Inge Viett


Nachdem das Jugendamt ihrer Mutter das Sorgerecht entzogen hatte, lebte Inge Viett (* 1944) ab 1946 in einem Kinderheim. 1950 kam sie zu einer Pflegefamilie, von der sie nach neun Jahren floh.

Sie schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, strippte in St. Pauli und begann allmählich den Kapitalismus als Ursache der Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu begreifen. 1968 zog sie nach Berlin und beteiligte sie sich an Demonstrationen der APO. Ihr Protest richtete sich vor allem gegen die Konsumgier der Bundesbürger und die Ausbeutung der Dritten Welt durch die Industrienationen.

1972 schloss sie sich der militanten „Bewegung 2. Juni“ an, die 1975 durch die Entführung von Peter Lorenz von sich reden machte und in einer weiteren Aktion den Gesinnungsgenossen Till Meyer aus der Haft befreite. Am 7. Mai 1972 und am 9. September 1975 wurde sie festgenommen, aber beide Male gelang ihr die Flucht aus der Haft.

Als Inge Viett 1981 in Paris von dem Verkehrspolizisten Violot verfolgt wurde, geriet sie in Panik und verletzte den Mann durch einen Schuss.

Im Jahr darauf ließ sie sich von der Stasi – die 1978 Kontakt mit ihr aufgenommen hatte – eine neue Identität geben: Als Eva-Maria Sommer wurde sie in Dresden zur Repro-Fotografin ausgebildet. Als jedoch jemand Verdacht schöpfte, es könne sich bei ihr um die in der Bundesrepublik gesuchte Terroristin Inge Viett handeln, musste sie 1987 in Magdeburg unter dem Namen Eva Schnell und als Gruppenleiterin in einem Kinderferienlager des Schwermaschinenbau-Kombinats „Karl Liebknecht“ noch einmal von vorn anfangen.

Nach dem Fall der Berliner Mauer (Wiedervereinigung) wurde sie am 12. Juni 1990 verhaftet und einige Zeit später in die Bundesrepublik Deutschland überstellt. Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte sie 1992 zu dreizehn Jahren Haft wegen der versuchten Tötung des Verkehrspolizisten in Paris. Fünf Jahre später wurde sie vorzeitig entlassen. Im gleichen Jahr veröffentlichte sie unter dem Titel „Nie war ich furchtloser“ ihre Autobiografie (Edition Nautilus, Februar 1997; Rowohlt Taschenbuch, August 1999).

© Dieter Wunderlich 2003

Reinhard Kaiser-Mühlecker - Fremde Seele, dunkler Wald
Die lakonische Sprache, die wirkt, als sei sie aus der Zeit gefallen, passt zu den Figuren. Dass sie Halt und Orientierung verloren haben, spiegelt Reinhard Kaiser-Mühlecker, indem er vieles in "Fremde Seele, dunkler Wald" unklar lässt.
Fremde Seele, dunkler Wald