Nathalie
Nathalie
Inhaltsangabe
Kritik
Die Pariser Gynäkologin Catherine (Fanny Ardant) gibt zum Geburtstag ihres Ehemanns, der als Architekt viel unterwegs ist, eine Überraschungsparty, doch während die Gäste schon auf ihn warten, ruft Bernard (Gérard Depardieu) aus Zürich an und teilt seiner Frau mit, er habe den letzten Flug verpasst und komme erst am nächsten Morgen zurück. Souverän überspielt Catherine ihre Frustration und feiert mit den Anwesenden.
Am nächsten Tag hört Catherine die Mailbox ihres Mannes ab und stößt dabei auch auf die Nachricht einer Frau, die sich für eine heiße Liebesnacht bedankt. Bernard gibt zu, hin und wieder mit anderen Frauen ins Bett gegangen zu sein, aber er beteuert, das habe nichts zu bedeuten. Zugleich behauptet er, seine Frau habe sich in den fünfundzwanzig Jahren Ehe allmählich von ihm zurückgezogen. Ohne es explizit auszusprechen, glaubt Bernard, es sei nichts dabei, wenn ein Mann ab und zu einmal aus dem eintönigen Ehealltag ausbricht und sich auf einen One-Night-Stand einlässt. Catherine sieht das ganz anders: Für sie ist eine Welt zusammengebrochen, die sie für heil gehalten hatte.
Unweit von ihrer gynäkologischen Praxis befindet sich ein Edelbordell. Auf dem Weg zum Auto geht Catherine fast jeden Abend daran vorbei. Beim nächsten Mal betritt sie das Etablissement. Die Prostituierte Marlène (Emmanuelle Béart) setzt sich zu ihr. Nach einer Weile meint Catherine: „Sie können mir vielleicht helfen.“ Es kommt zwar nicht häufig vor, dass eine lesbische Frau im Bordell ein Abenteuer sucht, aber Marlène hätte damit kein Problem. Als Catherine ihr dagegen zu verstehen gibt, sie könne ihrem Ehemann gefallen, befürchtet sie zunächst, es handele sich um einen Gelähmten. Die Missverständnisse werden rasch ausgeräumt: Catherine bezahlt Marlène dafür, dass diese ihren Mann in dessen Stammcafé auf die Probe stellt und sich dabei als Sprachenstudentin Nathalie ausgibt.
Kurze Zeit später treffen sich die beiden Frauen, und Marlène alias Nathalie berichtet sachlich über die erste Begegnung mit Catherines Ehemann: Er las Zeitung. Sie bat ihn um Feuer und blieb dann in der Nähe stehen. Nach mehreren Blickkontakten fragte er sie nach ihrem Namen, aber sie antwortete nicht und ging.
Vom zweiten Treffen in dem Café erzählt Marlène ihrer Auftraggeberin folgendes: Bernard lud sie zum Essen ein, aber in dem Restaurant war es zu voll. Da gingen sie in ein Hotelzimmer. Catherine ist entsetzt: Sie hatte nicht gewollt, dass die beiden Sex miteinander hatten. Das ging zu weit! Verwirrt beendet sie Marlènes Auftrag.
Bald darauf überlegt sie es sich anders: Wenn Bernard sie schon betrügt, möchte sie nicht einfach Opfer sein, sondern die Kontrolle zurückgewinnen und heimlich an seinen sexuellen Eskapaden teilhaben, wenn auch nur in der Vorstellung. Also lässt sie Marlène weitermachen und sich in allen Einzelheiten berichten, was zwischen Bernard und „Nathalie“ im Bett geschieht.
Zu Beginn hatte Marlène versichert, dass ihre Arbeit sie nicht erregt: „Ich tu so als ob; das ist mein Job.“ Doch eines Tages gesteht sie Catherine, sie habe es mit Bernard in einem Treppenhaus getrieben und sei dabei zum Orgasmus gekommen. Später behauptet sie, aus Rücksicht auf ihre Auftraggeberin ein von Bernard angebotenes Apartment abgelehnt zu haben. Daraufhin mietet Catherine ihr eines.
Unter einem Vorwand übernachtet Catherine zusammen mit „Nathalie“ bei ihrer Mutter (Judith Magre) und lässt sich von der Edelprostituierten das Pariser Nachtleben zeigen. Dadurch erwacht auch ihr Begehren wieder: Sie flirtet mit einem Kellner und verbringt eine Nacht mit ihm in seiner Wohnung.
Bernard bemerkt die Veränderung seiner Frau, und als er sie fragt, ob sie eine Affäre habe, lügt sie: „Ja, seit ein paar Wochen.“
Beim nächsten Treffen erfährt Catherine von Marlène, dass Bernard eifersüchtig ist, weil er annimmt, ein Rivale habe Nathalie die Wohnung gemietet. Er drängte sie sogar, ganz mit ihm zusammenzuleben.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Daraufhin will Catherine eine Entscheidung herbeiführen und verabredet sich sowohl mit Bernard als auch mit Marlène in einer Hotelbar. Sie sitzt bereits mit Bernard an einem Tisch, als Marlene alias Nathalie hereinkommt, die beiden erblickt und sofort wieder geht. „Wer war das Mädchen?“, fragt Bernard.
Am nächsten Tag stellt Catherine Marlène zur Rede, und die Prostituierte gibt zu, sich alles ausgedacht zu haben, um an leicht verdientes Geld zu kommen: Bernard gab ihr zwar Feuer, als sie ihn im Café ansprach, zeigte aber weiter kein Interesse an ihr.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)In einem Interview erzählt Anne Fontaine, wie sie auf die Idee zu dem Film „Nathalie“ kam:
Ich hatte ein Drehbuch von Philippe Blasband über die Beziehung zwischen einer Ehefrau und einer Prostituierten gelesen. Es war eine Rache-Geschichte, in der der Ehemann, der erst am Ende auftaucht, in die Falle tappt. Was mich fasziniert hat, ist die Vorstellung einer Ehefrau, die ein Callgirl anheuert und unbeabsichtigt in eine Situation gerät, in der sie quasi stellvertretend eine sexuelle Beziehung hat […] Es ist mehr ein Film über Fantasie. Jede Person lebt eine Lüge: Bernard ist verschlossen, Catherine erzählt ihrem Mann nicht die Wahrheit, und Marlène hütet ihr Geheimnis […] Catherine ist von Marlène fasziniert. Prostituierte sind für Frauen faszinierender als für Männer. Männer gehen zu Prostituierten, um sehr fundamentale Bedürfnisse zu befriedigen.
Es ist wohl kein Zufall, dass es sich bei den beiden Hauptfiguren in „Nathalie. Wen liebst du heute Nacht?“ um eine Prostituierte und eine Gynäkologin handelt: Während die eine ihren Körper zur Ware macht und dabei Gefühle nur vortäuscht, ist für die andere der weibliche Körper ein Objekt nüchterner Diagnostik und Therapie. Catherine mietet Marlène, gibt ihr eine andere Identität – Nathalie – und versucht, über sie wieder am Sexualleben ihres Ehemannes teilzuhaben.
Aus gutem Grund hat Anne Fontaine die Bettgeschichten, die Marlène alias Nathalie erzählt, nicht visualisiert. Erotik und Sexualität spielen sich also nur im Verbalen und im Kopf ab.
Wie der Film ausgeht, ahnt man als Zuschauer leider viel zu früh. Das hätte sich durch eine mehrdeutige Auflösung vermeiden lassen.
Anne Fontaine zeigt in „Nathalie“ zwei starke Frauen, die sich weder zum Opfer noch zum willenlosen Objekt machen lassen, sondern versuchen, die Kontrolle zu behalten. Eine Ermutigung zur Emanzipation ist das jedoch nicht, denn Catherine lässt sich täuschen, und wenn der Film eine Botschaft hat, dann ist es ein Plädoyer gegen diesen Willen zur Kontrolle, gegen Berechnung und Misstrauen.
Sehenswert ist „Nathalie“ wegen der visuellen Ästhetik, der passenden Musikuntermalung und vor allem wegen der großartigen Darsteller Fanny Ardant, Emmanuelle Béart und Gérard Depardieu.
Atom Egoyan drehte unter dem Titel „Chloe“ ein Remake von „Nathalie. Wen liebst du heute Nacht?“.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Atom Egoyan: Chloe
Anne Fontaine: Coco Chanel. Der Beginn einer Leidenschaft