Der Wald vor lauter Bäumen
Der Wald vor lauter Bäumen
Inhaltsangabe
Kritik
Melanie Pröschle (Eva Löbau) wuchs in Plochingen auf und hat dort gerade ihr Referendariat als Biologielehrerin beendet. Die Siebenundzwanzige trennt sich von ihrem Freund Bernd (Achim Enchelmaier), verlässt ihre Eltern (Monika Hirschle, Volker Jeck) und zieht nach Karlsruhe, um dort in der Bose-Realschule zu unterrichten und ein neues Leben zu beginnen. Höflich stellt sie sich bei den Nachbarn im Mietshaus vor und bringt ihnen selbst gebrannten Schnaps aus Plochingen vorbei. Beim Einstand, den sie für ihre Kolleginnen und Kollegen gibt, kündigt sie in breitem Schwäbisch „frischen Wind“ an.
Es hilft Melanie nichts, dass sie mit viel Idealismus und großen Hoffnungen in ihre Klasse geht: Die Schüler spüren sofort, dass sie ein Opfer vor sich haben und schreien durcheinander, während die neue Lehrerin verzweifelt versucht, sich bemerkbar zu machen.
Als sie Jean-Louis Sussmann auffordert, seinen Kakao wegzustellen und sich dann zur Tafel umdreht, wirft der Schüler ihr den Tetrapack in den Rücken und ruiniert damit das Kostüm, das sie sich gerade erst kaufte, weil sie glaubte, damit etwas seriöser auszusehen. Melanie bestellt daraufhin die Mutter des Schülers ein, aber Frau Sussmann (Ilona Christina Schulz) glaubt, was ihr Sohn zu Hause über den Vorfall erzählte und statt sich die Version der Lehrerin anzuhören, beschwert sie sich darüber, dass Jean-Louis schlechtere Noten nach Hause bringt, seit Melanie die Klasse übernommen hat: „Können Sie sich vorstellen, dass das für ein Kind frustrierend ist?“
Während einer Biologiestunde stürmt der Lehrer, der im benachbarten Klassenzimmer eine Arbeit schreiben lässt, verärgert in Melanies Klasse und fordert die Schüler zu mehr Ruhe auf. Sie gehorchen ihm sofort.
Eine Kollegin zeigt Melanie ein Geschenk, das sie angeblich gerade von ihrer Klasse bekam. (Es kursieren allerdings Gerüchte, dass sie sich die „Geschenke“ selbst mitbringt.) Im Lehrerkollegium wird über Melanies Überforderung getuschelt, und sie zieht es vor, ihre Pausen allein in einer Abstellkammer statt mit den anderen im Lehrerzimmer zu verbringen. Nur der Mathematiklehrer Thorsten Rehm (Jan Neumann) bemüht sich um Melanie und lädt sie ein, in seiner Eine-Welt-Projektgruppe mitzumachen. Aber die Annäherungsversuche des unsicheren Mannes empfindet Melanie als lästig. Nur einmal lässt sie sich von ihm zum Essen in einem „Afrika-Restaurant“ einladen, aber zwischendurch heult sie auf der Toilette.
Melanie fühlt sich zu stärkeren, erfolgreicheren Menschen hingezogen. In einem Bistro stellt sie sich zu zwei gut aussehenden jungen Frauen und versucht zaghaft, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, aber die beiden beachten sie nicht weiter. Mehr Glück scheint Melanie in der Boutique gehabt zu haben, in der sie das Kostüm kaufte: Die Besitzerin, Tina Schaffner (Daniela Holtz), wohnt schräg gegenüber von Melanie. Als Tina einmal eine Einladung auf eine Tasse Kaffee annimmt, betrachtet Melanie sie als Freundin und drängt sich ihr auf. Tina, die sich gerade mit ihrem Freund Tobias (Robert Schupp) überwarf, lässt sich anfangs darauf ein, fühlt sich jedoch bald durch Melanie genervt, die nicht versteht, dass Tina und ihre schicke Freundin Bine (Nina Fiedler) die biedere Provinzlerin nicht dabei haben wollen, wenn sie abends ausgehen. Wie eine Stalkerin richtet Melanie es immer wieder so ein, dass sie Tina über den Weg läuft und tut dann so, als sei es Zufall. Tina lässt sie bei der Vorbereitung für einen Empfang in der Boutique anlässlich der neuen Kollektionen mitmachen, komplimentiert sie aber aus dem Laden, bevor die Gäste kommen. Kurz darauf hilft Melanie ihr in der Wohnung beim Ausmisten und packt die Müllsäcke in ihr Auto, um sie wegzubringen. Als Melanie Tina vormacht, sie fahre am Wochenende zu einer Freundin nach Passau, meint die Boutiquenbesitzerin heuchlerisch, das sei bedauerlich, weil sie dann nicht zu ihrer Geburtstagsparty kommen könne, aber Melanie schwenkt sofort um und beteuert, nach Passau könne sie auch eine Woche später fahren. Auf der Geburtstagsparty hat niemand Lust, sich mit Melanie zu unterhalten. Sie geht vorzeitig und trifft vor dem Haus auf Tobias, den sie vom Sehen kennt. Er hält einen Rosenstrauß in der Hand, ist aber nicht sicher, ob es der richtige Augenblick ist, um sich mit Tina auszusöhnen. Melanie bestätigt seine Zweifel und bringt die Rosen an seiner statt nach oben. Tina rastet aus, als Melanie ihr die Blumen überbringt und sagt, sie habe Tobias geraten, ein andermal wiederzukommen. Von da an bleibt Tinas Tür für Melanie endgültig verschlossen.
In der Schule wagt Melanie sich schließlich nicht einmal mehr zum Elternabend. Einmal versucht Melanie, eine Kollegin um Rat zu fragen, aber als in diesem Augenblick Thorsten auftaucht und zuhört, gibt sie es gleich wieder auf. Weil sie niemanden hat, dem sie sich anvertrauen kann, ruft sie ihre Mutter an, kann dann aber nicht über ihre Probleme reden, sondern muss ihre Mutter beruhigen, die erst einmal erschrickt, weil sie befürchtet, Melanie sei krank oder durch einen Unfall verletzt.
Mitten in einer Schulstunde packt Melanie zusammen, verlässt die Klasse, steigt in ihr Auto und fährt los. Nachdem sie vergeblich versucht hat, Tinas Müll auf einer Deponie in der Nähe der Schule loszuwerden („Das ist Hausmüll. Den nehmen wir nicht!“), stopft sie die Müllsäcke irgendwo in private Mülltonnen. Auf einer Straße, die durch einen Wald führt, lässt sie das Steuer los und klettert nach hinten in den Fond. Sie öffnet das Seitenfenster, spürt den Fahrtwind im Gesicht und betrachtet die Bäume und den Wald …
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Maren Ade ist es in ihrem Debütfilm „Der Wald vor lauter Bäumen“ gelungen, komische Elemente in eine Tragödie einzubauen, ohne ihre Protagonistin lächerlich zu machen. Geschickt spiegelt sie das Verhältnis zwischen Melanie und Tina in dem zwischen Thorsten und Melanie. Die Charaktere sind glaubhaft, und die Dialoge wirken zum Teil wie improvisiert. Obwohl konsequent aus Melanies Perspektive erzählt wird, wissen die Zuschauer mehr als sie, weil die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen für Außenstehende jeweils vom ersten Augenblick an erkennbar ist. Maren Ade kritisiert in „Der Wald vor lauter Bäumen“ die Gesellschaft, in der sich nahezu niemand um glücklose Menschen wie diese Junglehrerin voller Ideale und Hoffnungen aber ohne soziale Kompetenz kümmert. „Der Wald vor lauter Bäumen“ ist ein ebenso unambitioniertes wie unspektakuläres und dafür umso realistischeres Porträt dieser Frau, die in allen Lebensbereichen scheitert – bis sie nach einigen Monaten aufgibt, etwas sein zu wollen, das sie nicht ist. Damit wird der Film am Ende poetisch-surreal: Melanie lässt das Lenkrad los und schaut sich den Wald an, während das Auto von allein weiterfährt.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Maren Ade: Toni Erdmann