf von dem Handy mit seiner eigenen eingespeicherten Telefonnummer, das er Jabbar vor seiner Abreise besorgte. Ein pakistanischer Polizist meldet sich. Man fand einen Jungen und dessen Mutter übel zugerichtet in einem Graben am Stadtrand. Die Frau ist tot, und der Jugendliche liegt jetzt auf der Intensivstation eines Krankenhauses, aber seine Überlebenschancen sind gering. Ein Mädchen sei nicht dabei gewesen, erklärt der Anrufer auf Toms Nachfrage.

Mit der nächsten Maschine fliegt Tom nach Islamabad. Jabbar berichtet ihm kaum hörbar, dass seine Mutter mit ihm und Apana das Hotel ohne die Leibwächter verließ, um in der Kirche zu beten und Gott für Toms Plan zu danken. Dann gesteht Jabbar, dass er die Dateien auf dem USB-Stick öffnete und was er auf dem Bildschirm sah. Am Abend stirbt der 16-Jährige.

Von Apana fehlt jede Spur.

Tom fliegt nach Tel Aviv und trifft sich im Oktober 2011 mit Ruth Fiorentino auf der Nevatim Israeli Air Force Base bei Beersheba. Telefonisch unterrichtete er sie bereits über die neueste Entwicklung und den Inhalt des verbrannten USB-Sticks. Der Mossad hat herausgefunden, dass Usama bin Laden auf einem Anwesen 15 Kilometer westlich von Hofuf gefangen gehalten wird. Es gehört dem saudischen Prinzen Muqrin ibn Abd al-Aziz, der seit 2005 als Generaldirektor des al-Muchabarat al-Amma amtiert. Nachdem die Israelis es mit einer Drohne zerstört haben, fordert Ruth Fiorentino Danny Davis auf, Tom Johnson das Wort „Geronimo“ zu simsen.

Tom sucht weiter nach Apana. Als er im Februar 2013 von Bangkok aus mit seiner Ex-Frau telefoniert, hat er sie noch immer nicht gefunden, aber er gibt die Hoffnung nicht auf.

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Im Zentrum des Romans „Geronimo“ von Leon de Winter steht die von US-Präsident Barack Obama befohlene CIA-Operation Neptune Spear in der Nacht vom 1./2. Mai 2011 in der pakistanischen Stadt Abbottabad. Eine Spezialeinheit (United States Naval Special Warfare Development Group, kurz DEVGRU) hatte den Auftrag, Usama bin Laden, den Gründer und Anführer des Terrornetzwerks al-Qaida, tot oder lebendig aus seinem Versteck zu holen. Der Romantitel „Geronimo“ entspricht dem damals für die Zielperson vereinbarten Codewort. Noch in der Nacht gab Barack Obama die Tötung des Terroristenchefs in einer Fernsehansprache an die Nation bekannt. Die Identität des Toten wurde durch einen Vergleich der DNA mit der einer in Boston gestorbenen Halbschwester Usama bin Ladens bestätigt. Die zum Flugzeugträger USS Carl Vinson geflogene Leiche bestattete man angeblich nach islamischem Ritus am 2. Mai gegen Mittag im Arabischen Meer. Weil es widersprüchliche Berichte über die Operation Neptune Spear gab, kamen bald Verschwörungstheorien auf. Vor diesem Hintergrund spielt Leon de Winter in „Geronimo“ mit der Möglichkeit, dass Usama bin Laden bei der Operation Neptune Spear nicht getötet, sondern verschleppt wurde. Er weist allerdings explizit darauf hin, dass es sich bei seinem Roman „Geronimo“ um Fiktion handelt:

Jede Übereinstimmung mit tatsächlichen Personen, Organisationen, Ereignissen oder historischen Fakten beruht auf bloßem Zufall.

Der Plot von „Geronimo“ beschränkt sich nicht auf die Operation Neptune Spear, sondern füllt den Zeitraum von den Terroranschlägen am 11. März 2004 in Madrid bis zu einem im Februar 2013 zwischen Bangkok und Los Angeles geführten Telefongespräch. Die Handlung spielt in Madrid, London und Amsterdam, in North Carolina, Washington, D. C., und Langley/Virginia, an mehreren Orten in Afghanistan, in Abbottabad, Rawalpindi und Islamabad, Israel, Saudi Arabien und Bangkok.

Es geht in „Geronimo“ auch nicht nur um Usama bin Laden, sondern um mehr als ein halbes Dutzend Personen, darunter Tom und Vera Johnson, deren kleine Tochter Sarah an den Folgen der bei den Terroranschlägen in Madrid erlittenen Verletzungen stirbt, um die in Abbottabad als Haushälterin lebende Witwe Mariyam, eine Christin, und ihren minderjährigen Sohn Jabbar, der von einem Leben in den USA träumt, das er mit Freiheit gleichsetzt. Wichtigste Nebenfigur ist ein 1995 geborenes afghanisches Mädchen: Apana. Die Taliban ermorden zunächst ihre Mutter und die beiden Schwestern, dann auch den für die Amerikaner als Dolmetscher tätigen Vater. Und weil Apana die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach liebt und Pianistin werden möchte, schneiden ihr die Taliban die Ohren ab und hacken ihr beide Hände ab.

„Geronimo“ ist eine komplexe Mischung aus Polit-, Agenten- und Action-Thriller. Der Roman handelt von Barbarei, Terror und Reaktionen darauf, von Macht und Korruption, Geheimdiensten und Täuschungen der Öffentlichkeit, von Verrat und Schuld, Mitmenschlichkeit und Freundschaft.

Leon de Winter entwickelt das Geschehen vor allem im ersten Teil nicht chronologisch. Dabei wechselt er nicht nur Ort und Zeit, sondern auch die Perspektive. So erleben wir beispielsweise Teile des Geschehens aus den Blickwinkeln von Usama bin Laden, Jabbar oder Danny Davis, und Tom Johnson kommt sogar in der Ich-Form zu Wort. Zwischendurch erläutert ein auktorialer Erzähler Zusammenhänge. Eingestreut sind unter anderem auch Zitate aus der in der Nacht vom 1./2. Mai 2011 von Barack Obama gehaltenen Fernsehansprache.

Eine besondere Rolle spielen die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach in „Geronimo“. Sie bestehen aus zwei Teilen mit jeweils 15 Variationen sowie einer einleitenden und einer abschließenden Aria. Leon de Winter hat seinen Roman „Geronimo“ nach diesem Vorbild gegliedert: zwei Teile mit insgesamt 30 Kapiteln werden durch einen Pro- und einen Epilog eingerahmt, zwei Telefongespräche von Tom Johnson und Vera Barrancov im Februar 2012 und genau ein Jahr später.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © Diogenes Verlag

Leon de Winter (kurze Biografie / Bibliografie)

Leon de Winter: Place de la Bastille
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Friedrich Christian Delius - Die Birnen von Ribbeck
Mit der Erzählung "Die Birnen von Ribbeck" mahnt Friedrich Christian Delius, weder die Vergangenheit noch Traditionen zu ignorieren. Er überlässt das Wort einem Ribbecker, der emotional und unstrukturiert redet. Seine Gedanken springen zwischen Zeiten und Themen hin und her. Literarisch betrachtet ähnelt der Text einem Stream of Consciousness, und Friedrich Christian Delius betont das auch noch, indem er keine Sätze voneinander abgrenzt, sondern nur am Ende des Buchs einen einzigen Punkt setzt.
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