Magnolia

Magnolia

Magnolia

Originaltitel: Magnolia - Regie: Paul Thomas Anderson - Drehbuch: Paul Thomas Anderson - Kamera: Robert Elswit - Schnitt: Dylan Tichenor - Musik: Jon Brion und Fiona Apple (Songs: Aimee Mann) - Darsteller: Philip Baker Hall, Philip Seymour Hoffman, William H. Macy, Julianne Moore, Tom Cruise, Melora Walters, John C. Reilly, Jason Robards, Jeremy Blackman, Ricky Jay, Alfred Molina, Luis Guzmán u.a. - 1999; 190 Minuten

Inhaltsangabe

In "Magnolia" geht es um einen Tag im Leben einiger vereinsamter, unglücklicher Menschen in Kalifornien, die sich von traumatischen Erlebnissen oder aus ihrer Schuldverstrickung nicht befreien können. Vergeblich suchen sie nach Liebe und Selbstachtung. Zorn, Hass, Demütigung, Scham, Reue, Einsamkeit, Hoffnung und Verzweiflung: "Magnolia" ist ein Film voller Emotionen.
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Kritik

Aus dem Stakkato am Anfang des grandiosen Episodendramas schälen sich die einzelnen, parallel erzählten Handlungsstränge heraus. "Magnolia" ist ambitioniert, aber auch virtuos aus vielen kurzen Szenen montiert, die von hervorragenden Schauspielern dargestellt werden.
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Magnolia Boulevard, San Fernando Valley bei Los Angeles, an einem ganz normalen Tag.

Earl Patridge (Jason Robards), ein bedeutender Fernsehproduzent, liegt in seinem Haus auf dem Sterbebett. Seine sehr viel jüngere zweite Ehefrau Linda (Julianne Moore) begreift erst jetzt – zu spät –, dass sie den todkranken, kaum noch ansprechbaren Mann liebt, und zwar mit seinem Geld alles kaufen kann, aber völlig vereinsamt ist. Verzweifelt sucht sie Alan Kligman (Michael Murphy) auf, den Rechtsanwalt der Familie, und fragt, wie sie Earls Testament ändern könne: Es sei ihr unmöglich, das Erbe anzunehmen, weil sie ihn nur wegen des Geldes geheiratet und die ganze Zeit über mit anderen Männern betrogen habe. Der Anwalt erläutert ihr, dass sie in diesem Fall einfach auf das Erbe verzichten könne, dann bekomme es der nächste Verwandte: Earls Sohn. Das will Linda auf keinen Fall, denn Frank hat sich in der ganzen Zeit, in der sie Earls Frau war, kein einziges Mal nach seinem Vater erkundigt, geschweige denn mit ihm telefoniert oder ihn besucht. Der Hausarzt stellt Linda ein Rezept für flüssiges Morphium aus, das Earl auf die Zunge geträufelt werden soll, wenn er unter starken Schmerzen leidet. Es werde seine Lebensdauer aber auch weiter verkürzen, warnt er. Weinend stellt Linda das Fläschchen für den Pfleger Phil Parma (Philip Seymour Hoffman) auf dem Nachttisch neben dem Bett ihres Mannes. Dann fährt sie ein Stück mit dem Auto, stellt es ab und schluckt eine Überdosis starker Tabletten. Ein kleiner schwarzer Junge (Cory Buck) entdeckt die bewusstlos hinter dem Steuer sitzende Frau gerade noch rechtzeitig und alarmiert den Notarzt.

In einer halb wachen Phase ersucht Earl Patridge seinen geduldigen Pfleger Phil, nach seinem Sohn zu suchen. Frank T. J. Mackey (Tom Cruise) ist ein exaltierter Sex-Guru, der in seinen Seminaren frustrierten Männern von der Bühne herunter einhämmert, wie sie angeblich Frauen verführen können. Nach einem seiner Auftritte wird er von einer Fernsehmoderatorin interviewt. Er behauptet, sein Vater sei vor Jahren gestorben, aber mit seiner Mutter habe er eine gute Beziehung. Die Moderatorin hat jedoch bei den Recherchen zur Vorbereitung des Gesprächs herausgefunden, dass seine Mutter Lilly Mackey 1980 starb. Frank weigert sich daraufhin, weitere Fragen zu beantworten. Durch die Erinnerung an seine Jugend kommt seine überheblich-aggressive Haltung ins Wanken: Sein Vater Earl betrog seine erste Frau Lilly und verließ sie und ihren Sohn, als dieser vierzehn und Lilly unheilbar an Krebs erkrankt war. Der Junge pflegte Lilly und saß an ihrem Bett, als sie starb. Das hat Frank seinem Vater nie verziehen, und er nahm deshalb auch den Geburtsnamen seiner Mutter an.

Unermüdlich telefoniert Phil herum, bis er mit Frank T. J. Mackeys Assistentin Janet (Mary Lynn Rajskub) verbunden wird und sie überreden kann, ihn durchzustellen. Zuerst will Frank nichts von seinem todkranken Vater hören, aber dann fährt er doch hin. Im Korridor bleibt er eine Weile stehen, bis er in der Lage ist, sich dem Sterbebett zu nähern. Falls ihm die Hunde seines Vaters zu nahe kämen, droht er, würde er sie tottreten. Earl nimmt seinen Sohn nicht mehr wahr, der neben dem Bett auf die Knie geht, die Hand seines Vaters umklammert, schluchzt und immer wieder „Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ hervorstößt.

Als sich Mieter in einem Haus über ruhestörenden Lärm beschweren, wird der ängstlich-vorsichtige Polizist Jim Kurring (John C. Reilly) hingeschickt. Die Tür der Wohnung, über die sich die Nachbarn beschwerten, steht offen. Er ruft, geht hinein und trifft auf eine Schwarze namens Marcie (Cleo King), die hysterisch keift und beteuert, allein in der Wohnung zu sein. Weil sie sich nicht beruhigen lässt, fesselt Jim sie mit Handschellen an eine Sitzbank, bevor er sich in den anderen Zimmern umsieht, denn die Nachbarn hatten Schreie gehört, und er ist überzeugt, dass noch jemand da ist. Unter einem Haufen Wäsche in einem Wandschrank stößt er auf eine Leiche. – Marcie wird wegen der Ermordung ihres Mannes angeklagt und muss sich vor Gericht verantworten.

Als Jimmy Gator (Philip Baker Hall), der fünfundsechzigjährige Moderator der seit dreiunddreißig Jahren von Earl Partridge produzierten Quizsendung „Was wissen Kinder?“, erfährt, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist, sucht er seine erwachsene Tochter Claudia Wilson (Melora Walters) auf. An ihrer Tür stößt er auf einen Fremden, der Claudia vor ein, zwei Stunden in einer Bar ansprach und sie inzwischen hastig fickte. Jetzt verdrückt er sich. Jimmy teilt Claudia mit, er habe Metastasen im Rückenmark und werde bald sterben, aber sie will nichts von ihm wissen, brüllt ihm ihren Hass ins Gesicht und verlangt schreiend, dass er ihre Wohnung verlässt.

Wegen des Geschreis und des anschließend auf volle Lautstärke eingestellten Fernsehapparates und der gleichzeitig bis zum Anschlag aufgedrehten Stereoanlage wird Jim Kurring gerufen. Hastig räumt Claudia ihr Drogenbesteck weg, bevor sie die Tür öffnet. Der hausbacken-gutmütige Polizist fordert die hypernervöse junge Frau auf, die Boxen leiser zu stellen und erläutert ihr eingehend das Risiko einer Gehörschädigung durch Lärm. Jim lässt sich noch eine Tasse Kaffee machen, der zwar so scheußlich schmeckt, dass er ihn unbemerkt in den Ausguss kippt, aber er zögert seinen Abschied immer weiter hinaus. Auf der Treppe kehrt er noch einmal um und fragt Claudia, ob er sie einmal zum essen einladen dürfe. Sie kann es gar nicht fassen, dass jemand mit ihr ausgehen will.

Im Restaurant spricht der Zweiunddreißigjährige, der seit drei Jahren geschieden ist, ungewandt mit der jungen kokainsüchtigen Frau. Sie merkt, dass sie einen zwar naiven, aber liebevollen Mann vor sich hat. Um ihm später größeren Kummer zu ersparen, küsst sie ihn und läuft fort.

In einer neuen Folge der Quizsendung „Was wissen Kinder?“, die wie immer von Jimmy Gator moderiert wird, treten wieder drei Kinder gegen drei Erwachsene an. Star der Sendung ist diesmal der zehnjährige Stanley (Jeremy Blackman), denn das von seinem ehrgeizigen Vater Rick Spector (Michael Bowen) angespornte Wunderkind kann alle Fragen mühelos beantworten. Während der Sendung bittet Stanley die Aufnahmeleiterin Cynthia (Felicity Huffman), kurz zur Toilette gehen zu dürfen, aber sie verbietet es ihm. Mit zusammengepressten Beinen sitzt Stanley von da an hinter seinem Pult und sagt kein Wort mehr. Als er das Team der Kinder in der Endrunde vertreten, aufstehen und neben den Moderator treten soll, weigert er sich, weil er sich nicht mit seiner nassen Hose zeigen will. Deshalb wird die Sendung schließlich abgebrochen. Blind vor Wut stürzt Rick Spector sich auf seinen Sohn.

Während die Sendung im Fernsehen läuft, hängt ein Vierzigjähriger namens Donnie Smith (William H. Macy) in einer Kneipe herum. Als Kind (Benjamin Niedens) war er auch ein Star dieser Quiz-Veranstaltung wie jetzt Stanley. Er erinnert sich daran, dass die Eltern ihm die Gewinne abnahmen. Inzwischen steht er als unglücklicher Versager vor den Trümmern seines Lebens, und heute wurde ihm auch noch die Stelle gekündigt.

Donnie leiht sich ein Auto aus, sperrt irgendwo eine Hintertür auf, klettert auf einen Speicher und holt einige Geldbündel aus einem Versteck. Während der Rückfahrt besinnt er sich und kehrt um. Weil ihm beim Absperren der schweren Metalltür der Schlüssel abbrach, versucht er, am Fallrohr der Dachrinne zu dem Versteck hinaufzuklettert.

Da entdeckt ihn Jim Kurring, der gerade von der Verabredung mit Claudia zurückkommt. Der Polizist überwältigt den Einbrecher, aber statt ihn festzunehmen, begleitet er ihn zu dem Versteck und sieht zu, wie Donnie das Geld zurücklegt. „Manchmal muss man Menschen ein wenig helfen, manchmal muss man sie ins Gefängnis stecken. Und das ist das Schwierigste: diese Entscheidung zu treffen.“

Nach der abgebrochenen Quiz-Sendung unterrichtet Jimmy Gator seine zweite Ehefrau Rose (Melinda Dillon) von seiner tödlichen Erkrankung und gesteht ihr reuevoll, sie betrogen zu haben. Als Rose wissen möchte, was zwischen ihm und seiner Tochter ist, erzählt er, Claudia sei vor zehn Jahren von zu Hause fortgerannt und glaube immer noch, er habe sie als Kind missbraucht. Ob die Anschuldigung zutreffe, fragt Rose, aber Jimmy behauptet, sich nicht mehr erinnern zu können. Weinend verlässt Rose ihren Mann und fährt mit dem Auto zu Claudia.

Jimmy erschießt sich.

Auf dem Magnolia-Boulevard kommt Rose mit ihrem Auto ins Schleudern, denn es regnet plötzlich Kröten vom Himmel. Innerhalb kurzer Zeit ist der ganze Boden mit den Tieren bedeckt. Auf der glitschigen Straße verliert auch der Fahrer des Krankenwagens, der Linda in die Klinik bringen soll, die Kontrolle über das Fahrzeug, und es kippt um.

Frank fährt nach dem Tod seines Vaters ins Krankenhaus zu Linda.

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In „Magnolia“ von Paul Thomas Anderson geht es um einige vereinsamte, unglückliche Menschen in Kalifornien. Die gezeigten Episoden aus ihrem Leben finden alle parallel an einem einzigen Tag statt. Der Sex-Guru Frank, die drogensüchtige Claudia, der Wunderknabe Stanley und sein inzwischen erwachsener Vorgänger Donnie: Sie wurden alle von ihren Vätern missbraucht oder im Stich gelassen. Können sie ihren Vätern verzeihen? Lassen sich die traumatischen Erlebnisse überwinden? „Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber sie nicht mit uns“, heißt es in dem Film. Vergeblich versuchen die Menschen nach Liebe und Selbstachtung. Zorn, Hass, Demütigung, Scham, Reue, Einsamkeit, Hoffnung und Verzweiflung: „Magnolia“ ist ein Kaleidoskop voller Emotionen.

Ich werde Ihnen ganz bestimmt nicht den Film erklären. Was ich mitzuteilen habe, steckt genau dort: im Film!
(Paul Thomas Anderson in einem Interview)

Im Vorspann wird der Kinobesucher mit Informationen zugeworfen, die er gar nicht alle aufnehmen kann. Im Londoner Stadtteil Greenberry Hill überfielen und ermordeten drei Landstreicher namens Joseph Green (Mark Flannagan), Stanley Berry (Neil Flynn) und Daniel Hill (Rod McLachlan) 1911 aus reiner Geldgier den Apotheker Sir Edmund William Godfrey (Pat Healy). 1983 wurde der Croupier Delmer Darion (Patton Oswalt) beim Sporttauchen versehentlich von einem Löschflugzeug aufgesogen und landete tot in einem Baum des brennenden Waldes. Craig Hanson, der Pilot des Flugzeugs (Brad Hunt), erschoss sich tags darauf. 1958 sprang ein junger Mann namens Sydney Barringer (Chris O’Hara) vom Dach eines achtstöckigen Wohnhauses, wurde zwar von einem für die Fensterputzer aufgespannten Sicherheitsnetz aufgefangen, starb aber dennoch, weil seine Mutter Faye (Miriam Margolyes) im 5. Stockwerk mit einem Gewehr auf seinen Vater Arthur (Clement Blake) schoss und versehentlich ihren Sohn traf, als der gerade am Fenster vorbeistürzte. Faye und Arthur konnten sich nicht erklären, wieso das Gewehr geladen war, aber ein kleiner Junge sagte aus, Sydney habe Patronen in die beiden Läufe gesteckt, weil er der Streitsucht seiner Eltern überdrüssig gewesen war.

Aus dem Stakkato der ersten Szenen nach dem Vorspann schälen sich dann die einzelnen, parallel erzählten Handlungsstränge heraus, während eine erdrückende Hintergrundmusik teilweise sogar die Dialoge übertönt. Das grandiose Episoden-Drama ist außergewöhnlich ambitioniert – das zeigt schon die Dauer von mehr als drei Stunden –, aber auch virtuos aus vielen kurzen Szenen montiert. Sarkastisch wirkt es, wenn neun tief unglückliche Figuren – darunter der verdämmernde Earl und seine bewusstlose Frau Linda – wie auf einer Opernbühne Passagen eines melancholischen Songs von Aimee Mann singen. Ebenso originell wie eindrucksvoll ist die Szene, in der es wie bei einer biblischen Plage Kröten vom Himmel regnet.

Hervorzugeben sind auch die großartigen Darsteller: Bis in die Nebenrollen hinein ist „Magnolia“ ausgezeichnet besetzt.

Bei der 50. Berlinale gab es für „Magnolia“ einen „Goldenen Bären“. Für einen „Oscar“ nominiert wurden Paul Thomas Anderson für das Drehbuch, Aimee Mann für ihren Song und Tom Cruise als einer der Hauptdarsteller.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.