Ilona Staller alias Cicciolina


Elena Anna (»Ilona«) Staller wurde am 26. November 1951 in Budapest als Tochter eines ungarischen Regierungsbeamten und dessen Ehefrau, einer gelernten Hebamme, geboren. Bereits als Schülerin fing Ilona an, nebenbei als Model aufzutreten. Später behauptete Ilona Staller, sie habe sich mit neunzehn von »drei gut gekleideten Herren« als Geheimagentin anwerben lassen und Gäste des internationalen Hotels in Budapest ausgehorcht, in dem sie jobbte. Ob das wahr ist, werden wir wohl nie erfahren. Jedenfalls brach Ilona Staller ihr Medizinstudium bald wieder ab, denn sie spielte mit dem Gedanken, Archäologin zu werden, aber stattdessen unterschrieb sie einen Vertrag mit einer der führenden ungarischen Model-Agenturen. Mit dem Ziel, ihre Karriere als Model weiterzuführen, suchte Ilona Staller nach einem Intermezzo als Ehefrau 1974 in Italien eine neue Bleibe. Angeblich verbrachte sie noch im selben Jahr vier Tage mit dem späteren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi auf einer griechischen Insel.

Wieder kam alles anders als geplant, denn Ilona Staller ließ sich von dem Pornoproduzenten und –regisseur Riccardo Schicchi als Porno-Darstellerin engagieren. Ein etwas breiteres Publikum lernte Cicciolina – so nannte sie sich jetzt – bei »Radio Luna« als Moderatorin der Sendung »Voulez vous couchez avec moi« kennen.

Da plauderte sie ungeniert über Sexualität. Das war skandalös, zumal in einer Zeit und Gesellschaft, in der es als unsittlich galt, beim Koitus Lust zu empfinden, in der Männer und Frauen sich – zumindest tat man so – nur zum Zweck des Kinderkriegens vereinigten und gleichgeschlechtliche Liebe des Teufels war. Damit nicht genug: 1978 zeigte Cicciolina in der Fernsehshow »C’era due volte« ihre Brüste. Vermutlich waren es die ersten, die man im italienischen Fernsehen je nackt zu sehen bekam. Kein Wunder, dass sich die Medien auf die Sensation stürzten, so taten, als entrüsteten sie sich über die Sittenlosigkeit und Ilona Stadler zugleich möglichst spärlich bekleidet abbildeten.

1979 ließ sich »Cicciolina Cyclone« (Cicciolina Wirbelsturm) – die inzwischen sowohl die ungarische als auch die italienische Staatsbürgerschaft besaß – als Spitzenkandidatin der neuen grünen Partei »La Lista del Sole« aufstellen. Im Wahlkampf setzte sie auch die Waffen einer Frau ein, in diesem Fall ihre nackten Brüste, die sie bei verschiedenen Gelegenheiten in aller Öffentlichkeit herzeigte. Schon damals hatte sie eine erst sehr viel später einsetzende Entwicklung vorausgeahnt, nämlich die Verdrängung inhaltlicher Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit durch Werbung, Show und PR-Gags. Ilona Staller war eine Pionierin im Umgang mit den Medien: Während sie durch Skandale auf sich aufmerksam machte und dabei auf Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen angewiesen war, freuten sich die mitspielenden Redakteure über Steigerungen der Auflagen bzw. Zuschauerzahlen.

Ilona Stadler wechselte 1985 zum »Partito Radicale«, und obwohl sie keinen der sicheren Listenplätze erhielt, wurde sie zwei Jahre später mit einem Direktmandat des römischen Stadtteils Lazio ins italienische Parlament in Rom gewählt. Ihr politisches Engagement nahm sie durchaus ernst; sie saß häufiger in der Abgeordnetenbank, als so mancher Berufspolitiker. Die Vorkämpferin gegen die Prüderie setzte sich nicht nur für die Legalisierung von Bordellen, das Recht von Strafgefangenen auf Sex und die Einführung eines Aufklärungsunterricht in der Schule ein, sondern auch für die Abschaffung der Todesstrafe, das Verbot von Tierversuchen, einen Ausstieg aus der Kernenergie und die Bemessung der Kfz-Steuer nach den Abgasen.

Unbekümmert bekannte Ilona Stadler sich zu Lust und Erotik. »Man unterschätzt, welche Rolle ein unbefriedigtes Sexualleben spielt«, erklärte sie in einem Interview. »Unbefriedigte Menschen sind oft bösartig und aggressiv. Wer schönen, erfüllten Sex hat, wird weicher, ruhiger, freundlicher, auch nachdenklicher. Er ist satt und tut niemandem weh.«

Selbstverständlich hörte sie als Abgeordnete nicht auf, bewusst für Skandale zu sorgen, etwa indem sie 1988 auf dem Colleoni wieder einmal ihre Brüste vor die Augen der Schaulustigen und die Linsen der Kameras hielt und in einem Interview gestand, nicht immer Unterwäsche zu tragen. Einmal wurde sie sogar wegen »obszöner Akte in der Öffentlichkeit« zu einer fünfmonatigen Haftstrafe verurteilt, die das Gericht allerdings zur Bewährung aussetzte.

Während andere Politiker neben ihrer Abgeordnetentätigkeit bürgerlichen Berufen nachgingen, etwa als Lehrer oder Rechtsanwalt, agierte die Abgeordnete Staller parallel zu ihrer politischen Tätigkeit erfolgreich als Pornodarstellerin und leitete die Pornoshow »Perversion«. Selbst wenn ein Staatsanwalt es hätte verhindern wollen, wäre es ihm schwer gefallen, denn Ilona Stadler stand wie alle Abgeordneten unter dem Schutz der Immunität. Erst 1989, nach drei Dutzend Pornofilmen, zog sich Cicciolina aus dem anrüchigen Geschäft zurück. Sie war eine der wenigen großen Porno-Darstellerinnen, die diese Karriere unbeschadet überlebten, ohne Aids, Drogenexzesse und Suizidversuche. »Irgendwie habe ich es immer geschafft, durchs Feuer zu gehen, ohne mich zu verbrennen.«

1990/91 stellte der drei Jahre jüngere amerikanische Konzeptkünstler Jeff Koons sich und Ilona Staller in dem aus Skulpturen, großformatigen Fotos und fotorealistischen Gemälden bestehenden Zyklus »Made in Heaven« beim Oralsex und in verschiedenen Stellungen des vaginalen und analen Verkehrs dar (»Blow Job«, »Glass Dildo«, »Ilona’s House Ejaculation«, »Ilona’s Asshole« u. a.). Der Skandal verschaffte Jeff Koons und Ilona Stadler weltweite Aufmerksamkeit. Nach einem Jahr zerbrach die Ehe. Kurz nach der Trennung gebar Ilona Stadler 1992 den Sohn Ludwig Maximilian, von dem Jeff Koons behauptete, es handele sich um eine von ihm geschaffene biologische Skulptur. Erbittert kämpfte er jahrelang mit Ilona Stadler um das Sorgerecht des Jungen, der bei seiner Mutter in Italien aufwuchs.

Im Alter von fünfzig Jahren wollte sich Ilona Stadler im Januar 2002 im Budapester Stadtteil Kobánya als Kandidatin für einen Sitz im ungarischen Parlament aufstellen lassen. Sie versprach, sich für Obdachlose, Arme, Kranke und Rentner einzusetzen und entblößte dabei ihre linke Brust, um ihren politischen Standpunkt zu unterstreichen. Aber es gelang ihr nicht, die für eine Kandidatur erforderlichen 750 Unterschriften zu bekommen. Ebenso vergeblich kündigte sie im August 2004 an: »Ich werde im kommenden Frühjahr als Bürgermeisterkandidatin am Wahlkampf in Mailand teilnehmen […] Ich werde Mailand in eine aufregende Stadt verwandeln.«

Auf einer Erotikmesse erbot Ilona Stadler sich 2006, eine Nacht mit Osama bin Laden zu verbringen, wenn er dafür auf weitere Terroranschläge verzichten würde. Wenn der Al-Qaida-Führer in einem seiner Bergverstecke im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet davon erfahren hat, dürfte ihn das Angebot in seiner Überzeugung von der sittlichen Verderbtheit des Westens bestärkt haben.

Literatur über Ilona Staller bzw. Cicciolina

  • Eberhard Petschinka: Cicciolina und der Papst. Dialog über das Paradies
  • Riccardo Schicchi: Cicciolina. Ilona Staller (Photos: Riccardo Schicchi; dreisprachig, deutsche Übersetzung: Britta Behnke, herausgegeben von Angelika Muthesius)
  • Ilona Staller: Cicciolina oder Warum mir das Ausziehen Spass macht. Italiens berühmtester Sex-Star erzählt

© Dieter Wunderlich 2007

Bret Easton Ellis - The Shards
Bret Easton Ellis veranschaulicht die Welt einer Gruppe wohlstandsverwahrloster 17-Jähriger 1981 in Los Angeles. Zu ihnen gehört die scheinbar autobiografische Hauptfigur. Bret Easton Ellis versucht immer wieder, von der Authentizität des Buches zu überzeugen. Er spielt in "The Shards" mit der Wahrheit im Allgemeinen und True-Crime-Versatzstücken im Besonderen. Dem Ich-Erzähler Bret, der im Alter von 57 Jahren über die Ereignisse von vor 40 Jahren "berichtet", darf man nichts glauben.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.