Wahrheit oder Pflicht
Wahrheit oder Pflicht
Inhaltsangabe
Kritik
Die achtzehnjährige Gymnasiastin Annika (Katharina Schüttler), die nach der 12. Klasse nicht versetzt wurde, versagt in der entscheidenden Mathematik-Klausur, erreicht also das Klassenziel wieder nicht und muss deshalb die Schule ein Jahr vor dem Abitur verlassen.
Annika wartet auf einen günstigen Zeitpunkt, um ihren Eltern (Jochen Nickel, Therese Hämer) die Wahrheit zu sagen. Als ihr Vater nach den Schulnoten fragt, fälscht sie ein älteres Zeugnis und legt es ihm vor. Auch auf der Kreuzfahrt, die ihre Eltern mit ihr unternehmen, wagt Annika nicht, ihnen zu gestehen, dass sie kein Abitur machen wird. Deshalb tut sie nach den Sommerferien so, als gehe sie noch immer jeden Morgen zur Schule.
In Wirklichkeit verbringt sie die Vormittage im Wrack eines Busses, das am Rand einer Plattenbausiedlung steht.
Bernd, Annikas Vater, arbeitet als Pilot. Weil er nur auf einer Kurzstrecke eingesetzt wird und dies auf sein fehlendes Abitur zurückführt, schärft er Annika immer wieder ein, wie wichtig ein guter Schulabschluss sei. Monika, Annikas Mutter, engagiert sich für den Bau einer Umgehungsstraße und verbringt viel Zeit mit einer Gruppe von Lokalpolitikern. Wenn Bernd Annika kritisiert, ermahnt sie ihn, nicht so streng zu sein und blinzelt ihr zu, doch ihre Anteilnahme an der Gedankenwelt ihrer Tochter bleibt oberflächlich.
Selbst als die Eltern den Mathematik-Studenten Uli (Thorben Liebrecht) als Nachhilfe-Lehrer verpflichten, rückt Annika nicht mit der Wahrheit heraus, sondern nimmt zum Schein jede Woche Nachhilfeunterricht. Es dauert nicht lang, bis sie mit Uli ins Bett geht. Doch als sie herausfindet, dass er es auch mit anderen Nachhilfeschülerinnen treibt, zieht sie sich frustriert in ihren Bus zurück.
Dort wird sie von Kai (Thomas Feist) beobachtet. Zuerst versucht Annika, auf Distanz zu bleiben, doch allmählich befreunden sich die beiden.
Annika hält sich für eine Versagerin und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Das Lügengebäude, in das sie sich inzwischen verstrickt hat, verunsichert sie zwar, aber sie hält verzweifelt daran fest, obwohl die Situation jeden Tag auswegloser zu werden scheint.
Um Geld von ihrem Vater zu bekommen, behauptet Annika, sie müsse in der Schule 300 Euro für eine geplante Klassenfahrt nach Rom bezahlen. Kurz darauf treffen sich Annikas früherer Mathematik-Lehrer (Thorsten Merten) und ihre Eltern zufällig bei einem Volksfest. Bernd erwähnt die Klassenfahrt und hört zu seiner Verwunderung, dass diese bereits am nächsten Morgen beginnen soll. Er lässt es sich nicht nehmen, seine Tochter zum Treffpunkt zu bringen, und Annika bleibt nichts anderes übrig, als mit dem Reiserucksack in den bereitstehenden Bus zu steigen und vor den Augen ihrer bisherigen Mitschülerinnen zu warten, bis ihr Vater wieder weggefahren ist.
Als Bernd nach einem Verkehrsunfall zweimal die Tauglichkeitsprüfung für Piloten nicht besteht und deshalb arbeitslos wird, nutzt er die Zeit, um mit Annika Mathematik und Biologie zu pauken. Dabei kommt er rasch an einen Punkt, an dem er nicht weiter weiß. Er ruft deshalb den Mathematik-Lehrer an und hinterlässt auf dessen Anrufbeantworter die Bitte um einen Rückruf.
Annika überredet daraufhin Kai, mit ihr zusammen in die Wohnung des Lehrers einzubrechen, um die Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu löschen. Der Lehrer kehrt überraschend nach Hause zurück, und während Annika gerade noch durchs Fenster entkommt, wird Kai von ihm erwischt. Zur Strafe muss Kai vierzig Stunden gemeinnützige Arbeiten erledigen und beispielsweise Müll im Park aufsammeln. Annika vertritt ihn währenddessen an seinem Verkaufsstand „Honigecke“. Dort kommt es häufig vor, dass ein Manager eine Flasche Sekt kauft, bevor er mit seiner Sekretärin im nahen Gebüsch verschwindet. Zu Annikas Verwunderung taucht auch ihre Mutter mit einem der Kommunalpolitiker auf. Monika hat also auch etwas zu verbergen!
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Immer wieder drängt Kai seine neue Freundin, ihren Eltern endlich die Wahrheit zu sagen. Schließlich verspricht sie es ihm, und beim Familienessen am Weihnachtsabend setzt sie dazu an. Monika befürchtet, ihre Tochter werde gleich erzählen, was sie kürzlich an der „Honigecke“ sah. Um Bernd besser selbst den Seitensprung zu beichten, geht sie mit ihm in die Küche – und hört nicht, dass Annika beteuert, sie habe etwas ganz anderes sagen wollen.
Beim nächsten Treffen mit Kai lügt Annika, sie habe ihren Eltern alles erzählt.
Kurz darauf drängt Uli sie, wieder mit ihm zu schlafen, und als sie sich weigert, versucht er, sie zu erpressen: Er hat inzwischen von ihrer früheren Mitschülerin Birgit erfahren, dass sie gar nicht mehr zur Schule geht und ihren Eltern etwas vormacht. Nun droht er, ihr Lügengebäude einstürzen zu lassen. Kai kommt dazu und erfährt auf diese Weise, dass Annika auch ihn belog, als sie ihm versicherte, Uli sei nichts weiter als ihr Nachhilfelehrer gewesen und als sie behauptete, ihren Eltern an Weihnachten alles gestanden zu haben. Zwar beschützt er Annika vor Uli, aber sobald der Mathematik-Student fort ist, lässt er sie stehen.
Als sie nach Hause kommt, sieht sie, wie Bernd auf dem Rasenmäher Kreise dreht, während Monika mit einer Gruppe von Politikern im Wohnzimmer debattiert. Plötzlich fährt Bernd in die Scheibe des bodentiefen Wohnzimmer-Fensters und erklärt, er wolle seine Frau nicht verlieren.
Annika geht auf den Balkon, reißt Seiten aus ihren Schulbüchern, zündet sie an und lässt sie brennend in den Garten trudeln. Ihre Eltern, die sich versöhnt haben, führen das auf den Schulstress zurück.
An dem Abend, an dem der Abiturball 2004 stattfindet, schlüpft Annika in das Kleid, das ihre Mutter eigens für sie kaufte. Doch während die Eltern ahnungslos zum Ball fahren, läuft sie zu Kais Adresse. Von seiner Mutter erfährt sie, dass er am Bahnhof sei. Als sie dort ankommt, steigt er gerade in einen Zug. Annika folgt ihm.
Monika hat ihre Affäre beendet, engagiert sich jedoch nach wie vor für den Bau einer Umgehungsstraße. Bernd macht das Abitur nach. Dass ihre Tochter mit mittlerer Reife von der Schule abging und inzwischen mit Kai auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet, erfuhren sie durch einen Brief von ihr.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Bei dem Film „Wahrheit oder Pflicht. Lüge lieber ungewöhnlich“ handelt es sich um die Abschlussarbeit von Arne Nolting (* 1972) und Jan Martin Scharf (* 1974) an der Kunsthochschule für Medien in Köln.
Arne Nolting und Jan Martin Scharf hörten von einer Bekannten, deren Eltern erwartungsvoll zur Abiturfeier erschienen, obwohl ihre Tochter schon seit zwei Jahren nicht mehr zur Schule gegangen war. Das inspirierte sie zu dem Coming-of-Age-Film „Wahrheit oder Pflicht. Lüge lieber ungewöhnlich“.
„Mit einer Lüge lebst du wie ein Kreisel“, sagt Annika zu Beginn. „So lange du schnell genug rotierst, scheint dein Leben still zu stehen. Doch wenn du langsamer wirst, kommt alles ins Trudeln.“ Dazu sehen wir einen Kreisel auf einem aufgeschlagenen Schulbuch tanzen. Ziellose Kreisbewegungen sind ein Leitmotiv des Films „Wahrheit oder Pflicht. Lüge lieber ungewöhnlich“: Wir sehen Annika in einem Kirmes-Karussell; neben ihrem Bett dreht sich eine Disko-Kugel; Birgits Freund schleudert mit dem Auto im Sand herum; Bernd fährt auf dem Rasenmäher im Kreis.
„Wahrheit oder Pflicht. Lüge lieber ungewöhnlich“ ist eine zurückhaltend inszenierte Tragikomödie. Keine optischen oder dramaturgischen Effekte lenken von der bewegenden Geschichte ab, die aus Annikas Perspektive nüchtern erzählt wird. Der häufige Einsatz einer Handkamera verstärkt den Eindruck von Authentizität.
Der Titel „Wahrheit oder Pflicht“ stammt von einem Partyspiel, bei dem in jeder Runde ein Mitspieler ausgewählt wird, der entweder eine Frage beantworten (Wahrheit) oder eine Aufgabe erfüllen (Pflicht) muss.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008