Milchwald

Milchwald

Milchwald

Originaltitel: Milchwald - Regie: Christoph Hochhäusler - Drehbuch: Benjamin Heisenberg und Christoph Hochhäusler - Kamera: Ali Goezkaya - Schnitt: Gisela Zick - Musik: Benedikt Schiefer - Darsteller: Sophie Charlotte Conrad, Judith Engel, Horst-Günther Marx, Miroslaw Baka, Leonard Bruckmann u.a. - 2003; 85 Minuten

Inhaltsangabe

Sylvia fährt mit ihren beiden Stiefkindern zum Einkaufen. Weil Lea und Konstantin ihre überforderte Mutter nerven, wirft diese sie unterwegs aus dem Auto. Als Sylvia sich beruhigt hat und umkehrt, sind Lea und Konstantin verschwunden. Allein kommt Sylvia nach Hause, wagt aber nicht, ihrem Mann Josef zu sagen, was geschehen ist, und er vermutet deshalb eine Entführung ...
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Kritik

Christoph Hochhäusler erzählt die beklemmende Geschichte aus der Distanz: Die Kamera bleibt immer wieder längere Zeit unbeweglich in der Totalen oder Halbtotalen. Selbst die Dialoge sind in "Milchwald" auf das Nötigste reduziert.
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Sylvia Mattis (Judith Engel) kommt zu spät, um ihre beiden Stiefkinder von der Schule abzuholen. Stattdessen liest sie die achtjährige Lea (Sophie Charlotte Conrad) und den ein Jahr jüngeren Konstantin (Leonard Bruckmann) unterwegs auf und nimmt sie im Wagen mit, um mit ihnen kurz über die Grenze zum Einkaufen nach Polen zu fahren. Lea quengelt, weil sie keine Lust hat, im Auto zu sitzen; sie tadelt Sylvia, weil diese wieder zu rauchen angefangen hat, und als Sylvia ein Lied anstimmt, meint Lea: „Du brauchst nicht mit uns zu singen. Du bist ja nicht unsere Mutter.“ Das kleine Scheusal spürt genau, wo es es weh tut. Als Lea dann noch behauptet, dringend austreten zu müssen, hält die überforderte Stiefmutter an und wirft die Kinder in einer Kurzschlusshandlung aus dem Auto. Nachdem sie zur Beruhigung in einem nahen Tannenwald eine Zigarette geraucht hat, kehrt sie um und ruft nach den Kindern. Aber die sind ohne sie losgegangen.

Allein kehrt Sylvia zurück in den noch nicht ganz fertigen Neubau irgendwo in Ostdeutschland. Als ihr Mann Josef (Horst-Günther Marx) vom Büro nach Hause kommt, wundert er sich zunächst über die Abwesenheit der Kinder. Sylvia sagt kein Wort. Voller Angst, ihren Mann zu verlieren, küsst sie ihn und drängt ihn zum Bett. Durch eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter erfährt Josef Mattis nach dem Geschlechtsverkehr, dass die Kinder am Nachmittag von der Turnlehrerin vermisst wurden. Er ruft die Eltern befreundeter Schüler an, macht sich auf die Suche und alarmiert die Polizei, während Sylvia hilflos schweigend und wie unbeteiligt im Haus bleibt.

Als es dunkel wird, treffen Lea und Konstantin im Wald auf einen Polen, der vor seinem Lieferwagen einen Campingtisch aufgebaut hat und zu Abend isst. Kuba Lubinski (Miroslaw Baka) fährt von Gaststätte zu Gaststätte, um die Toiletten zu warten. Er nimmt die Kinder mit. Unterwegs wählt er mehrmals die von ihnen angegebene Telefonnummer ihrer Eltern, aber niemand hebt ab.

Sylvia liegt nämlich bewusstlos auf dem Bett, nachdem sie einen Abschiedsbrief unter die Post ihres Mannes gemischt und Schlaftabletten genommen hat.

Lubinski beabsichtigt, die Kinder am nächsten Tag zur Polizei zu bringen. Bevor er sein Vorhaben verwirklichen kann, erfährt er aus der Tagesschau, dass der Vater der beiden vermissten Kinder für entsprechende Hinweise 10 000 Euro Belohnung ausgesetzt hat. Daraufhin ändert Lubinski seine Pläne und ruft stattdessen noch einmal die Nummer an. Diesmal meldet sich Josef Mattis, der gerade nach Hause gekommen ist. Durch den Anruf fühlt er sich in seinem Verdacht bestätigt, dass seine Kinder entführt wurden. Er verspricht, die Polizei aus dem Spiel zu lassen und sich mit dem Anrufer zur Geldübergabe in Polen zu treffen.

Sylvia, die doch wieder zu sich gekommen ist, läuft ihrem Mann nach, als dieser mit dem Auto losfährt. Sie will unbedingt mitkommen.

Obwohl ihm Lea und Konstantin inzwischen weggelaufen sind, hält Lubinski an dem Treffen mit ihren Eltern fest, denn er hofft, durch Tricks an die 10 000 Euro zu kommen.

Die Kinder haben Münzen aus einem Brunnen gefischt, um Geld für die Heimfahrt zu haben. Beim Versuch, das Geld an einem Bankschalter in Scheine umzutauschen, werden sie barsch abgewiesen. An einem Busbahnhof verlieren sie sich aus den Augen. Lubinski entdeckt Lea in einer Kirche, in der sie Zuflucht suchte, und gleich darauf stoßen sie auch auf Konstantin.

Da Lea längst nicht mehr glaubt, dass Lubinski ihnen hilft, zu ihren Eltern zu kommen, füllt sie während der Fahrt heimlich etwas von einem ätzenden Toilettenreinigungsmittel in seine Thermoskanne. Als Lubinski einen Schluck davon trinkt, bleibt ihm der Atem weg; er bringt den Wagen mit einer Vollbremsung zum Stehen, taumelt ins Freie, und als er wieder etwas Luft bekommt, schickt er die Kinder mit heiserer Stimme fort. Wie zu Beginn des Films laufen sie allein und verloren eine Landstraße entlang.

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Spielt Christoph Hochhäusler mit dem Titel „Milchwald“ auf das Hörspiel „Under Milk Wood. A Play for Voices“ (1953; „Unter dem Milchwald. Ein Spiel für Stimmen“) des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas an? Bei der Konstellation einer Stiefmutter mit zwei kleinen Kindern, die sich im Wald verlaufen, denkt man gleich an das Märchen „Hänsel und Gretel“. Aber die Stiefmutter in „Milchwald“ ist nicht böse, sondern hilflos und überfordert, während die Kinder nicht ganz so lieb und unschuldig wie im Märchen sind.

Christoph Hochhäusler erzählt die beklemmende Geschichte aus der Distanz: Nahaufnahmen vermeidet der Kameramann Ali Olay Gözkaya; die meisten Szenen sind in der Totalen oder Halbtotalen gefilmt, sodass man genau hinschauen muss, um Details wahrnehmen zu können. Die Kamera bleibt immer wieder längere Zeit unbeweglich in einer Position, ohne Zoom, Schwenk oder Fahrt. Die Zahl der Schnitte ist minimal. Selbst die Dialoge sind auf das Nötigste reduziert. Untermalt wird die unterkühlte Atmosphäre durch Benedikt Schiefers spröde Musik.

Christoph Hochhäusler (*1972) studierte 1993 bis 1995 Architektur in Berlin und danach bis 2002 an der Hochschule für Fernsehen und Film München. „Milchwald“ ist Hochhäuslers Abschlussarbeit und sein Kinofilmdebüt. Gedreht wurde im Sommer 2002 in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Polen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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