Natascha Kampusch


Natascha Kampusch wurde am 17. Februar 1988 in Wien als Tochter des Bäckers Ludwig Koch und der Schneiderin Brigitta Sirny (Mädchenname: Kampusch) geboren. Die nicht miteinander verheirateten Eltern, die seit Mitte der Achtzigerjahre zusammenlebten, führten zwei Greißlereien (Tante-Emma-Läden). Natascha war fünf Jahre alt, als sich Brigitta Sirny und Ludwig Koch nach zwei Jahren Streit trennten. Von da an sah Natascha den Vater nur noch an Wochenenden. Sie wuchs bei ihrer Mutter auf, die aus ihrer geschiedenen Ehe noch zwei Töchter hatte, die neunzehn bzw. zwanzig Jahre älter als Natascha waren.

Am 2. März 1998 machte sich Natascha nach einem Streit mit ihrer Mutter auf den Weg zur Schule – traf dort jedoch nicht ein.

Weil Zeugen gesehen hatten, wie Natascha Kampusch von einem Mann in einen weißen Kleintransporter gezerrt worden war, ging die Polizei von einer Entführung aus.

Ein anonymer Anrufer wies die Polizei am 14. April auf einen ihm namentlich nicht bekannten Besitzer eines weißen Kastenwagens mit abgedunkelten Scheiben hin. Es handele sich um einen Eigenbrötler, sagte er, der mit seiner Mutter zusammen ein ungewöhnlich gesichertes Einfamilienhaus in Strasshof an der Nordbahn nordwestlich von Wien bewohne. Der schlanke Mann sei Mitte dreißig und habe Kontaktschwierigkeiten. Die Polizei fand heraus, dass sich der Hinweis auf den arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil (1962 – 2006) bezog. Sein weißer Kleintransporter gehörte zu den tausend Fahrzeugen, die bereits Anfang April überprüft worden waren. An dem mit Bauschutt beladenen Kastenwagen hatte die Polizei nichts Verdächtiges entdeckt. Das Protokoll über den anonymen Anruf kam zu den Akten.

Die Suche nach Natascha Kampusch blieb erfolglos.

Dabei war die Polizei bei der Kontrolle des Kleintransporters von Wolfgang Priklopil nur wenige Meter von ihr entfernt gewesen.

Die Zehnjährige befand sich in einem fünf Quadratmeter großen, 2,37 Meter hohen fensterlosen Kellerraum mit dicken Betonwänden, in den man nur durch eine 68 mal 49 Zentimeter große, mit einer 150 kg schweren Türe verschließbare Öffnung kriechen konnte. Dazu musste man zuerst in die Montagegrube in der Garage des Hauses von Wolfgang Priklopil klettern. Die Luftzufuhr erfolgte durch einen Ventilator in einem Rohr zwischen dem Dachboden und dem unterirdischen Verlies.

Achteinhalb Jahre nach ihrer Entführung, am 23. August 2006, nutzte die inzwischen zur jungen Frau herangereifte Gefangene eine Gelegenheit zur Flucht. Nachdem sie Straßenpassanten vergeblich um Hilfe gebeten hatte, wandte sie sich an eine ältere Frau an einem offenen Fenster, die daraufhin die Polizei alarmierte.

Natascha Kampusch wurde zur Polizeiinspektion Deutsch-Wagram gebracht.

Die Fahndung nach Wolfgang Priklopil blieb erfolglos. Gegen 21 Uhr warf sich der Vierundvierzigjährige zwischen den Stationen Wien Nord und Traisengasse vor einen S-Bahn-Zug.

Das Medienecho auf den außergewöhnlichen Entführungsfall war enorm. Am 6. September 2006 strahlte das Österreichische Fernsehen ein von Christoph Feurstein geführtes Interview mit Natascha Kampusch aus. Zwei weitere Interviews hatte sie kurz zuvor Marga Swoboda von der Neuen Kronen Zeitung und Alfred Worm von der Wochenzeitschrift News gegeben.

Aufgrund der Aussage einer zwölfjährigen Schülerin, die glaubte, zwei Männer im Entführungsfahrzeug gesehen zu haben, suchte die Polizei lange Zeit nach einem Mittäter. Es wurde darüber spekuliert, dass Natascha Kampusch Opfer eines Pädaphilenrings gewesen sei und während ihrer Gefangenschaft ein Kind geboren habe. Sie selbst dementierte diese Gerüchte mehrmals.

Den Fahndungspannen im Fall Natascha Kampusch ging von Februar bis Juni 2008 eine Evaluierungskommission des Innenministeriums nach. Aber 2010 konstatierten die Ermittler noch einmal, dass es sich bei Wolfgang Priklopil um einen Einzeltäter gehandelt habe. Ungereimtheiten bei der Aufarbeitung wurden im Sommer 2011 von der Staatsanwaltschaft Innsbruck untersucht. Und im Frühjahr 2012 beschäftigte sich ein geheimer Parlamentsausschuss damit. Am 15. April 2013 versicherte das österreichische Innenministerium nochmals, dass von einem Einzeltäter ausgegangen werden könne.

Am 1. Juni 2008 moderierte Natascha Kampusch die erste Folge einer eigenen Fernsehsendung („Natascha Kampusch trifft“) bei Puls 4, die allerdings nach der dritten Folge im Oktober eingestellt wurde.

Kathrin Röggla schrieb über den Fall Natascha Kampusch das medienkritische Theaterstück „Die Beteiligten“, das am 19. April 2009 vom Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde.

Den Hauptschulabschluss holte Natascha Kampusch im Frühjahr 2010 nach.

Im Herbst 2010 erschien das von Heike Gronemeier und Corinna Milborn mit Natascha Kampusch geschriebene Buch „3096 Tage“.

Die Forderung von Natascha Kampusch nach einer Entschädigung vom österreichischen Staat – die sie für wohltätige Zwecke spenden wollte – wurde im Mai 2011 zurückgewiesen.

Im Oktober 2011 eröffnete Natascha Kampusch ein mit Spendengeldern finanziertes kleines Krankenhaus in Sri Lanka.

Im Mai 2010 hatte Natascha Kampusch einer filmischen Darstellung ihrer Erlebnisse zugestimmt. Durch den Tod Bernd Eichingers am 24. Januar 2011 verzögerte sich die Verwirklichung des Projekt. Regie führte Sherry Hormann. Der Film „3096 Tage“ soll am 28. Februar 2013 ins Kino kommen.

Originaltitel: 3096 Tage – Regie: Sherry Hormann – Drehbuch: Ruth Toma nach einem Drehbuchfragment von Bernd Eichinger – Kamera: Michael Ballhaus – Schnitt: Mona Bräuer – Musik: Martin Todsharow – Darsteller: Antonia Campbell-Hughes, Thure Lindhardt, Amelia Pidgeon, Trine Dyrholm u.a. – 2013 – 105 Minuten

Literatur über Natascha Kampusch:

  • Allan Hall, Michael Leidig: Girl in the Cellar. The Natascha Kampusch Story (London 2006)
  • Natascha Kampusch, Heike Gronemeier, Corinna Milborn: 3096 Tage (Berlin 2010)
  • Natascha Kampusch, Heike Gronemeier: 10 Jahre Freiheit (Berlin 2016)
  • Martin Pelz: Der Fall Natascha Kampusch. Die ersten acht Jahre eines einzigartigen Entführungsfalles im Spiegel der Medien (Marburg, 2010)
  • Walter Pöchhacker: Der Fall Natascha. Wenn Polizisten über Leichen gehen (Wien 2004)
  • Peter Reichard: Der Entführungsfall Natascha Kampusch. Die ganze beschämende Wahrheit (München 2016)
  • Brigitta Sirny-Kampusch: Verzweifelte Jahre. Mein Leben ohne Natascha (Wien 2007)
  • Martin Wabl: Natascha Kampusch und mein Weg zur Wahrheit. Das Protokoll (Fürstenfeld 2007)

© Dieter Wunderlich 2011 / 2013

Natascha Kampusch, Heike Gronemeier, Corinna Milborn: 3096 Tage

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"Die Wunderübung" ist eine Boule­vard­komödie, ein unterhaltsames Kammerspiel mit drei Personen. Daniel Glattauer geht es dabei nicht um die Ausleuchtung von Charakteren und Beziehungen, sondern um pointierte Dialoge mit smarter Polemik und funkelndem Wortwitz.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.