Gertrude Bell


Die englische Industriellentochter Gertrude Bell studierte als eine der ersten Frauen in Oxford. Sie unternahm Weltreisen und tollkühne Klettertouren in den Schweizer Alpen, bevor sie anfing, Wüsten zu durchqueren und den Orient zu erkunden. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Landeskunde und ihrer Kontakte zu einflussreichen Scheichs wurde die »Königin der Wüste« im Ersten Weltkrieg die einzige politische Offizierin des britisch-indischen Expeditionskorps in Mesopotamien. Als die Araber sich mithilfe der Briten von der osmanischen Herrschaft befreiten, beriet Gertrude Bell die Regierung in London, deren Repräsentanten vor Ort und den ersten König des neuen Staates Irak. Bagdad wurde zu ihrer zweiten Heimat.


Gertrude Bell:
Wannenbad in der Wüste

Leseprobe aus
Dieter Wunderlich: WageMutige Frauen. 16 Porträts aus drei Jahrhunderten
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2004 / Piper Taschenbuch, München 2008 (5. Auflage: 2011)

Mutig wagt Gertrude erste Exkursionen. So reitet sie zum Beispiel mit einem orientalischen Führer, einem Koch und zwei Maultiertreibern nach Jericho. Dabei trägt sie ein bodenlanges Kleid. Nachdem ihre Begleiter abends ein Lager aufgebaut haben, badet sie in einer mit heißem Wasser gefüllten »Wanne« aus Zeltplanen. Am dritten Tag redet sie auf einen osmanischen Beamten so lang ein, bis er ihr erlaubt, weiter zu den Ruinen von Maschetta zu reisen und einen berittenen Soldaten für ihren Schutz abstellt. Dessen Anwesenheit hält tags darauf immerhin drei bewaffnete Beduinen von einem Raubüberfall ab. Fast drei Wochen dauert die ebenso abenteuerliche wie beschwerliche Reise; dann trifft Gertrude wieder in Jerusalem ein.

Ende April 1900 bricht sie mit dem Ehepaar Rosen in den Nordosten Palästinas auf. Nach einem anstrengenden Ritt im unbequemen Damensitz ignoriert die englische Unternehmertochter die viktorianischen Anstandsregeln und scheut bei der nächsten Etappe nicht mehr davor zurück, sich von Friedrich Rosen einen Herrensattel zu leihen. »Bis ich zu sprechen anfange, denken die Leute immer, ich sei ein Mann und reden mich mit Effendi an!«, schreibt sie ihrer Stiefmutter. »Du kannst mir glauben, dass ich einen höchst eleganten und schicklich geteilten Rock trage. Da aber alle Männer auch eine Art Rock tragen, dient dies nicht dazu, mich von ihnen zu unterscheiden.«

160 Kilometern von Jerusalem entfernt, trennt Gertrude sich von den Rosens und reitet mit fünf einheimischen Begleitern weiter über die vulkanische Hauran-Hochebene, ein noch nicht kartografiertes Gebiet, das vor ihr noch nie eine europäische Frau betreten hat.

Dieter Wunderlich: WageMutige Frauen © Piper Verlag 2008

Mit dem Mudir (Gouverneur) von Bosrah verhandelt sie am 2. Mai in arabischer Sprache über eine Weiterreise nach Salkhad […] Weil es Gertrude aber nicht gelingt, die gewünschte Erlaubnis zu bekommen, brechen sie und ihre Begleiter um zwei Uhr nachts heimlich die Zelte ab. »Ich bin ihnen durch die Finger geschlüpft«, jubelt sie. In Areh sucht sie den Drusenführer Jahja Beg auf, der ihr erlaubt, sich frei im Dschebel Drus zu bewegen und ihr sogar eine Eskorte mitgibt.

Am 11. Mai erreicht sie Damaskus. Dort hat sie Gelegenheit, ihre Eltern telegrafisch um eine Geldanweisung zu bitten. Da es riskant wäre, mehr als ein paar Banknoten und Münzen mitzuführen, vertraut sie den erhaltenen Betrag einem arabischen Händler an, der ihr einen Kreditbrief ausstellt, gegen den jeder seiner Partner das Geld auszahlt, das sie während einer zweiwöchigen Tour durch die Wüste nach Palmyra und zurück benötigt.

An einem der Abende richten Beduinen ihr Lager neben Gertrude Bell und ihren Begleitern ein. Deren Scheich, ein etwa zwanzigjähriger Araber vom Stamm der Hasineh, von dem es heißt, er besitze fünfhundert Zelte und sogar ein Haus in Damaskus, macht der Engländerin seine Aufwartung und lädt sie in sein Zelt ein. Beim Gestank eines schwelenden Kameldung-Feuers sitzt sie auf Kissen und Teppichen, trinkt den starken, bitteren Kaffee der Araber, raucht Zigaretten durch ihre Zigarettenspitze aus Elfenbein und hört den melancholischen Liedern eines Rubaba-Spielers zu. »All die schweigenden Leute saßen herum und blickten mich an, ungepflegt, halb nackt, ihre Keffiehs übers Gesicht gezogen, nichts lebendig an ihnen als ihre Augen.« Nach einiger Zeit verabschiedet sie sich – und wundert sich über die frostigen Mienen ihrer Gastgeber. Im Freien klärt einer ihrer Begleiter sie über die Ursache der Verstimmung der Hasineh auf: In der Erwartung, dass Gertrude zum Essen bleiben würde, haben sie eigens ein Schaf geschlachtet. Also kehrt sie gleich wieder um und überreicht dem Scheich eine Pistole als Gastgeschenk. »Es war ein ziemlich kostspieliges Essen«, klagt sie anschließend in ihrem Tagebuch, »aber die Erfahrung war die Pistole wert.«


Werner Herzog drehte über Gertrude Bell den Film „Königin der Wüste“.

Quelle: Dieter Wunderlich, WageMutige Frauen. 16 Porträts aus drei Jahrhunderten
© Pustet Verlag, Regensburg 2004
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Gertrude Bell (tabellarische Biografie)

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