Bücher, deren Lektüre ich aus voller Überzeugung empfehle.
Von den schätzungsweise 4000 Büchern, die ich bisher las,
haben mich die folgenden am stärksten beeindruckt.
Dabei nenne ich allerdings von keiner Autorin und keinem Autor
mehr als einen Titel ‒ obwohl mir das in einigen Fällen schwerfällt.

 


 

 

Gilbert Adair: Blindband

Der erfolgreiche Schriftsteller Paul Reader, der bei einem schweren Verkehrsunfall vor vier Jahren beide Augen verlor, will seine Autobiografie schreiben. „Blindband“ soll der Titel lauten. Um sein Vorhaben verwirklichen zu können, sucht der Autor, der sich in ein abgelegenes Landhaus verkrochen hat, einen Assistenten, dem er das Buch diktieren kann. Ein 33-Jähriger namens John Ryder meldet sich auf das Inserat …

 

In seinem Roman „Blindband“ ist es Gilbert Adair gelungen, allein mit Dialogen eine dichte beklemmende Atmosphäre zu beschwören. Man sieht gewissermaßen nichts, sondern „hört“ Gespräche. Was könnte besser zu einem Roman über einen blinden Schriftsteller passen?

 

Mehr dazu: Gilbert Adair: Blindband

 


 

 

Margaret Atwood: Der blinde Mörder

Kurz vor ihrem Tod im Mai 1999 blickt die Greisin Iris Griffen auf ihr Leben zurück. Sie erinnert sich, wie das Familienunternehmen in Port Ticonderoga, Ontario, Mitte der 30er-Jahre vor dem Bankrott stand und sie deshalb im Alter von 18 Jahren die Frau eines doppelt so alten Industriellen in Toronto wurde, von dem sich ihr Vater die Rettung des Unternehmens erhoffte. Dabei hatten sie und ihre jüngere Schwester sich damals gerade in einen mittellosen Bolschewiken verliebt …

 

Neben der kunstvoll verschachtelten Konstruktion sind es vor allem Margaret Atwoods geschliffene Sprache, der Sarkasmus, der Esprit und die elegante Gedankenführung, die „Der blinde Mörder“ zu einem brillanten Roman und außergewöhnlichen Lesevergnügen machen.

 

Mehr dazu: Margaret Atwood: Der blinde Mörder

 


 

 

Paul Auster: Stadt aus Glas

Unter dem Pseudonym William Wilson schreibt Daniel Quinn Detektivromane, die aus der Perspektive des Protagonisten Max Work erzählt werden. Ein ohne Kontakte zu anderen Menschen aufgewachsener Mann hält ihn irrtümlich für einen Privatdetektiv mit dem Namen Paul Auster und will sich von ihm vor einem befürchteten Mordanschlag seines Vaters schützen lassen …

 

Facettenreiches Spiel mit gleichen Personennamen, übereinstimmenden Initialen und verschachtelten Identitäten. Detektiv, Schriftsteller und Leser scheitern gleichermaßen in ihrem Bemühen, sinnvolle Zusammenhänge herzustellen und einen Sinn des Lebens zu erkennen: „Stadt aus Glas“.

 

Mehr dazu: Paul Auster: Stadt aus Glas

 


 

 

Nicholson Baker: Eine Schachtel Streichhölzer

Ein unter Schlaflosigkeit leidender langweiliger Durchschnittsmensch sitzt an dreiunddreißig Tagen frühmorgens im Dunkeln mit einem Becher Kaffee vor dem Kaminfeuer und hängt seinen Gedanken nach. Seine Beobachtungen, Erinnerungen, Assoziationsketten und Gedankensplitter bilden einen „Flow of Consciousness“. Eine Handlung gibt es nicht.

 

Nicholson Baker zelebriert in „Eine Schachtel Streichhölzer“ das Triviale, das er wie unter dem Mikroskop betrachtet und auf absurde Weise detailliert beschreibt. Das wirkt wie eine Parodie, ist desöfteren auch sehr komisch, und hin und wieder erhält das Alltägliche dadurch ein faszinierendes Funkeln.

 

Mehr dazu: Nicholson Baker: Eine Schachtel Streichhölzer

 


 

 

John Banville : Der Unberührbare

1979 wird öffentlich bekannt, dass der inzwischen 72-jährige Kunsthistoriker Victor Maskell in den Dreißiger- und Vierzigerjahren als Doppelspion tätig gewesen war. Der Skandal und die Enttäuschung über Freunde, die ihn verrieten, veranlassen ihn, Bilanz zu ziehen …

 

Lakonisch, sarkastisch und unpathetisch erzählt der Protagonist von seinem Leben. Die Wirkung des Romans „Der Unberührbare“ von John Banville basiert auf der nuancierten Charakterisierung der Hauptfigur und der melancholischen, nihilistischen Grundstimmung des Buches.

 

Mehr dazu: John Banville : Der Unberührbare

 


 

 

Andrea van Bebber: Töne durch die Wand

Anne Berger, eine Frau um die 20, kommt zu sich und begreift erst allmählich, dass sie in einem Krankenbett liegt. Warum das so ist, weiß sie zunächst nicht. Erinnerungen an ihr bisheriges Leben gehen ihr durch den Kopf: wie sie vom Großvater missbraucht wurde, wie der cholerische Vater sie verprügelte und die fügsame Mutter nichts dagegen unternahm. Musik wurde für Anne zu einer Möglichkeit, sich zu beweisen und gegen das psychisch krank machende Umfeld zu behaupten …

 

Geschickt macht Andrea van Bebber in ihrem Roman „Töne durch die Wand“ aus einem Teil der Handlung einen Rahmen und fügt die Vorgeschichte der Protagonistin in Form von Erinnerungen bzw. Rückblenden ein.

 

Mehr dazu: Andrea van Bebber: Töne durch die Wand

 


 

 

Jurek Becker: Jakob der Lügner

Um einen verzweifelten Leidensgenossen im Ghetto vor einem gefährlichen Vorhaben abzuhalten, erzählt ihm Jakob Heym vertraulich von einer hoffnungsvollen Nachricht, die er zufällig erfuhr, und um glaubwürdig zu sein, lügt er und behauptet, ein Radio zu besitzen – was Juden bei Todesstrafe verboten ist …

 

Obwohl er selbst im Ghetto von Lodz aufwuchs und seine Mutter von den Nationalsozialisten ermordet wurde, gelingt es Jurek Becker, in „Jakob der Lügner“ ohne pathetische Anklagen, aber mit viel Humor vom Leben unter der nationalsozialistischen Willkür zu erzählen.

 

Mehr dazu: Jurek Becker: Jakob der Lügner

 


 

 

Louis Begley: Schiffbruch

Bei einem beruflichen Aufenthalt in Paris betrügt der New Yorker Schriftsteller John North zum ersten Mal seine Ehefrau Lydia. Doch als seine Leidenschaft für Léa abkühlt und er nur noch verhindern will, dass Lydia etwas von der Affäre erfährt, klammert die Geliebte sich an ihn …

 

„Schiffbruch“ ist eine von Louis Begley brillant erzählte, den Leser von der ersten bis zur letzten Zeile fesselnde Geschichte über eine Amour fou.

 

Mehr dazu: Louis Begley: Schiffbruch

 


 

 

Christian Berkel: Ada

1954 kehrt die deutsche Jüdin Ursula („Sala“) Nohl mit ihrer neun Jahre alten Tochter Ada aus dem Exil in Argentinien nach Deutschland zurück und findet in Berlin auch Adas Vater Otto Berkel wieder. Adas Fragen bleiben unbeantwortet, weil sich die Eltern über die Vergangenheit ausschweigen. Sie muss ihren Weg selbst finden.

 

In „Ada“, dem zweiten Band einer geplanten autobiografischen Romantrilogie, führt Christian Berkel eine fiktive Ich-Erzählerin ein: seine zwölf Jahre ältere Schwester Ada. Er versteht es, seine ungewöhnliche Familiengeschichte vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Ereignisse lebendig darzustellen.

 

Mehr dazu: Christian Berkel: Ada

 


 

 

Thomas Bernhard: Holzfällen

Der Roman „Holzfällen“ beginnt mit dem Satz: „Während alle auf den Schauspieler warteten, der ihnen versprochen hatte, nach der Aufführung der Wildente gegen halbzwölf zu ihrem Abendessen in die Gentzgasse zu kommen, beobachtete ich die Eheleute Auersberger genau von jenem Ohrensessel aus, in welchem ich in den frühen Fünfzigerjahren beinahe täglich gesessen war und dachte, dass es ein gravierender Fehler gewesen ist, die Einladung der Auersberger anzunehmen.“

 

Thomas Bernhard schmäht die Gesellschaft, indem er seine Selbstverachtung auf die anderen projiziert. Dabei wiederholt und variiert er seine Themen unaufhörlich, wie in einem Musikstück, etwa dem „Bolero“. Trotz der Hoffnungslosigkeit wirkt der kunstvolle Roman nicht düster, sondern eher tragikomisch.

 

Mehr dazu: Thomas Bernhard: Holzfällen

 


 

 

Kristine Bilkau: Die Glücklichen

Die Cellistin Isabell und der Journalist Georg wohnen mit ihrem kleinen Sohn in einer Großstadt. Sie gehören einer Generation der gebildeten Mittelschicht an, die hohe Ansprüche stellt und unter Erfolgsdruck steht. Als Georg und Isabell fast gleichzeitig arbeitslos werden, droht ihnen der soziale Abstieg. Die Sorge, zu den Verlierern zu zählen, belastet die beiden – und ihre Ehe.

 

Kristine Bilkau ist mit dem Roman „Die Glücklichen“ ein eindringliches Generationenporträt auf hohem literarischem Niveau gelungen. Feinsinnig und mit viel Empathie vertieft sie sich – aber auch die Leserinnen und Leser – in die Lage der beiden Hauptfiguren. Dabei beschreibt sie nichts, sondern setzt alles präzise und anschaulich in Szene.

 

Mehr dazu: Kristine Bilkau: Die Glücklichen

 


 

 

Maxim Biller: Die Tochter

Nach dem Libanonkrieg im Sommer 1982 reist der junge Israeli Motti Wind ins Ausland, um auf andere Gedanken zu kommen. Im Flugzeug lernt er die deutsche Studentin Sofie kennen. Mit ihr gründet er in München eine Familie. Aber die Kluft zwischen seiner jüdischen und ihrer deutschen Herkunft vermag er nicht dauerhaft zu überbrücken. Eines Tages glaubt er, in einer Porno-Darstellerin seine Tochter Nurit zu erkennen, die er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat …

 

Aus Erinnerungsbruchstücken setzt sich allmählich ein Bild zusammen – das am Ende wieder in Frage gestellt wird. „Die Tochter“ ist ein ernster, verzweifelter und verstörender Roman auf hohem Niveau.

 

Mehr dazu: Maxim Biller: Die Tochter

 


 

 

Ketil Bjørnstad: Vindings Spiel

Aksel Vinding ist 15, als seine Mutter 1967 vor seinen Augen von der Strömung im Fluss fortgerissen wird. Ihr Tod zerstört die Familie vollends und wirft Aksel aus der Bahn. Er bricht die Schule ab und konzentriert sich ganz auf die Musik. So trauert er um seine Mutter, denn ihr verdankt er die Liebe zur Musik. Obwohl er sich in Anja Skoog verliebt hat, lässt er sich von Margrethe Irene verführen und bringt erst mit 18 den Mut auf, sich von ihr zu trennen …

 

Einfühlsam beschäftigt sich Ketil Bjørnstad in dem Roman „Vindings Spiel“ mit den Irrungen und Wirrungen seines zwischen 15 bis 18 Jahre alten Protagonisten, aus dessen Perspektive erzählt wird.

 

Mehr dazu: Ketil Bjørnstad: Vindings Spiel

 


 

 

William Boyd: Trio

In Brighton wird ein Film gedreht. Im Mittelpunkt des Romans stehen der Produzent Talbot Kydd, die Hauptdarstellerin Anny Viklund und die mit dem Regisseur verheiratete Schriftstellerin Elfrida Wing. Talbot verheimlicht seine Homosexualität ebenso wie Elfrida ihre mit einer seit zehn Jahren anhaltenden Schreibblockade zusammenhängende Alkoholkrankheit. Anny wiederum erträgt den Stress nur in den Armen von Männern und indem sie abwechselnd Aufputsch- und Betäubungsmittel schluckt.

 

In „Trio“ geht es William Boyd um Masken bzw. Kulissen im Gegensatz zum Leben dahinter, um den Unterschied zwischen der Selbstwahrnehmung und dem Bild, das andere sich machen, um Betrug, Lebenslügen und Selbsterkenntnis, um Realität im Verhältnis zur Kunst und um deren Erschaffung. Die Romanfiguren werden treffsicher dargestellt, und die Komposition ist sorgfältig durchdacht. William Boyd bietet mit „Trio“ nicht nur eine inhaltlich und formal überzeugende, sondern auch eine fein-unterhaltsame Lektüre.

 

Mehr dazu: William Boyd: Trio

 


 

 

T. C. Boyle: Grün ist die Hoffnung

Einen ganzen Sommer über mühen drei verspätete Hippies sich ab und bauen in den Hügeln nördlich von San Francisco Marihuana an, um endlich an das große Geld zu kommen. Der Botaniker, der sie dabei beraten soll, lässt sich bald nicht mehr blicken, denn er hat das Projekt als Misserfolg abgeschrieben. Nur der Initiator, dem das Grundstück gehört, bleibt bis zum Schluss zuversichtlich …

 

Mit viel Humor, außergewöhnlicher Fabulierlust und Freude an ausgefallen Details erzählt T. C. Boyle eine farbige, lebendige und ausgesprochen unterhaltsame Geschichte: „Grün ist die Hoffnung“.

 

Mehr dazu: T. C. Boyle: Grün ist die Hoffnung

 


 

 

Carmen Buttjer: Levi

Bei der Beerdigung der Asche seiner Mutter packt Levi die Urne und rennt damit davon. Zuflucht sucht der verstörte Elfjährige bei dem undurchschaubaren Nachbarn Vincent und dem Kioskbesitzer Kolja Černý, einem früheren Kriegsfotografen, der von Erinnerungen an schreckliche Erlebnisse heimgesucht wird. Weil Levi sich zeitweise einbildet, seine Mutter sei von einem Tiger getötet worden, versucht er, diesen mit der Urne als Köder in eine Falle zu locken …

 

Carmen Buttjer erzählt vorwiegend aus der Sicht eines traumatisierten Elfjährigen in der Ich-Form. Dabei inszeniert sie das Geschehen mit viel Empathie und Fantasie. Aber das wirkt auf virtuose Weise mehr poetisch als anschaulich. Elliptische Auslassungen gehören zu den charakteristischen Stilelementen in „Levi“. Bereits in ihrem Debütroman beweist Carmen Buttjer eine außerordentliche literarische Begabung.

 

Mehr dazu: Carmen Buttjer: Levi

 


 

 

Truman Capote: Kaltblütig

In der Nacht auf den 15. November 1959 wurden der Farmer Herb Clutter (48), seine Frau Bonnie (45), die Tochter Nancy (16) und der Sohn Kenyon (15) in ihrem Haus bei Holcomb, Kansas, auf grauenvolle Weise umgebracht. Ein Motiv war zunächst nicht erkennbar, denn mehr als 40 oder 50 Dollar gab es nicht zu erbeuten. Die beiden jungen Mörder gingen der Polizei am 30. Dezember 1959 in Las Vegas ins Netz. Sie wurden am 14. April 1965 gehenkt.

 

Nach jahrelangen Recherchen begründete Truman Capote mit dem Tatsachenroman „Kaltblütig“ ein neues Genre. Er lieferte eine präzise und differenzierte Analyse eines vierfachen Mordes, zugleich aber auch ein trotz der Sachlichkeit packendes literarisches Meisterwerk.

 

Mehr dazu: Truman Capote: Kaltblütig

 


 

 

Rafael Chirbes: Die schöne Schrift

Der Roman „Die schöne Schrift“ von Rafael Chirbes handelt vom Leben einer einfachen Spanierin. Während die Verwandtschaft während des Bürgerkriegs und in den Jahren danach zusammengehalten hatte, brach sie in den Vierzigerjahren durch die Einheirat einer feschen ehrgeizigen Frau aus der Stadt auseinander. An ihrem Lebensabend wird ihr klar, dass ihr auch der Sohn fremd geworden ist.

 

Eine einfache alte Frau erzählt ihrem erwachsenen Sohn von den seltenen Augenblicken des Glücks in ihrem Leben, vor allem aber von Not und Leid, Liebe und Kränkungen. In einem schlichten, bewegenden Monolog erinnert sich die Frau an entscheidende Stationen ihres Lebens. Sie spricht zu ihrem Sohn, aber mehr noch zu sich selbst, weil sie vor dem Sterben verstehen möchte, was ihr widerfuhr.

 

Mehr dazu: Rafael Chirbes: Die schöne Schrift

 


 

 

J. M. Coetzee: Die Kindheit Jesu

Ein Mann und ein fünfjähriger Junge kommen in ein spanischsprachiges Land mit ebenso wohlwollenden wie genügsamen Menschen. Im Aufnahmelager erhalten sie die Namen Simón und David. Während der Überfahrt verlor David den Brief, der vermutlich Angaben über seine Herkunft enthielt. Simón macht es sich zur Aufgabe, Davids Mutter zu finden und glaubt schließlich, sie in einer jungen verwöhnten Frau namens Inés gefunden zu haben. Sie nimmt David zu sich und redet ihm ein, etwas Besonderes zu sein …

 

„Die Kindheit Jesu“ ist Literatur auf hohem Niveau, aber nicht verkopft, sondern als intellektuelles Vergnügen. Auf einer originellen Grundidee aufbauend, entwickelt J. M. Coetzee eine Fülle von Anspielungen und Gedanken, ohne den Roman zu überfrachten.

 

Mehr dazu: J. M. Coetzee: Die Kindheit Jesu

 


 

 

Mark Z. Danielewski: Das Haus

Der Pulitzer-Preisträger Will Navidson bezieht mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Kindern ein altes Haus auf dem Land. Zu seiner Überraschung stellt er fest, dass es einen Raum gibt, der im Grundriss nicht eingezeichnet ist und das Haus innen länger als außen ist. Nach einer ersten Erkundung eines wie aus dem Nichts entstandenen Korridors findet er beinahe nicht mehr ins Wohnzimmer zurück. Deshalb holt er einen Ingenieur und einen Höhlenforscher zu Hilfe …

 

Lassen Sie sich von dem Textlabyrinth, den Fußnoten, dem Anhang und dem Index nicht davon abschrecken, „Das Haus. House of Leaves“ zu lesen; der typografische Aufwand erhöht einfach nur den Spaß bei der Lektüre dieses originellen Romans von Mark Z. Danielewski.

 

Mehr dazu: Mark Z. Danielewski: Das Haus

 


 

 

Umberto Eco: Baudolino

Um einem Reiter, dem er 1155 im Alter von ungefähr 13 Jahren begegnet, eine Freude zu machen, erzählt ihm der aufgeweckte piemontesische Bauernsohn Baudolino, ein Heiliger habe ihm verraten, der Fremde werde die Stadt Tortona erobern. Dem Reiter, bei dem es sich um Friedrich Barbarossa handelt, kommt die Prophezeiung gerade recht. Deshalb kauft er den Jungen dessen Vater Gagliaudo ab, nimmt ihn mit zur Kaiserkrönung nach Rom und adoptiert ihn …

 

Obwohl es in der Mitte und am Ende des Romans „Baudolino“ von Umberto Eco um einen Kriminalfall – nämlich die Ermordung Barbarossas – geht, handelt es sich nicht um einen Thriller, sondern um einen Schelmenroman, in dem der einfallsreiche Autor seine Fabulierlust voll auslebt.

 

Mehr dazu: Umberto Eco: Baudolino

 


 

 

Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land

Die von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln abhängige Physikerin Ruth Schwarz aus Wien möchte den Wunsch ihrer tödlich verunglückten Eltern erfüllen und sie in deren Geburtsstadt beerdigen. Mit Mühe findet sie den nirgendwo verzeichneten Ort. Dabei wird ihr Auto schwer beschädigt, weil die Zugangswege aufgrund von Einbrüchen in den Hohlräumen eines ehemaligen Kalkbergwerks kaum noch befahrbar sind …

 

Bei dem Roman „Das flüssige Land“ handelt es sich um eine kafkaeske Geschichte einer unzuverlässigen Ich-Erzählerin, hinter der die originelle, einfallsreiche Autorin Raphaela Edelbauer zurücktritt. Man kann „Das flüssige Land“ als grotesk verdrehten Heimatroman oder auch in der Gegenwart spielende Dystopie lesen. Auf jeden Fall handelt es sich um unterhaltsame Literatur auf hohem Niveau.

 

Mehr dazu: Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land

 


 

 

Per Olov Enquist: Der Besuch des Leibarztes

1768 wird Johann Friedrich Struensee als Leibarzt des 19-jährigen Königs von Dänemark und Norwegen angestellt. Christian VII. überlässt seinem Leibarzt nicht nur die Königin Caroline Mathilde, sondern auch die Macht. Mit 633 Dekreten verwirklicht Struensee Ideen der Aufklärung – bis ihn der Emporkömmling Ove Høegh-Guldberg 1772 vernichtet und selbst die Macht an sich reißt.

 

Per Olov Enquist arbeitet die psychologischen Dimensionen der Konflikte ungemein lebendig heraus. Dabei bewegt er sich mit „Der Besuch des Leibarztes“ stilistisch zwischen Sachbuch-Biografie, Reportage und Roman.

 

Mehr dazu: Per Olov Enquist: Der Besuch des Leibarztes

 


 

 

Jeffrey Eugenides: Middlesex

Ein griechisches Geschwisterpaar flieht 1922 vor den Türken aus Kleinasien, heiratet auf einem Ozeandampfer und gründet in Detroit eine Familie. Calliope, ein 1960 geborenes Enkelkind, wird als Mädchen erzogen, bis ein Arzt nach einem Unfall feststellt, dass es sich um einen Pseudohermaphroditen handelt …

 

Jeffrey Eugenides spricht alle Sinne des Lesers an. Mit überbordender Fantasie erzählt er und denkt sich selbst für Nebenhandlungen Besonderheiten aus. Virtuos spielt er mit sämtlichen Möglichkeiten der Erzählkunst. „Middlesex“ ist ein wunderbarer Roman

 

Mehr dazu: Jeffrey Eugenides: Middlesex

 


 

 

Jonathan Franzen: Die Korrekturen

„Wir sind doch alle darauf getrimmt zu glauben, unsere Kinder seien wichtiger als wir […] und wie aus zweiter Hand durch sie zu leben.“ Vergeblich hat Enid versucht, den inzwischen erwachsenen Kindern Lebensentwürfe aufzudrängen, mit denen sie ihre unerfüllten eigenen Wunschträume zu verwirklichen hoffte. Erst am Ende gesteht sie sich ihre Lebenslüge ein und findet sich mit der eigenen Unzulänglichkeit ebenso ab wie mit der ihrer Kinder.

 

Mit einer Fülle banaler, zum Teil tragikomischer Geschichten veranschaulicht Jonathan Franzen in „Die Korrekturen“ die Sehnsucht nach familiärer Harmonie, zeigt Angst, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit; wir erleben den alltäglichen interfamiliären Psychoterror und missglückte Versuche, die Lebensverhältnisse zu korrigieren.

 

Mehr dazu: Jonathan Franzen: Die Korrekturen

 


 

 

Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein

Ein von seiner Ehefrau verlassener Mann sitzt allein in der Wohnung und probiert Geschichten an wie Kleider. Oder ist auch das schon eine der Varianten? „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“

 

Voller Fabulierlaune und berstend vor originellen Einfällen, brennt Max Frisch in dem Roman „Mein Name sei Gantenbein“ ein aus komischen, wahnwitzigen Episoden bestehendes Feuerwerk ab.

 

Mehr dazu: Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein

 


 

 

Anne Goldmann: Das größere Verbrechen

Theres, die mit einem Tischler verheiratete Tochter eines machtbewussten Kommunalpolitikers, wird 2018 mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, als ihr 18-jähriger Sohn Jan Kontakt mit ihr aufnimmt. Im Alter von 17 Jahren wurde sie von einem Bosnier geschwängert, der bald darauf verschwand. Theres‘ Vater bestand darauf, dass das Kind sofort nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurde …

 

Anne Goldmann hat den Roman „Das größere Verbrechen“ aus winzigen, prägnanten Szenen komponiert. Ihr Mut zu Auslassungen spornt die Leserinnen und Leser an, ihre eigene Vorstellungskraft wirken zu lassen. Das ist wie modernes Kino – und hebt das fesselnde Buch auf ein hohes literarisches Niveau.

 

Mehr dazu: Anne Goldmann: Das größere Verbrechen

 


 

 

Günter Grass: Die Blechtrommel

Im Alter von drei Jahren weigert sich Oskar Matzerath weiter zu wachsen, weil er nicht so wie die Erwachsenen werden möchte. Er protestiert gegen die Gemeinheit der Spießbürger, indem er auf seine rotweiße Kindertrommel schlägt und mitunter seine schrille Stimme so anschwellen lässt, dass Glas zerspringt …

 

„Die Blechtrommel“ ist ein grotesker Schelmenroman über die Zeit des Nationalsozialismus und die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft. Mit überbordender Fabulierlust und großer erzählerischer Kraft türmt Günter Grass Geschichte auf Geschichte.

 

Mehr dazu: Günter Grass: Die Blechtrommel

 


 

 

Graham Greene: Die Stunde der Komödianten

Der in Monte Carlo geborene Engländer Brown fühlt sich wurzellos und hält sich für unfähig, mitzufühlen, zu lieben oder an etwas zu glauben. Nach ein paar Jahren, in denen er ein ererbtes Hotel in Port-au-Prince führt, strandet er desillusioniert und hoffnungslos als Leichenbestatter in Santo Domingo.

 

Graham Greene vermittelt uns in dem spannenden Thriller „Die Stunde der Komödianten“ einen beklemmenden Eindruck von dem Menschen verachtenden Terrorregime François Duvaliers („Papa Doc“) in Haiti.

 

Mehr dazu: Graham Greene: Die Stunde der Komödianten

 


 

 

Hélène Grémillon: Das geheime Prinzip der Liebe

Die 35-jährige Verlegerin Camille Werner erhält 1975 nach dem Tod ihrer Mutter Briefe von einem Unbekannten. Er berichtet von dem 17-jährigen Dorfmädchen Annie, das 1940 für eine zehn Jahre ältere Dame aus Paris ein Kind gebar. Der Jugendfreund der Leihmutter schildert nicht nur, was er selbst beobachtete, sondern auch, was Annie ihm 1943 erzählte, und er schickt Camille ein Heft, in dem er die Lebensbeichte der Auftraggeberin zusammengefasst hat …

 

In ihrem Debütroman „Das geheime Prinzip der Liebe“ überzeugt Hélène Grémillon mit einer raffiniert verschachtelten Konstruktion, die es ihr erlaubt, die Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven zu erzählen, die sich gegenseitig relativieren und ergänzen.

 

Mehr dazu: Hélène Grémillon: Das geheime Prinzip der Liebe

 


 

 

Katharina Hacker: Der Bademeister

Das Volksbad im Ostberliner Stadtteil Prenzlauer Berg wird nach der Wende wegen Einsturzgefahr geschlossen. Der dadurch arbeitslos gewordene 58-jährige Bademeister, der hier seit seinem 18. Lebensjahr darauf achtete, dass keiner ertrank, kann es nicht fassen, dass alles zu Ende sein soll. Nachdem er drei Wochen ziellos durch die Stadt gelaufen ist, kehrt er heimlich in das Gebäude zurück. Selbstgespräche führend umkreist der beschränkte Mann das leere Schwimmbecken …

 

Katharina Hacker ist es eindrucksvoll gelungen, in dem mäandernden Monolog eine erschütternde Geschichte zu erzählen, ein eindrucksvolles Charakterbild zu zeichnen und eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen. „Der Bademeister“ ist große Literatur.

 

Mehr dazu: Katharina Hacker: Der Bademeister

 


 

 

Dörte Hansen: Mittagsstunde

Am Beispiel des fiktiven Geestdorfes Brinkebüll veranschaulicht Dörte Hansen in ihrem Roman „Mittagsstunde“ den Wandel der Zeiten in dem halben Jahrhundert ab Mitte der Sechzigerjahre. Was sich hier in Nordfriesland abspielt, könnte ähnlich auch in anderen Gegenden geschehen sein. „Mittagsstunde“ dreht sich um die Familie Feddersen, und vieles wird aus der Sicht des 1966 geborenen Enkels Ingwer erzählt, der inzwischen Ende 40 ist und in Kiel Archäologie doziert. Aber es gibt noch eine ganze Reihe farbiger Nebenfiguren …

 

Dörte Hansen verklärt das Landleben nicht; sie entwirft keine Idylle, sondern beobachtet die Menschen während des Strukturwandels im Mikrokosmos eines nordfriesischen Dorfs sehr genau und warmherzig, ohne Pathos, Nostalgie oder Sentimentalität. „Mittagsstunde“ liest sich trotz des Tiefgangs ganz leicht. Und die ebenso unterhaltsame wie bewegende Geschichte klingt lange nach.

 

Mehr dazu: Dörte Hansen: Mittagsstunde

 


 

 

Maarten ΄t Hart: Der Nachtstimmer

Gabriel Pottjewijd soll eine Kirchenorgel nachstimmen. Wegen des tagsüber störenden Lärms wird er zum „Nachtstimmer“. Der nicht besonders lebenstüchtige Sonderling gerät an eine ebenso schöne wie resolute und selbstbewusste Brasilianerin, die sich um ihre autistische Tochter sorgt. Alle halten Lanna für geistig behindert, aber der Orgelstimmer hat noch keine bessere Assistentin gehabt …

 

Verschroben wie der „Nachtstimmer“ ist auch der ganze Roman. Mit großem Einfallsreichtum und überbordender Fabulierlaune entwickelt Maarten ΄t Hart eine originelle, skurrile und urkomische Geschichte. Experimente mit modernen stilistischen Möglichkeiten sind nicht seine Sache. Ein Sahnehäubchen setzt Maarten ΄t Hart dem Roman „Der Nachtstimmer“ mit der Schlusspointe auf.

 

Mehr dazu: Maarten ΄t Hart: Der Nachtstimmer

 


 

 

Josef Haslinger: Opernball

Eine rechtsradikale Terrororganisation tötet Tausende von Gästen des Wiener Opernballs mit Giftgas. Das Fernsehen, das eigentlich nur prächtige Abendkleider und schwungvolle Walzertänze zeigen wollte, überträgt Szenen des grauenhaften Anschlags. Der Koordinator der Fernsehsendung, der im Aufnahmewagen sitzt, weiß, dass sein Sohn unter den toten Kameraleuten ist. Später versucht er, die Hintergründe des Verbrechens aufzuklären …

 

„Opernball“ ist ein komplexer, vielschichtiger Politthriller von Josef Haslinger, der trotz oder gerade wegen der pseudo-dokumentarischen Form packend und spannend, aber auch brutal und zynisch ist. Bewundernswert ist die Prägnanz der Szenen und die Treffsicherheit der Formulierungen.

 

Mehr dazu: Josef Haslinger: Opernball

 


 

 

Monika Helfer: Die Bagage

Maria, die Großmutter der Autorin, war besonders schön. Schönheit ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts eher ein Fluch als ein Segen, besonders in einem abgelegenen Bergdorf im Bregenzerwald. Da wird Maria von anderen Frauen missgünstig beobachtet, und die Männer malen sich aus, wie es wohl mit Maria wäre. Dann wird die Ausgegrenzte auch noch schwanger, während ihr Ehemann im Krieg ist!

 

In „Die Bagage“, einer meisterhaft gestalteten, eindrucksvollen und feinsinnigen Mischung aus Dorfdrama und Familienroman, rekonstruiert Monika Helfer ihre Familiengeschichte seit dem Ersten Weltkrieg und fokussiert dabei auf ihre Großmutter Maria. Sie versteht es, die Personen lebendig und das Geschehen anschaulich darzustellen.

 

Mehr dazu: Monika Helfer: Die Bagage

 


 

 

Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer

Der alte kubanische Fischer Santiago ist nun schon 84 Tage lang mit seinem Boot hinaus aufs Meer gefahren, ohne auch nur einen einzigen Fisch zu fangen. In den ersten 40 Tagen hatte ihn der Junge Manolin begleitet, aber dann sorgten dessen Eltern dafür, dass ihr Sohn anderen Fischern half, die mehr Glück als Santiago hatten …

 

„Der alte Mann und das Meer“ ist als Parabel des Lebens zu verstehen. Es ist erstaunlich, mit welcher Kraft Ernest Hemingway diese Geschichte in kurzen Sätzen und mit einfachen Worten erzählt.

 

Mehr dazu: Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer

 


 

 

Keigo Higashino: Verdächtige Geliebte

Yasuko Hanaoka lebt mit ihrer Tochter Misato allein in Tokio, seit sie sich von ihrem gewalttätigen Ehemann Shinji Togashi scheiden ließ. Er hört nicht auf, sie zu mobben – bis Misato ihn angreift, er auf sie einschlägt und Yasuko ihn erdrosselt. Der Nachbar Tetsuya Ishigami bietet seine Hilfe an. Obwohl das Gesicht einer kurz darauf gefundenen Leiche zertrümmert ist, ermittelt die Polizei, dass es sich um Togashi handelt und verdächtigt dessen Ex-Frau als Mörderin, kann ihr Alibi jedoch nicht knacken …

 

Wir glauben, die Täter von Anfang an zu kennen. Dass Keigo Higashino uns Leser in „Verdächtige Geliebte“ ebenso täuscht, wie der Protagonist die Polizei, verwundert nicht. Wie er die Puzzle-Teile zu verschiedenen Bildern zusammensetzt, ist intelligent und spannend.

 

Mehr dazu: Keigo Higashino: Verdächtige Geliebte

 


 

 

Patricia Highsmith: Salz und sein Preis

Therese, eine 19-jährige Bühnenbildnerin, die ihren Weg noch nicht gefunden hat, verliebt sich in eine reifere Frau – Carol –, die ihre Gefühle erwidert. Gemeinsam begeben sie sich auf eine wochenlange Reise. Aber Carols Ehemann schickt ihnen einen Privatdetektiv nach, um Beweise für die lesbische Beziehung seiner Frau zu sammeln und ihr mit dieser Begründung im anstehenden Scheidungsprozess das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter entziehen zu lassen.

 

Subtil, sensibel und unsentimental veranschaulicht Patricia Highsmith das Gefühlschaos, in das eine 19-Jährige gestürzt wird, als sie sich ihrer lesbischen Neigungen bewusst wird. Außerdem geht es in „Salz und sein Preis“ um den Preis, den eine reifere Frau für ihre Selbstverwirklichung bezahlen muss.

 

Mehr dazu: Patricia Highsmith: Salz und sein Preis

 


 

 

John Irving: Das Hotel New Hampshire

Nach einer gescheiterten Hotelgründung in New Hampshire versucht Winslow Berry, das Hotel eines Freundes in Wien zum Erfolg zu führen, aber dieser Versuch endet in einer Katastrophe, bei der er erblindet. Als er in New Hampshire einen dritten Anlauf nimmt, täuschen ihm seine inzwischen erwachsenen Kinder den Betrieb eines exklusiven Hotels vor.

 

„Das Hotel New Hampshire“ ist eine vitale, aberwitzige Familiengeschichte, ein Panoptikum skurriler Figuren, die nicht aufs Träumen verzichten wollen. Mit hemmungsloser Fabulierlust vermischt John Irving in diesem fulminanten Roman märchenhafte, ironische, absurde und tragikomische Elemente.

 

Mehr dazu: John Irving: Das Hotel New Hampshire

 


 

 

Kazuo Ishiguro: Alles, was wir geben mussten

Die 31-jährige Betreuerin Kathy H. erinnert sich an Hailsham, wo sie zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen ohne Kontakt zur Außenwelt aufwuchs. Die Aufseherinnen hielten sie dazu an, auf ihre Gesundheit zu achten. Sie trieben viel Sport, und kreative Tätigkeiten wie Zeichnen standen im Lehrplan ganz oben. Kathys Freunde von damals – Ruth und Tommy – schlossen inzwischen ab

 

Kazuo Ishiguro entwickelt eine beunruhigende Zukunftsvision über den Missbrauch der Gentechnologie. „Alles, was wir geben mussten“ ist ein bewegender und sehr poetischer Roman auf hohem Niveau.

 

Mehr dazu: Kazuo Ishiguro: Alles, was wir geben mussten

 


 

 

Else Jerusalem: Der heilige Skarabäus

„Der heilige Skarabäus“ handelt von Prostitution und Mutterschaft. Else Jerusalem verfolgt den Aufstieg und Niedergang des Wiener Bordells Rothaus und zugleich die Entwicklung der Haupt­figur Milada, die dort als ungeliebte Tochter der Prostituierten Katerine Režek aufwächst. Während Katerine vom Land in die Stadt zieht und zugrunde geht, gewinnt Milada durch Bildung Selbstbewusstsein, verlässt Wien und gründet in den Bergen ein Kinderheim …

 

„Der heilige Skarabäus“ beginnt als naturalistischer Dirnenroman, wird rasch zum Bildungsroman und endet als gesellschaftskritische Utopie der Feministin Else Jerusalem. Es handelt sich um formal und inhaltlich über­zeugende Literatur auf höchstem Niveau.

 

Mehr dazu: Else Jerusalem: Der heilige Skarabäus

 


 

 

Franz Kafka: Der Prozess

Trotz der Verhaftung an seinem 30. Geburtstag darf sich der Bankprokurist Josef K. frei bewegen. Vergeblich versucht er herauszufinden, wessen er angeklagt wurde und wie er sich rechtfertigen könnte. Ebenso wenig greifbar sind das Gericht und das Gesetz …

 

Franz Kafka tritt in „Der Prozess“ weder als Erzähler noch als Kommentator auf. Was geschieht, erfahren die Leser nur aus der Perspektive der Hauptfigur Josef K.

 

Mehr dazu: Franz Kafka: Der Prozess

 


 

 

Michaela Kastel: Ich bin der Sturm

Nach jahrelanger Zwangsprostitution in einem von ihr „Schlachthaus“ genannten Bordell kann „Madonna“ fliehen. Sie erinnert sich daran, wie ihre Mutter getötet wurde. Damals war sie 13 Jahre alt, strandete im „Funkhaus“, ebenfalls einem Bordell, und träumte von einer gemeinsamen Zukunft mit dem Betreiber „Shark“. Aber der verkaufte sie den Teufeln. Nun sucht sie nach ihm …

 

„Ich bin der Sturm“ ist mehr als ein Thriller und bleibt abseits der in diesem Genre gewohnten Plots. Michaela Kastel überlässt das Wort ihrer Hauptfigur. Aus der verzerrten Sicht dieser traumatisierten, seit der Kindheit grausam missbrauchten jungen Frau erleben wir das düstere Geschehen. Die Darstellung ist so bildhaft und suggestiv, dass beim Lesen ein furioses Kopfkino abläuft.

 

Mehr dazu: Michaela Kastel: Ich bin der Sturm

 


 

 

Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas

Ein belesener Engländer, der ein Bergwerk auf Kreta pachtet, um unter einfachen Menschen ein neues Leben zu beginnen, wird mit archaisch-grausamen Elementen der griechischen Kultur konfrontiert. Der Intellektuelle trifft auf einen ungebildeten, aber lebenserfahrenen Mann mit einem unverfälschten gesunden Menschenverstand.

 

„Alexis Sorbas“ ist ein weiser, tragikomischer, wunderbarer Schelmenroman von Nikos Kazantzakis.

 

Mehr dazu: Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas

 


 

 

Daniel Kehlmann: Lichtspiel

Weil er nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmt werden will, versucht der berühmte Filmregisseur G. W. Pabst 1933/34 einen Neuanfang in den USA, aber er scheitert dort und anschließend auch in Frankreich. Um seine greise Mutter zu besuchen, kehrt er nach Österreich („Ostmark“) zurück, nur für kurze Zeit, glaubt er, aber am 1. September 1939 beginnt Hitler den Krieg gegen Polen, und die Grenzen werden geschlossen …

 

Protagonist des Romans „Lichtspiel“ ist der Filmregisseur G. W. Pabst, aber Daniel Kehlmann kombiniert Fiktion und Tatsachen. Die aus wechselnden Perspektiven wie ein Kinofilm entwickelte tragikomische Groteske dreht sich um Kunst, Macht und Korruption, Mitläufertum und moralische Konflikte. Daniel Kehlmann versteht es, die Figuren durch Dialoge zu charakterisieren und lebendig darzustellen.

 

Mehr dazu: Daniel Kehlmann: Lichtspiel

 


 

 

A. L. Kennedy: Paradies

„Paradies“ ist ein minuziöses, differenziertes und authentisches Psychogramm: In Form eines flow of consciousness veranschaulicht A. L. Kennedy die schlingernden, wabernden Gedanken und Eindrücke, Assoziationen und Erinnerungen einer desorientierten Alkoholikerin.

 

„Paradies“ ist nicht nur inhaltlich, sondern auch formal und sprachlich ein Meisterwerk von A. L. Kennedy. Der Trinkerroman gehört zur großen Literatur.

 

Mehr dazu: A. L. Kennedy: Paradies

 


 

 

Raymond Kennedy: Am Rand der Welt

Jack hat sich in eine abgelegene Hütte in den verschneiten Wäldern Nordamerikas zurückgezogen. Eines Nachts findet er in der Nähe einen nackten, blutig geprügelten Mann. Dick – so heißt er – erholt sich rasch und kommandiert Jack herum. Als Dick in die Stadt will, erklärt Jack sich widerwillig bereit, ihm die Richtung zu zeigen …

 

In der kargen, kraftvollen und poetischen Novelle „Am Rand der Welt“ von Raymond Kennedy erleben wir die Identitätskrise eines sterbenden alten Mannes, der bei der Frage „Wer bist du überhaupt?“ erschrickt.

 

Mehr dazu: Raymond Kennedy: Am Rand der Welt

 


 

 

Imre Kertész: Liquidation

Im Frühling 1999 sucht ein im Innersten verunsicherter ungarischer Lektor nach einem Romanmanuskript eines Autors, der sich 1990 das Leben nahm. Er weiß nichts über das Manuskript, ist jedoch überzeugt, dass es geschrieben wurde und erhofft sich von der Lektüre Orientierung für sein eigenes Leben.

 

„Liquidation“ ist ein kluger, kunstvoller Roman von Imre Kertész über die Verstörung durch den eigentlich unbegreiflichen Holocaust.

 

Mehr dazu: Imre Kertész: Liquidation

 


 

 

Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras

Die Menschen sind aus der Bahn geworfen, jagen einem besseren Leben hinterher, gieren nach Geld und Genuss, suchen Liebe oder Ruhm. Sie sind existenziell verunsichert, hoffnungslos, auf der Flucht vor sich selbst, nicht in der Lage, die Lebensangst zu überwinden, unfähig zur Besinnung. Man spielt ihnen böse mit. Wie „Tauben im Gras“ wimmeln sie durcheinander.

 

In mehr als 100 kurzen und längeren Abschnitten fängt Wolfgang Koeppen wie mit einer Kamera aus unterschiedlichen Perspektiven Szenen ein, die sich bald nach dem Zweiten Weltkrieg an einem einzigen Tag in einer deutschen Stadt abspielen: „Tauben im Gras“.

 

Mehr dazu: Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras

 


 

 

Steffen Kopetzky: Monschau

1962 gibt es in Monschau einen Pocken-Ausbruch. Das Virus wurde von einem Ingenieur der Rither-Werke aus Indien eingeschleppt, aber eine Schließung des Betriebs hätte verheerende Auswirkungen. In dem von der Landesregierung zur Seuchenbekämpfen nach Monschau entsandten Arzt erkennt der Chauffeur des langjährigen Firmendirektors einen im Februar 1945 zum Tod verurteilten Truppenarzt …

 

Zwar ist die mitreißende Geschichte, die Steffen Kopetzky in seinem Roman „Monschau“ erzählt, fiktiv, aber vieles darin basiert auf Tatsachen. Es gelingt ihm, eine Fülle von Informationen in die Handlung zu packen, ohne das flotte Tempo zu drosseln. Lebendig und anschaulich inszeniert er das Geschehen. Damit bietet er ein besonderes Lesevergnügen.

 

Mehr dazu: Steffen Kopetzky: Monschau

 


 

 

Helmut Krausser: Der große Bagarozy

Am Schreibtisch der Psychotherapeutin Cora Dulz sitzt ein Mann, der erzählt, wie ihm Maria erschienen ist – nicht die Mutter Gottes, sondern die 1977 verstorbene Maria Callas. Cora nimmt zunächst an, sie habe es wieder einmal mit einem ziemlich hoffnungslosen Fall zu tun und hört nur halb zu. Aber der Mann mit den leuchtenden, beinahe lilafarbenen Augen fasziniert sie …

 

Aus einer witzigen Idee und einem kuriosen Plot machte Helmut Krausser einen furiosen, sehr unterhaltsamen Roman mit verblüffenden Wendungen und funkelnden Dialogen: „Der große Bagarozy“.

 

Mehr dazu: Helmut Krausser: Der große Bagarozy

 


 

 

Agota Kristof: Das große Heft

Zwei zu Beginn der Handlung neunjährige Jungen, Zwillinge, sind die Protagonisten des Antikriegsromans „Das große Heft“. Wegen des Krieges werden sie zur verwahrlosten Großmutter gebracht, die ihre Enkel jedoch ausbeutet. Ohne Vorbild oder Anleitung entwickeln sie ihre eigenen Moralbegriffe. Um zu überleben, härten sie sich physisch und psychisch ab. Sie üben das Ertragen von Schmerzen ebenso wie das gefühllose Töten …

 

Die Darstellung ist auf ein Minimum beschränkt. Die Sätze sind kurz, schlicht und gefühlskalt. Gerade diese Lakonie macht den Antikriegsroman „Das große Heft“ von Agota Kristof zu einer erschütternden Lektüre.

 

Mehr dazu: Agota Kristof: Das große Heft

 


 

 

Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Seit die Ehe des Prager Gehirnchirurgen Tomas vor zehn Jahren geschieden wurde, ist er ein überzeugter Junggeselle, der zwar mit vielen Frauen schläft, aber keine bei sich übernachten lässt. In einer 200 km von Prag entfernten Kleinstadt fällt ihm eine junge Frau auf. Sie heißt Teresa und arbeitet als Bedienung. Zehn Tage später steht sie vor der Tür seiner Wohnung in Prag. …

 

Der kunstvolle Aufbau des Romans, die bewegende Geschichte der beiden komplementären Liebespaare, die Bilder von der Unterdrückung der Freiheit durch sowjetische Panzer und die geistvollen Essays über Politik und Philosophie fügen sich zu einem vielschichtigen literarischen Werk.

 

Mehr dazu: Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

 


 

 

Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos: Gefährliche Liebschaften

Die Marquise de Merteuil versteht es, trotz ihrer Intrigen und Affären ihren guten Ruf zu wahren. Der Vicomte de Valmont soll ihr bei einem Racheplan gegen einen ehemaligen Liebhaber helfen und dessen Braut entehren. Valmont hat sich jedoch erst einmal vorgenommen, die fromme und sittenstrenge Madame de Tourvel ins Bett zu kriegen. Ohne es zu merken, wird der von seiner Eitelkeit getriebene skrupellose Frauenheld von der perfiden, im Gegensatz zu ihm kühl und klug agierenden Marquise am Gängelband geführt.

 

Der Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos ist eine meisterhafte Satire über die Verderbtheit der aristokratischen Gesellschaft des Ancien Régime. Obwohl das Buch mehr als 240 Jahre alt ist, wirkt es kein bisschen verstaubt. Dafür sorgt der Autor mit Witz, Ironie und Suspense, Esprit, Raffinesse und Einfallsreichtum.

 

Mehr dazu: Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos: Gefährliche Liebschaften

 


 

 

Saskia Hennig von Lange: Hier beginnt der Wald

Ein einsamer LKW-Fahrer ist auf der Flucht vor seinem noch ungeborenen Kind. Dass seine Frau schwanger ist, hat ihn verstört. Er will kein Kind. Immer wieder erinnert er sich an seine Mutter und Szenen aus der Kindheit. Das Leben verwirrt und überfordert ihn. Nach einem Sturz auf einem Rastplatz und einem Verkehrsunfall driftet seine Wahrnehmung immer weiter von der Realität weg. Im Wald glaubt er, einen Jungen retten zu müssen, aber vielleicht findet das alles nur in seiner Vorstellung statt …

 

Mit ungewöhnlicher Nähe und Genauigkeit folgt Saskia Hennig von Lange in ihrem Roman „Hier beginnt der Wald“ der Wahrnehmung des verstörten Protagonisten, seinen Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen. Das ist große, eindrucksvolle Literatur.

 

Mehr dazu: Saskia Hennig von Lange: Hier beginnt der Wald

 


 

 

Stanislaw Lem: Solaris

Als der Psychologe Kris Kelvin auf der Raumstation eintrifft, die zu Forschungszwecken um den fernen Planeten Solaris kreist, findet er zwei überlebende Besatzungsmitglieder vor, die verstört wirken und offenbar Angst haben. Plötzlich glaubt Kris, seine Ehefrau Hari wahrzunehmen. Aber das kann nicht sein, denn sie nahm sich vor zehn Jahren das Leben! …

 

Mit trivialen Science-Fiction-Romanen hat „Solaris“ nichts gemeinsam. Stanislaw Lem verwendet das Genre, um erkenntnistheoretische Fragen in eine spannende Geschichte kleiden zu können.

 

Mehr dazu: Stanislaw Lem: Solaris

 


 

 

Charles Lewinsky: Gerron

Im Sommer 1944 muss der frühere Regisseur und Schauspieler Kurt Gerron als Gefangener in Theresienstadt einen verlogenen Propagandafilm drehen. Während er das tut, erinnert er sich an seine Kindheit in Berlin, die Erlebnisse im Ersten Weltkrieg, die erfolgreiche Künstlerkarriere und die Emigration, denn er versucht herauszufinden, wer er hinter all den Rollen ist, die er spielte und noch spielt. Für die Leser setzt sich daraus auch ein Panorama der Zeit vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg zusammen …

 

In dem eindrucksvollen Roman „Gerron“ lässt Charles Lewinsky den Protagonisten zu Wort kommen. Dabei reiben sich die sprachliche Brillanz und die auf Pointen zielende Erzählweise des Kabarettisten, der Sarkasmus des desillusionierten Lagerhäftlings und die realistische Inszenierung der Kriegs- und Lagerszenen. Ein Meisterwerk!

 

Mehr dazu: Charles Lewinsky: Gerron

 


 

 

Malcolm Lowry: Unter dem Vulkan

Am Tag der Toten im November 1938 kehrt die 30-jährige naive ehemalige Filmschauspielerin Yvonne zu ihrem geschiedenen Mann Geoffrey Firmin in die mexikanische Kleinstadt Quauhnahuac zurück. Obwohl der britische Konsul, der seinen Dienst inzwischen quittierte, Yvonne immer noch liebt, schafft er es nicht, seine durch den Alkoholismus hervorgerufene Isolation zu überwinden.

 

Die zunehmende Trunkenheit und der Verfall des ehemaligen Konsuls symbolisiert die Situation der Welt. Der großartige Erzähler Malcolm Lowry lässt den Leser die eigentliche – sich in den Köpfen der Protagonisten abspielende – Handlung intensiv miterleben. „Unter dem Vulkan“ ist einer der ganz großen Romane.

 

Mehr dazu: Malcolm Lowry: Unter dem Vulkan

 


 

 

Andreas Maier: Wäldchestag

Der 71-jährige Eigenbrötler Sebastian Adomeit wird am Freitag vor Pfingsten von seiner Haushälterin in seinem Geburtshaus in einer Kleinstadt in der Wetterau tot aufgefunden. Die Beerdigung findet am Pfingstsonntag statt. Die angereisten Verwandten und die Neugierigen, die auf die Testamentseröffnung warten, müssen sich bis zum Wäldchestag gedulden …

 

Ein Haufen zum Teil betrunkener Kleinstädter reden übereinander und darüber, was sie von anderen über wieder andere gehört haben wollen. Gerade die Banalität, die Gewöhnlichkeit der Gespräche ist erschreckend, weil sich dahinter der Wahnsinn des Alltäglichen zeigt. „Wäldchestag“ ist Milieustudie und Provinzposse zugleich.

 

Mehr dazu: Andreas Maier: Wäldchestag

 


 

 

Klaus Mann: Mephisto

Der ehrgeizige Schauspieler Hendrik Höfgen ist im Grunde kein schlechter Mensch, aber sein maßloser Ehrgeiz verleitet ihn dazu, potenzielle Förderer verlogen zu umschmeicheln, seine politischen Ideale zu verraten und sich mit führenden Nationalsozialisten zu arrangieren. Zu spät erkennt er, dass der Preis dafür sein Identitätsverlust ist.

 

„Mephisto“ ist ein außergewöhnlich vielschichtiges Porträt eines Karrieristen. In seiner tiefschürfenden psychologischen Analyse zeigt Klaus Mann die Charakterzüge und die persönliche Entwicklung des Protagonisten. Formal und thematisch ist „Mephisto“ ein großer Roman.

 

Mehr dazu: Klaus Mann: Mephisto

 


 

 

Javier Marías: Mein Herz so weiß

Gleich zu Beginn bringt sich eine junge Frau um. Erst ganz zum Schluss erfahren wir den Grund. Aber „Mein Herz so weiß“ ist kein Kriminalroman; Javier Marías bietet den Leserinnen und Lesern keine aktionsreiche Handlung, sondern sinnt stattdessen schwermütig-pessimistisch über die Ehe nach.

 

Aus Überlegungen und Erinnerungen an zurückliegende Ereignisse, die das Thema wiederholen, variieren und kontrapunktieren, komponiert Javier Marías auf geniale Weise den Roman „Mein Herz so weiß“, der weniger Erzählung als grandiose Poesie ist.

 

Mehr dazu: Javier Marías: Mein Herz so weiß

 


 

 

Ian McEwan: Der Zementgarten

Der Vater wollte den ordentlichen Garten zubetonieren, weil er ihn nicht mehr pflegen konnte. Als er einem Herzinfarkt erliegt und die Mutter im Jahr darauf an einer Krebserkrankung stirbt, bleiben die vier Kinder allein. Ihre Verstörung korrespondiert mit der zunehmenden Verwahrlosung im Haus, und ihre Verwilderung mit dem Wuchern des Unkrauts im Garten.

 

Mit seinem Debütroman „Der Zementgarten“ präsentiert Ian McEwan eine einfühlsame Elegie über die Adoleszenz, eine beklemmende, subtile und zugleich groteske psychologische Studie über vier verwaiste Kinder zwischen sechs und siebzehn in einer Ausnahmesituation.

 

Mehr dazu: Ian McEwan: Der Zementgarten

 


 

 

Fernanda Melchor: Paradais

Abend für Abend betrinken sich zwei mexikanische Jungen auf einem Bootssteg über dem schlammigen Fluss Jamapa. Franco lebt mit seinen Großeltern in der bewachten Wohnanlage, in der Polo den Dreck der Reichen wegräumen muss. Polo hält die Absicht des Dicken, mit Señora de Maroño zu schlafen, zunächst für ein Hirngespinst, aber daraus entwickelt sich eine todbringende Fantasie …

 

Der Roman „Paradais“ dreht sich um eine von Klassengegensätzen und Kriminellen geprägte Gesellschaft. Fernanda Melchor erzählt konsequent aus der Perspektive eines unterprivilegierten mexikanischen Jungen, und es gelingt ihr, nicht nur seinen widersprüchlichen Charakter intensiv auszuleuchten, sondern auch eine tiefgründige, vielschichtige und gewaltige Geschichte zu entfalten.

 

Mehr dazu: Fernanda Melchor: Paradais

 


 

 

Anna Mitgutsch: Abschied von Jerusalem

Hildegard wuchs in einer österreichischen Familie auf, die ihre jüdischen Wurzeln verleugnete. Sie dagegen konvertierte zum Judentum und nennt sich seither Dvorah. Inzwischen hat sie mehrere Freunde in Jerusalem. Auch in diesem Jahr verbringt sie die Ferien dort – und verliebt sich in einen zwanzig Jahre jüngeren Mann, der sich als Armenier ausgibt. Das ist allerdings nicht sehr glaubhaft. Handelt es sich um einen palästinensischen Terroristen?

 

„Abschied von Jerusalem“ ist ein kluger, nachdenklicher, sensibler und fesselnder Roman. Anna Mitgutsch überzeugt inhaltlich, formal und sprachlich. Obwohl das Buch an keiner Stelle ambitioniert wirkt, handelt es sich um große Literatur.

 

Mehr dazu: Anna Mitgutsch: Abschied von Jerusalem

 


 

 

Patrick Modiano: Place de l’Étoile

Patrick Modiano wirbelt uns in „Place de l’Étoile“ durch die fiktive Biografie des französischen Juden Raphaël Schlemilovitch, der Orte und Zeiten von einem Augenblick zum anderen wechselt als wäre er der „ewige Jude“. Ein Großteil der kaleidoskop­artigen Handlung spielt während der Besatzung Frankreichs. Schlemilovitch ist Dandy und Milliardenerbe, Kollaborateur der Nationalsozialisten, Zuhälter und Mädchen­händler, Häftling in einem israelischen Straf­kibbuz und mit Hitlers Billigung Geliebter von Eva Braun auf dem Obersalzberg …

 

„Place de l’Étoile“ ist sarkastische Parodie, tolldreiste Persiflage und facettenreiche Travestie, ein furioser, expressionistischer, einfallsreicher und virtuoser Roman, den Patrick Modiano mit Anspielungen gespickt hat.

 

Mehr dazu: Patrick Modiano: Place de l’Étoile

 


 

 

Margriet de Moor: Die Verabredung

Vincent Lukas ist vierzig, glücklich verheiratet und Vater einer Tochter. Zufällig findet er einen Taschenkalender. Arglos und unachtsam blättert er darin, bis er seinen eigenen Namen liest und feststellt, dass die Besitzerin in drei Wochen einen Termin in seiner Tierarztpraxis hat. Obwohl er die Frau nicht kennt, denkt er an kaum noch etwas anderes …

 

Margriet de Moor erzählt die Geschichte einer obsessiven Beziehung nicht chronologisch, sondern sie schichtet verschiedene Zeitebenen übereinander und springt im zweiten Teil häufig zwischen ihnen hin und her. „Die Verabredung“ ist ein poetischer Roman in einer geschliffenen Sprache.

 

Mehr dazu: Margriet de Moor: Die Verabredung

 


 

 

Toni Morrison: Jazz

Gleich im ersten Absatz des Romans „Jazz“ erfahren wir, dass ein älterer Mann einer 18-Jährigen verfiel und sie erschoss. Bei der Beerdigung versuchte die Frau des Täters dem Mädchen das Gesicht zu zerschneiden …

 

Der Roman „Jazz“ von Toni Morrison beginnt wie eine Exposition in der Musik. Und wie beim Jazz ist alles Folgende eine Bearbeitung des mehrmals wiederholten Themas. Zunächst nur angedeutete Einzelheiten werden nach und nach ausführlicher beschrieben, Nuancen und Details hinzugefügt …

 

Mehr dazu: Toni Morrison: Jazz

 


 

 

Harry Mulisch: Die Entdeckung des Himmels

Weil sich kaum noch jemand an die Zehn Gebote hält, kündigt Gott den mit Moses geschlossenen Bund auf und will, dass die längst vergessenen Gesetzestafeln als Testimonium beseitigt werden. Damit der menschliche Vollstrecker des göttlichen Willens gezeugt wird, führt ein Engel scheinbar zufällig drei sehr verschiedene Menschen zusammen …

 

„Die Entdeckung des Himmels“ ist ein elegant geschriebener, kunst- und fantasievoll komponierter, teils ernster, teils grotesker Roman, eine unterhaltsame und geistig anregende Mischung aus den Genres Bildungs-, Liebes-, Abenteuer- und Kriminalroman.

 

Mehr dazu: Harry Mulisch: Die Entdeckung des Himmels

 


 

 

Michela Murgia: Accabadora

Weil ihre verwitwete Mutter nicht weiß, wie sie vier Töchter ernähren soll, überlässt sie Maria, die Jüngste, der kinderlosen Schneiderin Bonaria Urrai, die im selben sardischen Dorf lebt. Maria merkt, dass Bonaria hin und wieder nachts fortgerufen wird, aber erst als ihr Freund Andría Bastíu behauptet, Bonaria habe seinen älteren Bruder umgebracht, ahnt sie, was es mit den nächtlichen Ausgängen ihrer Pflegemutter auf sich hat …

 

Michela Murgia räsoniert nicht, sondern inszeniert in einer wortkargen, vitalen Sprache eine packende Geschichte, die in einer archaischen Umgebung spielt. „Accabadora“ ist eine Perle anspruchsvoller Literatur.

 

Mehr dazu: Michela Murgia: Accabadora

 


 

 

Cees Nooteboom: Die folgende Geschichte

„Meine eigene Person hat mich nie sonderlich interessiert, doch das hieß nicht, dass ich auf Wunsch einfach hätte aufhören können, über mich nachzudenken ‒ leider nicht. Und an jenem Morgen hatte ich etwas zum Nachdenken, soviel ist sicher.“

 

Mit Hilfe einer kunstvollen Komposition veranschaulicht Cees Nooteboom in der Novelle „Die folgende Geschichte“, wie das Bewusstsein durch einen unendlichen Strom von Gedanken und Erinnerungen die Schwelle des Todes verschleiert.

 

Mehr dazu: Cees Nooteboom: Die folgende Geschichte

 


 

 

Michael Ondaatje: Der englische Patient

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs pflegt die 20-jährige kanadische Krankenschwester Hana in einem zerbombten toskanischen Kloster einen Patienten, der beim Absturz mit seinem Flugzeug so schwere Verbrennungen erlitt, dass sein Leben nicht zu retten ist. Während er regungslos auf dem Bett liegt, erinnert er sich bruchstückhaft an die Geschichte seiner leidenschaftlichen Liebe zu der Frau eines anderen …

 

Bei „Der englische Patient“ handelt es sich um einen teilweise authentischen Roman über das Schicksal des Wüstenforschers Graf Ladislaus Almásy, eine großartige Geschichte über eine tragische Liebe, vier im Krieg teils körperlich, teils psychisch verletzte Menschen in einer zerbombten Villa und das Entsetzen eines Asiaten über die Zündung der Atombombe über Hiroshima.

 

Mehr dazu: Michael Ondaatje: Der englische Patient

 


 

 

Albert Ostermaier: Zephyr

Gilles schreibt an einem Drehbuch über Marie Trintignant und Bertrand Cantat. Der Rocksänger hatte die Schauspielerin 2003 zu Dreharbeiten nach Vilnius begleitet und dort im Streit erschlagen. Gilles, der mit seiner Frau Cathy an die Côte d’Azur gefahren ist und dort ein Haus gemietet hat, fällt es immer schwerer, zwischen dem entstehenden Drehbuch und der Wirklichkeit, zwischen Vorstellung und Wahrnehmung zu unterscheiden …

 

Albert Ostermaier ist kein Romancier, sondern ein Dichter und virtuoser Sprachkünstler: „Zephyr“ ist eine poetische Komposition, in der Form und Inhalt einander entsprechen.

 

Mehr dazu: Albert Ostermaier: Zephyr

 


 

 

Emmanuelle Pagano: Die Haarschublade

Mit 15 wird die Tochter eines Dorfgendarms zum ersten Mal schwanger. Sie verheimlicht es, bis die Schmerzen sie zwingen, sich ins Krankenhaus fahren zu lassen. Um den dringend erforderlichen Kaiserschnitt machen zu dürfen, benötigen die Ärzte die Einwilligung der nichts ahnenden Eltern. Widerstrebend nennt das Mädchen die Telefonnummer. Es ist bereits zu spät: Der Sauerstoffmangel hat das Gehirn des Kindes geschädigt …

 

Obwohl es keine Handlung im eigentlichen Sinn gibt und Emmanuelle Pagano die Darstellung auch formal auf ein Minimum reduziert hat, ist „Die Haarschublade“ ein subtil komponiertes, tief berührendes Buch.

 

Mehr dazu: Emmanuelle Pagano: Die Haarschublade

 


 

 

Orhan Pamuk: Schnee

Der 1950 in Istanbul geborene Lyriker Ka war nach dem Militärputsch 1980 ins Exil gegangen und lebte seither in Frankfurt/M. 1992 kehrt er erstmals wieder nach Istanbul zurück und reist von dort weiter nach Kars, wo junge Frauen sich das Leben nehmen, angeblich, weil sie es nicht ertragen, dass sie ihre vom Koran vorgeschriebenen Kopftücher in öffentlichen Einrichtungen wie der Hochschule abnehmen müssen …

 

„Schnee“ ist ein atmosphärisch dichter, komplexer, fesselnder und intelligenter Roman, in dem Orhan Pamuk schildert, wie die türkische Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Islam und Verwestlichung, Tradition und Moderne eine neue Identität sucht.

 

Mehr dazu: Orhan Pamuk: Schnee

 


 

 

Judith Perrignon: Kümmernisse

Die 22-jährige Helena Danec verliebt sich in einen Jazz-Musiker. Als er Frankreich ohne sie verlassen will und ein Juweliergeschäft in Paris überfällt, um sich das erforderliche Geld zu besorgen, beteiligt sie sich gegen seinen Willen an dem Raubüberfall. Dafür wird sie zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ihm gelingt die Flucht. Helena bringt im Gefängnis eine Tochter zur Welt, die von der Großmutter aufgezogen wird. Die aus der Bahn geworfene junge Frau will weder von ihrer Mutter noch von ihrer Tochter etwas wissen …

 

„Kümmernisse“ ist nicht nur ein berührender und atmosphärisch dichter, sondern auch ein formal überzeugender Roman. Judith Perrignon hat ihn aus mehreren Stimmen kunstvoll komponiert.

 

Mehr dazu: Judith Perrignon: Kümmernisse

 


 

 

Sylvia Plath: Die Glasglocke

Die 19-jährige Schülerin Esther Greenwood ist an Erfolge gewöhnt und hat ein Stipendium für eine der großen Universitäten an der Ostküste in Aussicht. Da fällt ihr auf, dass sie seit ihrem neunten Lebensjahr nicht mehr glücklich war. Schleichend verfällt sie einer Depression. Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch wird sie in eine Nervenheilanstalt eingewiesen.

 

In ihrem einzigen Roman erforscht die amerikanische Lyrikerin Sylvia Plath nicht die Ursachen der Depression, unter der ihre Protagonistin zu leiden beginnt, sondern sie beschreibt den Krankheitsverlauf, und zwar auf eine außergewöhnlich anschauliche, beklemmende Weise.

 

Mehr dazu: Sylvia Plath: Die Glasglocke

 


 

 

Richard Powers: Der Klang der Zeit

Ein immigrierter jüdischer Physiker und eine afroamerikanische Arzttochter heiraten und gründen in New York eine Familie. Sie erziehen ihre Kinder, als ob es keine Rassendiskriminierung in den USA gäbe. Ihr ältester Sohn entwickelt sich zu einem international gefeierten Tenor; der jüngere begleitet ihn am Klavier. Die Tochter lässt sich jedoch vom Erfolg ihrer Brüder nicht blenden und schließt sich den Black Panthers an.

 

Der grandiose Roman „Der Klang der Zeit“ von Richard Powers zeichnet sich nicht nur durch eine Fülle von Einfällen und Gedanken sowie Witz und Humor aus, sondern auch durch gut geführte Dialoge und farbige, packende Szenen.

 

Mehr dazu: Richard Powers: Der Klang der Zeit

 


 

 

Sven Regener: Neue Vahr Süd

Frank Lehmann wird im Herbst 1980 einundzwanzig Jahre alt, hat gerade eine Lehre als Speditionskaufmann abgeschlossen und wohnt noch bei seinen Eltern in dem Bremer Neubauviertel Neue Vahr Süd. Weil er es versäumt hat, den Wehrdienst zu verweigern, muss er zur Bundeswehr. An seinem ersten freien Wochenende überwirft er sich mit seinen Eltern und zieht in die Wohngemeinschaft von ein paar kommunistischen Freunden …

 

In „Neue Vahr Süd“ erzählt Sven Regener die Vorgeschichte zu seinem Debütroman „Herr Lehmann“. Das Besondere daran sind die alltäglich-absurden Dialoge, mit denen Sven Regener die Figuren charakterisiert, seine außergewöhnliche Beobachtungsgabe beweist und für viel Vergnügen beim Lesen sorgt.

 

Mehr dazu: Sven Regener: Neue Vahr Süd

 


 

 

Philip Roth: Der menschliche Makel

Der siebzigjährige Literaturprofessor Coleman Silk wird Opfer einer heuchlerischen Hexenjagd. Niemand ahnt, wie absurd der Vorwurf ist, er habe sich rassistisch gegen Schwarze geäußert, denn der Mann, den alle für einen Juden halten, ist in Wirklichkeit ein besonders hellhäutiger Afroamerikaner …

 

Der vielschichtige, weit verzweigte und meisterhafte Roman von Philip Roth konfrontiert uns mit der „Tyrannei der Schicklichkeit“, mit dem Verlangen nach persönlicher Freiheit, einer Freiheit auch von der eigenen Vergangenheit in Form der Herkunft oder eines Traumas: „Der menschliche Makel“.

 

Mehr dazu: Philip Roth: Der menschliche Makel

 


 

 

Salman Rushdie: Harun und das Meer der Geschichten

Raschid Khalifa ist ein fantasievoller Geschichtenerzähler, aber als ihn seine Frau verlässt, fällt ihm nichts mehr ein. Der Erzählwasserhahn wird ihm abmontiert. Um dagegen etwas zu unternehmen, fliegt sein Sohn Harun auf einem künstlichen Wiedehopf zum Mond Kahani, auf dem sich das Meer der Geschichten befindet. Dort hat Khattam-Shud, der Feind der Geschichten, damit begonnen, den Urquell der Erzählströme zu verstopfen …

 

„Harun und das Meer der Geschichten“ ist ein ideenreiches, kluges, lustiges und mit viel Liebe zum Detail erzähltes Märchen voller Abenteuer. Salman Rushdie ruft damit auch zum Widerstand gegen despotische Regime auf.

 

Mehr dazu: Salman Rushdie: Harun und das Meer der Geschichten

 


 

 

Françoise Sagan: Bonjour tristesse

Raymonds Ehefrau starb vor 15 Jahren. Der charmante, großzügige und gut aussehende 40-Jährige ist „immer begierig nach neuen Erlebnissen und schnell ihrer überdrüssig“. Seine 17-jährige Tochter liebt das unbeschwerte Leben an seiner Seite und wehrt sich, als sie glaubt, es sei durch eine verantwortungsbewusste Frau bedroht …

 

Die von Françoise Sagan mit leichter Hand geschriebene Geschichte vermittelt eine ganz besondere Atmosphäre, in der sich das Lebensgefühl einer dem Existenzialismus nahestehenden Jugend ausdrückt: „Bonjour tristesse“.

 

Mehr dazu: Françoise Sagan: Bonjour tristesse

 


 

 

Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz

Der Erzähler muss mit seinem Flugzeug mitten in der Sahara notlanden, „tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend entfernt“. Da begegnet er einem seltsamen Jungen, der ihm verrät, er sei ein Prinz von einem kleinen Stern …

 

Mit „Der kleine Prinz“ hinterließ Antoine de Saint-Exupéry ein zauberhaftes und wunderbar erzähltes Märchen.

 

Mehr dazu: Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz

 


 

 

Ángeles Saura: Der Zweifel

Brunhild Cornelius Björnsrom behauptet, eines der bedeutendsten Werke des spanischen Barockmalers Francisco Meltán stamme nicht von ihm, sondern von einer Neapolitanerin. Da kann Don César Rinconeda, der 66 Jahre seines Leben der Wiederentdeckung Meltáns widmete, nicht untätig bleiben …

 

Weitaus das meiste erfahren wir aus einem mäandernden inneren Monolog des Protagonisten. „Der Zweifel“ ist ein witziger, furioser, giftig funkelnder Roman voller Esprit von Ángeles Saura.

 

Mehr dazu: Ángeles Saura: Der Zweifel

 


 

 

Regina Scheer: Machandel

Ein kunstvoll geknüpftes Gewebe von mit großer Empathie farbig dargestellten Einzelschicksalen veranschaulicht Entwicklungslinien der Zeitgeschichte von den 30er- bis zu den 90er-Jahren, vom NS- bis zum DDR-Regime, vom Zweiten Weltkrieg bis zur Wiedervereinigung. Die einzelnen Handlungsfäden verknüpfen sich in dem (fiktiven) Dorf Machandel bei Güstrow.

 

Regina Scheer hat mit ihrem großen Roman „Machandel“ eine fünfstimmige poetische Komposition geschaffen. Abwechselnd treten fünf Figuren auf, die mitreißend und eindrucksvoll nicht nur von ihren eigenen, sondern auch von anderen Schicksalen erzählen. Trotz der Komplexität lässt sich „Machandel“ leicht lesen. Das ist Literatur auf hohem Niveau.

 

Mehr dazu: Regina Scheer: Machandel

 


 

 

Andrea Maria Schenkel: Tannöd

In der Einöde Tannöd wundert man sich, weil auf dem Danner-Hof seit Tagen niemand zu sehen ist. Drei Männer, die schließlich nachschauen, stoßen auf sechs Leichen. Der Pfarrer und seine Köchin, der Lehrer, der Postbote, die Krämerin und andere Bewohner von Tannöd werden vernommen. „Eigenbrötler waren das alles, besonders der Alte war kein guter Mensch“, heißt es.

 

„Tannöd“ ist eine gelungene, formal eigenständige und erstaunlich stilsichere Mischung aus Heimat- und Kriminalroman. Andrea Maria Schenkel evoziert von Anfang an eine dichte, unheimliche Atmosphäre, baut Spannung auf und stellt das nur vordergründig idyllische Milieu überzeugend dar.

 

Mehr dazu: Andrea Maria Schenkel: Tannöd

 


 

 

Eric-Emmanuel Schmitt: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Ein Elfjähriger, der jeden Tag für sich und seinen Vater das Abendessen zubereiten muss, kauft die Zutaten in dem kleinen Geschäft von Monsieur Ibrahim ein. Allmählich entwickelt sich zwischen dem jungen Pariser Juden und dem lebensweisen alten Muslim aus der Türkei eine enge Freundschaft …

 

„Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ ist eine von Eric-Emmanuel Schmitt mit zurückhaltendem Humor erzählte, inhaltlich und formal gelungene Parabel über gegenseitiges Verständnis, das sich ungeachtet von Religion und Altersunterschied entwickelt.

 

Mehr dazu: Eric-Emmanuel Schmitt: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

 


 

 

Arthur Schnitzler: Traumnovelle

Verstört durch die Entdeckung, dass auch seine Ehefrau nicht frei von unterdrückten Sehnsüchten ist und ihre Beziehung durchaus von Dritten gefährdet werden könnte, verlässt ein Wiener Arzt sein Haus und eilt zu einem Patienten. Unversehens gerät er in eine aggressive Stimmung gegen seine Frau, die auch eine erotische Komponente hat …

 

Obwohl Arthur Schnitzler eher sachlich und distanziert schreibt, veranschaulicht er sehr genau sowohl die Motive als auch die psychologische Entwicklung des Protagonisten, und es gelingt ihm zugleich, der „Traumnovelle“ eine geheimnisvolle, teilweise surreale Atmosphäre zu geben.

 

Mehr dazu: Arthur Schnitzler: Traumnovelle

 


 

 

Frank Schulz: Kolks blonde Bräute

Nach zwölf Jahren besucht Bodo Morten erstmals wieder Alfred Kolk, mit dem er schon befreundet war, als sie noch Kinder waren. Sie erinnern sich an die regelmäßigen Skatabende in einer Hamburger Kneipe, mit denen sie vor dreizehn Jahren aufhörten, weil Kolk immer häufiger so besoffen war, dass er beim Spiel völlig versagt hatte.

 

Der Roman „Kolks blonde Bräute“ besteht fast ausschließlich aus den Kneipengespräche einiger Saufkumpane. Aber aus diesem belanglosen Material hat Frank Schulz eine urkomische und aberwitzige Satire gemacht.

 

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Robert Seethaler: Der Trafikant

1937 schickt Frau Huchel ihren 17-jährigen Sohn Franz 1937 nach Wien. Der Trafikant Otto Trsnjek, der ihr noch einen Gefallen schuldet, stellt ihn ein, und Franz lernt in der Trafik u. a. den „Deppendoktor“ Sigmund Freud kennen. Er verliebt sich in eine 20-Jährige aus Böhmen, aber sie lässt ihn schon am ersten Abend sitzen. Trsnjek, in dessen Trafik viele Juden einkaufen, wird 1938 von der Gestapo abgeholt …

 

Vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse 1937/38 in Wien entwickelt Robert Seethaler in dem Roman „Der Trafikant“ eine tragikomische Coming of Age-Geschichte mit märchenhaften Zügen.

 

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Anne Serre : Die Gouvernanten

Laura, Inès und Éléonore sind als Gouvernanten beim Ehepaar Austeur angestellt. Ort und Zeit bleiben unbestimmt. Entdecken die Gouvernanten einen Fremden im zur Villa gehörenden Park, jagen sie ihn und fallen über ihn her. Bei einem Ausflug mit den ihnen anvertrauten Jungen tanzen die Gouvernanten nackt auf einer Wiese, klettern auf Bäume und genießen es, die raue Rinde an ihrer weichen Haut zu spüren.

 

Anne Serre entwickelt keine Handlung im herkömmlichen Sinn, sondern reiht verspielt Szenen aneinander. „Die Gouvernanten“ ist ein schwungvoller Bilderreigen, mehr Imagination und Atmosphäre als Drama, ein fantasievolles und märchenhaftes, entrücktes und poetisches, ebenso erotisches wie komisches Tableau über Frauen, die sich lustvoll-ungestüm nehmen, was sie wollen.

 

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Johannes Mario Simmel: Es muss nicht immer Kaviar sein

Thomas Lieven wollte eigentlich nur seine Privatbank in London führen, kochen, und mit schönen Frauen speisen, aber er wurde von seinem Seniorpartner hereingelegt und 1939 bei einem Deutschlandbesuch von der Gestapo verhaftet. Spionage für die deutsche Abwehr konnte ihn retten. Weil ihn aber auch der britische und der französische Geheimdienst haben wollten, kam er 17 Jahre lang nicht zur Ruhe …

 

„Es muss nicht immer Kaviar sein“, das ist eine Mischung aus Abenteuer-, Schelmen- und Politroman, zugleich auch eine Parodie auf diese Genres. Die Handlung besteht aus einer Abfolge zahlreicher origineller, spannender, amüsanter Episoden.

 

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Roger Smith: Stiller Tod

Vernon Saul beobachtet, wie ein vierjähriges Mädchen ertrinkt, während der Vater auf der Veranda seines Hauses einen Joint raucht und die Mutter sich in der Küche von ihrem Liebhaber befingern lässt. Statt das Kind zu retten oder den Vater zu alarmieren, schaut der Afrikaner zu. Danach schleicht er sich in Nick Exleys Vertrauen, macht sich dem trauernden Vater unentbehrlich und genießt es, einen reichen Weißen manipulieren zu können, der dadurch in einen Teufelskreis gerät …

 

„Stiller Tod“ ist ein ungewöhnlich brutaler, aber auch gründlich durchdachter und intelligent aufgebauter Thriller. Virtuos entwickelt Roger Smith ein komplexes Geflecht höchst lebendiger Figuren und eine packende Geschichte.

 

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John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen

Lennie ist bärenstark, aber aufgrund einer Intelligenzminderung nicht in der Lage, sein Leben eigenständig zu führen. Der Land­arbeiter George hat es sich zur Aufgabe gemacht, für ihn zu sorgen. Das ist nicht einfach, denn Lennie bringt sich trotz seiner Gutmütigkeit immer wieder ungewollt in Schwierigkeiten. Als er beispielsweise das Samtkleid einer Farmerstochter anfasst, erschreckt er sie, und weil es so aussieht, als habe er sie zu vergewaltigen versucht, muss George mit ihm fliehen …

 

Bei „Von Mäusen und Menschen“ handelt es sich um eine anrührende, tragische „Schauspielnovelle“ von John Steinbeck in einfacher Sprache, die zu einem guten Teil wie ein Theaterstück aus Dialogen aufgebaut ist. Die Charaktere werden differenziert eingeführt.

 

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Antje Rávik Strubel: Blaue Frau

Die 21-jährige Tschechin Adina fährt zu einem sechswöchigen Sprachkurs nach Berlin. Später will sie Geowissenschaften studieren. Während sie ein Praktikum in der Uckermark absolviert, wo eine Einrichtung für den Kulturaustausch zwischen Ost und West geschaffen werden soll, wird sie von einem Kulturbeauftragten aus Berlin vergewaltigt. Traumatisiert flieht sie nach Helsinki und wendet sich an eine Hilfsorganisation für Opfer sexueller Gewalt …

 

In ihrem vielschichtigen mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman „Blaue Frau“ stellt Antje Rávik Strubel eine Vergewaltigung ins Zentrum und beschäftigt sich mit Machtstrukturen und Verständigungsproblemen. In der komplexen Komposition verschmelzen Figuren, schieben sich Szenen ineinander, und Antje Rávik Strubel wechselt kunstvoll die sprachlichen Register.

 

Mehr dazu: Antje Rávik Strubel: Blaue Frau

 


 

 

Patrick Süskind: Der Kontrabass

Das Stück besteht aus dem Monolog eines Kontrabassisten, in dem sich ein bieder-selbstgerechter Charakter offenbart, dessen Vorurteilen und Denkschablonen wir im „richtigen Leben“ überall begegnen.

 

„Der Kontrabass“ ist ein genialer Wurf, gerade weil Patrick Süskind seine Kunst in eine scheinbar so triviale Form gebracht hat.

 

Mehr dazu: Patrick Süskind: Der Kontrabass

 


 

 

Edith Templeton: Gordon

Die 28-jährige Louisa Walbrook folgt 1946 in London einem zwanzig Jahre älteren Psychiater, der sie in einen Pub angesprochen hat. Als sie merkt, dass sie ihn als Frau offenbar gar nicht reizt und sich barsch von ihm verabschieden will, reagiert er belustigt. Das entwaffnet sie – und sie folgt ihm in seinen Garten …

 

Mitleidlos erzählt Edith Templeton in dem atemberaubenden, zugleich abstoßenden und faszinierenden Roman „Gordon“ von einer sexuellen Obsession, von einer Frau, die sich einem Sadisten unterwirft, der seine Macht über sie missbraucht und ihre Abhängigkeit ausbeutet.

 

Mehr dazu: Edith Templeton: Gordon

 


 

 

Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders

Uwe Timm sucht in diesem Buch Antworten auf die Frage, warum sich sein 1943 im Alter von 19 Jahren in einem Lazarett in der Ukraine nach einer doppelten Beinamputation gestorbener Bruder Karl-Heinz freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte. „Wie sah der Bruder sich selbst? Welche Empfindungen hatte er? Erkannte er etwas wie Täterschaft, Schuldigwerden, Unrecht?“ Uwe Timm fragt nach den Motiven seines Bruders und der Reaktion seiner Eltern.

 

Uwe Timms subjektive, retrospektive Auseinandersetzung mit seinem 1943 gefallenen Bruder ist ein kunstvolles Puzzle aus Gedanken und prägnant formulierten Erinnerungen. Am Beispiel seiner Familie versucht der 1940 Geborene, das Verhalten der Älteren während des Zweiten Weltkriegs und danach zu verstehen.

 

Mehr dazu: Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders

 


 

 

Émilie de Turckheim: Im schönen Monat Mai

Nach dem Tod des Gutsherrn Louis Yoke lädt der Knecht Aimé fünf Personen ein, die angeblich alles erben sollen. Martial, dem zweiten Knecht, fehlt die eine Hälfte des Gesichts; sein Aussehen erschreckt die Menschen, die ihm begegnen. Bei Aimé ist das anders: seine Verletzungen sind unsichtbar, denn sie sind psychisch. Er erzählt uns die Geschichte. Entsprechend unbeholfen ist die Sprache. Aber wir ahnen schon nach wenigen Seiten, dass dieser Tor alles andere als harmlos ist …

 

Hinter dem sarkastischen Titel „Im schönen Monat Mai“ verbirgt sich ein erschütternder Roman über Gewalt und Unmenschlichkeit, Schuld und Rache. Émilie de Turckheim führt uns mit viel schwarzem Humor durch die Geschichte. Form und Inhalt überzeugen gleichermaßen.

 

Mehr dazu: Émilie de Turckheim: Im schönen Monat Mai

 


 

 

Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Der dominikanische Diktator Rafael Leónidas Trujillo y Molina – „der Ziegenbock“ – starb am 30. Mai 1961 bei einem Attentat. 35 Jahre später kehrt Urania Cabral aus dem Exil in die dominikanische Hauptstadt zurück, um ihren Vater Augustín zu besuchen, der zu den Günstlingen des Despoten gehört hatte. Weil er seit einem Gehirnschlag vor zehn Jahren stumm und gelähmt im Rollstuhl sitzt, vermag er auf Uranias Vorwürfe nicht zu antworten …

 

Geschickt verknüpft Mario Vargas Llosa in seinem spannenden, fulminanten und komplexen Politthriller „Das Fest des Ziegenbocks“ mehrere parallel entwickelte Handlungsstränge, die es ihm erlauben, das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.

 

Mehr dazu: Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

 


 

 

Wytske Versteeg: Die goldene Stunde

Vom gleichzeitigen Scheitern ihres Engagements als Sozialarbeiterin und einer illusionären Beziehung mit dem arabischen Flüchtling Ahmad geschockt, reist die niederländische Idealistin Mari in dessen Heimatland. Dort trifft sie Tarik, einen Außenseiter, der sich in jungen Jahren als Handlanger staatlicher Willkürherrschaft schuldig machte. Ahmad, der vor diesem Regime floh, begreift schließlich, dass nur er selbst seine Zukunft gestalten kann.

 

Wytske Versteeg hält der heutigen Welt mit ihrem Roman „Die goldene Stunde“ einen Spiegel vor. Klug, nachdenklich und mit stupenden Kenntnissen zeichnet sie ein erschütterndes Bild. Wie intensiv und überzeugend sich Wytske Versteeg in die Lage ihrer Romanfiguren zu versetzen vermag, zeugt von einem außergewöhnlichen Einfühlungsvermögen. Ebenso überragend wie der Inhalt sind Form und Sprache. Das ist Literatur auf hohem Niveau.

 

Mehr dazu: Wytske Versteeg: Die goldene Stunde

 


 

 

Minette Walters: Der Nachbar

Als das Gerücht sich ausbreitet, dass in dem Wohnviertel Bassindale Estate ein pädophiler Straftäter nach der Verbüßung seiner Haftstrafe eingezogen ist, empören sich die Nachbarn. Als kurz darauf ein kleines Mädchen vermisst wird, organisieren sie am 28. Juli 2001 einen Protestmarsch, der rasch außer Kontrolle gerät. Randalierende Jugendliche verwandeln das Viertel in einen Hexenkessel. Drei Menschen sterben bei den Unruhen, 189 werden verletzt.

 

Die Darstellung wirkt wie die umfangreiche Reportage einer genauen Beobachterin. Minette Walters stellt die Vorgänge so minuziös und szenisch dar, dass der Leser glaubt, als Beobachter dabei zu sein. Selten habe ich einen so psycho-logischen Roman wie „Der Nachbar“ gelesen.

 

Mehr dazu: Minette Walters: Der Nachbar

 


 

 

Urs Widmer: Das Buch des Vaters

In seinem Roman „Das Buch des Vaters“ hat Urs Widmer einen homme des lettres porträtiert. Es ist das Psychogramm eines Bohemiens, der keine Beziehung zum Geld hat, nach den Maßstäben der Industriegesellschaft als Versager gelten würde und am liebsten über seinen Büchern sitzt. Vor seiner Ehe hatte er noch keine sexuelle Beziehung, aber er liebt seine Frau leidenschaftlich.

 

„Das Buch des Vaters“ ist nicht der Versuch eines Sohnes, sich durch die kritische Auseinandersetzung mit dem toten Vater selbst zu finden, wie man es vielleicht erwarten würde, sondern ein ironisches, teilweise satirisches und skurriles biografisches Porträt.

 

Mehr dazu: Urs Widmer: Das Buch des Vaters

 


 

 

Don Winslow: Tage der Toten

Arthur Keller arbeitet für eine US-Behörde zur Drogenbekämpfung. Als er 1975 begreift, dass er durch die Zerschlagung eines Kartells unwissentlich einem mexikanischen Polizeichef beim Aufbau einer eigenen Federación half, beginnt er einen jahrzehntelangen Rachefeldzug gegen den Drogenbaron. Dabei stellt er fest, dass US-Organisationen unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung einen brutalen Krieg gegen linksgerichtete Gruppierungen in Lateinamerika führen …

 

Don Winslow denkt sich immer neue Ereignisse aus und zeigt dabei ein stupendes (Insider-)Wissen. Wie in einem Film verfolgt man die in dem komplexen Thriller „Tage der Toten“ lakonisch geschilderten Szenen.

 

Mehr dazu: Don Winslow: Tage der Toten

 


 

 

Leon de Winter: Place de la Bastille

Paul de Wits Eltern wurden in Auschwitz umgebracht, als er gerade ein paar Wochen alt war. Während der in Amsterdam verheiratete Historiker in Paris für ein Buchprojekt recherchiert, lernt er eine Jüdin kennen, mit der er ein Verhältnis beginnt. Auf seinen Schnappschüssen von ihr, die auf der Place de la Bastille entstanden, entdeckt er einen Mann, der ihm ähnlich sieht. Hatte sich die Hebamme, die ihm von einem Zwillingsbruder erzählte, doch nicht getäuscht?

 

Leon de Winter erzählt in der Ich-Form aus der Sicht des Protagonisten und nicht chronologisch, sondern mit sorgsam komponierten Zeitsprüngen. Trotz der tragischen Thematik ist die Lektüre des Romans „Place de la Bastille“ ein anspruchsvolles Vergnügen.

 

Mehr dazu: Leon de Winter: Place de la Bastille

 


 

 

Christa Wolf: Medea. Stimmen

Nachdem Medea, die Tochter des Königs von Kolchis, Jason geholfen hat, in den Besitz des Goldenen Vlieses zu gelangen, flieht sie mit ihm und den Argonauten. In Korinth, wo König Kreon regiert, aber der Erste Astronom Akamas die Fäden zieht, werden sie aufgenommen. Als Medea hinter ein Staatsgeheimnis kommt, eine Freveltat, mit der Kreon seinen Sturz verhinderte, sorgt Akamas durch Gerüchte dafür, dass sie aus der Stadt gejagt wird …

 

Christa Wolf deutet Medea zur verleumdeten Humanistin um und macht aus dem griechischen Mythos einen vielschichtigen, gesellschaftskritischen Roman, der sich trotz des ernstes Themas wie ein spannender Politthriller liest.

 

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Tom Wolfe: Fegefeuer der Eitelkeiten

Der erfolgreiche Börsennmakler Sherman McCoy wohnt mit seiner Frau und seiner Tochter in Manhattan. Als er sich mit seiner Geliebten Maria in die Bronx verirrt, treffen sie auf zwei junge Afroamerikaner und fühlen sich bedroht. Auf der Flucht fährt Maria einen der beiden mit Shermans Mercedes an. Ein jüdischer Oberstaatsanwalt will durch Verurteilung des Yuppies das Vorurteil entkräften, die Justiz benachteilige die Schwarzen …

 

„Fegefeuer der Eitelkeiten“ ist eine grandiose Satire über New York City.Tom Wolfe gibt das Leben in verschiedenen New Yorker Stadtteilen so plastisch und lebendig wieder, dass man beim Lesen den Eindruck hat, dabei zu sein: man sieht, hört und riecht, was da los ist.

 

Mehr dazu: Tom Wolfe: Fegefeuer der Eitelkeiten

 


 

 

Juli Zeh: Unterleuten

In dem brandenburgischen Dorf Unter­leuten hat der Sohn eines ent­eig­neten Großbauern das Sagen. Mit Geld aus seinem land­wirt­schaft­lichen Unternehmen tut er viel für den Ort, wird aber von einem überzeugten Kommunisten bekämpft. In diesen Konflikt geraten Stadtflüchtige, die sich in der vermeint­lichen Idylle ange­sie­delt haben: ein Vogelschützer mit seiner Familie und eine Pferdewirtin mit ihrem Mann …

 

Juli Zeh wechselt in „Unterleuten“ von Kapitel zu Kapitel die Perspek­tive. So erleben wir, wie sich facet­ten­reich dargestellte Personen auf­grund von Fehl­ein­schätzungen ver­galoppieren. Gruppendynamische Vorgänge könnten nicht besser veranschaulicht werden.

 

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