Besessen
Besessen
Inhaltsangabe
Kritik
Der amerikanische Stipendiat Roland Michell (Aaron Eckhart), der in London Assistent von James Blackadder (Tom Hickey) ist, dem Herausgeber der gesammelten Werke von Randolph Henry Ash (Jeremy Northam), blättert im Lesesaal der London Library in einem Exemplar des Buches „Principi di una scienza nuova d’intorno alla communa natura delle nazioni“ (1725) von Giambattista Vico (1668 – 1744), das früher Randolph Henry Ash gehört hatte. Darin findet er einige Notizzettel und zwei an eine unbekannte „hochverehrte Dame“ gerichtete, undatierte Briefentwürfe, die der angesehene viktorianische Dichter offenbar bei einer Frühstücksgesellschaft im Haus von Crabb Robinson kennen gelernt hatte. Ohne lang nachzudenken, nimmt Roland die beiden Briefentwürfe an sich, bevor er das Buch mit den Notizzetteln zurückgibt.
Randolph Henry Ash war von 1848 bis zu seinem Tod am 25. November 1889 mit Ellen Christiana Ash (Holly Aird) verheiratet und gilt in der Literaturgeschichte als Vorbild eines treuen Ehemanns. Wer mag die „hochverehrte Dame“ gewesen sein? Am folgenden Tag geht Roland zur Dr. Williams Library, um im Tagebuch von Crabb Robinson nach Hinweisen auf die Frühstücksgesellschaft zu suchen. Eine Eintragung vom Juni 1858 bringt ihn auf die Spur: Randolph Henry Ash und die Lyrikerin Christabel LaMotte (Jennifer Ehle) waren bei Robinson gleichzeitig zu Gast.
Von seinem Kollegen Fergus Wolff (Toby Stephens) erfährt Roland, dass eine gewisse Maud Bailey (Gwyneth Paltrow) in Lincoln ein Archiv für Frauenliteratur leitet und sich intensiv mit Christabel LaMotte beschäftigt hat. Maud ist sogar mit Christabel LaMotte verwandt: sie stammt von deren Nichte Maia („May“) Thomasine Bailey (Holly Earl) ab, der Tochter von Christabels Schwester Sophie und Sir George Bailey. May hatte 1878 geheiratet und zwei Jahre später Mauds Urgroßvater Walter Bailey zur Welt gebracht.
Christabel LaMotte blieb unverheiratet und nahm sich mit ihrer lesbischen Freundin Blanche Glover (Lena Headey) zusammen eine eigene Wohnung. Später lebte sie bei ihrer Schwester und ihrem Schwager auf deren Landsitz Seal Court.
Roland nimmt den Zug nach Lincoln. Auch das Tagebuch von Blanche Glover befindet sich im Archiv für Frauenliteratur. Obwohl Maud ihren Besucher auf Distanz hält, lädt sie ihn ein, bei ihr auf einem Sofa zu übernachten, damit er in Ruhe nach weiteren Hinweisen auf eine Beziehung von Randolph Henry Ash und Christabel LaMotte suchen kann. Ein Hotelzimmer hätte er sich nicht leisten können.
Gemeinsam fahren sie am nächsten Morgen nach Seal Court und besuchen Sir George Bailey (Graham Crowden) und dessen auf einen Rollstuhl angewiesene Ehefrau Joan (Anna Massey). Als die Besucher von ihrem Interesse an Christabel LaMotte erzählen, bittet Lady Bailey ihren Mann, ihnen deren seit Jahrzehnten unverändertes Zimmer zu zeigen, und die beiden älteren Herrschaften laden Maud und Roland ein, im dem Landhaus zu übernachten.
Nachts fällt Maud ein Gedicht der viktorianischen Lyrikerin ein.
Püppchen ist verschwiegen
Plaudert nichts aus
Püppchen wahrt die Treue
Über das Grab hinaus.
Sie weckt Roland und untersucht mit ihm die Puppen in Christabels Zimmer. In einem Geheimfach unter den Puppen finden sie zwei Briefbündel: Briefe von Randolph Henry Ash an Christabel LaMotte und von der Dichterin an ihn! Sie lagen dort seit fast einem Jahrhundert. Noch in der Nacht lesen Maud und Roland die Korrespondenz. Aus den Briefen geht unzweifelhaft hervor, dass die beiden einander liebten. Roland vermutet sogar, dass Ash bei seiner naturkundlichen Expedition im Juni 1859 in North Yorkshire von Christabel LaMotte begleitet wurde. Er fährt mit Maud hin, und sie finden markante Landschaftsdetails wie eine Höhle hinter einem Wasserfall, die in den Gedichten der beiden Lyriker auftauchten: Randolph Henry Ash und Christabel LaMotte waren also tatsächlich beide in North Yorkshire!
Durch die gemeinsamen Nachforschungen kommen Maud und Roland sich zögernd näher, wollen jedoch ihre Gefühle für einander aufgrund schmerzvoller Erfahrungen nicht wahrhaben.
Der Briefwechsel zwischen Randolph Henry Ash und Christabel LaMotte brach nach der gemeinsamen Reise im Jahr 1859 ab. Wo hielt Christabel sich danach auf? Wo war sie, als Blanche Glover sich am 26. Juni 1860 in der Themse ertränkte?
Maud und Roland folgen einer Spur in die Bretagne und finden Hinweise, die darauf schließen lassen, dass die viktorianische Dichterin während ihres Aufenthalts dort schwanger war. Aber was wurde aus dem Kind? Starb es bei der Geburt? Falls es überlebte: Wo wuchs es auf? Handelte es sich um einen Sohn oder eine Tochter?
Fergus Wolff fällt auf, dass sowohl Roland als auch Maud seit einigen Tagen verschwunden sind, und er schließt daraus, dass Roland etwas Sensationelles über Randolph Henry Ash und Christabel LaMotte herausgefunden hat, dem die beiden nachgehen. Maud versuchte, ihn von Seal Close aus anzurufen, erreichte jedoch nur seine Mailbox. Von George Bailey erfährt er am Telefon, dass sie zusammen mit Roland Michell in dem Landhaus übernachtete und Briefe von Randolph Henry Ash und Christabel LaMotte fand. Zusammen mit dem Ash-Forscher und -Biografen Mortimer P. Cropper (Trevor Eve) fährt er nach Seal Close, aber Sir George hält ein Gewehr im Anschlag und zwingt die beiden, gleich wieder wegzufahren. Immerhin kann ihm Cropper noch seine Karte dalassen und sein großes Interesse an den Briefen bekunden. George Bailey beauftragt seinen Rechtsanwalt Toby Byng (Henry Ian Cusick), sich nach dem Wert der Briefe zu erkundigen.
Zufällig belauscht Roland ein Gespräch und erfährt auf diese Weise, dass Cropper im Tagebuch von Ellen Ash Hinweise auf einen an ihren Mann adressierten Brief fand, den sie kurz vor dessen Tod von Christabel LaMotte erhielt und ihm in einer Kassette auf den Sarg legte. Cropper plant offenbar, das Grab in Hodershall zusammen mit Hildebrand Ash (Craig Crosbie), einen Nachfahren des Dichters, heimlich zu öffnen.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Roland weiht daraufhin James Blackadder in die Geheimnisse ein, die Maud und er herausfanden. Gemeinsam ertappen sie Cropper und Hildebrand Ash mitten in der Nacht dabei, wie sie das Grab ausheben. Sie drohen den Grabschändern mit einer Anzeige und lassen sich die geborgene Kassette aushändigen. In ihrem letzten Brief schrieb Christabel LaMotte ihrem früheren Geliebten, mit dem sie fast dreißig Jahre lang keinen Kontakt mehr gehabt hatte, sie sei 1860 – neun Monate nach dem gemeinsamen Aufenthalt in North Yorkshire – in der Bretagne von einer Tochter entbunden worden. Ohne etwas von ihrer Herkunft zu ahnen, wuchs Maia („May“) Thomasine bei Pflegeeltern auf: Christabels Schwester Sophie und Sir George Bailey. – Maud ist also nicht nur mit Christabel LaMotte verwandt, sondern sie stammt von ihr und Randolph Henry Ash ab und ist damit ohne Zweifel die Erbin des Briefwechsels der beiden!
Christabel LaMotte, das Idol der modernen Feministinnen, war keine von Männern unberührte Lesbierin, wie man bisher annahm, sondern die Mutter eines uneheliches Kindes! Im Fall einer Veröffentlichung der Briefe müsste die Literaturgeschichte neu geschrieben werden.
Durch das Beispiel der von ihnen erforschten Leidenschaft haben Maud und Roland gelernt, dass ihre Liebe das Risiko einer weiteren schmerzvollen Erfahrung wert ist.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Neil LaBut verfilmte den 1990 veröffentlichten Bestseller „Besessen“ von Antonia S. Byatt. Ein mehrere hundert Seiten dicker Roman muss bei der Verfilmung selbstverständlich gekürzt werden, und an die Stelle der zahlreichen fiktiven Brief- und Gedichtzitate, mit denen Antonia S. Byatt die tragische, 127 Jahre vor der Erzählgegenwart spielende Liebesgeschichte zwischen dem viktorianischen Dichter Randolph Henry Ash und der Lyrikerin Christabel LaMotte darstellt, müssen im Kino Rückblenden treten. Aber David Henry Hwang, Laura Jones und Neil LaBute haben auch noch einige andere Dinge gegenüber der literarischen Vorlage verändert: Beispielsweise machten sie aus dem englischen Universitätsassistenten Roland Michell einen Stipendiaten aus den USA und sie führten eine zusätzliche Figur ein: Fergus Wolff. Außerdem haben die Filmemacher die Akzente von der viktorianischen Liebesgeschichte auf die gegenwärtige und vom Literarischen zum Kriminalistischen verschoben.
Ungeachtet der Unterschiede handelt es sich bei „Besessen“ von Neil LaBut um eine gelungene, ruhige und gefühlvolle Literaturverfilmung ohne Effekthascherei, mit der dem Vernehmen nach auch Antonia S. Byatt einverstanden war.
Heutzutage haben die Leute richtig Angst davor, romantisch zu sein. Sie haben sogar Angst, das Wort Romantik oder Romanze auszusprechen. Ich stehe dazu, wir haben einen romantischen Film gemacht.“ (Neil LaBute, Süddeutsche Zeitung, 30. November 2002)
Während die Rückblenden in ein weiches, warmes Licht getaucht sind, dominieren bei den in der Gegenwart spielenden Szenen buntere Farben und ein härteres Licht. Bemerkenswert sind die Übergänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit: Einmal blickt Maud Bailey Roland Michell nach, der zu einem Wasserfall schwimmt, dann schwenkt die Kamera ein Stück nach links und da steht Christabel LaMotte – 127 Jahre früher. Oder wir sehen, wie Randolph Henry Ash und Christabel LaMotte 1859 ein Hotelzimmer verlassen. Als sich die Tür wieder öffnet, treten Roland Michell und Maud Beiley 1986 ein.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005/2007
Antonia S. Byatt: Besessen